Kriegsgräberstätte LudwigsteinDie im Jahr 1961 eingeweihte Kriegsgräberstätte Ludwigstein im nordhessischen Werra-Meißner-Kreis wurde als Sammelgrabstätte für Menschen mit unterschiedlichen Schicksalen angelegt. Die sterblichen Überreste von 294 Wehrmachtsangehörigen, Kriegsgefangenen, Gestapo-Häftlingen, Menschen, die zur Zwangsarbeit gezwungen worden waren, und sogenannten „Displaced Persons“ sind hier beigesetzt. Diese Toten des Zweiten Weltkriegs und der Zeit kurz danach wurden aus verschiedenen Kreisen Nordhessens auf den Friedhof unterhalb der Burg Ludwigstein umgebettet. Eine Tafel am Eingang der Anlage zeigt die Anordnung der Gräber und informiert über die Geschichte der Kriegsgräberstätte.[1] LageDie Kriegsgräberstätte liegt an der Hauptzufahrt zur Burg Ludwigstein. Die schmale Straße wurde 1960 in gemeinsamer Arbeit von amerikanischen, belgischen und deutschen Pionieren, dem Bundesgrenzschutz und zahlreichen Jugendgruppen als „Weg des guten Willens“ neu angelegt.[2] Sie führt nördlich von Oberrieden von der Bundesstraße 27 bergauf zur Burg. Die Burg steht auf einem rund 236 m hohen Berg, der nach Osten, Norden und Westen steil zu der Werraschleife bei Werleshausen abfällt. Sie wurde in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts gegenüber der Burg Hanstein, die auf der anderen Seite der Werra steht, von Landgraf Ludwig I. von Hessen erbaut und sollte die Grenze zu dem damals kurmainzischen Eichsfeld schützen. Im Jahr 1920 erwarb eine Vereinigung aus Angehörigen der Bündischen Jugend den inzwischen weitgehend verfallenen Ludwigstein, um ihn als „lebendiges Ehrenmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Wandervögel“ zu renovieren.[3] Nachdem die Burg als Jugendburg Ludwigstein in eine Stiftung überführt wurde, ist sie als Herbergsbetrieb eine offene Begegnungsstätte für Jugendliche aus aller Welt. In der Burg sammelt und bewahrt das Archiv der deutschen Jugendbewegung Dokumente von den 1890er Jahren bis in die Gegenwart. Der Friedhof gehört administrativ zu der Gemarkung von Werleshausen, einem Ortsteil der Stadt Witzenhausen im Werra-Meißner-Kreis und liegt im Geo-Naturpark Frau-Holle-Land. Naturräumlich wird dieser Bereich im Unteren Werraland der Teileinheit Lindewerra-Werleshäuser Schlingen im Sooden-Allendorfer Werratal zugeordnet, der südlich und östlich in das Soodener Bergland übergeht. Im Westen und Nordwesten grenzen die Teileinheiten Neuseesen-Werleshäuser Höhen und Höheberg an.[4] GräberstätteDie Kriegsgräberstätte wurde Anfang der 1960er Jahre von der hessischen Landesregierung in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt in Witzenhausen und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nach den Plänen von Heinz Dieffenbach angelegt. Die Gräber des Friedhofs sind in Reihen angeordnet, die einen Viertelkreis ergeben. Zwischen ihnen stehen unregelmäßig Gruppen von jeweils drei Kreuzen, die, wie auch das Hochkreuz auf dem höchsten Punkt der Anlage, aus Michelnauer Basaltlavatuff gefertigt sind. Die einheitliche Gestaltung sollte verbergen, dass Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts und mit verschiedenen Lebensläufen hier ihre letzte Ruhe fanden. In den Gräbern liegen 103 Deutsche und 66 Menschen aus anderen Nationen, deren Namen bekannt waren, sowie 125 Unbekannte. Die Toten waren vorher im nordhessischen Raum in Feldgräbern oder zerstreut auf Gemeindefriedhöfen beigesetzt, bevor sie hierher umgebettet wurden.