Orinoko-Parima-KulturenKoordinaten: 4° 0′ 0″ N, 65° 0′ 0″ W Orinoko-Parima-Kulturen sind indianische Gesellschaften, die in den venezolanischen Bundesstaaten Bolívar und Amazonas, in den kolumbianischen Bundesstaaten Guainía und Vichada und in den brasilianischen Bundesstaaten Roraíma und Amazonas siedeln. DefinitionZu den Orinoko-Parima-Kulturen gehören die folgenden Stämme:
Zu den benachbarten und verwandten Kulturen in Kolumbien und Brasilien gehören die:
Gemeinsamkeiten und UnterschiedeDie in diesem Gebiet ansässigen Kulturen weisen trotz vergleichbarer Lebensbedingungen zum Teil voneinander abweichende Traditionen, Riten und Glaubensvorstellungen auf. Kulturelle Gemeinsamkeiten lassen sich bei den Baniwa, Baré, Piapoco, Wakuénai und Warekena (südwestliches Tiefland) erkennen, weil sie u. a. zur arawakische Sprachgruppe gehören. Weitere Gemeinsamkeiten sind zwischen E'ñepa und Ye'kuana erkennbar, nicht nur weil sie zur Carib-Sprachen-Gruppe gehören, sondern auch in der Verarbeitung des Maniok. Geographie und KlimaGeographieDas Siedlungsgebiet dieser Kulturen in der westlichen Sierra Parima erstreckt sich nördlich bis zum venezolanischen Tiefland, westlich der Grenze nach Kolumbien entlang und nach Kolumbien am Río Ariporo hinein, südlich bis zur Staatsgrenze nach Brasilien und südlich des Río Uraricuera (Río Branco) nach Brasilien hinein. Im Osten wird das Siedlungsgebiet in etwa durch den Río Caroní begrenzt. Die Sierra Parima ist ein Höhenzug, der von hoher, dichter, fast undurchdringlicher Regenwaldvegetation überwuchert ist, mit stark erodiertem, sandigem Boden, am Westhang des Guyana-Schildes, einem der erdgeschichtlich ältesten Gebirgsmassive. Während der Regenzeit treten die Flüsse über die Ufer und die Gegend wird durch die Verschlammung des Bodens noch undurchdringlicher. In der südlichen venezolanischen Tiefebene herrschen Savannen vor. KlimaDie dort ansässigen Indígenas bewohnen ein Gebiet mit feucht-heißen Klima, in dem Jahresdurchschnittstemperatur von 27 °C herrschen. Von Mai bis Oktober ist Regenzeit mit ca. 15 Regentagen pro Monat, von Januar bis März Trockenzeit mit max. 7 Regentagen pro Monat. Politische ZugehörigkeitIhr Siedlungsgebiet liegt hauptsächlich in den venezolanischen Bundesstaaten Amazonas (175.000 km²) und Bolívar (66.000 km²), sowie in den kolumbianischen Bundesstaaten Casanare, Guainía, Guaviare, Meta und Vichada. GeschichteEinleitungFast fünf Jahrhunderte lang war Amazonien mit seinem grenzenlosen Dschungel und dem schier unermesslichen Netz von Wasserwegen in Europa ein unbekannter Weltteil. Feindselig und abweisend in seiner fremdartigen Unberührtheit, reizte er manchen Eroberer, auf der Suche nach verborgenen Schätzen in das Landesinnere vorzustoßen. Heute wissen wir, dass große Teile Amazoniens Kulturlandschaften darstellen, die jahrtausendelang von den dort lebenden Menschen genutzt und geprägt wurden, deren Nachfahren auch heute noch das Gebiet zwischen dem Orinoko und dem Gebirgszug der Sierra Parima bevölkern. Dies ist die Gegend, in der man den legendären Parima-See vermutete, in dem El Dorado (Der Goldmann) lebte. Einigen dieser Gesellschaften gelang es – trotz kolonialer Ausbeutung – ihre Identität zu bewahren, an ihren Traditionen