Leo WeisgerberJohann Leo Weisgerber (* 25. Februar 1899 in Metz; † 8. August 1985 in Bonn) war ein deutscher Sprachwissenschaftler und Keltologe. Er ist der Begründer der Inhaltbezogenen Grammatik (Sprachinhaltsforschung). BiografieLeo Weisgerber war der Sohn des Leiters der Elementarschule St. Vincenz in Metz, Nikolaus Ludwig Weisgerber, und seiner Ehefrau Maria, geb. Müller. Seine Mutter verlor er im Alter von fünf Jahren, seinen Vater, als er 14 Jahre alt war. Sein älterer Bruder war der spätere Jurist Joseph Weisgerber. Weisgerber besuchte die Elementarschule St. Vincenz in Metz, danach die Domschule St. Arnulf und das Lyceum zu Metz, wo er 1917 die Reifeprüfung ablegte. Anschließend war er im Ersten Weltkrieg Soldat in Flandern. Nach Kriegsende fand er in seiner Heimatstadt, die inzwischen wieder französisch geworden war, keine Zuflucht mehr. Er ging nach Bonn und begann im Herbst 1918 sein Studium an der Universität Bonn in den Fächern Indogermanistik, Vergleichende Sprachwissenschaft, Germanistik, Romanistik und Keltologie. Nach Zwischensemestern in München und Leipzig wurde er 1923 mit einer keltologischen Dissertation bei Rudolf Thurneysen, dem Begründer der deutschen Keltologie, in der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn promoviert. 1925 habilitierte er sich dort mit der Schrift Sprache als gesellschaftliche Erkenntnisform (bis 2008 unveröffentlicht). Außerdem hatte er 1923 die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen in den Fächern Deutsch, Französisch und Vergleichende Sprachwissenschaft abgelegt.[1] Seit 1925 arbeitete Weisgerber an der Städtischen Oberrealschule Bonn und zugleich als Privatdozent an der Bonner Universität, wo er 1926 auch die Vertretung der Sprachwissenschaft und die Leitung des Sprachwissenschaftlichen Seminars übernahm. Außerdem war er von 1926 bis 1927 Dozent für Deutschunterricht und Volkskunde an der 1925 gegründeten Pädagogische Akademie Bonn. 1927 erhielt er einen Ruf als Professor für Vergleichende Sprachwissenschaft und Sanskrit an die Universität Rostock. 1936 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.[2] 1938 wurde er von dort auf den Lehrstuhl für Allgemeine und Indogermanische Sprachwissenschaft der Universität Marburg berufen, 1942 wechselte er zur Universität Bonn auf den Lehrstuhl für Keltologie und Allgemeine Sprachwissenschaft. Rufe an die Universitäten Tübingen (1946) und München (1952) lehnte er ab und lehrte bis zu seiner Emeritierung 1967 in Bonn. Zu seinen Schülern gehören Helmut Gipper, Sprachwissenschaftler an den Universitäten Bonn und Münster, und Rudolf Hoberg, (germanistischer) Sprachwissenschaftler an der TU Darmstadt. Neben seiner Universitätstätigkeit übernahm Leo Weisgerber noch eine große Zahl weiterer Aufgaben. In den Jahren 1940 bis 1944 war er im Funkhaus Rennes (Frankreich) zuständig für die Sendungen in bretonischer Sprache, in Bonn war er Mitdirektor des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, er initiierte das Arbeitsvorhaben Sprache und Gemeinschaft im Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in dem er mit vielen Sprachwissenschaftlern aus der Bundesrepublik und der DDR sowie mit ausländischen Kollegen zusammenarbeitete. Er war Mitbegründer des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim und gründete 1950 die Zeitschrift Wirkendes Wort, die bis heute erscheint. Verhältnis zum NationalsozialismusWeisgerbers Verhältnis zum Nationalsozialismus ist Gegenstand wissenschaftshistorischer Kontroversen. Einerseits geriet er aus konfessionellen Gründen in Konflikte, als er sich gegen die von den Nazis betriebene Schließung der katholischen Volksschule in Rostock wehrte, die er selbst mitgegründet hatte. Das Regime wollte ihm untersagen, seine Kinder auf diese Schule zu schicken. 