Nihal AtsızNihâl Atsız (osmanisch حسين نهال آتسز Hüseyin Nihâl Atsız, geboren 12. Januar 1905 in Istanbul; gestorben 11. Dezember 1975 ebenda) war ein antiislamischer,[1] rassistisch-nationalistischer und antisemitischer Autor, Historiker, Dichter und Vordenker der Graue-Wölfe-Bewegung in der Türkei.[2][3] Herkunft und AusbildungNihâl Atsız wurde im Jahre 1905 im Istanbuler Stadtteil Kadıköy geboren. Sein Vater war Nail Bey, ein Marineoffizier aus Gümüşhane, seine Mutter war Fatma Zehra Hanım und stammte aus Trabzon. Er besuchte die Französisch-Deutsche Grundschule in Kadıköy, die Cezayirli-Gazi-Hasan-Paşa-Grundschule in Kasımpaşa und eine Privatschule in Haydarpaşa. Die Mittelschule besuchte er in Kadıköy. Nach seiner schulischen Ausbildung schrieb er sich als Student der militärisch-medizinischen Fakultät ein, wurde aber 1925 in der dritten Klasse ausgeschlossen, weil er sich geweigert hatte, einen arabischen Unteroffizier zu grüßen. Atsız leistete danach seinen Militärdienst. 1926 schrieb er sich an der Literarischen Fakultät des Darülfünun in Istanbul ein und studierte Turkologie bei Mehmet Fuat Köprülü, dessen Assistent er nach dem Abschluss seines Studiums wurde.[4] 1931 heiratete er zum ersten Mal; die Ehe wurde aber 1935 wieder geschieden. 1936 heiratete Atsız ein zweites Mal; aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor, darunter der spätere Journalist und Schriftsteller Yağmur Atsız. Im Jahre 1975, neun Monate vor seinem Tod, trennte Nihâl Atsız sich auch von seiner zweiten Ehefrau. Herausgeber der Zeitschrift Atsız MecmuaVon 1931 bis 1932 gab Atsız die Zeitschrift Atsız Mecmua heraus, in der er sich gegen weit verbreitete Rassentheorien abgrenzte, die davon ausgingen, die Türken stammten, wie etwa Kurden und Roma auch, von weißen Ariern ab, und bekannte sich zu mongolischen Wurzeln, da diese über militärische Begabung verfügt hätten wie eben auch die Türken selber. Kinder sollten in dem Wissen aufgezogen werden, dass ihre Vorfahren perfekte Soldaten einer Rasse namens Turan-Altay waren.[5] In einem weiteren Schwerpunkt setzte er sich mit seiner Zeitschrift über die offizielle Regierungspolitik in Bezug auf die Turkvölker in der Sowjetunion hinweg. Ilker Aytürk geht davon aus, dass ihn diese Haltung seine akademische Laufbahn gekostet hat. Umut Uzer erwähnt allerdings noch einen weiteren Zwischenfall, der aber ebenfalls mit Atsız’ Haltung zu der Frage der Türken in der Sowjetunion zusammenhängt. Während des ersten türkischen Historikerkongresses am 2. Juli 1932 gab es eine Debatte über diese Frage, in deren Verlauf sich der bald danach zum Bildungsminister der Türkei berufene Reşit Galip von dem Historiker Zeki Velidi Togan distanzierte, in dem er bekannte, stolz darauf zu sein, nicht Togans Student gewesen zu sein. Der Hintergrund des Streits war Togans Unterstützung der Forderung nach einer territorialen Autonomie für die in Russland lebenden Turkvölker, während die Gegenseite lediglich die Forderung nach einer kulturellen Autonomie unterstützte. Atsız, der Togans Position nahestand, sandte Galip anschließend ein Telegramm, in dem er sich dazu bekannte, stolz darauf zu sein, Student von Togan gewesen zu sein. Dies, so Uzer, sei ihm kurze Zeit später zum Verhängnis geworden, denn im September 1932 wurde Galip Bildungsminister und sorgte bald danach für Atsiz’ Rauswurf aus der Universität und für das Verbot von Atsız Mecmua.[6] Nachdem Atsız 1933 als Lehrer habe arbeiten wollen, habe Galip dafür gesorgt, dass er zuerst an eine Mittelschule in Malatya, und noch im gleichen Jahr an ein Gymnasium in Edirne versetzt worden sei.[7] Ab 1934 unterrichtete er dann als Türkischlehrer im Istanbuler Stadtteil Kasımpaşa. Die Zeitschrift Orhun und Thrakien-Pogrom 1934Es war also nur eine sehr kurze Zeit, die Atsız 1933/1934 (vom 11. September bis zum 28. Dezember)[8] in Edirne verbrachte, doch nutzte er sie, um eine neue Zeitschrift, die Orhun, herauszugeben und mit ihr erst recht seinen Ruf als Rassist zu festigen. Benannt war sie „nach einer zentralasiatischen Fundstätte, in der sich die monumentalen Inschriften der Göktürken befinden – der ‚Himmlischen Türken‘, einer türkischen Dynastie aus dem 6. bis 8. Jahrhundert“.