Martha von GrotMartha von Grot (* 26. Oktober 1867 in Hasenpot, Gouvernement Kurland, Russisches Kaiserreich; † 28. Dezember 1962 in Vielbach im Westerwald) war eine deutschbaltische Schulleiterin und Reformpädagogin. Leben und WirkenIhre Vorfahren, die sich Grote nannten, wanderten Anfang des 18. Jahrhunderts aus dem ehemaligen Stift Verden ins Baltikum ein. Das Geschlecht wurde 1775 in den erblichen Reichsadelsstand erhoben und 1797 in die Livländische Ritterschaft immatrikuliert. Martha von Grots Vater war ein erfolgreicher Rechtsanwalt. Schon sehr früh spürte sie den Wunsch Lehrerin werden zu wollen, zumal sie unter dem damaligen autoritären Schulsystem sehr litt. Sie kritisierte später:
Nachdem Martha von Grot die damals übliche Schulbildung für Mädchen ihres Standes abgeschlossen hatte, absolvierte sie das Lehrerinnenseminar in Dorpat in Estland (Tartu). Mit ihrer Lehrerinnenausbildung war sie sehr unzufrieden, vor allem mit der damals vorherrschenden Unterrichtsform der heuristischen Methode, welche die Schüler Schritt für Schritt zum Resultat führt, aber das Allerwichtigste, das selbständige Gehen des Arbeitsweges sie nicht lehrt.[2] Martha von Grot kritisierte später: „Die Lehrer unterrichten Fächer – und nicht Schüler“.[3] Nach ihrer Ausbildungszeit im Lehrerinnenseminar arbeitete sie als Hauslehrerin in Mitau, u. a. lange Zeit in der kinderreichen Familie von Pastor von Raison. Da für Martha von Grot die Frage der Bildung und Erziehung der weiblichen Jugend immer mehr zur brennenden Frage wurde, reiste sie durch Deutschland von Anstalt zu Anstalt und knüpfte Kontakte zu bekannten Pädagogen. Wegweisend für sie war die Begegnung mit Hugo Gaudig und dessen Unterrichtsverfahren, das sich an der Arbeitsschulpädagogik orientierte. Ferner besuchte sie Vorlesungen der Psychologie in Würzburg bei Oswald Külpe. Anschließend kehrte die Adelige als Lehrerin an das Lehrerinnenseminar in Dorpat zurück, dessen Leitung ihr 1904 übertragen wurde. Das von ihr geleitete private deutsche Lehrerinnenseminar wurde 1892 ohne behördliche Genehmigung von der baltischen Ritterschaft errichtet, als Folge auf das Verbot deutschsprachiger Schulen im Zuge der Russifizierungspolitk von Zar Alexander III.[4] An der Groteschen Schule unterrichtete als Lehrer für deutsche Sprache Oskar Masing, Verfasser des unvollendet gebliebenen Deutschbaltischen Wörterbuches, den 1936 der finnische Germanist Valentin Kiparsky als den größten heute lebenden Kenner des Baltendeutsch[5] bezeichnete. Die Seminarleiterin reformierte die Lehrerinnenausbildung, insbesondere die Erziehung der Absolventinnen betreffend:
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs brach auch für die Deutschbalten, die überwiegend der Oberschicht angehörten, eine schwere Zeit an. Besonders Adelige, Großgrundbesitzer sowie sich bekennende Christen wurden verfolgt und waren brutaler Gewalt ausgesetzt. Davon blieb auch Martha von Grot nicht verschont. Sie wurde mehrmals verhaftet, ins innere Rußlands verschleppt und in Gefängnisse geworfen, nur bei Wasser und Brot – und immer wieder Folter, schließlich zum Tode verurteilt. Wie ein Wunder und weil im festen Glauben verwurzelt überlebte sie die schreckliche Zeit. Sie kam frei und übersiedelte zunächst zusammen mit einem Stamm baltischer Lehrerinnen, die sie ausgebildet hatte, nach Seewald bei Reval, wo sie in der hiesigen Nervenanstalt von Dr. Ernst von Kügelgen eine Notschule einrichtete.