festzuhalten und sich zugleich in einer selbstbestimmten Weise zu entwickeln. Seit der Entdeckung der „Neuen Welt“ durch die Europäer wurden viele der ursprünglich in Lateinamerika lebenden Völker der Sklaverei unterworfen oder als dem Fortschritt hinderliche Wesen um Land und Leben gebracht. Die Ressourcen der Savannen und des Regenwaldes (wie Kautschuk, Gold, Kakao) waren reich und verlockend, und so legten die mächtigen Kolonisatoren ihre Hand auf sie und tun es heute noch. Auch mancher Missionar leistete seinen eigenen Beitrag zur kulturellen Entfremdung und ethnischen Entwurzelung der Indianer. Umso erstaunlicher scheint es, dass es einigen indigenen Gruppen gelang – quasi im Schatten von El Dorado –, ihre Identität zu bewahren, an ihren Traditionen festzuhalten und sich zugleich in einer selbstbestimmten Weise zu entwickeln. Repräsentativ für solche überlebenden Kulturen sind die Gesellschaften zwischen dem Oberen Orinoko und dem Gebirgszug Sierra Parima. Geschichte der KulturenDie Besiedelung dieses Lebensraumes durch Menschen fand vor 17.000 v. Chr. statt. Die dort ansässigen Kulturen haben bis heute ihre Lebensweise und Traditionen weitgehend bewahren können, umso mehr wie sie sich durch Nomadisieren und Rückzug in unzugängliche Regionen westlichem Einfluss entziehen konnten. In Venezuela und Kolumbien stellen die Indigenas heute nur noch etwa 2 % der Bevölkerung, neben 60 % Crillos, 20 % Europäern und 8 % Afrikanern. Erforschung und EroberungChristoph Kolumbus erkannte bei seiner dritten Reise (1498–1500) als erster die Ausmaße des Orinoko. 1499 folgte die Expedition von Alonso de Ojeda und Amerigo Vespucci. Die spanische Conquista konnte lange nicht in diese Region vordringen und phantastische Vorstellungen speisten die Fantasie möglicher Eroberer, wie die des nicht existierenden "Parima-Sees" an dessen Ufer das legendenumwobene El Dorado liegen sollte. Außerdem verhinderte die Unüberwindlichkeit der Katarakte von Atures (10 km südlich von Puerto Ayacucho) bis ins 19. Jahrhundert ein weiteres Vordringen der Zivilisation ins Gebiet des oberen Orinoko. Diego Ribeiro fertigte im Jahre 1529 die erste Karte des Orinoko. Ab 1717 gehörte die Region zum Vizekönigreich Neugranada. Die südlichste Missionsstation (ab 1745) wurde am Río Meta von José Gumilla (1686–1750) nördlich der heutigen Stadt Puerto Ayacucho gegründet. Frühe Ansiedlungen waren auch die von Jesuiten gegründeten Missionsstationen San Juan de Atures und San José de Maipures, die jedoch nach der Ausweisung der Jesuiten 1767 aufgegeben wurden, verfielen und 1799 von Humboldt als Ruinen wiederentdeckt wurden. Auch Augustiner, Dominikaner, Franziskaner Kapuziner und Salesianer missionierten in am mittleren Orinoko, gründeten Ansiedlungen, bauten Wege und Kirchen und kartographierten. Chronisten wie Antonio Caulin, Salvatore Gilij, José Gumilla und Manuel Román berichteten anschaulich über das Leben der dort ansässigen Indigenas. Ab 1755 begann die systematische Erforschung des mittleren Orinoko unter der Expeditionsleitung von José Solano y Bote, der u. a. über die Unwetter im Oktober 1780 berichtete. Diese Erforschung diente hauptsächlich der Ausdehnung des Einflussbereichs des kastilischen Königshauses, das eine zu diesem