Nina Cassian (bürgerlich Renée Annie Cassian-Mătăsaru;[1] * 27. November1924 in Galați; † 14. April2014 in New York City) war eine rumänische Lyrikerin, Kinderbuchautorin, Übersetzerin, Journalistin, Pianistin und Komponistin sowie Filmkritikerin.[2] Sie verbrachte die ersten sechzig Jahre ihres Lebens in Rumänien, bevor sie 1985 für eine Gastprofessur in die USA zog. Wenige Jahre später erhielt sie Asyl und lebte von diesem Zeitpunkt an in New York City. Viele ihrer Texte und Gedichte wurden sowohl auf Rumänisch als auch auf Englisch veröffentlicht.
Nina Cassian wurde 1924 in eine jüdische Familie in Galați geboren; sie war das einzige Kind von Iosif Cassian-Mătăsaru, einem Übersetzer, und einer Sängerin.[3] In 1926 zog die Familie nach Brașov. Cassians Begeisterung für Sprachen soll hier ihren Ursprung gehabt haben, denn in Brașov verbrachte sie viel Zeit mit Kindern aus der deutschen und der ungarischen Gemeinschaft.[1][3] In 1935 zog die Familie nach Bukarest, wo Cassian eine Mädchenschule im jüdischen Ghetto besuchte.[3]
Im Jahr 1944 begann sie ein literaturwissenschaftliches Studium an der Universität Bukarest, brach jedoch nach nur einem Jahr ab und verließ die Universität.[1]
Leben im kommunistischen Rumänien
Mitte der 1940er Jahre fand Cassian ihren Platz in der literarischen Szene Rumäniens. 1943 heiratete sie den jungen Dichter Vladimir Colin; ihre Ehe hielt bis 1948. Cassian hatte außerdem ein enges Verhältnis zu Ion Barbu[4] und war eng mit dem Dichter Paul Celan befreundet. Die beiden hatten sich kennengelernt, als er zwischen 1945 und 1947 in Bukarest lebte. Zusammen mit anderen Autoren und Künstlern spielten Celan und Cassian surrealistische Spiele wie „Fragen und Antworten“ oder „Ioachim“ – die Bukarest-Variante von Bretons Spiel Cadavre Exquis.[5] Cassian und Celan verband ihre Faszination für Sprache; aus den Briefen der beiden geht hervor, dass sie die Vielsprachigkeit als Inspiration für ihre Kunst nutzten.[5]
Im Jahr 1945 veröffentlichte Cassian ihr erstes Gedicht Am fost un poet decadent („I Used to Be a Decadent Poet“) in der Tageszeitung România liberă[6] sowie zwei Jahre später, 1947, ihre erste Gedichtsammlung La scara 1/1 („Scale 1:1“). Diese frühen Veröffentlichungen standen deutlich unter dem Einfluss der französischen modernistischen Dichter, mit denen sie damals viel Zeit verbrachte; die surrealistischen Denkweisen und Ideen sollen eine besonders große Wirkung gehabt haben.[3] Im Jahr 1948 wurden diese ersten Gedichte in einem Scînteia-Artikel als „decadent poetry“, also „dekadente Lyrik“ bezeichnet.[1][4] Cassian war von dieser harten Kritik eingeschüchtert und entschied, ihr Schreiben den Vorstellungen des sozialistischen Regimes anzupassen.[1][7] Diese Phase dauerte acht Jahre.[4]
Im Rahmen dessen begann Cassian außerdem, Kinderbücher wie Copper Red and the Seven Dachsies (ein Bestseller in Rumänien, 1985 auf Englisch erschienen) und kürzere Geschichten für Kinder wie Pocestea A Doi Pui de Tigru, Numiti Ninigra Si Aligru (in Versform, 1986 unter dem Titel Tigrino and Tigrene auf Englisch erschienen).[8] In einem Interview im Jahr 1986 erklärte Cassian, warum sie sich entschied, Kinderbücher zu schreiben:
“It was in 1950, during the dogmatic period in Romania. Socialist realism is, unfortunately, characterized by the restraining of structures and styles and vocabulary. […] So when I was asked to write in a rigid and simplified manner, I tried to do my best, but after awhile, I switched to literature for children because it was the only field where metaphors were still allowed, where imagination was tolerated and assonance was permitted.”
„Es war 1950, während der dogmatischen Ära in Rumänien. Leider ist der sozialistische Realismus gekennzeichnet durch die Einschränkung der Strukturen, der Stile und des Wortschatzes. […] Als man mir also sagte, ich solle in einer rigiden, vereinfachten Weise schreiben, versuchte ich mein Bestes. Aber nach einer Weile wechselte ich zur Kinderliteratur, weil es das einzige Gebiet war, in dem Metaphern noch erlaubt waren, in dem Vorstellungskraft und Assonanzen geduldet waren.“[8]
Einige Kinderbücher und -geschichten wurden ins Englische übersetzt, sind jedoch heute nicht mehr erhältlich. Deutsche Übersetzungen gibt es bisher keine.
