Der Ringtheaterbrand in Wien am 8. Dezember 1881 war eine der größten Brandkatastrophen des 19. Jahrhunderts in Österreich-Ungarn.[1] Die Zahl der Todesopfer betrug nach offiziellen Angaben 384; Schätzungen gingen von noch mehr Toten aus.[2]Ludwig Eisenberg schreibt von nahezu 1000 Toten.[3]
An jenem Abend wurde im Ringtheater, Schottenring 7, das am 17. Jänner 1874 als Komische Oper Wien eröffnet worden war, Jacques OffenbachsHoffmanns Erzählungen gegeben. Als die Besucher für den Vorstellungsbeginn um 19 Uhr[1] ihre Plätze einnahmen, wurde hinter der Bühne bei fünf Schaukästen die Gasbeleuchtung entzündet. Durch Versagen der elektropneumatischen Zündvorrichtungen strömte Gas aus, welches beim nächsten Zündversuch explodierte. Das entstandene Feuer sprang auf die Prospektzüge über, bevor es sich rasch über den Rest der Bühne und schließlich im Zuschauerraum ausbreitete. Eine vorhandene Drahtkurtine (Vorläufer des eisernen Vorhangs, s. u.) wurde nicht geschlossen.[4]
Erst eine halbe Stunde später versuchten Feuerwehrleute die Zuschauer zu retten, erschwert durch grundlegende Probleme: Die aus Öllampen bestehende Notbeleuchtung soll nicht gebrannt haben, da – aus Geldmangel – die Lampen nur für Überprüfungen gefüllt worden sein sollen. Außerdem öffneten sich die Notausgänge nur nach innen, was die flüchtenden Besucher hinderte, das Gebäude rechtzeitig zu verlassen. Ein durch ein seitliches Fenster einströmender Luftzug fachte das Feuer weiter an. Aufgrund einer Fehleinschätzung der Lage hielt die Polizei im Theatervorraum Helfer mit dem Hinweis „Alles gerettet!“ von weiteren Rettungsversuchen ab.[2]
Unter den Toten befand sich Ladislaus Vetsera (* 1865), ein Bruder von Mary Vetsera und der erst 15-jährige David Coschell, Bruder des Malers Moritz Coschell.[5]
Zur Identifizierung der Leichen wurde erstmals die Methode einer Identifizierung anhand der Zahnstellung praktiziert und damit eine Grundlage für die später renommierte „Wiener Schule der Kriminalistik“ gelegt. Es war ein Einstieg in die forensische Zahnmedizin.[6]
Im rechts an das Ringtheater angrenzenden Gebäude (ehemaliges Eckhaus Schottenring/Heßgasse) wohnte seit 1877 Anton Bruckner. Er besaß Karten für die todbringende Vorstellung, blieb jedoch wegen Unpässlichkeit zu Hause.[7]
Folgen
Als spontane Reaktion auf den Brand wurde die Wiener Freiwillige Rettungsgesellschaft gegründet. Der Brand hatte innerstaatliche wie internationale Auswirkungen auf den vorbeugenden Brandschutz vor allem im Theaterbereich und die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen für den Theaterbau in Österreich. So wurde beispielsweise der Eiserne Vorhang zur Trennung der Bühne vom Zuschauerraum eingeführt, und die Dekorationen mussten ab diesem Zeitpunkt imprägniert werden. Die größeren Theater wurden verpflichtet, an jeder Vorstellung einen uniformierten Sicherheitsbeamten teilnehmen zu lassen, der im Brandfall die nötigen Anordnungen zur Lenkung der großen Menschenmenge zu treffen hatte. Er hatte bis zum Abgang des letzten Zuschauers im Theater zu verbleiben. Die Regelung gilt bis heute.
Vom 24. April[8] bis zum 17. Mai 1882[9] fand der sogenannte Ringtheater-Prozess statt. Alle angeklagten städtischen Funktionäre wurden freigesprochen, während drei Theatermitarbeiter (TheaterintendantFranz von Jauner, Josef Nitsche und Franz Geringer) zu Freiheitsstrafen zwischen vier und acht Monaten sowie teilweiser Schadenersatzzahlung verurteilt wurden. Nach Ansicht des Gerichts hatten sie eine gegenseitige Kontrolle sowie die Anbringung von Notöllampen unterlassen und die Drahtkurtine fehlerhaft bedient.[10] Franz von Jauner wurde durch kaiserlichen Gnadenerlass nach nur einigen Wochen Gefängnisaufenthalt entlassen.[3]
1829 hatte Wien die erste, 30 Paragraphen umfassende Bauordnung erhalten. Diese wurde 1859 und 1868 durch eine neue Bauordnung abgelöst. Die den Ringtheaterbrand berücksichtigende Bauordnung für Wien von 1883, ein niederösterreichisches Landesgesetz,[11] war bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts gültig.[12] Darin enthalten war unter anderem die heute noch gültige Vorgabe, dass sich die Türen in öffentlichen Gebäuden stets nach außen zu öffnen haben.[13]
Aus Betroffenheit wurde auf dem Bauplatz des niedergebrannten Theaters aus privaten Mitteln des Kaisers Franz Joseph das so genannte Sühnhaus errichtet, zu dessen ersten Mietern Sigmund Freud zählte.[14] Die Mieteinnahmen dieses Zinshauses flossen karitativen Zwecken zu.
Das Gebäude wurde 1945 bei Kriegsende schwer beschädigt und musste 1951 abgetragen werden. Heute steht auf dem Areal das Amtsgebäude der Landespolizeidirektion Wien. An dessen Fassade befindet sich eine Gedenktafel, welche an das Unglück erinnert.
