Erstmals veröffentlicht wurden die 83 Bilder vom französischen Verleger Robert Delpire. Der Bildband zählt zu den einflussreichsten des 20. Jahrhunderts.[2] Seinen fotografischen Stil übertrug er auch auf Dokumentarfilme. Er zählt zu den wichtigen Vertretern des Independent-Films.[3] Später folgten experimentelle Fotomontagen. Frank hat laut Juri Steiner „einen völlig eigenständigen, subjektiven und sozialkritischen Stil einer poetisch-dokumentarischen Fotografie entwickelt, die die Amerikaner als ‚snapshot aesthetic‘ bezeichnen.“[4]
Frank berichtete später über Geborgenheit in seinem Elternhaus des gehobenen Bürgertums mit einem Vater, der selbst „ein guter Fotograf“ gewesen sei, wenn auch nur in der Freizeit und zur Entspannung, weil es bei diesem in seiner Arbeitswelt zu viel um Geldverdienen gegangen sei. Sein Vater, der von Beruf Innenarchitekt war, habe dafür „einen hohen Preis bezahlt“.[5][6] Seine Schweizer Heimat empfand er bereits im Alter von 23 Jahren als zu engstirnig.[7]
In seiner Geburtsstadt Zürich besuchte Frank von 1931 bis 1937 die Primarschule im Schulhaus Gabler und von 1937 bis 1940 die Sekundarschule im Schulhaus Lavater. 1940 absolvierte er ein Welschlandjahr am Institut Jomini in Payerne und von Januar 1941 bis März 1942 gegen den Willen seiner grossbürgerlichen Eltern eine freie Ausbildung beim Fotografen und Grafiker Hermann Segesser in Zürich. In der Folge war er von August 1942 bis September 1944 zunächst Lehrling, danach Angestellter im Studio von Michael Wolgensinger in Zürich sowie von Dezember 1944 bis Juni 1945 Assistent von Victor Bouverat in Genf.
Seine in Frage stehende Schweizer Staatsbürgerschaft flösste Frank – angesichts des auch in der Schweiz damals spürbaren Antisemitismus – das Gefühl ein, „andersartig“ zu sein, obwohl er in seine Umgebung assimiliert war und nationalistischen Verbänden angehörte (zum Beispiel dem Schweizer Alpen-Club). Nachdem Adolf Hitler sämtlichen deutschen Juden ihre Staatsbürgerschaft entzogen hatte, gerieten auch Franks Brüder und sein Vater als Staatenlose in eine prekäre Lage. Um die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erlangen, wurden sie schriftlich zu dem Nachweis aufgefordert, dass sie sich vollständig der helvetischen Gesellschaft angeglichen hätten und keinerlei jüdische Charakteristika mehr aufwiesen. Die Familie schwebte daher während des Zweiten Weltkrieges in ständiger Angst, ausgewiesen zu werden.
