Nach dem BankettNach dem Bankett (japanisch 宴のあと, Utage no Ato) ist ein am 15. November 1960 veröffentlichter Polit-Roman des japanischen Schriftstellers Yukio Mishima. Obwohl Mishimas Bücher bereits zum Anfang seiner Karriere tabuisierte Themen karikierten, wurden sie bis dahin nicht wirklich als politisch wahrgenommen. Sein neu gefundenes Interesse an zeitgenössischer Politik bildete aber schließlich den Rahmen für Nach dem Bankett, der die Affäre und spätere Ehe zwischen einem Reformpolitiker und der Eigentümerin eines Restaurants in Ginza zum Gegenstand hat.[1] Trotz allem behandelt der Roman auch altbekannte Themen wie Tod, Altern und Einsamkeit, wenngleich nicht im selben grotesken Ausmaß wie in anderen Werken des Autors.[2] Inhaltlich folgt die Geschichte der selbstbewussten Frau Kazu, die sich in den pensionierten Politiker Noguchi verliebt. Als dieser für den Posten des Gouverneurs kandidieren soll, nutzt Kazu ihren Hintergrund als Restauranteigentümerin und hilft ihm exzessiv finanziell sowie strategisch beim Planen seiner Kampagne. Als Noguchi aufgrund einer Schmutzkampagne der gegnerischen Partei die Wahl haushoch verliert, erfreut er sich an dem Gedanken, zusammen mit seiner Ehefrau ein ruhigeres Leben anfangen zu können. Diese hat durch den Trubel aber gerade erst Blut geleckt und entscheidet für sich, auch künftig entgegen den Wertevorstellungen ihres Ehemannes „ein aufregendes Leben“ zu führen. Entsetzt von der Rebellion seiner Gattin, reicht Noguchi die Scheidung ein und Kazu eröffnet erfreut ihr altes Restaurant wieder. Nach dem Bankett ist Mishimas achter Roman und damit Nachfolger seiner experimentellen Introspektion Kyōkos Haus (1959) Nachdem Mishima mit Kyōkos Haus seinen ersten kritischen Misserfolg erlebte und infolgedessen mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte[3][4], konnte er mit Nach dem Bankett an seinen alten Erfolg nahtlos anschließen und kritisch wie kommerziell gleichermaßen international großen Erfolg verbuchen. The New Yorker bezeichnete das Werk gar als „größtes und tiefgründigstes Schaffen Mishimas in einem ohnehin schon ausgezeichneten Katalog.“ Iain Moloney von The Japan Times bemerkte: „Es ist seltsam, dass gerade ein so harmloses Buch wie Nach dem Bankett solch einen Eindruck hinterlassen kann.“[2] Neben den Lobpreisungen wurde Nach dem Bankett Thema öffentlichen Interesses, als der japanische Politiker Arita Hachirō Mishima darauf verklagte, intime Informationen aus seinem Privatleben in den Roman eingearbeitet und damit sein Recht auf Privatsphäre verletzt zu haben. Der Rechtsstreit sorgte lokal für hohes Aufsehen und regte eine größere Debatte über die Reichweite der Meinungs- und Kunstfreiheit – ein Thema, das bis dato zwar im Ausland, aber noch nie vor japanischen Gerichten verhandelt wurde. Nach drei Jahren urteilte das Bezirksgericht Tokio zugunsten des Klägers auf eine Entschädigungszahlung in Höhe von 800.000 Yen. In der japanischen Rechtswissenschaft wird das Urteil hitzig diskutiert und ist durch seine Präjudizienwirkung bis heute integraler Bestandteil der juristischen Ausbildung in Japan (sog. „Nach dem Bankett - Urteil“, „Utage no Ato Saiban“).[5] Die deutsche Übersetzung von Sachiko Yatsushiro erschien 1967 bei Rowohlt, später im Suhrkamp Verlag.[6] HandlungHochzeit und EheProtagonistin der Handlung ist Kazu, eine selbstbewusste und erfahrene 50-jährige Eigentümerin des Luxusrestaurants „Setsugoan“. Das Narrativ beginnt, als Kazu den pensionierten Politiker Yuken Noguchi kennenlernt und sich zu ihm hingezogen fühlt. Obwohl viele von Noguchis Handlungen und Kommentaren ihn für Kazu wie einen alternden Mann wirken lassen, ist sie fasziniert von seinem staatsmännischen Benehmen. Er scheint ihr eine neue Welt voll Intellekt, Ideen und Prinzipien zu eröffnen, die ihrer intuitiven Natur bisher fremd waren. Über die Zeit entwickelt Kazu ein ideelles Bild von Noguchi und betrachtet ihn weniger als sein