OriginalismusOriginalismus (engl. originalism) ist eine juristische Lehrmeinung zur Auslegung von Normen. Der Begriff „Originalismus“ selbst ist im US-amerikanischen Verfassungsrecht der 1980er Jahre entstanden, obwohl die von den Originalisten vorgeschlagenen Methoden schon deutlich älter sind. Die originalistischen MethodenEs existieren zwei Hauptströmungen des Originalismus, die sich durch jeweils andere Auslegungsmethoden definieren:
Beiden Spielarten des Originalismus ist gemein, dass geltungszeitliche Auslegungselemente, also zeitgenössische Auffassungen oder die moderne Bedeutung der Worte, nicht zu berücksichtigen sind. Wichtig ist, dass der Originalismus nur mit der Interpretation eines Gesetzes zu tun hat, jedoch nicht mit der Konstruktion. Erstere versucht die sprachliche Bedeutung zu erfassen: Was ist die kommunikative Botschaft des Gesetzes oder des Gesetzgebers? Was will der Gesetzgeber erreichen, wenn er z. B. die Geschwindigkeit auf Straßen auf 70 km/h beschränkt? Die Konstruktion erkennt hingegen, welche rechtlichen Folgen ein Gesetz auslöst – im selben Beispiel würde dies etwa bedeuten: „Buße von 200 € bei einer Überschreitung von 50 km/h“.[1] Auch bei einer übereinstimmenden Interpretation muss daraus also nicht zwangsläufig dieselbe Konstruktion folgen. Argumente für den OriginalismusIn erster Linie wollen die Originalisten verhindern, dass die Rechtsanwendenden – also die Richter – sich die Befugnisse des Gesetz- bzw. Verfassungsgebers anmaßen, indem sie der Norm eine andere oder weitere Bedeutung geben als ursprünglich beabsichtigt oder verstanden, und damit eigentlich die Substanz der Norm selbst ändern. Nach Auffassung der Originalisten wird dadurch die demokratische Gewaltenteilung gewahrt, da es die Aufgabe des Gesetz- bzw. Verfassungsgebers und nicht der Judikative sei, veraltete Normen durch Änderungen im Text neuen Gegebenheiten anzupassen. Ihrer Auffassung nach wird damit auch Rechtssicherheit geschaffen und eine undemokratische ‚Diktatur der Richter‘ oder der ‚Elite‘ verhindert. Es gibt auch weitere Gründe für den originalistischen Ansatz:
Argumente gegen den OriginalismusDie Gegner des Originalismus (im Allgemeinen aus dem in den USA als „linksliberal“ bezeichneten politischen Lager) sind dagegen der Meinung,
Als methodischer Gegenentwurf zum Originalismus gilt der Kontextualismus (contextualism), zuweilen als ‚lebendige Verfassung‘ (living constitution) apostrophiert, die nicht „wie ein Insekt im Bernstein“ in der Vergangenheit gefangen sei. Im Kontextualismus spielt die Absicht der Gründerväter eine Rolle, jedoch wird deren politische Weitsicht im Unterschied zum Originalismus angezweifelt. Kontextualisten relativieren die Bedeutung der Autoren der Verfassung und versuchen, ihre Reglementierungen in den historischen Kontext einzuordnen. So sollen ihre Absichten berücksichtigt, aber nicht in als hinderlich empfundener Art und Weise auf heutige Fälle angewendet werden. Vertreter dieser Auffassung sind unter anderem der als liberal geltende ehemalige Supreme-Court-Richter Stephen Breyer und die 2020 verstorbene Ruth Bader Ginsburg. Politische Bedeutung des MethodenstreitsDieser Methodenstreit ist in den USA von großer politischer Bedeutung, vor allem vor dem Hintergrund der rund 200-jährigen Verfassung der Vereinigten Staaten, die nur sehr schwer geändert werden kann, sowie angesichts der sehr mächtigen Rolle des Supreme Court als Verfassungsgericht. In der US-amerikanischen Verfassungsgeschichte, vor allem im 20. Jahrhundert, wurden die wesentlichen verfassungsrechtlichen Umwälzungen durch eine sehr extensive Auslegung der Verfassung seitens des Supreme Court herbeigeführt, namentlich im Bereich der Bürgerrechte und der Zentralisierung durch Ausweitung der Kompetenzen des Bundes. Eine konsequente Hinwendung des Obersten Gerichtshofes zum Originalismus bei gleichzeitiger Aufgabe des Grundsatzes stare decisis hätte somit in extremis zur Folge, dass die von der Verfassung geschützten – und im heutigen Umfang weitgehend als geltendes Recht akzeptierten – Grundrechte auf den Stand des 19. oder 18. Jahrhunderts zurückfallen würden, und dass weite Teile des Bundesrechts als kompetenzwidrig aufzuheben wären. Vergleichbare Lehrmeinungen außerhalb der USAEine Parallele zur Methode des Originalismus findet sich in der ständigen Judikatur des österreichischen Verfassungsgerichtshofes in Gestalt der „Versteinerungstheorie“ (auch: „Versteinerungsprinzip“). Im Öffentlichen Recht, insbesondere im Verfassungsrecht, gilt demnach eine besondere Art der historischen Interpretation, welche die Bedeutung eines Begriffes, die dieser im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassungsbestimmung nach dem Stand und der Systematik der damals geltenden (verfassungs- oder einfachgesetzlichen) Rechtslage hatte, hervorhebt. Sie bezieht sich in der Regel auf einen konkreten Versteinerungszeitpunkt, nämlich den 1. Oktober 1925 (dem Tag des Inkrafttretens einschlägiger Artikel der Verfassungsnovelle von 1925). Die Versteinerungstheorie wird vor allem bei der Auslegung der Kompetenzartikel, der organisationsrechtlichen Regeln und der Grundrechte angewandt.[2] Weblinks
Literatur
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