Zwei der Säulen des Ringtheaters wurden später in der Basilika von Kaisermühlen verbaut.[15] Der verkohlte Kopf einer Ringtheatertoten wird bis heute im Wiener Kriminalmuseum ausgestellt.[16]
Der Prozess gegen die Verantwortlichen des Brandes wurde literarisch in den 1960er Jahren von Helmut Qualtinger und Carl Merz unter dem Titel Anatomie einer Katastrophe beschrieben.[17] Verfilmt wurde der Text unter dem Titel „Alles gerettet. Der Ringtheaterprozeß“.
Das „singende Quartett“, vier Attikafiguren, die die vier Stimmlagen des Gesanges darstellen, überstanden das Inferno nahezu unversehrt. Sie wurden von Max Schmidt, dem letzten Besitzer des Schlosses Pötzleinsdorf, erworben und im Pötzleinsdorfer Schlosspark aufgestellt.
Filmische Bearbeitungen
Sehr frei basiert der Kinofilm „Operette“ von 1940 auf der Biografie von Franz von Jauner, gespielt von Willi Forst. Im Film werden auch der Ringtheaterbrand und dessen Folgen für den Theaterdirektor flüchtig thematisiert.[18]
In der TV-Doku-Serie „Grätzlgschichten, Schauplätze mit historischem Hintergrund“ (KURIER TV, 2022) widmet sich die Historikerin, Journalistin und Moderatorin Sabine Claudia Tanner dem Ringtheaterbrand von 1881, Sie begibt sich auf Spurensuche in Wien und zeigt, wo es heute noch Erinnerungsorte an das einstige Theater in der Stadt gibt. Im 1. Teil zeigt Tanner den ehemaligen Standort des Theaters an der Ringstraße (heute Landespolizeidirektion Wien), das „Singende Quartett“ im Pötzleinsdorfer Schlosspark und das Ehrengrab am Zentralfriedhof.[25]
Das Lied vom Ring-Theater-Brand. Textbuch. S. n., Wien 1881.
Der Brand des Ringtheaters in Wien am 8. Dezember 1881. Eine wahrheitsgetreue Schilderung der Katastrophe nach authentischen Quellen. S. Tagwerker, Linz 1881.
Der Brand des Ringtheaters in Wien. Eine ausführliche Schilderung der Catastrophe vom 8. Dezember 1881. M. F. Benk, Znaim 1881.
Der Brand des Wiener Ringtheaters am 8. Dezember 1881 und seine Opfer. Eine ausführliche Schilderung dieser schrecklichen Katastrophe. Jos. A. Massanatz, Wien 1881.
Carl Theodor Fockt: Der Brand des Ringtheaters in Wien am 8. December 1881. Eine wahrheitsgetreue Schilderung der Katastrophe, nach authentischen Quellen. 7. Auflage. A. Hartleben’s Chronik der Zeit, Band 1. Hartleben, Wien 1882.
Joseph Seidel: Der Brand des Ringtheaters in Wien. Eine wahrheitsgetreue Schilderung der Katastrophe. Seidel, Wien 1882.
Franz Patzer, Edith Koll (Hrsg.): „Alles gerettet!“ 100 Jahre Ringtheaterbrand. Ausstellung, Anfang Oktober 1981 bis Ende Jänner 1982. … Wechselausstellung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Band 194. Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Wien 1981, OBV.
Peter Cerny: Der Ringtheater-Brand – ein Versäumnis? Dissertation, Universität Wien, Wien 1986.
Helmut Bouzek: Wien und seine Feuerwehr. Der Brand des Wiener Ringtheaters. Wiener Landes-Feuerwehrverband, Wien 1990, DNB942491483.
Werner Ogris: Vom Galgenberg zum Ringtheaterbrand. Auf den Spuren von Recht und Kriminalität in Wien. Böhlau, Wien (u. a.) 1997, ISBN 3-205-98611-3.
Opfer des Ringtheaterbrandes 1881. (Ehrengrab der Brandopfer am Wiener Zentralfriedhof, Index Opfergräber). In: Hedwig Abraham: viennatouristguide.at, abgerufen am 14. Juni 2011.
[2] Fernsehbeitrag von Sabine Claudia Tanner auf KURIER TV, Erstausstrahlung 1.2.2022, „Der Ringtheaterbrand von 1881 und was davon heute übrig blieb“ (Teil I), aus der TV-Doku-Serie „Grätzlgschichten, Schauplätze mit historischem Hintergrund“[26]
[3] Fernsehbeitrag von Sabine Claudia Tanner auf KURIER TV, Erstausstrahlung 9.3.2022, „Der Ringtheaterbrand von 1881 und das Kriminalmuseum“ (Teil II), aus der TV-Doku-Serie „Grätzlgschichten, Schauplätze mit historischem Hintergrund“[27]
↑ Im 2. Teil befindet sich Tanner im Kriminalmuseum in Wien und thematisiert den Gerichtsprozess und die Verurteilung des Direktors Franz Jauner sowie die großen Auswirkungen des Brandes, die bis heute weiterleben und mit denen wir in vielen Bereichen im Alltag konfrontiert sind (Rettung, Feuerwehr, Brandschutz, forensische Zahnmedizin, Wiener Schule der Kriminalistik). Warum die Wiener Brandschutzgesetze die strengsten auf der ganzen Welt sind, erläutert auch der Gast-Experte Architekt DI Stefan Mastal.