[9] Neben seinen rassentheoretischen Überlegungen publizierte Atsız in der Orhun „zahlreiche antisemitische Hetzartikel“.[10] „Die erste Ausgabe von Orhun erschien im November 1933. Das Journal enthielt viele antisemitische Abhandlungen, die die Juden angriffen. So bezeichnete Atsiz am 21. März 1934 die Juden und Kommunisten als die beiden Feinde der Türken. Am 25. Mai warnte er die Juden: ‚Deutschland ist das erste Land, das die Judenfrage gelöst hat‘, sagte Atsiz. Wenn sich die Juden nicht anständig verhalten, ‚Und wenn wir dann wütend werden, werden wir die Juden nicht nur wie die Deutschen vernichten, sondern wir werden sie einschüchtern‘, fügte er hinzu. Dann schloss er: ›Wie das Sprichwort sagt, ist es besser, den Juden einzuschüchtern, als ihn zu töten.‹“[11] Dass diese Hetzartikel aber – zusammen mit einer Hetzschrift von Cevat Rıfat Atilhan – die Auslöser für die antisemitischen Ausschreitungen in Ostthrakien gewesen sein sollen, ist eine die wahren Ursachen verdeckende Behauptung. Atsız’ Artikel waren lediglich die ideologische Begleitmusik zu Ereignissen, die auf Maßnahmen der türkischen Regierung beruhten und von dieser gefördert und geduldet wurden.[12] Unter Bezug auf einen Bericht für das türkische Innenministerium von İbrahim Tali, dem damaligen Generalinspekteur für Thrakien, benennt Rıfat Bali drei Gründe für die Exzesse gegen die jüdische Bevölkerung.
Bali wertet dies Gründe unterschiedlich. An erster Stelle stehen für ihn die Anforderungen des Generalstabs, an zweiter die jüdischen Händler und ihre ökonomische Dominanz, und an letzter Stelle steht für ihn die Turkisierung der Juden, von der glaubt, sie sei nur ein Vorwand gewesen. Er erweitert diese Gründe im Verlauf des Interviews um “And in addition to the reasons I have mentioned, there were the cases of two leading publicists at that time – Cevat Rıfat Atilhan and Nihal Atsız – who had, before the events, been given free rein to make crude anti-Semitic propaganda with no interference from the state. Their journals were closed down only after the events.” (deutsch: „die Fälle von zwei führenden Publizisten – Cevat Rıfat Atilhan und Nihal Atsız –, denen vor den Ereignissen freie Hand gelassen worden war, um grobe antisemitische Propaganda ohne Einmischung des Staates zu betreiben. Ihre Zeitschriften wurden erst nach den Ereignissen geschlossen.“)[13] Insbesondere Cevat Rıfat Atilhan spricht er aber eine Schlüsselrolle ab, während er Atsız einen gewissen Einfluss attestiert, da er viele Bewunderer unter seinen Schülern gehabt habe. Dennoch: “But I don’t think the anti-Semitic propaganda was the main reason. The main reason, as mentioned before, was the Joint Staff requirement, and, secondly, the local Muslim population, which was fed up with the Jews, who were seen as dominating the economy. They were their competitors. The ‘grassroots,’ so to speak, was ready for some kind of provocation.” (deutsch: „Aber ich glaube nicht, dass die antisemitische Propaganda der Hauptgrund war. Die Hauptgründe waren, wie bereits erwähnt, die Anforderungen des Generalstabs und zweitens die lokale muslimische Bevölkerung, die die Nase voll hatte von den Juden, die als dominierend für die Wirtschaft galten. Sie waren ihre Konkurrenten. Die ‚Basis‘ war sozusagen bereit für eine Art Provokation.“)[13] Und aus Rıfat Balis Sicht ist das Thrakien-Pogrom auch kein singuläres Ereignis in der türkischen Geschichte, sondern reiht sich ein in die Politik des Staates und der republikanischen Eliten gegenüber den drei nicht-muslimischen Gemeinschaften (armenisch, jüdisch und griechisch). Und so kommt auch Corry Guttstadt trotz der vielen ideologischen Anleihen, die Cevat Rıfat Atilhan und Nihal Atsız bei der NS-Propaganda genommen haben, zu dem Schluss: „Die Ereignisse von Thrakien sind auf keinen Fall mit den antisemitischen Gewalttaten und staatlichen Verfolgungsmaßnahmen der Dreißigerjahre in NS-Deutschland oder auch in Staaten Osteuropas auf eine Stufe zu stellen. In Thrakien war kein Jude getötet worden. Das einzige Todesopfer war ein türkischer Gendameriegefreiter.