Matilo
Matilo, das römische Kastell Leiden-Roomburg, war der antike Name eines Auxiliarkastells am Niedergermanischen Limes. Das ehemalige Militärlager liegt im heutigen Leidener Wohnbezirk Roomburg in der niederländischen Provinz Südholland unmittelbar unter seiner modernen Rekonstruktion. Das Bodendenkmal ist Bestandteil des 2021 zum UNESCO-Weltkulturerbe erhobenen Niedergermanischen Limes. LageIn antiker Zeit befand sich das Kastell an einer Stelle, an der von Nordosten her die Leithe[4] in den Oude Rijn einmündete, nach Norden hin die Zijl von diesem abzweigte und von Südwesten her die Fossa Corbulonis an den Fluss anschloss. Die Fossa Corbulonis war ein Kanal, den Gnaeus Domitius Corbulo, der legatus Augusti (Gesandter des Augustus = Befehlshaber) im Militärbezirk Germania inferior während seiner Amtszeit ab dem Jahr 47 erbauen ließ. Die Fossa Corbulonis führte bis zur Nieuwe Maas und verkürzte damit den längeren und vor allem gefährlicheren Schifffahrtsweg über die Nordsee erheblich. Alle diese Wasserläufe, so unscheinbar sie auch heute wirken, waren in der römischen Zeit für die damals verwendeten Boote schiffbar. Das gegenüber dem Umland leicht erhöht liegende Kastell befand sich somit in einer verkehrs- und militärgeographisch optimalen Position. Mit seiner Prätorialfront war es nicht auf den Rhein, sondern auf den Corbulo-Kanal ausgerichtet.[5] Im heutigen Siedlungsbild befindet sich das rekonstruierte Kastell in loco innerhalb eines archäologischen Parks im Leidener Wohnbezirk Roomburg, zwischen Leiderdorp im Osten und dem Vliet im Westen. Quellen und ForschungsgeschichteDie sprachliche Herkunft des Namens Matilo ist ungeklärt. Auf der Tabula Peutingeriana ist es als Matilone zwischen Albaniana (fünf Leugen entfernt) und Praetorium Agrippinae (drei Leugen entfernt) eingezeichnet.[6] Später findet der Ort unter dem Namen Matellionem Erwähnung in der um das Jahr 700 entstandenen Cosmographia[7] des anonymen Geographen von Ravenna.[8] Bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden auf dem Gelände des inzwischen abgegangenen Klosters St. Margaretha der Tertiarissen,[9] das sich im Mittelalter unmittelbar nordöstlich neben dem ehemaligen Kastellgelände niedergelassen hatte, römische Funde gemacht. Moderne archäologische Ausgrabungen begannen 1927 mit den Untersuchungen durch Jan Hendrik Holwerda.[10] 1962 entdeckte Julianus Egidius Bogaers rund einhundert Meter nordwestlich des Kastells einen verlandeten Wasserlauf, dessen Ufer befestigt war und der sich letztlich als die von Tacitus[11] und Cassius Dio[12] erwähnte Fossa Corbulonis erwies. 1970 erfolgten elektrische Bodenwiderstandsmessungen auf dem Kastellgelände, auf deren Grundlage es 1974 und von 1994 bis 1999 zu Kontrollgrabungen kam. Von einer großflächigen Ausgrabung wurde vor dem Hintergrund der fehlenden Baubedrohung des Gebietes und unter Rücksichtnahme auf den Bodendenkmalstatus (siehe weiter unten) Abstand genommen. Mit den Ergebnissen und Erkenntnissen aus den Messungen und den Sondierungen konnten die Umwehrung und die Lage der Principa rekonstruiert werden. Der Vicus, die Zivilsiedlung des Lagers, war bereits Anfang der 1970er Jahre entdeckt und untersucht worden.