Selbst und mehr als die würdevolle Aura, die ihn umgibt. Die beiden heiraten und Kazu glaubt ihr Lebensziel erreicht zu haben: Sie ist nun die Frau eines vornehmenden, standhaften Mannes. Das Eheleben ist jedoch nicht ohne seine Probleme. Insbesondere die Wertevorstellungen der beiden scheinen nicht übereinzustimmen: Während Kazu selbstbewusst und emanzipiert ist, pflegt Noguchi ein konservativeres Frauenbild und erwartet von seiner Ehefrau mehr Rücksicht. Da Kazu stolz von sich behaupten kann, nun Teil einer noblen Familie zu sein, erduldet sie die Distanziertheit ihres Ehemannes. KandidaturDie Beziehung der beiden ändert sich, als Noguchi das Angebot bekommt, für die Gouverneursrolle in Tokio als Funktionär der sozialliberalen Partei zu kandidieren. Da Kazus Restaurant Stammplatz einiger hochrangiger Mitglieder der konservativen Partei ist, bekam sie über die Jahre etliche Hintergrundeinblicke in die alltäglichen Machenschaften der Politik. Sie fühlt sich sehr selbstbewusst in ihrem politischen Knowhow und bittet Noguchi, an seiner Kampagne teilhaben zu können. Zusammen mit Soichi Yamazaki, einem Meister der Wahlkampfstrategie, beginnt Kazu ihr Vorhaben, ihren Ehemann ins Amt zu kriegen. Sie wird geradezu vernarrt in die Idee, ihr Wissen über das einfache Volk dazu zu nutzen, dieses zur Wahl ihres distanzierten, intellektuellen Ehemannes zu bewegen. Sie trifft sich heimlich mit Yamazaki, um die Kampagne zu planen: Zum einen druckt sie über fünf Millionen Kalender mit Bildern Noguchis, zum anderen sammelt sie Spenden in ihrem Restaurant zur Kampagnenfinanzierung. Kazu wird langsam überzeugt davon, dass die Wahl ihre gottgegebene Aufgabe ist. Als Noguchi jedoch erfährt, was seine Ehefrau getan hat und sie wutentbrannt schlägt, erfreut diese sich an seinen Ausbrüchen, da diese seine Altherren-Attitüde widerspiegeln würden. Niederlage und Scheitern der EheDie Wahlkampagne, die ohnehin durch Kazus Emotionalität und Noguchis Distanziertheit zum Scheitern verurteilt war, gipfelt in dreckigen Tricks der konservativen Partei – darunter ein Pamphlet über Kazus vergangenes, promiskuitives Leben – und endet in einer klaren Niederlage für die sozialliberale Partei. Während Noguchi froh darum ist, dass nun wieder Ruhe in sein Leben eingekehrt ist, beschließt Kazu, auch in Zukunft ein aufregenderes Leben zu leben, anstatt nur vor sich hinzuvegetieren. Hin- und hergerissen zwischen dem gemütlichen Bildnis, im Noguchi Familientempel begraben zu werden oder ein abenteuerlustiges Leben zu leben, entscheidet sich Kazu für letzteres. Noguchi, der ein solch rebellisches Verhalten intolerabel findet, reicht die Scheidung ein. Kazu ist durch den Schritt ihres Ehemannes jedoch nicht wirklich beeindruckt. Stattdessen nutzt sie ihre neugewonnenen Kontakte zur konservativen Partei, um ihr geliebtes „Setsugoan“ zurückzukaufen. Wichtigste FigurenHauptfiguren
Nebenfiguren
HintergrundInspirationDas Restaurant „Setsugoan“ (im japanischen „Yukigoan“) ist optisch dem Luxusrestaurant „Hannyaen“ in Shirokanedai, Tokio nachempfunden. Dieses war bekannt dafür, vor allem Politiker konservativerer Parteien zu bewirten.[7][8] Das Restaurant wurde 2005 geschlossen und das Gebäude abgerissen. Das Vorbild für Noguchi und Kazu bildeten Arita Hachirō und seine Ex-Frau Unegami Terui, welche 1953 heirateten und sich 1959 nach der Niederlage bei der Gouverneurswahl in Tokio gegen Azuma Ryōtarō scheiden ließen.[8] Chronologie der VeröffentlichungEinzelne Passagen aus Nach dem Bankett wurden in der Januar – Oktober Ausgabe 1960 bei Chūōkōron publiziert.[9][10] Ursprünglich sollte auch die Vollbuchveröffentlichung bei Chūōkōron erfolgen. Der Geschäftsführer des Verlags, Shimanaka Otorini, kündigte jedoch kurzfristig die Zusammenarbeit mit Mishima, nachdem ihm seitens Arita Hachirō rechtliche Schritte angedroht wurden.[9] Stattdessen erschien die Hardcover-Variante am 15. November 1960 bei Shinchosha.