Kernkraftwerk Leningrad
Das Kernkraftwerk Leningrad (russisch Ленинградская АЭС [ ]) besteht aus vier Reaktoren vom Typ RBMK mit einer Leistung von je 1.000 MW und liegt 70 km westlich von Sankt Petersburg an einer Bucht des Finnischen Meerbusens. Das Kraftwerk ist auch unter dem Namen der Arbeiterstadt Sosnowy Bor bekannt. In unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerks Leningrad wird das Nachfolgekraftwerk Leningrad II gebaut. Auf dem Gelände steht ebenfalls das verworfene Kernkraftwerk Sosnowy Bor. Die im Kernkraftwerk Leningrad I aktiven Reaktoren des Bautyps RBMK sind in der Lage, kernwaffenfähiges Plutonium zu erzeugen, das auch im laufenden Betrieb entnommen werden kann. Sie sind weitgehend baugleich mit dem Reaktor, dessen Explosion 1986 zur Katastrophe von Tschernobyl geführt hatte.[1] Die ersten beiden Blöcke des Kraftwerks gehören zur ersten Generation, der dritte und vierte Block zur zweiten Generation von RBMK-Reaktoren. RBMK der ersten Generation werden für die gefährlichsten Reaktoren der Welt gehalten. Mit der Stilllegung von Leningrad 1 und 2 in den Jahren 2018 und 2020 war das Kernkraftwerk Kursk das einzige, in dem noch RBMK-Reaktoren der ersten Baureihe betrieben wurden. Der 1986 explodierte Reaktor im Kernkraftwerk Tschernobyl gehörte der zweiten Generation an. GeschichteGeplant wurde die Anlage ab 1967. Die ersten beiden Reaktoren gingen 1973 und 1975 ans Netz und nach einem fast einjährigen Probebetrieb im jeweils folgenden Jahr in den Produktionsbetrieb. Mit Block 1 kam der erste jemals gebaute Reaktor vom Typ RBMK-1000 zum Einsatz. Der dritte und vierte Reaktor wurden 1979 und 1981 ans Netz angeschlossen und gingen jeweils nach einem halben Jahr in den Produktionsbetrieb. Eigentümer und Betreiber des Kernkraftwerkes ist das staatliche Unternehmen Rosenergoatom. Laut der zuständigen Behörde Rosatom ist das Kernkraftwerk auf die Erzeugung von jährlich ca. 28 Milliarden Kilowattstunden Strom ausgelegt. 2004 erzeugte es laut Rosatom 24,279 Milliarden Kilowattstunden. 28 % des erzeugten Stroms werden in die Gegend von Sankt Petersburg geliefert und decken 50 % deren Strombedarfs. 25 % des erzeugten Stroms werden nach Finnland exportiert. 2003 wurden Aufrüstungsarbeiten am Reaktor 1 durchgeführt. Die russische Atomenergiebehörde verlängerte die Betriebserlaubnis der Reaktoren 1 und 2 um 10 bis 15 weitere Jahre.[2] Die Aufrüstung von Block 3 auf MKER-Technik wurde nach einem Jahr Betriebsstopp am 12. Mai 2008 abgeschlossen. Dadurch verlängerte sich die Betriebszeit des Blockes um weitere 20 Jahre.[3] Heute sind die Blöcke 3 und 4 bereits deutlich älter als das für westliche KKW ursprünglich vorgesehene (heute nach einer gründlichen Top to Bottom-Untersuchung und einem strikten Alterungs-Monitoring überschreitbare) Ausserbetriebnahme-Kriterium von 40 Jahren.[4] UmweltschädenLaut russischen Umweltschützern der Organisation Green World haben Kiefern in einem Umkreis von fünf Kilometer von Sosnowy Bor drei Mal häufigere Zellerneuerungen als 30 Kilometer entfernt stehende. Dies sei ein deutliches Zeichen für schlechte Umweltbedingungen. Auch eine Langzeitstudie des Instituts für landwirtschaftliche Radiologie und Agrarökologie hat Schäden am Kiefernbestand um Sosnowy Bor nachgewiesen. Hinzu kommen große Schäden durch das warme Abwasser, welches in die Koporskaja-Bucht im finnischen Meerbusen gepumpt wird. Das warme Wasser bietet eine hervorragende Grundlage für Blaualgen. Hinzu kommt die Belastung durch verrottende Holzspäne, die dem Kühlwasser beigemischt werden, um Undichtigkeiten im Wärmetauscher abzudichten.[5] Störfälle und GefahrenBereits im ersten Betriebsjahr ereignete sich am 6. Februar 1974 der erste Unfall. Im Block 1 brach der Wärmetauscher aufgrund siedenden Wassers. Radioaktives Wasser aus dem Primärkreislauf wurde zusammen mit hochradioaktivem Filterschlamm in die Umwelt freigesetzt. Drei Menschen starben an den Folgen der Verbrennungen durch siedendes Wasser. (INES: 4–5)[6] Bald darauf ereignete sich im Oktober 1975 der nächste Unfall in Block 1 des Kraftwerks. Mehrere Brennelemente schmolzen und der Reaktorkern wurde teilweise zerstört; die Moderatorblöcke aus Graphit fingen jedoch kein Feuer. Der Feuergefahr wurde wie beim Windscale-Brand zu begegnen versucht, indem eine Notreserve Stickstoff durch den