Seescheiden
Seescheiden (Ascidiae oder Ascidiacea) sind sessile Manteltiere, die weltweit die Meere vom Schelf bis zur Tiefsee besiedeln. Mit rund 3000 Spezies sind sie die artenreichste Gruppe der Manteltiere.[1] Aufgrund ihrer Fähigkeit, einen Mantel zu bilden, und da sie als innere Mikrofiltrierer die Produktivität des freien Wasserkörpers ausschöpfen können, sind die Seescheiden eine der erfolgreichsten Tiergruppen.[2] Seescheiden wie die Schlauchseescheide gelten als die engsten lebenden wirbellosen Verwandten von Wirbeltieren. Ihre kaulquappenartigen Larven weisen bei einigen Organen und Geweben erhebliche Ähnlichkeiten mit den Entsprechungen bei sich entwickelnden Wirbeltieren auf.[3] MerkmaleNach der Wuchsform werden, nicht taxonomisch, folgende drei Typen unterschieden[2]
Ihre äußere Erscheinung ist aufgrund der besiedelten Lebensräume sehr vielgestaltig. Arten des Sandlückensystems (Mesopsammon) erreichen nur Millimeter-Größe (etwa Psammostyela delamarei, Diplosoma migrans). Die subantarktische Solitärascidie Molgula gigantea erreicht Größen von bis zu 30 cm. Bei der 80 cm langen gestielten Tiefsee-Ascidie Culeolus murrayi misst der eigentliche Körper nur etwa 8 cm. Die Synascidie Aplidium conicum bildet bis zu 50 cm hohe, massige Kolonien. Schließlich existieren auch dünne bandförmige Kolonien von 4–43 m Länge.[2] Im Mantel der Seescheiden finden sich mesenchymatische Zellen, die die verschiedensten Farbstoffe enthalten können. Die kleinste Art ist Molgula hydemanni, die einen Durchmesser von 2 mm aufweist. Die größte Art ist Molgula gigantea. Sie wird 33 cm lang.[5] LebensweiseAdulte Seescheiden sind sessil, die Larven jedoch frei schwimmend. EntwicklungSeescheiden gehören – wie zum Beispiel auch der Mensch – zu den Chordatieren, das heißt, sie haben in bestimmten Entwicklungsstadien gleiche Organe: eine stabförmige Stütze im Rücken, Chorda genannt, um die sich bei Wirbeltieren eine Wirbelsäule entwickelt. Die Chordatenmerkmale sind bei den Seescheiden nur im Larvenstadium zu erkennen. Im Larvenstadium stimmt die Seescheide fast komplett mit der Larve der Wirbeltiere überein. Die Gehirnanlage, die im Larvenstadium vorhanden ist und für Orientierung und Bewegung gebraucht wird, ist beim erwachsenen sessilen Tier komplett verschwunden. Durch eine Rückbildung ist nur noch ein Ganglion (Nervenknäuel) vorhanden. FortpflanzungSeescheiden sind simultane Hermaphroditen. Aber auch die ungeschlechtliche Vermehrung durch Knospenbildung ist weit verbreitet. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung der Seescheiden entstehen „geschwänzte Larven“. „Nach kurzer Lebensdauer“ entwickeln sich diese mittels „komplexer Umbauvorgänge zur festsitzenden Ascidie“. Ferner sind viele Arten der Seescheiden auch – „im Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Regeneration“ – zu vegetativer Fortpflanzung fähig. Einzeltiere schließen sich danach eng zusammen und es entstehen Kolonien.[1] ErnährungFast alle Seescheiden sind Nahrungsstrudler. Über eine Einström-Öffnung wird das Wasser in den Kiemendarm geleitet, eine spezielle Bildung, in der die Nahrung herausgefiltert wird, um dann dort durch Kiemenspalten in den Peribranchialraum zu gelangen. Der Kiemendarm ist hoch entwickelt. Oft enthält er Tausende von Kiemenspalten. Alle Partikel, die eine Größe von unter 1 μm haben, bleiben darin hängen. Danach wird das filtrierte Wasser durch die Ausström-Öffnung wieder abgegeben. Über den Kiemendarm werden auch lösliche Stoffwechselendprodukte ausgeschieden. Der Darm ist U-förmig gestaltet.[5] Im Januar 2009 wurde in der australischen Tiefsee südöstlich der Insel Tasmanien in einer Meerestiefe von 4000 Metern eine Art entdeckt, welche sich von kleineren Fischen ernährt, die, ähnlich wie bei der Venusfliegenfalle, im Inneren der Seescheide gefangen werden.[6][7] ÖkologieDie Möglichkeit, über eine sensorisch gut ausgestattete Schwimmlarve selektiv zu siedeln, sich bei günstigen Verhältnissen vegetativ sehr rasch auszubreiten und außerdem sexuell zu reproduzieren, macht die Seescheiden erfolgreich gegenüber anderen sessilen Lebewesen. So sind Massenentwicklungen von Cionia intestinalis bekannt, die Individuendichten von 1500 bis 5000 pro m² erreichen. Auf den Corallinaceenböden des Mittelmeers stellen Seescheiden mehr als die Hälfte aller sessilen Arten. Sehr häufig sind hier vor allem die Vertreter der Gattung Microcosmus.[2] SystematikDie Seescheiden werden bei den Manteltieren (Tunicata) eingeordnet, die zum Stamm der Chordata gehören. Es gibt drei Ordnungen mit insgesamt 25 Familien.[8] Früher wurde die Ordnung „Enterogona“, bestehend aus zwei Unterordnungen, den Aplousobranchia und den Phlebobranchia, der Ordnung „Pleurogona“ mit der einzigen Unterordnung Stolidobranchia gegenübergestellt. Bei den „Enterogona“ liegen die unpaaren Gonaden in oder hinter der Darmschleife, die Kloakenhöhle entwickelt sich aus einer paarigen dorsalen Einstülpung. Bei den „Pleurogona“ liegen die Gonaden links und rechts an der Körperwand, die Kloakenhöhle entwickelt sich aus einer unpaaren dorsalen Einstülpung. Diese Einteilung wurde aufgegeben und die bestehenden drei Unterordnungen der Seescheiden wurden zu Ordnungen erhoben:
ArtenvielfaltDerzeit gibt es weltweit ungefähr 3000 beschriebene Arten.[1] Verbreitung in DeutschlandIn "deutschen Meeresgewässern sind etwa 24 Arten nachgewiesen". 19 dieser Arten finden sich im Raum Helgoland. Darunter sind auch einige Neozoen.[1] Eine Art – sie ist kein Neozoon im Raum Helgoland – ist weltweit verbreitet: die Schlauchseescheide (Ciona intestinalis). Nutzung durch den MenschenIn Essig eingelegte Seescheiden der Familie Pyuridae Halocynthia roretzi (japanisch 海鞘 hoya, korean. 멍게 meongge, engl. sea pineapple) werden in Nordjapan und in Korea gegessen.[9] Einzelnachweise
Literatur
WeblinksCommons: Ascidiacea – Sammlung von Bildern und Videos
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