Neben seiner Assistenztätigkeit arbeitete Frank zwischen 1941 und 1947 auch als selbständiger Fotograf und war unter anderem für die Standbilder in verschiedenen Schweizer Filmproduktionen zuständig. Aus seinen frühen Arbeiten spricht der Geist der Schweizer Epoche, in der sie sich auch gegen das Nazi-Deutschland abzugrenzen versuchte. Auffälligerweise schwingt in seinen damaligen Fotografien von Paraden und Festen, Traubenpflückern oder Landschaften eine Note von patriotischer Propaganda mit. Es tauchen darin außerdem viele Flaggen auf, ein späteres Leitmotiv in The Americans.[8]
Im Jahr 1947 emigrierte Frank in die Vereinigten Staaten und zog nach New York. Dort stellte er seine Fotomappe Alexei Brodowitsch vor, dem bekannten künstlerischen Leiter der Modezeitschrift Harper’s Bazaar. Brodowitsch erkannte sein Talent und stellte ihn im selben Jahr als Assistenzfotograf ein.[9] Frank bewunderte die Arbeiten des französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson, der 1947 die Agentur Magnum mitbegründete. Später lehnte Frank die Normen in Cartier-Bressons Arbeiten als oberflächlich und bedeutungslos ab. Statt Geschichten mit einem Anfang und einem Ende durchzuerzählen, entwickelte Frank die Idee vom Moment, vom Augenblick, den eine Aufnahme festhalten soll, als sein Ideal.[10]
Bei Reisen in den Jahren von 1948 bis 1954 unter anderem durch Peru, Bolivien, Spanien, Italien, Südfrankreich, England und Wales traf Frank die Fotografen und Bildjournalisten Elliott Erwitt, Edward Steichen und Walker Evans. In dieser Zeit arbeitete er als Freelancer für Magazine wie Life, McCall’s, Look, Charm, Vogue und Fortune. 1950 wurde er von Edward Steichen eingeladen, an der Gruppenausstellung Photographs by 51 Photographers im Museum of Modern Art in New York teilzunehmen.[11]
1954 bewarb er sich um ein Guggenheim-Stipendium, das ihm 1955 auch gewährt wurde. Er plante eine großangelegte Bildreportage über die Vereinigten Staaten zu fotografieren. „Das war wunderbar, denn so lernst du etwas über das Land“ äußerte er sich dazu später.[10] Bis 1957 reiste er deswegen durch die Staaten und machte 28.000 Fotos, von denen er nur 83 Abzüge für sein Fotobuch The Americans auswählte. Da er keinen US-Verleger für sein Projekt fand, war es der Offenheit des französischen Verlegers Robert Delpire zu verdanken, dass der Bildband überhaupt veröffentlicht werden konnte, wenn auch mit vielen Texten versehen.[12] Zurück in New York wurde Frank auf Jack Kerouac aufmerksam, den Schriftsteller der Beat Generation. Er traf ihn auf einer Party, zeigte ihm seine Fotos und bat ihn um das Vorwort zu The Americans. In der Folge wurde Frank ein Teil des Kreises um Kerouac und Allen Ginsberg.
Ab 1959 begann Frank Filme zu drehen. Sein erstes Werk Pull My Daisy greift eine Szene aus Kerouacs nie vollendetem Theaterstück The Beat Generation auf und wurde in einer Privatwohnung mit Freunden als Schauspielern gedreht. In den nächsten Jahrzehnten drehte Frank über 30 Filme, alle unabhängig und ohne Budget produziert. Richard Linklater meinte: „Wäre Frank nicht schon als einflussreicher Fotograf bekannt geworden, wäre er als Erfinder des Independent-Films berühmt.“[12] 1972 erhielt er von den Rolling Stones den Auftrag, einen Dokumentarfilm über deren Tournee zum Album Exile on Main Street zu drehen. Für das Cover verwendete der Grafiker John Van Hamersveld eine Fotocollage von Robert Frank. Das Resultat – Cocksucker Blues (benannt nach der letzten geplanten, aber nie veröffentlichten Decca-Single Jaggers mit der Textzeile Where can I get my cock sucked) – zeigt Langeweile, Dekadenz, Mick Jagger eine Line ziehend und Begleiter der Band, die sich auf Hotelbetten einen Schuss setzten. Nur ein Teil des Filmmaterials wurde im Konzertfilm Ladies and Gentlemen, the Rolling Stone von Rollin Binzer 1974 öffentlich gezeigt.[13][10] Der als Raubkopie verbreitete Film wurde von der Band wegen dieses unbarmherzigen Realismus nur für einzelne Vorführungen in Anwesenheit Franks freigegeben.[14] Ein Bootleg kursierte in Künstlerkreisen und wurde zum Thema in Don DeLillos Roman Underworld.