[7] Bald aber ging Martha von Grot, da sie an die Möglichkeit, in der baltischen Heimat erfolgreich arbeiten zu können, nicht mehr sah, nach Deutschland. Nach einer Zwischenstation bei den Neuendettelsauer Diakonissen und ihrer Mädchenschule an der Zeltnerstraße in Nürnberg übernahm sie 1920 die private sechsklassige konfessionell gebundene Höhere Mädchenschule in Pasing (damals noch eine selbständige Stadt). Unter ihrer Federführung und in enger Zusammenarbeit mit Georg Kerschensteiner, langjähriger Stadtschulrat von München und seit 1918 Honorarprofessor für Pädagogik an der Münchner Universität sowie Marie Freiin von Gebsattel, Referentin für das Höhere Mädchenschulwesen am Bayerischen Ministerium für Unterricht und Kultus, entwickelte sich die evangelische Bildungsinstitution (seit 1924 ein Mädchenlyzeum) zu einer weit über die Grenzen der Stadt und Bayerns hinaus vielgerühmten Schule des erziehenden Unterrichts, respektvoll die Grotschule (heute Grundschule an der Oselstraße) genannt. Georg Kerschensteiner bezeichnete in einem Gutachten an das Preußische Unterrichtsministerium die Bildungsinstitution als eine „Musteranstalt in experimentalpädagogischem Sinne“, sah er doch hier verwirklicht, was er in seinen vielen Publikationen über die Arbeitsschulpädagogik geschrieben hatte. Über die Schule des erziehenden Unterrichts schrieb Martha Grots Biografin, Marie Freiin von Gebsattel:
Die Methode des erziehenden Unterrichts, die auch am A. B. von Stettenschen Institut in Augsburg und der Diakonissenschule an der Zeltnerstraße in Nürnberg übernommen wurde, führte zu erstaunlich guten Abschlussprüfungsergebnissen. Dadurch sah sich das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus veranlasst, in den Jahren 1930 und 1931 Einführungskurse in den erziehenden Unterricht, zunächst auf der Grundlage des Deutschunterrichts, durchzuführen:
Entsprechend ihrer reformpädagogischen Überzeugung führte Martha von Grot für ihre Schülerinnen den Gymnastikunterricht ein, den eine in Loheland ausgebildete Lehrerin erteilte. Dieser Unterricht durchbrach das Wesen, die Ziele sowie Methoden des traditionellen Sportunterrichts. Neue Formen der Gymnastikstunde waren: die künstlerische Ausdrucksdarstellung (Rhythmische Gymnastik) und die schwedische Gymnastik. Der Unterricht ging von „spontaner freier Bewegung aus und brachte sie im natürlichen Ausdruck zum Schwingen. Bewegung war Ausdruck des Inneren.“[10] 1927 verließ Martha von Groth und fünf weitere Lehrerinnen Pasing. Der Direktor der Mädchenanstalt der Herrnhuter Brüdergemeine in Neuwied am Rhein, Bruder Walter Wedemann, konnte die Schulleiterin und ihre Mitarbeiterinnen für den Aufbau der dortigen Mädchenschule gewinnen, die nach der Grot’schen Methode, die, im Sinne Georg Kerschensteiners, die Erziehung zur Gemeinschaft in den Mittelpunkt des Schullebens stellte, arbeitete. Des Weiteren legte Martha von Grot „auf die christliche Prägung der Schule großen Wert, denn Religion sei kein Fach, sondern bestimme das ganze Leben. Sie suchte den Kontakt zur Gemeinde … Die Direktion erhoffte sich durch die Methode von Frau von Grot positive Anstöße für das brüderliche Schulwerk und veranstaltete pädagogische Tagungen“.[11] Die Nazis versetzten 1936 Martha von Grot zwangsweise in den Ruhestand, zumal die Adelige nicht bereit war, die NS-Ideologie ihren anvertrauen Schülern zu übermitteln. Außerdem mussten sowieso alle konfessionell gebundenen Schulen ihren Betrieb einstellen. Die inzwischen 69-jährige folgte einem ehemaligen Schüler, der Rektor einer kleinen Realschule im Kreis Osnabrück war. Sie wirkte nicht mehr als Leiterin oder Lehrerin, sondern „als geistige Mutter des dortigen Lehrkörpers …, bis auch dieses Schülchen den Machtansprüchen des Nationalsozialismus erlag“.[12] Die Pädagogin starb hochbetagt im Alter von 95 Jahren am 28. Dezember 1962 in Vielbach, wo sie im Haus Dora ihre letzten Lebensjahre verbrachte. Literatur
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Einzelnachweise
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