[5][13] Geschichte, Befunde, Inschriften und Truppen1. JahrhundertMatilo war eine Garnison, die im Jahre 47 oder kurz danach von Gnaeus Domitius Corbulo (siehe weiter oben) im Rahmen seiner Grenzsicherungsmaßnahmen als Holz-Erde-Lager errichtet wurde. Aus dieser Zeit konnten nur sehr wenige Spuren identifiziert werden. Ob das Kastell an der Stelle eines früheren Wachturms oder einer Straßenstation errichtet worden war, wie es Willem Albertus van Es vermutet hatte,[14] konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Während des Bataveraufstands in den Jahren 69/70 wurde das Militärlager, wie fast alle anderen römischen Grenzkastelle, zerstört. Der Wiederaufbau erfolgte im Jahr 71. Nach dem Aufstand des Lucius Antonius Saturninus (89) wurde das Kastell entweder in spätdomitianischer oder frühtrajanischer Zeit ausgebaut und verstärkt. Dieser Ausbau war möglicherweise der Anlass für die Anfertigung eines auf die Zeit zwischen 103 und 110 datierten Weihesteins[1] mit der Inschrift: IMP E NERVA TRAIA
G GER DACICO P M RIB P P P COS V COH III LUCENSIV P F Lesung: [Imp(eratori) Ca]e(sari) Nerva(e) Traia[no/ Au]g(usto) Ger(manico) Dacico p(ontifici)/[m(aximo), t]rib(unicia) p(otestate), p(atri) p(atriae), co(n)s(uli) V / [coh(ors)] Lucensiu[m] P(ia) F(idelis). 2. und 3. JahrhundertDas Kastell des zweiten Jahrhunderts war von rechteckiger Form und bedeckte mit seinen Seitenlängen von rund 82 mal 100 m eine Fläche von 0,8 Hektar. Ein Achtel davon nahmen die mit ihren Abmessungen von 32 m im Quadrat eine Fläche von 1024 m² überdeckenden Principia (Hauptquartier) in Anspruch. Die Umwehrung und von den Innebauten wenigstens die Principia waren jetzt aus Stein. Der vorherige einfache Graben wurde durch ein Dreifachgrabensystem ersetzt. Eine Erneuerungsmaßnahme ist für das Jahr 123 anzunehmen, als anlässlich eines Besuches des Kaisers Hadrianus die Verkehrswege und viele Kastelle des Niedergermanischen Limes instand gesetzt wurden. Konkreter greifbar ist wieder die Zeit gegen Ende des zweiten, Anfang des dritten Jahrhunderts, aus der gleich drei Inschriften vorliegen, die sich auf die Jahre zwischen 196 und 205 datieren lassen. Bei dem jüngsten epigraphischen Zeugnis handelt es sich um eine Bauinschrift[15] aus den Jahren zwischen 196 und 198: IMP CAES L SEPTIMIVS SEVER
VS AVG ET M AVRELIVS ANTONIN VS CAES COH XV VOL ARMA MENTARIVM VETVSTATE CONLA BSVM RESTITVERVNT SVB VAL PV DENTE LEG AVG PR PR CVRA ET CAECIL BATONE PRAE PRE Lesung: Imp(erator) Caes(ar) L(ucius) Septimius Sever/us Aug(ustus) et M(arcus) Aurelius Antonin/us Caes(ar) coh(ortis) XV Vol(untariorum) arma/mentarium vetustate conla/bsum restituerunt sub Val(erio) Pu/dente leg(ato) Aug(usti) pr(o) pr(aetore) cura(nte) et Caecil(io) Batone prae(posito) // Pre. Das zweite Steindenkmal[3] datiert auf die Zeit von 198 bis 205: IMPP CAESS L SEPTIMIVS SEVERVS PIVS PERT
M AVRELLIVS ANTONINVS AVGG NVMERO EXPL BAT CVR Q VENIDIO RVF LEG AVGG PR PR Lesung: Impp(eratores) Caess(ares) L(ucius) Septimius Severus Pius Pert[inax et] / M(arcus) Aurellius Antoninus Augg(usti) Interessant bei dieser Inschrift ist, dass sie eine Damnatio memoriae enthält, eine "Verdammung des Andenkens". Der Name des Geta wurde nachträglich demonstrativ heraus gemeißelt, nachdem Caracalla in dem Konflikt mit seinem Bruder obsiegt und die alleinige Herrschaft errungen hatte (Ende 211). Die letzte Inschrift schließlich lässt sich den Jahren 200/201 zuweisen: IMP CAES L SEPTIMIVS SEVERVS PIVS PERTINAX AVG
