Schweizer Parlamentswahlen 1905Wahlbeteiligung: 56,5 %
% 60 50 40 30 20 10 0 49,2 22,5 14,7 6,7 4,4 2,5
Gewinne und Verluste
Die Schweizer Parlamentswahlen 1905 fanden am 29. Oktober 1905 statt. Zur Wahl standen 167 Sitze des Nationalrates. Die Wahlen wurden nach dem Majorzwahlrecht vorgenommen, wobei das Land in 49 unterschiedlich grosse Nationalratswahlkreise unterteilt war. Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) konnte ihre Stellung als stärkste Kraft weiter ausbauen, während die Sozialdemokraten aufgrund einer emotionalen, gegen sie gerichteten Wahlkampagne Sitzverluste hinnehmen mussten. Das neu gewählte Parlament trat in der 20. Legislaturperiode erstmals am 4. Dezember 1905 zusammen. WahlkampfDie Berner Tageszeitung Der Bund verstand die Wahlen als «Volkskundgebung gegen die sozialistisch-anarchistischen Umtriebe» und als «Plebiszit über das wüste Treiben der Sozialdemokraten». Man warf ihnen vor, alle Bestrebungen der Freisinnigen zu verhöhnen, Anarchisten zu unterstützen, gewalttätige Streiks anzuzetteln sowie Propaganda gegen Armee und Wehrpflicht zu betreiben. Die Sozialdemokraten klagten, die Freisinnigen sähen sich als alleinige Vertreter sämtlicher Gesellschaftsschichten, ohne wirklich die Bedürfnisse der Arbeiterschaft zu kennen. Unversöhnlicher Klassenkampf trat an die Stelle der noch in den 1890er Jahren vorhandenen gemeinsamen Interessen wie Demokratie und Sozialreform.[1] Die Demokraten versuchten vergeblich, zwischen beiden Lagern eine vermittelnde Haltung einzunehmen. Innerhalb der FDP machte sich erstmals der Einfluss der Jungfreisinnigen bemerkbar. Diese versuchten, den Ausschliesslichkeitsanspruch der Mutterpartei zu dämpfen und forderten eine aktivere Sozialpolitik. Im Kanton Tessin vertrat die «extreme Linke» (estrema sinistra) der Freisinnigen eine kulturkämpferisch-freidenkerische Linie mit antimilitaristischer Tendenz. Bei den Sozialdemokraten floss unter dem Einfluss von Otto Lang der orthodoxe Marxismus in das Parteiprogramm ein, was den Graben zur bürgerlichen Gesellschaft noch tiefer werden liess. Die Katholisch-Konservativen fielen im Wahlkampf kaum auf, da ihnen eine weiterhin eine zentrale Organisation fehlte.[2] Der austrocknende Arbeitsmarkt bei gleichzeitig kräftigem Preisauftrieb führte dazu, dass Streiks häufiger und heftiger geführt wurden. Sie konnten daher von Extremisten beider Lager mit klassenkämpferischer Symbolik aufgeladen werden. Unternehmer erhoben den (durchaus berechtigten) Vorwurf, die Streiklust in der Schweiz werde vom Ausland aus angeheizt; beispielsweise waren in Zürich überwiegend ausländische Maurer gegen den Willen von Schweizer Gewerkschaftsfunktionären in einen siebenwöchigen Ausstand getreten. Insbesondere einen Metallarbeiterstreik in Rorschach empfanden manche Freisinnige als strafbare Störung der öffentlichen Ordnung. Entsprechend begrüssten sie den Einsatz der Armee zur Auflösung des Streiks. Eine «antimilitaristische Liga» schmälerte die Chancen der Sozialdemokraten weiter, obwohl sich die Partei vehement von ihr distanzierte. Auch die unter Druck geratenen Unternehmer organisierten sich und gründeten den Arbeitgeberverband schweizerischer Maschinenindustrieller, um schwächere Firmen vor den Gewerkschaften zu schützen. Der Einfluss ausländischer Arbeiter auf die Gewerkschaften schürte auch fremdenfeindliche Emotionen.[3] Während der 19. Legislaturperiode hatte es aufgrund von Vakanzen zehn Ersatzwahlen in neun Wahlkreisen gegeben, dabei kam es nur zu geringen Sitzverschiebungen. 1905 gab es insgesamt 57 Wahlgänge (einen weniger als drei Jahre zuvor). In 41 von 49 Wahlkreisen waren die Wahlen bereits nach dem ersten Wahlgang entschieden. Mit dem letzten Wahlgang am 12. November 1905 war der Nationalrat komplett. Die Wahlbeteiligung sank im Vergleich zu 1902 um 0,3 Prozentpunkte. Den höchsten Wert wies üblich der Kanton Schaffhausen auf, wo aufgrund der dort geltenden Wahlpflicht 96,0 % ihre Stimme abgaben (dies ist die höchste jemals erreichte Beteiligung in der Schweiz). Über 80 % Beteiligung verzeichneten auch die Kantone Aargau und St. Gallen. Am tiefsten war die Wahlbeteiligung im Kanton Zug, wo nur 20,0 % an den Wahlen teilnahmen. Trotz leichter Verluste beim Wähleranteil erwies sich die FDP mit 4 Sitzgewinnen erneut als Wahlsiegerin. Die Sozialdemokraten verloren trotz grösser gewordenem Wähleranteil 5 Sitze. Ergebnis der NationalratswahlenGesamtergebnisVon 779'835 volljährigen männlichen Wahlberechtigten nahmen 440'383 an den Wahlen teil, was einer Wahlbeteiligung von 56,5 % entspricht.[4] Die 167 Sitze im Nationalrat verteilten sich wie folgt:[5][6]
Hinweis: Eine Zuordnung von Kandidaten zu Parteien und politischen Gruppierungen ist nur bedingt möglich (mit Ausnahme der Freisinnigen und Sozialdemokraten). Der politischen Wirklichkeit des frühen 20. Jahrhunderts entsprechend kann man eher von Parteiströmungen oder -richtungen sprechen, deren Grenzen teilweise fliessend sind. Die verwendeten Parteibezeichnungen sind daher eine ideologische Einschätzung. Ergebnisse in den KantonenDie nachfolgende Tabelle zeigt die Verteilung der errungenen Sitze auf die Kantone.[7][8]
StänderatswahlenDie Wahlberechtigten konnten die Mitglieder des Ständerates in 18 Kantonen selbst bestimmen: In den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Genf, Graubünden, Luzern, Schwyz, Solothurn, Tessin, Thurgau, Zug und Zürich an der Wahlurne, in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus, Nidwalden, Obwalden und Uri an der Landsgemeinde. In allen anderen Kantonen erfolgte die Wahl indirekt durch die jeweiligen Kantonsparlamente. In vielen Kantonen fanden die Ständeratswahlen damals zudem nicht gleichzeitig mit den Nationalratswahlen statt. SitzverteilungDie Sitzverteilung im Ständerat sah wie folgt aus:
Gewählte StänderäteLiteratur
Einzelnachweise
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