Meeresfischzucht VölklingenDie Meeresfischzucht Völklingen (MFZ) ist die weltweit erste Anlage zur kommerziellen Produktion von Seefischen ohne Zugang zu natürlichem Meerwasser.[1] Sie befindet sich in der saarländischen Stadt Völklingen auf dem Gelände der ehemaligen Kokerei Fürstenhausen und geriet wegen der hohen Verluste des Projekts in die Schlagzeilen.[2] Bis zum Verkauf im Juni 2015 wurde die Anlage von der Meeresfischzucht Völklingen GmbH, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Stadt Völklingen, betrieben.[3] GeschichteErrichtung der AnlagenDie Meeresfischzuchtanlage Völklingen ging auf Pläne des Völklinger Oberbürgermeisters Klaus Lorig (CDU) zurück. Nachdem die Stadt Völklingen Teile des Areals der stillgelegten Kokerei Fürstenhausen von der RAG übernommen hatte, stand noch nicht fest, was damit passieren sollte. Lorig kam auf die Idee eine Meeresfischzuchtanlage auf dem Gelände zu errichten. In Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Völklingen sollte das ambitionierte Projekt realisiert werden. Als Geschäftsführer der neu gegründeten Meeresfischzucht Völklingen GmbH (MFV) wurde Jochen Dahm, Geschäftsführer der Stadtwerke Völklingen, eingesetzt, der zugleich mit Michael Altpeter Geschäftsführer der Gewerbeansiedlung Völklingen GmbH (GAV) war. Dieses im Dezember 2007 gegründete Unternehmen hielt 89,9 Prozent an der Meeresfischzucht Völklingen.[4] Als Partner für den Bau konnte die Firma International Fish Farming Technology (IFFT) gewonnen werden, die die restlichen 10,1 Prozent hielt, und als Unterstützer die HTW Saar, die eine Stiftungsprofessur Aquakultur einrichtete, um das Projekt wissenschaftlich zu begleiten.[5] Zu dieser Zeit betrugen die voraussichtlichen Kosten für den Bau, der Ende 2008 starten sollte, um die 12 Millionen Euro. Die ersten Probleme entstanden durch eine unklare Finanzierung, die den Beginn um einige Monate verzögerten. Um die Anlage bauen zu können, wurde das Kommunalgesetz durch den Landtag des Saarlandes geändert. Zunächst sollten Doraden, Wolfsbarsche und Störe gezüchtet werden. Insbesondere der Stör ist wegen des Kaviars beliebt.[2] Im August 2009 wurde das Richtfest gefeiert, als die Stahlbetonstützen komplett verlegt waren, es fehlten aber noch Zuchtbecken und Dach.[6] Auf dem Richtfest warnte Meeresbiologe Manfred Klinkhardt, dass ähnliche Anlagen bereits insolvent gegangen seien. Auch mehrten sich Bedenken gegen eine solche Massentierhaltung.[2] Die Arbeiten verzögerten sich erneut, da die Finanzierung nicht mehr gesichert war. Eine Bürgschaft von drei Millionen sollte die Anlage retten. Kurz darauf jedoch meldete die IFFT Insolvenz an. Zwischen den beiden Gesellschaftern kam es zu Streit, neue Investoren blieben aus. Die Anlage entwickelte sich zum politischen Skandal. Insbesondere die Partei Die Linke wetterte gegen das scheiternde Projekt. Auch die SPD ging auf Distanz.[7] Erst 2011 konnten sich die beiden Gesellschaften einigen: die MFZ kaufte die verbliebenen Anteile der IFFT für 200.000 Euro ab. Die Eröffnung der Anlage musste gleichwohl um ein weiteres Jahr verschoben werden, nachdem das Hauptstromkabel gestohlen worden war. Auch 2012 konnte das Projekt nicht fertig gestellt werden, da der Vertriebspartner Alaska-Fisch insolvent wurde und es zudem zu technischen Schwierigkeiten kam.[8] Im Januar 2013 schließlich wurde die Anlage eröffnet, drei Jahre nach dem geplanten Start und mit acht Prozent mehr Kosten als vorgesehen. 4.000 Störe und 90.000 Wolfsbarsche waren die ersten Fische. Insgesamt sollten 500 Tonnen Meeresfisch bis Jahresende produziert werden. Im Oktober 2013 meldeten sich mit Neomar, Sawa und der Ocean Swiss Alpine Seafood neue Investoren, doch die Verhandlungen scheiterten. Im April 2014 schließlich startete der Verkauf.[8] Im gleichen Monat erhielt die Neomar GmbH für die in der Anlage eingesetzte Oceanloop-Technik eine Nominierung für den Deutschen Innovationspreis in der Kategorie Start-up-Unternehmen.