[10] Nach dem Bankett-GerichtsverfahrenAm 15. März 1961 verklagte Arita Hachirō, ehemaliger Außenminister und Kandidat für die Gouverneursstelle in Tokio, Mishima wegen Verletzung seiner Privatsphäre. In seinen Augen hätte Mishima in Nach dem Bankett sich unerlaubterweise intimer Informationen seines nichtöffentlichen Lebens bedient und diese der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Hachirōs Anwalt Eizaburo Morinaga beantragte in dem Zuge beim Bezirksgericht Tokio eine Schadensersatzzahlung aufgrund von deliktischem Verschulden in Höhe von einer Million Yen und eine öffentliche Entschuldigung.[11] Im japanischen Rechtsraum war der Nach dem Bankett-Prozess der erste Fall einer Klage wegen Verletzung der Privatsphäre seit der großen Schuldrechtsreform nach deutschem Vorbild im Jahr 1955 und erlangte dementsprechend großes Aufsehen. Die Phrase „Verletzung der Privatsphäre“ wurde in Japan ein Modewort.[12] Argumentation des BeklagtenMishima – seinerseits Jurist – übernahm, wie in einem Zivilprozess möglich, seine eigene Verteidigung und zeigte sich gegenüber seinem Freund Donald Keene auch hinsichtlich seiner Gewinnchancen zuversichtlich.[13] Wesentliches Argument war die Bedeutung der Kunst- und Meinungsfreiheit im politischen Diskurs, die Universalität der im Roman behandelten Themen und das autoritäre Exempel, das bei Beschneidung der künstlerischen Expression auf juristischer Ebene gesetzt werden würde:
Bekannte Unterstützer Mishimas zu der Zeit waren unter anderem Itō Sei, Yasunari Kawabata, Kōbō Abe und Jun Ishikawa. Letztere drei unterzeichneten später, im Februar 1967, mit ihm auch einen Appell, der sich gegen die chinesische Kulturrevolution aussprach, um akademische und artistische Freiheit zu schützen.[16] Erstinstanzliche EntscheidungDer vorsitzende Richter Tetsuichi Ishida entschied nach drei Jahren Rechtsstreites am 28. September 1964 zu Ungunsten Mishimas und verurteilte ihn zu einer Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 800.000 Yen. Eine Entschuldigungsanzeige hingegen hielt er für nicht erforderlich. Der Roman habe „die Meinungsfreiheit pervertiert“ und „ohne triftigen Grund in das Privatleben des Klägers eingegriffen.“[17]:
– Tetsuichi Ishida, 1963, einleitende Worte in der schriftlichen Urteilsbegründung Ishida begründete mit dem Urteil für die japanische Rechtslehre präjudizial wirkende Leitlinien bei Kollisionen zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit mit Persönlichkeitsrechten.[6] Als Voraussetzung für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten definierte er folgendes:
– Testuichi Ishida, 1963, Urteilsbegründung Berufung Mishimas und Ende des VerfahrensMishima zeigte sich empört über das Urteil und befand, es wäre anders ausgegangen, wenn ein Geschworenengericht entschieden hätte. Der vorsitzende Richter habe Hachirō viel zu sehr wie einen „alten, gebrechlichen Mann“ betrachtet und zu wenig seinen „sozialen Status und Ruhm“ als Legitimation seiner öffentlichen Person in die Abwägung mit einbezogen.[18] Mishima selbst könne das Urteil zwar verkraften, es sei jedoch ein „unangemessener und unglücklicher Präzedenzfall für Japans ersten Persönlichkeitsrechtsprozess“.[19] Im Oktober desselben Jahres legte Mishima gegen das Urteil Berufung beim Obergericht Tokio ein. Da Hachirō am 4. März 1965 verstarb, verblieb jedoch nur noch die Möglichkeit, gegen dessen Angehörige den Prozess zu führen. Mishima entschied sich dagegen und das Urteil wurde mit ex-tunc-Wirkung rechtskräftig.[19] Geplante AdaptionDer renommierte japanische Regisseur Naruse Mikio war von dem Roman so begeistert, dass er Planungen einleitete, ihn zu verfilmen. Für die Hauptrollen wurden Fujiko Yamamoto und Masayuki Mori ausgewählt und auch Mishima erteilte seine Erlaubnis. Aufgrund angedrohter rechtlicher Konsequenzen seitens Hachirōs wurde das Projekt aber nicht realisiert.[20] Einzelnachweise
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