Die erste nachweisbare Göttinger Apotheke befand sich im 14. Jahrhundert nördlich des Rathauses an der Stelle des heutigen Grundstücks Markt 3.[1] Das heutige Gebäude der Ratsapotheke an der Weender Straße erwarb der Magistrat 1558 von dem Bürger Tile Ludolf[2][3] verbunden mir dem Privileg zur Führung der bis 1739 einzigen Apotheke in der Stadt,[4] ehe die Universtäts-Apotheke gegründet wurde. Zum Zeitpunkt der Gebäudeumnutzung Mitte des 16. Jahrhunderts stand der Fachwerkbau längst, wie eine dendrochronologische Datierung auf 1480 ergab. Die Rats-Apotheke hatte des Status einer Doktor- und Medizinal-Apotheke, sodass der Apotheker in der Lage sein musste, Arzneien selbst herzustellen. Lange war an sie das Privileg zum Verkauf von Konfekt und zum Branntweinausschank gebunden. Auch die Einführung des Kaffees in Göttingen erfolgte 1700 durch die Rats-Apotheke.[5]
Ab 1785 wurde hier der später erfolgreiche ChemikerWilhelm August Lampadius zum Apotheker ausgebildet. 2012 brachte man ihm zur Erinnerung eine Göttinger Gedenktafel an der Fassade an.[6] Zwei weitere später berühmt gewordene Chemiker, die ihre Lehre in der Göttinger Rats-Apotheke begannen, waren ab 1849[7]Albert Niemann (den hier Friedrich Wöhler entdeckte[8]) und in den 1880er Jahren Fritz Hofmann. Eine zweite Göttinger Gedenktafel erinnert seit 1907[9] an den jungen DichterClemens Brentano, der hier im Sommer 1801 wohnte, als er zu einem Gastsemester des Philosophiestudiums an der Universität Göttingen eingeschrieben war und mit Achim von Arnim verkehrte.[10]
Bis 1875 blieb die Rats-Apotheke im Besitz der Stadt und wurde jeweils verpachtet[3]; danach ging sie in Privatbesitz über. Erst 2014 endete die Apothekennutzung nach über 450 Jahren.[11] An sie erinnern heute eine modern aufgemalte Fassadeninschrift sowie über dem Hauseingang schon seit mindestens 130 Jahren eine Relieftafel mit dem alten Göttinger Stadtwappen. Im Städtischen Museum Göttingen werden historische Gegenstände aus der Rats-Apotheke aufbewahrt, die 1896 und 1904 von den damaligen Apothekern übergeben wurden.[3]
Das Gebäude steht seit 1931[12] unter Denkmalschutz und im Denkmalverzeichnis von 1982 als Einzeldenkmal nach § 3 Abs. 2 des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes sowie als Teil der Gruppe baulicher Anlagen Baukulturensemble Göttinger Innenstadt.[13][4]
Beschreibung
Das spätmittelalterliche Eckfachwerkhaus mit Walmdach ist ein regional typisches Dielenhaus mit Hochständern[14], das Erd- und Zwischengeschoss zusammenfasst und darüber ein vorkragendes Stockwerk aufweist. Fünf Gefache zeigen zur Weender Straße, neun Gefache zur Barfüßerstraße. Zwischen den Deckenbalkenköpfen und Knaggen stehen große bemalte Füllbretter. Das heutige Walmdach ist eine spätere Modernisierung, denn das Gebäude wies ursprünglich einen Giebel auf[15]; der Dachraum selbst wurde noch im 18. Jahrhundert wahrscheinlich als „Kräuter-Bodens“[16] genutzt.