[9] Der Verkaufsstart konnte das Projekt nicht retten. Von den 200 Tonnen Fisch, die die Anlage im ersten Jahr heranzüchtete, wurden bis Weihnachten 2014 nur 20 Tonnen verkauft. Schuld daran waren zum einen die hohen Preise, zum anderen das fehlende Marketing. Die Schulden des Projektes betrugen mittlerweile 20 Millionen Euro, zudem ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Insolvenzverschleppung. Im Oktober 2014 wurde der politische Druck auf Geschäftsführer Dahm so groß, dass dieser entlassen wurde.[4] Interimschef wurde der Völklinger Bürgermeister Wolfgang Bintz. Doch damit nicht genug: Es kam zu einem Massensterben der Störe in der Anlage. Schuld war eine eingeschleppte Viruserkrankung, die rund 30 Prozent des Bestands umbrachte.[2] Die finanziellen Probleme sollten zunächst durch einen Millionenkredit gelöst werden, anschließend sollten zwei neue Arten angesiedelt und die Zuchtleistung auf 700 Tonnen angehoben werden. Die Eigentümer entschlossen sich jedoch zum Verkauf der Anlage.[8] Am 6. August 2015 übernahm der Schweizer Unternehmer Peter Zeller für zwei Millionen Euro die Anlage (bei einer initialen Investitionssumme über 20 Millionen Euro der Stadt Völklingen[10]) und gründete die Fresh Völklingen GmbH und die Fresh real Estate GmbH, die seitdem die Anlage betreiben.[11] Im September 2020 räumte die Geschäftsführung von Fresh ein, dass die Völklinger Fischzucht noch immer Verluste mache.[12] Untersuchungsausschuss des LandtagsIn seiner 37. Sitzung am 20. Mai 2015 beschloss der Landtag des Saarlandes gemäß Art. 79 Abs. 1 der Verfassung des Saarlandes einstimmig und bei Zustimmung aller Fraktionen die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Meeresfischzucht Völklingen. In der Begründung der Einsetzung hieß es: „Das wirtschaftliche Desaster der Völklinger Meeresfischzuchtanlage hat bei der Anteilseignerin – den Völklinger Stadtwerken – erheblichen finanziellen Schaden angerichtet. Das Ausmaß ist derart gravierend, dass sogar die Existenz der gesamten Völklinger Stadtwerke-Holding gefährdet ist und deren 240 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze bangen. [...] Vor diesem Hintergrund bedürfen die ungeklärten Fragen um Hintergründe, Abläufe, Verantwortlichkeiten sowie die Wahrnehmung von Kontrollmöglichkeiten, Weisungs-und Anordnungsbefugnissen im Rahmen der Kommunal-und Rechtsaufsicht durch die Regierung bzw. zuständige Aufsichtsbehörde über die Gemeinde Völklingen, deren Beschlüsse und deren Handeln im Zusammenhang mit der Meeresfischzuchtanlage im Interesse des Landes umfassender und vollständiger Aufklärung.“ Am 8. März 2017 lag dem Landtag des Saarlandes ein Abschlussbericht des „Untersuchungsausschusses Meeresfischzucht Völklingen“ vor.[13] Der Abschlussbericht umfasste 62 Seiten und entstand innerhalb von 13 Arbeitssitzungen.[14] In den jeweiligen Terminen wurden auch Beweisaufnahmen mit Zeugenvernehmungen durchgeführt. Darunter auch die damalige Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbauer, der im Verlauf der öffentlichen Diskussion mangelnde Kontrolle vorgeworfen wurde.[15][16] Aus dem Bericht geht hervor, dass es einer Gesetzesänderung des Kommunalselbstverwaltungsgesetz (KSVG) bedurfte, um die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit eine öffentlich-rechtliche Einrichtung (hier: die Stadtwerke Völklingen) legal eine auf Gewinn ausgerichtete Fischzucht betreiben durfte. Im Ergebnis kam der Untersuchungsausschuss zu keiner gemeinsamen Bewertung der untersuchten Vorgänge. Die Koalitionsfraktionen (CDU und SPD) und die Vertreter der Opposition im Ausschuss (Die Linke, Piraten B90/Grüne) formulierten jeweils ein eigenes Fazit. Im Fazit der vier Landtagsabgeordneten der beiden Koalitionsfraktionen heißt es:
Im Fazit der drei Landtagsabgeordneten der Oppositionsfraktionen heißt es hingegen:
Als Reaktion auf die Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes sahen die Koalitionsparteien im Landtag des Saarlandes (SPD und CDU) das Verhalten der damaligen Ministerpräsidentin als korrekt an. Eine Mitschuld sei ihr nicht nachzuweisen; sie habe ihren Ermessensspielraum korrekt genutzt.[17] Der Saarländische Rundfunk titelt in seiner Onlineausgabe: „Schuld für Fischzucht-Pleite weiter ungeklärt.“[18] Weblinks
Belege
Koordinaten: 49° 14′ 35,4″ N, 6° 52′ 50″ O |
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