Beschreibung: In Rot ein nach links zielender gespannter goldener Bogen mit silber-gespitztem goldenem Pfeil.
Lage
Pinsk liegt an den beiden Flüssen Pina und Prypjat. Durch Kanalbauten Ende des 18. Jahrhunderts (noch unter Polen) wurden die beiden Flüsse miteinander verbunden, so dass Pinsk über den Wasserweg (von der Ostsee bis ins Schwarze Meer) direkte Verbindung zu den damaligen Weltstädten Kiew, Königsberg und Danzig hatte.
Im Süden grenzt der Fluss Pina die Stadt gegen die am anderen Flussufer beginnende Sumpflandschaft der Region Polesien ab.[2]
Geschichte
Pinsk erscheint in den Chroniken erstmals 1097 als Pinesk im Besitz der Fürsten von Turow, Spätestens 1174 war es Zentrum eines eigenen Fürstentums Pinsk. 1319 wurde es von Litauen erobert.
1565 wurde das Fürstentum Pinsk in die Powiat Pinsk in der Woiwodschaft Brześć Litewski umgewandelt.
Pinsk war bis zum Holocaust ein bedeutendes Zentrum des Judentums. Im Jahr 1900 waren 77 Prozent der Einwohner aschkenasische Juden. Pinsk galt als die Stadt mit den meisten jüdischen Bewohnern im Russischen Zarenreich.[2] Hier entwickelte sich der Chassidismus, eine besonders strenge mystische Bewegung innerhalb des Judentums.[2] In den 1920er Jahren siedelten einige Juden aus ökonomischen Gründen an das Schwarze Meer sowie nach Wien, Budapest und die Vereinigten Staaten um. Im Jahr 1939 waren 27.000 der 30.000 Einwohner von Pinsk Juden.
Im September 1939 wurde die Stadt zunächst durch sowjetische Truppen besetzt. Einige Tage nach dem Überfall auf die Sowjetunion eroberte die deutsche Wehrmacht am 4. Juli 1941 Pinsk und ließ kurz darauf einen Judenrat einsetzen. Anfang August rückte das 2. SS-Kavallerieregiment unter dem Kommando von Franz Magill in die Stadt ein. Zwischen dem 5. und 9. August 1941 erschossen die Männer des Kavallerieregiments bei Posenitschi, rund sechs Kilometer außerhalb der Stadt, an die 9000 jüdische Männer.[3] Die am Leben gebliebenen Pinsker Juden, eigentlich nur mehr Frauen und Kinder, mussten am 1. Mai 1942 auf Befehl der deutschen Besatzungsverwaltung in das Ghetto Pinsk umziehen, in dem zuletzt bis zu 20.000 Menschen auf engstem Raum lebten.[4] Das Ghetto existierte lediglich ein halbes Jahr. Am 29. Oktober 1942 begann nach einem entsprechenden Befehl Heinrich Himmlers die Liquidierung des Ghettos durch das II. Bataillon des Polizeiregimentes 15, das bisherige Polizei-Bataillon 306, die Polizei-Reiter-Abteilung 2 und eine Kompanie des Polizei-Regimentes 11. Allein an diesem Tag wurden rund 10.000 Juden ermordet. Zwischen 30. Oktober und 1. November 1942 wurde das Ghetto erneut täglich durchkämmt. Insgesamt wurden laut Bericht des mit der Leitung dieser „Aktion“ beauftragten Hauptmanns der Ordnungspolizei, Helmut Saur, 15.000 Juden zusammengetrieben, um sie außerhalb der Stadt Pinsk zu erschießen. Rund 1200 weitere Juden, insbesondere Kranke und Kinder, waren bereits im Ghetto getötet worden. Nicht ganz klar ist, ob die Getöteten des 29. Oktober in der Zahl der zusammengetriebenen Juden enthalten sind oder nicht. Im ersten Fall würde sich die Anzahl der Opfer auf etwa 16.200 belaufen, im anderen Fall auf etwa 26.200.[5] Fazit bleibt, dass mit den Tötungsaktionen der Jahre 1941 und 1942 nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung von Pinsk ausgelöscht worden war.[6]
In der Nachkriegszeit ließ die sowjetische Stadtverwaltung einige der im Krieg zerstörten Gebäude abreißen, darunter die 1640 erbaute Große Synagoge und die ehemals größte Kirche der Stadt. Über dieses Gotteshaus äußerte der in Pinsk geborene Autor Butrymowisz in seinen Erinnerungen: „An diesem Platz steht auch eine große, wirklich sehr große Kirche, die größte in der ganzen Stadt. Man muss den Kopf schon tief in den Nacken legen, um zu sehen, wo die Kirche endet und wo der Himmel beginnt.“[2]
Infolge der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 wurden große Teile von Belarus durch radioaktiven Niederschlagkontaminiert. Das zuständige Ministerium gibt regelmäßig Strahlenwerte für die Region bekannt, um die Menschen vor dem Verzehr von belasteten Lebensmitteln zu warnen. Das wirkt sich auch auf das Marktgeschehen im Ort aus.[2]
Nach der Auflösung der Sowjetunion und der Unabhängigkeit von Belarus blieben die meisten Betriebe und Landwirtschaftseinrichtungen in Staatshand.[2]
Der Belarussische Ministerrat wählte Pinsk im Jahr 2017 zur Stadt der Wissenschaft.[7]
Ryszard Kapuściński (1932–2007), polnischer Reporter, Journalist und Autor an seinem Geburtshaus weist eine zweisprachige Gedenktafel auf sein Wirken hin
Andrzej Kondratiuk (1936–2016), polnischer Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann
Werner Müller (Hrsg.): Aus dem Feuer gerissen. Die Geschichte des Pjotr Ruwinowitsch Rabzewitsch aus Pińsk. Dittrich, Köln 2001, ISBN 3-920862-30-9.