[2] Mit der Überführung auf die Kriegsgräberstätte sollte das fortdauernde, durch Gesetz festgelegte Ruherecht für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gewährleistet werden.[5] Der unmittelbar an der damaligen DDR-Grenze neu geschaffene Kriegsopferfriedhof sollte anfangs nicht nur eine Gräberstätte, sondern außerdem ein „westdeutsches, antikommunistisches Zeichen“ an der innerdeutschen Grenze sein. Bei der Einweihung am 25. August 1961 nahm der damalige hessische Ministerpräsident Georg-August Zinn (1901–1976) Bezug auf die Grenzlage und sagte vor über tausend Zuhörern: „Das deutsche Volk ist missbraucht worden und wehrlos einem Regime ausgeliefert gewesen, wie jetzt die Menschen jenseits der Zone.“[6] Die Gräberstätte unterhalb der Burg wurde in den Jahren des Kalten Krieges zum politischen Platz stilisiert. So symbolisierten auch die beiden getrennt stehenden, rund vier Meter hohen Halbschalentürme des Eingangsbereichs die damalige Teilung Deutschlands. Die nahe Grenze trennte in dieser Zeit nicht nur Lebende voneinander, sondern ebenso die Lebenden von den Toten. Angehörige konnten vor der Grenzöffnung 1989 nur unter schwierigen Umständen die Gräber ihrer Verstorbenen oder Gefallenen hüben oder drüben besuchen. Auf diese Tragik weisen die Zeilen in einem der beiden turmartigen Gemäuer hin: „Kreuz an der Grenze, die Bruder vom Bruder getrennt, Für den Historiker Gunnar Richter war die Friedhofsanlage weniger ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus als vielmehr ein Mahnmal gegen den Kommunismus und letztlich für das Leiden des deutschen Volkes. Die Überführung der Toten diente in erster Linie nicht dem würdigen Gedenken an ihre Schicksale, sondern der Bekräftigung der damals vorherrschenden politischen Linie. Die meisten der überführten ausländischen Opfer stammten aus den östlichen Ländern. Vor allem die Angehörigen der Sowjetunion waren auch wegen ihrer kommunistischen Überzeugung von den Nazis verfolgt und ermordet worden und sollten nun eine Mahnung gegen den Kommunismus und damit gleichermaßen gegen die politische Überzeugung darstellen, wegen derer viele von ihnen zu Tode gequält oder erschossen worden waren.[7] Diese Form des Gedenkens war nicht die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen oder gar der Mittäterschaft der deutschen Bevölkerung, sondern eher eine Art „besinnlicher Trauer“ über das Unmenschliche und Böse schlechthin, das in Form des „NS-Regimes“ nicht nur über das Ausland, sondern genauso über Deutschland hereingebrochen war. Opfer waren in diesem Sinne nicht nur die Menschen der besetzten Länder, sondern auch die Deutschen. Entsprechend dieser Interpretation, dass alle Opfer gewesen seien, wurden auf dem Friedhof die verstorbenen und ermordeten Ausländer gemeinsam mit deutschen Soldaten beerdigt. Das war bereits damals nicht unumstritten. Kurz vor der Einweihung protestierte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gegen die gemeinsame Bestattung von Ermordeten und deutschen Soldaten. Der Grund war die Umbettung von Hinrichtungsopfern aus dem Arbeitserziehungslager Breitenau in Guxhagen, südlich von Kassel. Das Straflager Breitenau war schon am 29. März 1945 aufgelöst und geräumt worden. Im Zellenbau waren nur noch 28 Häftlinge. Ein Erschießungskommando, das aus Kasseler SS-Angehörigen und Gestapoleuten bestand, hat sie auf Befehl des Leiters der Staatspolizeistelle Kassel, Franz Marmon ohne Prozess in den frühen Morgenstunden des 30. März 1945 am Fuldaberg bei Breitenau erschossen. Mithäftlinge mussten vorher eine Grube ausheben und anschließend die Toten mit Erde bedecken. Nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen am 1. April 1945 sorgten ehemalige Mitgefangene aus Polen dafür, dass die ermordeten 16 sowjetischen, 10 französischen und die beiden niederländischen Kriegsgefangenen auf den Anstaltsfriedhof Breitenau umgebettet wurden.