MAXIM TRIB POT VIII IMP CAES M AVRELANTONINVS AVG PIVS PONTIF MAX TRIB POT III L SEPTIMI SEV R PII PE AVG FIL COH XV VOL C R P F LEG AVGG PR PR PE VEXI Lesung: [Imp(erator) Caes(ar) L(ucius) Septimius Seve]rus Pius Pertinax Aug(ustus) / [pontifex] maxim(us) trib(unicia) pot(estate) VIII [et] Im[p(erator) Caes(ar)] / [M(arcus) Aurel(lius) Antoninus] Aug(ustus) Pius pontif(ex) max(imus) / [trib(unicia) pot(estate) III] L(uci) Septimi Sev[e]r[i] Pii Pe[rtinacis Aug(usti) fil(ius)] / coh(ors) XV vol(untariorum) c(ivium) R(omanorum) P(ia) F(idelis) / [le]g(atus) Augg(ustorum) pr(o) pr(aetore) pe[r] vexi(llarios). Über das Ende des Lagers ist nichts bekannt. Man kann aber davon ausgehen, das es im Zusammenhang mit dem zunehmenden fränkischen Druck zum Ende des dritten Viertels des dritten Jahrhunderts erfolgte und dass das Kastell bei einem der großen fränkischen Vorstöße um 260 oder spätestens um 275/276 zerstört oder danach aufgegeben wurde, so wie es zu dieser Zeit nahezu überall am nördlichen Abschnitt des Niedergermanischen Limes geschah. TruppenAufgrund der zwar eindrucksvollen, aber sich doch nur auf zwei enge Zeiträume beschränkenden Inschriften sowie wegen der nicht durchgeführten, großflächigen archäologischen Ausgrabung und dem entsprechenden Fehlen derer Ergebnisse, lässt sich die Belegungsgeschichte der Garnison nur halbwegs gesichert rekonstruieren. Während über die Kastellbesatzungen während des größten Teils des ersten Jahrhunderts nichts bekannt ist, ist ab der Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert die Cohors I Lucensium pia fidelis belegt, eine Cohors equitata (teilberittene Kohorte) von rund sechshundert Mann Stärke, die ursprünglich in der spanischen Region Gallaecia ausgehoben worden war. Sie kann nicht schon lange Zeit vorher in Matilo stationiert gewesen sein, da sie noch in den Jahren 88 und 90 in der Provinz Syria nachgewiesen ist, wo sie auch für 153 wieder inschriftlich in Erscheinung tritt. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass sie bereits vor ihrem Syrieneinsatz schon einmal für kurze Zeit in Matilo war, da sie auf einem Militärdiplom, das auf 81/85 datiert wird,[16] als in Germanien stationierte Truppe geführt ist.[17] Für das ausgehende zweite, beginnende dritte Jahrhundert ist die Cohors XV Voluntariorum nachgewiesen, eine reine Infanteriekohorte von 480 Mann Stärke, deren Anwesenheit in Matilo nicht nur durch die oben beschriebene Steininschrift, sondern auch durch eine ganze Anzahl an Ziegelstempeln belegt ist. Problematisch dabei ist, dass diese Kohorte, die nach der Clades Variana ausgehoben worden war und die Zeit ihres Bestehens in Niedergermanien operierte, inschriftlich auch in Praetorium Agrippinae (Valkenburg), Nigrum Pullum (Alphen aan den Rijn-Zwammerdam) und in Laurium (Woerden) erscheint. Es ist nicht geklärt, ob sie zwischen diesen Standorten wechselte, Vexillationen auf die einzelnen Standorte verteilte oder eventuell sogar nur ihre Ziegel zu anderen Standorten transportierte und welches ihr eigener oder zumindest Hauptstandort war.