Torsten Schäfer: „Jedenfalls habe ich auch mitgeschossen“. Das NSG-Verfahren gegen Johann Josef Kuhr und andere ehemalige Angehörige des Polizeibataillons 306, der Polizeireiterabteilung 2 und der SD-Dienststelle von Pinsk beim Landgericht Frankfurt am Main 1962–1973. Eine textanalytische Fallstudie zur Mentalitätsgeschichte. LIT-Verlag, Münster 2007, ISBN 978-3-8258-0604-0. (Zugleich Dissertation an der TU Darmstadt 2006.)
Diana Siebert: Herrschaftstechniken im Sumpf und ihre Reichweiten. Landschaftsinterventionen und Social Engineering in Polesien von 1914 bis 1941. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden, 2019, ISBN 978-3-447-11229-1.
Pinsk, in: Guy Miron (Hrsg.): The Yad Vashem encyclopedia of the ghettos during the Holocaust. Jerusalem : Yad Vashem, 2009, ISBN 978-965-308-345-5, S. 588–591.
Martin Cüppers: Die Shoah in Pinsk. Eskalation und Friktionen bei Massenerschießungen im August 1941. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Bd. 71 (2023), Heft 11, S. 893–914.
Weblinks
Commons: Pinsk – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
↑ abcdefghijkStefan May: Wo Lenin noch von den Plätzen grüßt. In: Berliner Zeitung, 14./15. Oktober 2017, S. B2.
↑Vgl. dazu Martin Cüppers: Wegbereiter der Shoah. Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer SS und die Judenvernichtung 1939–1945 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 4). 2., unveränderte Aufl., Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2011, ISBN 978-3-89678-758-3, S. 154–161.
↑Anzumerken ist, dass die „Bevölkerungszahlen“ der Ghettos stark fluktuierten, da nahezu permanent Bewohner ausgesondert und ermordet oder an andere Orte „evakuiert“ wurden, um nach entsprechenden Arbeitseinsätzen dann dort ermordet zu werden. Im Gegenzug erhielten die Ghettos auch steten Zuzug (teils erzwungen, teils auch freiwillig, weil die Juden oft nicht wussten, wohin sie sonst gehen sollten) ganzer Kontingente „neuer“ Juden, die letztlich das Schicksal ihrer Vorgänger teilten. Daher ist die Gesamtzahl der Ermordeten in diesem Fall auch höher als die genannte Gesamtzahl der Ghettobevölkerung.
↑Vgl. dazu Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrussland 1941 bis 1944. Hamburger Edition, 2. Aufl., Hamburg 2012, ISBN 978-3-930908-63-9, S. 720f., wo angemerkt wird, dass die quellenimmanente Interpretation aber die höhere Opferzahl plausibler erscheinen lässt. Der Autor erwähnt auch, dass einer der an den Massenexekutionen Beteiligten damit prahlte, in diesem Zusammenhang seinen 2000. Juden erschossen zu haben.
↑Wegen dieser Verbrechen fand von 1962 bis 1973 ein Strafverfahren am LandgerichtFrankfurt am Main statt. Vgl. dazu: P. R. Magocsi: Historical Atlas of Central Europe. University of Washington Press, Seattle 2002, S. 109; Torsten Schäfer: „Jedenfalls habe ich auch mitgeschossen“. Das NSG-Verfahren gegen Johann Josef Kuhr und andere ehemalige Angehörige des Polizeibataillons 306, der Polizeireiterabteilung 2 und der SD-Dienststelle von Pinsk beim Landgericht Frankfurt am Main 1962–1973 (= Dissertationsreihe des Evangelischen Studienwerks e. V. Villigst, Band 11), LIT-Verlag, Hamburg 2007, S. 14ff.