Frank heiratete in erster Ehe die Tänzerin und Künstlerin Mary Lockspeiser, mit der er zwei Kinder hatte; er verließ sie 1969.[12] Eine zweite Ehe schloss er 1975 mit der Bildhauerin June Leaf, einer Freundin von Mary;[12] das Paar siedelte sich bereits 1971 in Mabou auf der Kap-Breton-Insel in der kanadischen Provinz Nova Scotia an.[15] Ab 1972 widmete er sich auch wieder der Fotografie.
1974 kam Franks Tochter Andrea mit 20 Jahren bei einem Flugzeugabsturz in Guatemala ums Leben.[16] Sein Sohn Pablo brachte sich 1994 nach mehreren Jahren Erkrankung an Schizophrenie wie auch an Krebs in einem psychiatrischen Krankenhaus um.[12] 1995 gründete Frank die Andrea Frank Foundation, um Künstler zu unterstützen.[17] Frank lebte abwechselnd in seinem Haus in Mabou und in seiner Wohnung in New York. Er starb eines natürlichen Todes im Alter von 94.
Sammlungen und Nachlass
Das Museum of Fine Arts, Houston besitzt mehr als 350 Fotografien von Robert Frank und die Original-Buchmaquetten seiner Bildbände The Americans and Lines of My Hand. Zudem gab Frank dem Museum fast 200 Fotografien, die er von anderen Fotografen erhalten hatte.[18]
Die National Gallery of Art in Washington richtete 1990 die Robert Frank Collection ein. Sie besteht aus Abzügen, Negativen und Kontaktabzügen, je einem Originalexemplar der Buchmaquetten 40 Fotos 1946, Peru 1948 und Black White and Things 1952 sowie einer Sammlung von Franks Fotobüchern und Veröffentlichungen in Fachzeitschriften.
Die Nachlässe von Robert Frank und seiner zweiten Frau, der Künstlerin June Leaf werden von der in New York ansässigen The June Leaf and Robert Frank Foundation betreut.[19]
1946: 40 Fotos, erste Buchmaquette mit Originalfotografien, Spiralbindung, Original in der National Gallery of Art,[24] 2009 unter dem Titel Portfolio im Steidl Verlag erschienen.
1948: Peru, zweite Buchmaquette in zwei Ausgaben mit 39 Originalfotografien. Das Buch an seine Mutter ist im Besitz der National Gallery of Art, das zweite gab er Alexei Brodowitsch, das sich in Privatbesitz befindet.[25] 2008 unter dem Titel Peru im Steidl Verlag erschienen
1952: Black White and Things, dritte Buchmaquette in drei Ausgaben mit 37 Originalfotografien, gestaltet von Werner Zryd. Ein Buch gab Frank seinem Vater, eines Edward Steichen, sein Exemplar, das er für sich behielt, ist im Besitz der National Gallery of Art,[26] 2009 unter dem Titel Black White and Things im Steidl Verlag erschienen
Fotobände
Robert Frank. The Lines of My Hand. Ein Buch – eine Ausstellung. Ausstellungsdokumentation. In Zusammenarbeit mit dem Musée de L'Elysée, Lausanne
Version française: Werner Bischof, Robert Frank, Pierre Verger: Indiens pas morts, Text: Georges Arnaud, Zürich, Manesse 1956.
Französisch-englische Version: From Incas to Indios. Introduction by Manuel Tunon de Lara. Werner Bischof, Robert Frank, Pierre Verger. Robert Delpire Universe Books, Paris, New York 1956.
1976: Robert Frank: Werkverzeichnis. Kunsthaus Zürich, 29. Februar 1976 – 25. April 1976. Stiftung für die Photographie im Kunsthaus Zürich (Ausstellungskatalog).
1995: Moving Out. Scalo, Zürich 1995. ISBN 3-9803851-5-9. (Deutschsprachige Ausgabe des Katalogs der Ausstellung, die zuerst im Herbst 1994 in der National Gallery of Art in Washington D. C. zu sehen war.)
1997: Flamingo, Hasselblad, New Jersey 1997, ISBN 978-3-931141-55-4, (Neuauflage bei Scalo Publishers, 1997).