Zwecke auch eine Grenzkommission einrichtete. José Solano y Bote stieß bis zum Rio Negro von und gründete 1759 die Ortschaften San Felipe, San Fernando de Atabapo, San Carlos de Río Negro und 1760 La Esmeralda. Alexander von Humboldt erforschte im zwischen August und November 1799 mit dem Naturforscher Aimé Bonpland auf einer 75-tägigen Flussreise als Erster den Río Orinoko und den Río Negro im damaligen Neu-Granada. Beide leisten wesentliche Beiträge zu Botanik, Zoologie und Kartographie. Humboldt lieferte auch den Beweis für die Verbindung der beiden großen Flusssysteme Südamerikas, des Orinoko und des Amazonas, über den Brazo Casiquiare und den Rio Negro. Angeregt durch Humboldt, bereiste der deutsche Botaniker Moritz Richard Schomburgk von 1835 bis 1844 mit seinem Bruder Robert Hermann Schomburgk das guyanisch-venezolanische Grenzgebiet. Ihm folgte 1853–1854 Richard Spruce, der im Orinokotal eine Vielzahl von Pflanzen sammelte und bestimmte und darüber hinaus wesentliche Beiträge zu Anthropologie, Archäologie und Sprachwissenschaft für diese Region leistete. Nach der Unabhängigkeit Venezuelas im Jahre 1821, wurde ab 1860 die Besiedlung entlang des Orinoko vorangetrieben und es begann die systematische Ausbeutung der dortigen Naturressourcen, wie Holz, Kautschuk, Eisenerz, u. a. Im Jahre 1886 versuchte der Franzose Jean Chaffanjon vergeblich, die Quelle des Orinoko zu finden. Seine Reisebeschreibungen flossen in den Roman Le Superbe Orénoque (1898) von Jules Verne ein. 1911 reiste der Anthropologe Theodor Koch-Grünberg ins Orinokogebiet und trug wesentlich mit seinen sprachwissenschaftlichen Arbeiten zum Verständnis der Kulturen bei. Der US-amerikanische Geograph Alexander Hamilton Rice Jr. (1875–1956) startete 1920 eine Expedition ins Yanomami-Gebiet, die nach bewaffneten Auseinandersetzung mit den Eingeborenen scheiterte. Alain Gheerbrant (* 1920) unternahm zwischen 1949 und 1954 mit Pierre Gaisseau und Ye'kuana-Führern eine 330-tägige Expedition in die Sierra Parima. Seine Veröffentlichungen über diese Expedition waren wenig wissenschaftlich und bedienen vorrangig ein sensationslüsternes Publikum, ähnlich der Schauerliteratur des 19. Jahrhunderts.[1] Im November 1951 wurde dann die Quelle des Orinokos von einer französisch-venezolanischen Expedition entdeckt. Nach 1945 begann die systematische Sammlung anthropologischer und ethnologischer Daten. Johannes Wilbert und Miguel Layrisse erstellten in Zusammenarbeit mit dem Instituto Venezolano de Investigaciones Científicas (IVIC) grundlegende anthropologische Studien der Orinoko-Parima-Kulturen. Mitte der 1950er Jahre unternahmen Otto Zerries und Meinhard Schuster im Auftrag des Frobenius-Instituts eine 12-monatige Forschungsreise zu den Yanomami. Schuster erforschte am Río Cuntinamo hauptsächlich die Ye’kuana. Edgardo González Niño (1926–2002) studierte ab 1956 verschiedene Ethnien der Region und sammelte über Jahre Objekte der Indígenas, die in die Colección Cisneros einflossen. PrognoseMestizisierung ist ein soziologischer Prozess, der in ganz Lateinamerika die autochthone Bevölkerung kulturell zersetzt. Malaria, Tuberkulose und Hepatitis sind heutzutage die größten gesundheitlichen Bedrohungen der Indigenas. WirtschaftDie Erschaffung