[7] Im Juli 1960 wurden die Gebeine der Toten des Lagers und der Erschossenen exhumiert und auf den Friedhof Ludwigstein überführt. Ein von Breitenau umgesetztes Holzkreuz des Künstlers Wilhelm Hugues (1905–1971) mit der Inschrift „Unbekannte Opfer der Gestapo soll an sie erinnern. Aber weder auf den Gräbern noch auf dem Kreuz wird die Ermordung im Lager vermerkt. Es gibt keinen Hinweis auf das Schicksal der Opfer und woher sie stammten. Sie wurden hier unter dem recht allgemeinen Begriff „unbekannte Kriegstote“ beerdigt.[7][8] Die Mehrzahl der hier begrabenen deutschen Soldaten fand in den letzten Kämpfen in der Osterwoche 1945 den Tod. Viele von ihnen waren erst 17 oder 18 Jahre alt. Die meisten der Bestatteten starben jedoch als ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene sowie als Inhaftierte der Gestapo. Unter ihnen sind Häftlinge des Arbeitserziehungslagers Breitenau in Guxhagen sowie Männer und Frauen, die in den Sprengstofffabriken in Hessisch-Lichtenau unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. Von Hessisch Lichtenau wurden 29 polnische Zwangsarbeiter aus einem Sammelgrab umgebettet. Obwohl ihre Namen bekannt waren, konnten sie bei der Exhumierung nicht mehr einzeln identifiziert werden, da sie als zivile Fremdarbeiter keine Erkennungsmarken hatten. Sie ruhen hier als Unbekannte.[7] Forschungs- und BildungsstätteNach Auffassung des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge ist das Gräberfeld der am weitesten entwickelte Lernort in seinem Landesverband Hessen.[9] Ein Schwerpunkt ist das erlebnispädagogische Konzept des „History Caching“, eine Abwandlung des Geocaching, das seit dem Jahr 2012 als festes Bildungsmodul angeboten wird. Es wurde zusammen mit der Jugendbildungsstätte Ludwigstein entwickelt und kann von Schulklassen und Jugendgruppen gebucht werden. Mit GPS-Geräten sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Ludwigsteiner Burgberg Objekte und biographische Spuren aus den Jahren 1944 und 1945 suchen, sie auf dem Friedhof zusammentragen, um sich darüber auszutauschen und Fragen zu klären.[10][11] Mit dieser „pädagogischen Friedensarbeit“ ist die Hoffnung verbunden, Jugendlichen und jungen Erwachsenen frühzeitig die Bedeutung von Kriegsgräberstätten zu vermitteln, sie für Geschichte und Gedenken zu interessieren und für deren Inhalte zu sensibilisieren. Außerdem soll die Einbeziehung heranwachsender Generationen eine Überalterung der Akteure verhindern und eine kontinuierliche Weiterarbeit ermöglichen.[12] In der Vergangenheit hatte sich der Volksbund bemüht, mehr über die Toten zu erfahren. Im Rahmen eines Forschungsprojekts zur historischen Aufarbeitung von ausgewählten Kriegsgräberstätten und mithilfe des Archivs des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen konnten die Lebensläufe einiger der hier begrabenen Menschen rekonstruiert und herausgefunden werden, wie sie starben. Bei der Mehrheit der Toten gelang es nicht. Zu den am Ludwigstein beerdigten Menschen, deren Schicksale auf kleinen Tafeln auf Einzelstelen an den jeweiligen Gräbern dokumentiert werden, gehören:
Literatur
WeblinksCommons: Kriegsgräberstätte Ludwigstein – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
Koordinaten: 51° 19′ 0,8″ N, 9° 54′ 50,5″ O |