“[14] Nach ThrakienNach seinem Gastspiel in Edirne unterrichtete Atsiz von 1934 bis 1944 an einem Gymnasium in Istanbul. Die Orhun wurde 1935 verboten. 1944 wurde er wegen seiner turanistischen Ideen angeklagt und arrestiert. Hintergrund war, dass Atsiz in seiner reaktivierten Zeitschrift Orhun führende Mitglieder des Staatsapparates und Prominente als Kommunisten diffamiert und den Bildungsminister Hasan Ali Yücel zum Rücktritt aufgefordert hatte, was einen der Beschuldigten, den Schriftsteller Sabahattin Ali, veranlasste, eine Beleidigungsklage gegen Atsiz einzureichen. Das Verfahren wurde bald erweitert um eine Anklage gegen weitere führende Nationalisten, darunter auch Alparslan Türkeş, denen im Rassismus-Turanismus-Verfahren vorgeworfen wurde, einen Putsch gegen die Regierung geplant zu haben. Am 29. März 1945 wurden der oben schon erwähnte Zeki Velidi Togan und Atsiz zu zehn Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Nach anderthalb Jahren wurden alle Angeklagten freigesprochen, weil das Militärberufungsgericht das Urteil aufgehoben hatte. Für den Turanisten Atsiz muss es besonders verwerflich gewesen sein, dass ihn der Staatsanwalt vor dem Gericht beschuldigt hatte, griechischer Herkunft zu sein.[15] Zwischen 1947 und 1949 war Atsiz ohne Anstellung. 1949 wurde er dann Mitarbeiter der Suleymaniye-Bibliothek,[16] und blieb dies bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahre 1969. Er machte weiterhin durch Artikel in den Zeitschriften Orhun und Ötüken von sich reden und musste 1973 noch einmal ins Gefängnis, da er mehrere Parlamentarier beschuldigt hatte Kurden zu sein. Diesmal wurde er vom Staatspräsidenten Fahri Korutürk begnadigt; er starb am 11. Dezember 1975 an den Folgen eines Herzinfarkts.[17] IdeologieHüseyin Nihâl Atsız hatte mit seinen Schriften großen Einfluss auf die turanistische Bewegung in der Türkei. Er glaubte an die Überlegenheit der türkischen „Rasse“. Der Türkismus war seiner Ansicht nach das Ideal der Überlegenheit des Türkentums über alle anderen Nationen. Er bezeichnete sich dabei offen als Rassisten. In seiner Verteidigungsrede beim sog. „Rassismus- und Turanismusverfahren“ im Jahre 1945 äußerte er sich folgendermaßen zum Vorwurf des Rassismus:
– Übersetzung aus dem Türkischen nach Cenk Saraçoğlu: Nihal Atsız’s World-View and Its Influences on the Shared Symbols, Rituals, Myths and Practices of the Ülkücü Movement, Leiden 2004 Kurden charakterisierte Atsız polemisierend als „räuberische Ziegentreiber“.[18] Atsız schrieb über die Kurden:
In dem „Testament“ an seinen Sohn Yağmur benennt Nihal Atsız 1941 seine Feinde:
Die Ideologie Atsız’ war antiislamisch ausgerichtet, daher berief er sich auf den alttürkischen Tengrismus/Schamanismus.[20] Insbesondere in seinen letzten Lebensjahren leugnete er die Offenbarung Mohammeds und bezeichnete koranische Überlieferungen als „sumerische Märchen“. Trotzdem hielt er den Islam für eine sumerische und damit – so seine Sicht – originär alt-türkische Religion.[1] Den Propheten verhöhnte er wegen dessen Heirat mit der minderjährigen Aischa.[21] Parteipolitisch war Atsız kaum aktiv. Zu einem offenen Bruch mit dem 1945 mitangeklagten rechtsextremen Politiker Alparslan Türkeş kam es, als dieser das islamische Element der Partei der Nationalistischen Bewegung stärker betonte. Nihâl Atsız genießt aber immer noch hohes Ansehen innerhalb der Partei. Sein Andenken wird auch in Rundschreiben der heutigen Parteiführung geehrt. WerkeZu Atsız’ bekanntesten Werken gehören die vier Romane
Nihâl Atsız schrieb mit Z Vitamini („Vitamin Z“) zudem eine politische Satire auf İsmet İnönü über ein Vitamin, das einem Diktator Unsterblichkeit verleiht. Dalkavuklar Gecesi („Nacht der Schmeichler“) ist Atsız’ politische Satire gegen die „Schmeichler“ die sich an Atatürk nähern wollen. Ferner war er Autor zahlreicher Gedichte. Literatur
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