2001: HOLD STILL keep going. Scalo, Zürich 2001. ISBN 3-908247-40-3. (Englischsprachiger Katalog der Ausstellung, die zuerst vom Dezember 2000 bis zum Februar 2001 im Museum Folkwang in Essen zu sehen war.)
2012: Ferne Nähe / Distant Closeness. Hommage für Robert Walser / A Tribute to Robert Walser. Schriften des Robert Walser-Zentrums, Bern 2012, ISBN 978-3-9523586-2-7.
Nicholas Dawidoff: Robert Frank. Das Leben des Schweizer Jahrhundertfotografen. Der Mann, der Amerika entdeckte.Das Magazin, Tamedia, Zürich, 18. Juli 2015, S. 8–21.
Sarah Greenough, Philip Brookman (Hrsg.): Robert Frank. Moving out. Scalo, Zürich 1994, ISBN 3-9803851-5-9.
Sarah Greenough: Looking In: Robert Frank’s The Americans, Expanded Edition. National Gallery Of Art, Washington; Steidl, Göttingen 2009, ISBN 978-3-86521-806-3.
Amos Morris-Reich: Photography for Its Own Sake: Robert Frank and The Americans. In: ders.: Photography and Jewish history, five Twentieth-Century cases. PENN, University of Pennsylvania Press, Philadelphia, Pennsylvania 2022, ISBN 978-0-8122-5391-7, S. 120–148.
Filme über Robert Frank
2017: Blicke in die Seele Amerikas – Der Fotograf Robert Frank. (OT: Don’t Blink – Robert Frank.) Dokumentarfilm, USA, 2015, Fernsehfassung: 52 Min., Kinoversion: 82 Min., Buch und Regie: Laura Israel, Produktion: Vega Film, Charlotte Street Films, Assemblage Films, arte France, deutschsprachige Erstausstrahlung: 11. Juli 2017, Inhaltsangabe von ARD, Filmseite. Trailer (1:45)
2005: Leaving Home, Coming Home: A Portrait of Robert Frank. Dokumentarfilm, Großbritannien, 2004, 85 Min., Buch und Regie: Gerald Fox, Produktion: Granada Production, London Weekend Television (LWT), Reihe: The South Bank Show, Inhaltsangabe.
1985: Video Fire in the East: A Portrait of Robert Frank, 1985, Museum of Fine Arts in Houston[47]
Weblinks
Robert Frank in Swisscovery, dem schweizerischen Suchportal der wissenschaftlichen Bibliotheken
↑Sean O'Hagan, Sean O’Hagan: Robert Frank at 90: the photographer who revealed America won't look back. In: The Guardian. 7. November 2014, ISSN0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 26. Dezember 2023]).
↑Marc Spitz: Jagger. Rebel, Rock Star, Ramble, Rogue. 2011 (Gewidmet Brendan Mullen). Deutsch: Mick Jagger. Rebell und Rockstar. Aus dem Amerikanischen von Sonja Kerkhoffs. Edel Germany, Hamburg 2012, ISBN 978-3-8419-0122-4, S. 174, 183, 188, 193–195 und 306.
↑Rosellina Burri-Bischof: Zehn Jahre Ausstellungstätigkeit der «Stiftung für die Photographie». In: Camera, Internationale Zeitschrift für Photographie und Film. 1981, Heft 4, April, S. 27.
↑Sabine Buchwald: Die anarchische Kraft des Fotografen. In der Akademie der Bildenden Künste sind Robert Franks Bilder als gigantische Wandzeitung zu sehen. Der Katalog dazu ist eine besondere SZ. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 270, 24. November 2014, Seite R4, Artikelanfang. Alex Rühle: Schönheit für den Augenblick. In: SZ, 20. November 2014, (PDF; 42 kB).
↑Der Mann, der die Amerikaner sah. Was draußen ist, ist immer anders – Fotografien und Filme von Robert Frank in einer etwas anderen Werkschau. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 9. April 2015, S. 38, Artikelanfang.