eines Gegenstandes bedeutet symbolisch immer auch Arbeit am Fortbestehen der Welt. Die materiellen Zeugnisse sind Ergebnisse von Wandlungsprozessen, die in der Ideenwelt ihren Anfang nahmen. Der Tausch der Gegenstände steht für den anderen großen Leitgedanken dieser Zivilisationen: Gegenseitigkeit bestärkt und erhält im Diesseits den sozialen Zusammenhalt, sie spiegelt zugleich kosmische Prozesse, die Leben und Tod, Menschen und Götter, Tiere und Geister in kreative Beziehung zueinander setzen. RessourcenPflanzliche RessourcenFolgende Pflanzen wurden von den Indígenas gesammelt oder von den sesshaft gewordenen Indígenas subsistenzwirtschaftlich angebaut:
Tierische RessourcenFolgende Tiere wurden von den Indígenas gejagt, gesammelt oder gezüchtet: Säugetiere
Vögel
Amphibien und Reptilien
FischeInsekten
Geologische RessourcenFolgende Mineralien und Erze können in der Region gefördert werden. Bergbau und Metallverarbeitung haben für die meisten Indígenas keine Rolle gespielt. NahrungsmittelproduktionLandwirtschaft und JagdDie Landwirtschaft in dieser Region basiert auf Wanderfeldbau mittels Einschlags- oder Brandrodung. Das Grundnahrungsmittel der Region ist Maniok. Pflanzliche Nahrungsergänzung bieten wildwachsende Bananen, Taro, Papaya, Paranuss und weitere Dutzend von Pflanzenarten. Kleinviehhaltung von Geflügel und Meerschweinchen wird vernachlässigt. Gejagt wird hauptsächlich auf Kleinwild, wie Vögel, Affen, Gürteltiere, Agutis und Pecaris. Großwild, wie der Tapir, ist in dieser Region selten zu erlegen. HandwerkWerkzeuge, Kultgegenstände und sonstige Gebrauchsgüter werden ausschließlich aus pflanzlichen und tierischen Ausgangsmaterialien gefertigt. Metallverarbeitung ist nicht in Gebrauch. Selbst die Bearbeitung von Steinwerkzeugen ist für diese Kulturen kaum vorhanden. Die für den Jagdgebrauch verwendeten Klingen sind eher Fundstücke. HandelDa die Lebensgemeinschaften in dieser Region Selbstversorger sind, ist der Handel mit anderen Stämmen nicht von wesentlicher Bedeutung. Beutezüge in andere Gebiete ersetzen diesen. Darüber hinaus macht die Glaubensvorstellung des "Von der Natur Gegebenen", nicht den Tauschhandel, aber den Gedanken an Handel von Gütern unbedeutend. Kulturelle ErrungenschaftenSchrift wurde nicht entwickelt, Traditionen bis zur Ankunft der Europäer mündlich übermittelt. Glaubensvorstellungen, Religion und WeltsichtAnimistische ReligionDie Ethnische Religion der Indigenas des Parimas ist animistisch, was bedeutet, dass jeder auch noch so kleinen Erscheinung eine Seele innewohnt. Für sie ist die spirituelle Welt die eigentliche Realität. Transformation und MetamorphoseDie ehrfürchtige Erkenntnis von Erscheinen und Verschwinden als alltäglich Erfahrbarem sowie das Schattenreich der Geisterwelt ist für sie lebensbestimmend und prägt alle Lebensbereiche. Die Geister sind für den stetigen Wandel in der Welt verantwortlich und deshalb zu respektieren, zu ehren und um guten Einfluss auf Geschehnisse milde zu stimmen. Die "Verwandlung" des giftigen Manioks in essbare Produkte spielt in der Glaubensvorstellung dieser Menschen auch eine große Rolle. Für die Region bedeutende Entdecker und Wissenschaftler
Literatur
Weblinks
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