Im Gebäude befindet sich ein 1553 datierter Kamin.[17][15] Das Fachwerkhaus ruht auf einer Anlage von Kellergewölben, der schon in einer barocken Stadtbeschreibung erwähnt wurde[16] und zwei Vorgängerbauten erkennen lässt.[17] Auf dem kleinen Innenhof des Eckgrundstücks steht ein Steingebäude mit Kreuzgratgewölbe, das früher für eine Kemenate gehalten wurde.[17][18] 1964 sah Otto Fahlbusch darin „eine kaum noch lesbare Inschrift ‚anno 1720‘“[17], was zur barocken Stadtbeschreibung des Zeitgenossen Johann Daniel Gruber passt, wonach der Rat 1720 für die Apotheke „ein feines geräumiges Laboratorium, gantz von Stein gebauet und oben gewölbet ist“, errichten ließ.[19]
Literatur
Thomas Appel: Göttinger Goldschmiede 1600–1900. In: Göttinger Jahrbuch, Bd. 57, 2009, S. 71–107, hier S. 99, Abb. 7. (Abbildung einer historischen „Rezeptfahne“ der Ratsapothelke Göttingen)
Jens-Uwe Brinkmann: Die Ratsapotheke (= Informationen zur Stadtgeschichte, Blatt C 2.1). Hrsg. Städtisches Museum Göttingen. Göttingen 1979.
↑Alfred Dieck: Die Apotheken Göttingens im 14. und 15. Jahrhundert. In: Göttinger Jahrbuch, Bd. 4, 1955/56, S. 33–39, hier S. 33.
↑Frank Achhammer, Betty Arndt u. a.: Hundert Häuser, hundert Tafeln Ein Führer zu Göttinger Baudenkmälern. Göttinger Tageblatt, Göttingen, 2. Auflage 1998, ISBN 978-3-924781-29-3, Nr. 3.
↑ abcJens-Uwe Brinkmann: Die Ratsapotheke (= Informationen zur Stadtgeschichte, Blatt C 2.1). Hrsg. Städtisches Museum Göttingen. Göttingen 1979.
↑ abDenkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen, Band 5,1: Landkreis Göttingen, Stadt Göttingen. Bearbeitet von Ilse Rüttgerodt-Riechmann. Vieweg, Braunschweig 1982, S. 43/44 (Digitalisat) [dort noch mit der überholten Spätdatierung des Fachwerks auf „ca. 1520“]; dazu die Anlage „Verzeichnis der Baudenkmale (...) Stand: 01.08.1982“, S. 9.
↑Städtisches Museum Göttingen (Hrsg.): Die Weender Straße. Vom Reiseweg zur Fußgängerzone (Ausstellung des Städtischen Museums Göttingen, 19. Februar bis 30. April 1989). Göttingen 1989, S. 12.
↑Eberhard Rauschenfels: Wilhelm August Lampadius, Chemischer Technologe. Rede anläßlich der Enthüllung einer Gedenktafel am 5. Mai 2012 an der Ratsapotheke in Göttingen, Weenderstraße 30. In: Göttinger Jahrbuch, Band 61, 2013, S. 315–320.
↑Claus Priesner: Niemann, Albert Friedrich Emil. In: deutsche-biographie.de, NDB 19 (1999). Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 27. Januar 2025.
↑Theresa Nentwig, Karharina Tittel (Hrsg.): Entdeckt, erdacht, erfunden. 20 Göttinger Geschichten von Genie und Irrtum. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, ISBN 978-3-647-99935-7, S. 96. (Google Books)
↑Allerlei, in: Das literarische Echo, 9. Jg. Heft 24 vom 15. September 1907, Sp. 1855. (Google Books)
↑Vgl. Elmar Arnhold: Die Fachwerkarchitektur im Fachwerk5Eck. Ein Führer zu den Schätzen niedersächsischer Holzbaukunst. Duderstadt, Einbeck, Hann. Münden, Northeim, Osterode. Einbeck 22023 (Digitalisat), S. 5 f.
↑ abJohann Daniel Gruber: Zeit- und Geschicht-Beschreibung der Stadt Göttingen. Nic. Försters und Sohns Erben, Hannover / Göttingen 1734, Zweityes Buch, S. 100. (Digitalisat)
↑Theo Weinobst: Romantisches Göttingen. Bürgerhäuser aus dem 16. Jahrhundert. Göttinger Tageblatt, Göttingen 1975, S. 30.
↑Johann Daniel Gruber: Zeit- und Geschicht-Beschreibung der Stadt Göttingen. Nic. Försters und Sohns Erben, Hannover / Göttingen 1734, Zweityes Buch, S. 101. (Digitalisat)