[18] Der für den gleichen Zeitraum inschriftlich belegte Numerus Exploratorum Batavorum war ein gemischter Verband aus Infanterie und Kavallerie, dessen Mannschaftsstärke wohl über der eines gewöhnlichen Numerus lag. Möglicherweise blieb der Numerus für längere Zeit in Matilo, seine Anwesenheit in Germanien zumindest ist noch für das Jahr 239 durch einen in Köln aufgefundenen Weihestein[19] bezeugt.[20] VicusWie bei allen anderen, dauerhaften römischen Garnisonsorten erstreckte sich auch in Matilo ein Vicus um das Kastell. Der Vicus war eine Zivilsiedlung, in der sich Veteranen, Angehörige von Soldaten, Händler, Handwerker, Prostituierte, Schankwirte und andere Dienstleister niederließen. Der Vicus von Matilo dürfte etwa 500 Menschen beheimatet haben. Er setzte sich auf dem jenseitigen Ufer der Fossa Corbulonis fort, wo er eine Art Brückenkopf bildete, mit dem er vermutlich über eine einfache hölzerne Brücke verbunden war. Hierfür sprechen jedenfalls bei den Untersuchungen aufgefundene Reihen von Holzpfählen, die vom Ufer aus in die Mitte des Kanals führten.[21] PräsentationFunde aus Matilo im Rijksmuseum van Oudheden in LeidenIm Laufe der Jahrhunderte kamen aus dem Roomburger Erdreich eine große Menge an Funden aus dem Kastell, der Zivilsiedlung und dem Gräberfeld von Matilo ans Tageslicht, darunter einige einzigartige Stücke. Die herausragenden Objekte sind im Rijksmuseum van Oudheden in Leiden ausgestellt.
Archäologischer Park Matilo2010 begann die Gemeinde Leiden mittels Ratsbeschluss mit der Umsetzung der Pläne zur Errichtung eines archäologischen Parks auf dem ehemaligen Kastellgelände. Die entsprechenden Arbeiten fanden in den folgenden Jahren statt und wurden 2013 abgeschlossen. Bei der Anlage des Parks wurde äußerst sorgfältig vorgegangen, um das darunter ruhende Bodendenkmal nicht zu beschädigen. Es fanden keinerlei Eingriffe in den Boden statt, im Inneren markieren lediglich zwei Wege den Verlauf der Via praetoria (Lagerhauptstraße, Ausfallstraße), Via decumana (rückwärtige Verlängerung der Via praetoria) und der Via principalis dextra (rechte Hälfte der Lagerquerstraße) auf der ansonsten mit Rasen bewachsenen Fläche. Die Umwehrung wird durch einen aufgeschütteten Erdwall markiert, auf dem eine Reihe Korniferen den Verlauf der ehemaligen Holzpalisade und späteren Mauer symbolisieren. Der Park ist ein Erholungsraum für die angrenzenden Wohngebiete und wird überdies für gelegentliche Veranstaltungen genutzt.[22][21]
DenkmalschutzDie Geländebereiche mit den römischen Hinterlassenschaften stehen nach dem niederländischen Denkmalgesetz (monumentenwet) von 1988[23] als Bodendenkmale unter Schutz. Der ehemalige Kastellbereich (und der des mittelalterlichen Klosters) wurde unter der Nummer 45576,[9] der Corbulokanal und die Bereiche des römischen Vicus unter der Nummer 531040[24] zu Rijksmonumenten (deutsch: "Reichsmonument" im Sinne von Nationaldenkmal) ernannt. Siehe auchLiteratur
WeblinksCommons: Matilo – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Anmerkungen
Einzelnachweise
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