Die Tochter des Theologen und Rektors der ThomasschuleKarl Heinrich Adelbert Lipsius wuchs in Leipzig auf und erhielt eine musische Ausbildung, unter anderem durch den Leipziger Komponisten Richard Müller. 1856 lernte sie achtzehnjährig bei einem Konzert Franz Liszt kennen, zu dessen engem Freundeskreis sie fortan zählte und dessen Schaffen sie literarisch begleitete. Im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert spielte sie eine bedeutende Rolle in der deutschen Musikszene, vor allem am großherzoglich Weimarischen Hof sowie im Kreis um Richard Wagner in Bayreuth. Mit Liszts Gefährtin, der Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein, stand sie in enger Verbindung. Zu ihrem achtzigsten Geburtstag 1917 wurde ihr der Professorentitel verliehen.[1]
Werk
Neben einigen Reiseschilderungen veröffentlichte sie als Musikschriftstellerin unter dem Pseudonym La Mara zahlreiche Monografien über alte und zeitgenössische Komponisten, erstmals in Westermanns Monatsheften 1867. Ihre bündigen, nuancenreichen und auf gründliche Quellenkenntnis gestützten Porträts, die jeweils zuerst in der Reihe Musikalische Studienköpfe im Verlag Breitkopf & Härtel erschienen, wurden seinerzeit oft aufgelegt und vermitteln neben dem historischen Inhalt ein authentisches Bild der Gesellschaft ihrer Epoche. Der fünfte Band dieser Reihe („Die Frauen im Tonleben der Gegenwart“ 1882) ist das erste Buch, das ausschließlich Musikerinnen porträtiert.[2] Ihre heutige Bedeutung rührt vor allem daher, dass die Autorin viele der von ihr Porträtierten persönlich kannte und sie umfangreiches Quellenmaterial sammelte und auswertete. Hierzu „entwickelte sie eine neue Methode der systematischen Forschung mithilfe von Fragebögen, Interviews und Briefen, die erst im 20. Jahrhundert verbreitet angewandt und normativ wurde.“[3]
Marie Lipsius war die erste Musikwissenschaftlerin, die systematische Forschungen betrieb, um Beethovens mysteriöse „Unsterbliche Geliebte“ zu identifizieren: 1909 veröffentlichte sie Therese Brunsviks Memoiren und deutete die darin enthaltene Schwärmerei für den Komponisten als eine heimliche Liebe. Sie korrigierte diese Auffassung jedoch nach dem Ersten Weltkrieg, als sie Briefe und andere Dokumente in dem Nachlass der Brunsviks fand, die auf Thereses Schwester Josephine Brunsvik deuteten.[4]
Marie Lipsius trat auch als Herausgeberin der Korrespondenz von Franz Liszt hervor. 1917 erschien ihre Autobiografie.
James Deaville: Art. „Lipsius, Marie, Pseudonym La Mara“. In: Ludwig Finscher (Hg.), Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Bd. 11, Kassel u. a. 2004, Sp. 194–196.
Cordelia Miller: Musikdiskurs als Geschlechterdiskurs im deutschen Musikschrifttum des 19. Jahrhunderts (= Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts 16, hrsg. v. Freia Hoffmann), Oldenburg 2019, hier Kap. 5, S. 261–377.
Lisbeth Suhrcke: Marie Lipsius alias La Mara (1837–1927). Biographisches Schreiben als Teil der Musikforschung und Musikvermittlung (= Biographik. Geschichte – Kritik – Praxis 5), Köln: Böhlau 2020.
Martina Bick: Art. „Marie Lipsius“. In: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 14. März 2018
↑James Deaville: Art. „Lipsius, Marie, Pseudonym La Mara“, in: Ludwig Finscher (Hg.), Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Bd. 11, Kassel u. a. 2004, Sp. 194–196.
↑James Deaville: Art. „Lipsius, Marie, Pseudonym La Mara“, in: Ludwig Finscher (Hg.), Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Bd. 11, Kassel u. a. 2004, Sp. 196.
↑Cordelia Miller: Musikdiskurs als Geschlechterdiskurs im deutschen Musikschrifttum des 19. Jahrhunderts (= Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts 16, hrsg. v. Freia Hoffmann), Oldenburg 2019, S. 262.
↑„Als ich im Mai dieses Jahres den mir aus Therese Brunsviks Nachlaß seit langem abschriftlich zu eigen gemachten Briefwechsel mit ihren Schwestern einer erneuten Druchsicht unterwarf, drängte sich mir die Überzeugung auf, daß [...] Josephine verwitwete Gräfin Deym die ‚unsterbliche Geliebte‘ Beethovens […] sei.“ (La Mara, Beethoven und die Brunsviks. Nach Familienpapieren aus Therese Brunsviks Nachlass. Leipzig 1920, S. 1)