1938 wurde die Schule von den Nazis geschlossen. Nach heftigem Streit, besonders mit dem mecklenburgischen Gauleiter Friedrich Hildebrandt, war Leo Weisgerber froh, von Rostock an die Universität Marburg wechseln zu können. Andererseits arbeitete er seit 1940 direkt mit nationalsozialistischen Institutionen zusammen, als er sich als Mitarbeiter (Sonderführer) der Propaganda-Abteilung des Militärbefehlshabers in Frankreich beteiligte. Er baute in der Bretagne ein bretonischsprachiges Radioprogramm auf und unterstützte im Sinne nationalsozialistischer Frankreichpolitik bretonische Autonomiebestrebungen. 1941 war er an der Gründung des „Keltischen Institutes der Bretagne“ beteiligt. Spätestens seit 1944 arbeitete Weisgerber mit dem Reichssicherheitshauptamt zusammen.[3] Von 1933 bis 1945 finden sich in Weisgerbers Schriften verstärkt auch Anlehnungen an völkische und rassistische Vorstellungen.[4] Weisgerber war aber zu keinem Zeitpunkt Parteimitglied. Nach 1945 wurde er als unbelastet eingestuft und wurde wieder in seine Professur eingesetzt. WirkungWeisgerber wandte sich von der historischen, diachronen Betrachtung der Grammatik ab und ging über zu einer Analyse der gegenwärtigen synchronen Sprache. Während er sich in seiner Habilitationsschrift noch auf Anregungen Ferdinand de Saussures berief, hat er solche Bezüge in späteren Werken zugunsten anderer Autoritäten nicht mehr hergestellt.[5] Seine Betonung der weltbildbestimmenden Rolle der „Muttersprache“ berief sich – nach Ansicht seiner Kritiker zu Unrecht[6] – auf Wilhelm von Humboldt. Der Sprachwissenschaftler Christopher Hutton nannte Weisgerbers sprachwissenschaftlichen Ansatz in seiner Geschichte der deutschen Sprachwissenschaft während der Jahre 1933–1945 „mother-tongue fascism“,[7] während Weisgerber selbst nach 1945 seine sprachwissenschaftlichen Beiträge aus der Zeit des Nationalsozialismus als implizit antirassistischen und antinationalsozialistischen Widerstand verstanden wissen wollte.[8] Zwischen 1945 und 1960 war die von ihm vertretene „energetische Sprachwissenschaft“ die dominierende sprachwissenschaftliche Schule in Deutschland. Seine „inhaltbezogene Grammatik“ dominierte vor allem die Konzeption der frühen Auflagen der „Duden“-Grammatik. Gegen die seit Beginn der 1960er auftretende moderne Linguistik, die an den europäischen Strukturalismus und an die Generative Grammatik anschloss, trat er wiederholt mit scharfer Kritik auf (u. a. in Zweimal Sprache, 1973). Seit dieser Zeit geriet Weisgerbers Werk zunehmend in Vergessenheit und wird in Deutschland nur noch von einigen seiner Schüler fortgesetzt. Seit den 1990er Jahren werden Weisgerbers Thesen über die Bedeutung der Muttersprache für eine Sprachgemeinschaft von russischen Sprachwissenschaftlern häufiger zitiert, bereits zuvor wurde sein Werk in Japan und Korea rezipiert, während es in Westeuropa und den Vereinigten Staaten kein größeres Echo fand. Weisgerber hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des Sprachunterrichts im Fach Deutsch, seine Bedeutung für die Reform der deutschen Orthographie fand in jüngerer Zeit Beachtung.[9] WürdigungFür seine Arbeit wurde Weisgerber mit dem Konrad-Duden-Preis der Stadt Mannheim (1959), dem Ehrendoktorat der Katholischen Universität Leuven (Belgien, 1965) und dem Bundesverdienstkreuz (1975) ausgezeichnet. Nachweise
VeröffentlichungenDie Liste seiner Publikationen umfasst 435 Titel. Darunter sind von besonderer, auch wissenschaftsgeschichtlicher Bedeutung die Bücher:
Literatur
WeblinksCommons: Leo Weisgerber – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Inhaltbezogene Grammatik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Sprachinhaltsforschung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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