Im Jahr 1985 reise Cassian für eine Stelle als Gastprofessorin für kreatives Schreiben an der New York University in die USA.[3] Während sie in den Vereinigten Staaten war, wurde ein Freund von ihr, Gheorghe Ursu, von der Polizei festgenommen und zu Tode geprügelt, da er ein Tagebuch besaß, das regimekritische Texte beinhaltete. Darunter waren auch einige Gedichte von Cassian, in denen sie satirisch über das kommunistische Rumänien geschrieben hatte. Die Polizei befand diese Gedichte als aufhetzerisch. Cassian entschied sich daraufhin, in den USA zu bleiben und Asyl zu beantragen, das ihr bald darauf gewährt wurde. Später wurde sie sogar amerikanische Staatsbürgerin.[9]
In den USA begann Cassian, auch auf Englisch zu schreiben. Ihre Gedichte wurden unter anderem in The New Yorker und The Atlantic Monthly veröffentlicht.[10] Einige Gedichte wurden zudem auch in Gedichtsammlungen wie Life Sentence (1990) und Take My Word for It (1998) veröffentlicht.
Cassian heiratete in den USA ihren dritten Ehemann, Maurice Edwards, mit dem sie bis zu ihrem Tod verheiratet blieb.[11]
Povestea a doi pui de tigru numiţi Ninigra şi Aligru, Bucharest, 1969
Cronofagie. 1944–1969, Bucharest, 1970
Recviem, Bucharest, 1971
Marea conjugare, Bucharest, 1971
Atât de grozavă şi adio. Confidenţe fictive, Bucharest, 1971; Second edition (Confidenţe fictive. Atât de grozavă şi adio şi alte proze), Bucharest, 1976
Loto-Poeme, Bucharest, 1971
Spectacol în aer liber. O (altă) monografie a dragostei, foreword by Liviu Călin, Bucharest, 1974
Între noi, copii, Bucharest, 1974
O sută de poeme, Bucharest, 1975
Viraje-Virages, bilingual edition, translated by the author, Eugene Guillevic and Lily Denis, Bucharest, 1978
De îndurare, Bucharest, 1981
Blue Apple, translation by Eva Feiler, New York, 1981
Numărătoarea inversă, Bucharest, 1983
Jocuri de vacanţă, Bucharest, 1983
Roşcată ca arama şi cei şapte şoricei, Bucharest, 1985
Copper Red and the Seven Dachsies, 1985
Lady of Miracles, translation by Laura Schiff, Berkeley, 1988
Call Yourself Alive, translation by Brenda Walker and Andreea Deletant, London, 1988
Life Sentence, New York-London, 1990
Cheerleader for a Funeral, translation by the author and Brenda Walker, London-Boston, 1992
Desfacerea lumii, Bucharest, 1997
Take My Word for It, New York, 1997
Something Old, Something New: Poems and Drawings, Tuscaloosa, 2002
Memoria ca zestre. Cartea I (1948–1953, 1975–1979, 1987–2003), Bucharest, 2003
Veröffentlichungen in englischsprachigen Anthologien
Born in Utopia – An anthology of Modern and Contemporary Romanian Poetry - Carmen Firan and Paul Doru Mugur (editors) with Edward Foster – Talisman House Publishers – 2006, ISBN 1-58498-050-8.
Testament – Anthology of Modern Romanian Verse / Testament – Antologie de Poezie Română Modernă – Bilingual edition English & Romanian – Daniel Ioniță (editor and translator) with Eva Foster, Daniel Reynaud and Rochelle Bews – Minerva Publishing – 2015 (second edition) ISBN 978-973-21-1006-5.
Testament – Anthology of Romanian Verse – American Edition - monolingual English language edition – Daniel Ioniță (editor and principal translator) with Eva Foster, Daniel Reynaud and Rochelle Bews. Australian-Romanian Academy for Culture, 2017, ISBN 978-0-9953502-0-5.
Lena Haselmann: Artikel „Nina Cassian“. In: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen. hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 9. Januar 2018
↑ abGiovanni Rotiroti: The Poem's Gift of Love And Friendship. The Letters Sent By Paul Celan To Nina Cassian. In: Studia Philologia. Nr.2, Juni 2017 (ubbcluj.ro).
↑ abGeraldine DeLuca, Roni Natov: Writing Children's Literature in Romania: An Interview with Nina Cassian. In: The Lion and the Unicorn. Band10, 1986 (jhu.edu [abgerufen am 5. Juli 2020]).