Reaktorkern hindurchgepumpt und anschließend zusammen mit den aus den beschädigten Brennelementen entwichenen ca. 1,5 Megacurie (55 PBq) an gasförmigen Spaltprodukten durch den Abluftschornstein abgeblasen wurde. (INES: 4–5)[6] Diese Häufung von Unfällen in der frühen Betriebsphase wird in Fachkreisen auf den Druck der politischen Führung zurückgeführt, einige Vorzeige-Kernkraftanlagen ohne Rücksicht auf die noch nicht vollständige Fertigstellung zum planmäßigen Termin in Betrieb zu nehmen. Vom technisch verwandten Block 1 des Kernkraftwerks Ignalina in Litauen, ebenfalls ein Prestigeprojekt der ehemaligen Sowjetunion, ist beispielsweise im Rahmen der Beitrittsverhandlungen Litauens zur EU aktenkundig bekannt geworden, dass er in Betrieb genommen wurde, obwohl erst ein Teil der Sicherheitseinrichtungen betriebsfähig war. 1992 brach eine Brennstoffröhre im dritten Block des Kernkraftwerks Leningrad. Die daraus entstandene radioaktive Wolke trieb zunächst nach Finnland, dann zurück und bis nach Zentralrussland. Spätestens seit diesem Vorfall wird davon ausgegangen, dass der Kiefernwald um das Kernkraftwerk verseucht ist.[7] Am 15. Dezember 2005 morgens um 3:00 Uhr explodierte einer der Schmelzöfen einer unter fragwürdigen Umständen auf dem Kraftwerksgelände errichteten Metallhütte, in der leicht radioaktive Metallabfälle aus dem Kernkraftwerk wiederverwertet werden. Radioaktivität wurde außerhalb des Anlagengeländes nicht freigesetzt, jedoch wurden durch den Metallauswurf mindestens drei Arbeiter verletzt, von denen mindestens einer an seinen Verletzungen starb. Als Grund für den Unfall wurden Verstöße gegen die Unfallschutzbestimmungen angegeben. Die Niederlassungen der norwegischen Umweltschutzorganisation Bellona sowie von Greenpeace in Sankt Petersburg weisen bereits seit Jahren auf die Gefahr hin, die eine faktisch ohne Genehmigungsverfahren errichtete Metallhütte in unmittelbarer Nähe eines Kernkraftwerks erzeugt. Der Reaktor 2 war zum Zeitpunkt des Unfalls bereits fast ein halbes Jahr auf Grund einer Generalreparatur heruntergefahren.[8] Am 15. August 2006 wurde der erste Reaktorblock wegen eines Kurzschlusses automatisch vom Netz genommen und heruntergefahren. Am 28. Oktober 2006 kam es aufgrund markanten Wetters zu einer automatischen Abschaltung des zweiten Blocks. Grund dafür war ein Kurzschluss um 6:58 Uhr in dem 330-kV-Netz, in das Turbogenerator Nummer 4 einspeist. Um 7:15 Uhr kam es zum Stopp des Turbogenerators Nummer 3. Daher musste der ganze Block 2 abgeschaltet werden.[9] Nach dem Abschluss der Aufrüstung von Block 3 am 12. Mai kam es am 15. Mai 2008 zur automatischen Abschaltung nach einem Fehler im System. Der Reaktor soll nach der Fehlerbeseitigung wieder angefahren werden. In den Nachrichten wurde eine Falschmeldung verbreitet, nach welcher der Block 3 des Kraftwerkes explodiert sei. Diese beruhte auf Angaben von Hackern, die Manipulationen an der Rosatom-Homepage vorgenommen hatten. Die Hacker schrieben eine Pressemitteilung, in der es hieß, dass der Block 3 des Kraftwerkes explodiert sei und dass die Umgebung auf eine Evakuierung vorbereitet würde. Am 20. Mai kamen auf Grund dieser Falschmeldung viele Reporter zu dem Kraftwerk. Die Norm von 0,13 mSv/h wurde nicht überstiegen. Kurz nach der Falschmeldung der Medien wurde vom Katastrophenschutz eine Pressemitteilung ausgegeben, dass es sich um eine Falschmeldung handelte. Die Verantwortlichen wurden ermittelt und festgenommen, da sie den Raum Sankt Petersburg in Panik versetzt hatten.[10][11] Durch einen Sturm gelangte am 2. Oktober 2015 eine größere Menge Seetang in den Kühlkreislauf von Block 3, der daraufhin heruntergefahren werden musste. Dies führte zu einem dreitägigen Ausfall des Reaktorblocks, der nach dem manuellen Entfernen des Seetangs am 5. Oktober 2015 wiederangefahren werden konnte.[12] Im Dezember 2015 musste das Kraftwerk manuell heruntergefahren werden, nachdem eine Rohrleitung geplatzt war und Dampf in die Umwelt abgegeben wurde. Unklar ist, ob der Dampf radioaktiv belastet war, da das Kraftwerk nur einen Wasserkreislauf hat. Vom Betreiber wurde dementiert, dass der Dampf belastet gewesen sei, auch seien keine den Grenzwert überschreitenden Werte gemessen worden.[13] Das Kraftwerk mit gleichartiger Technologie wie in Tschernobyl sorgt vor allem in Finnland für einige Besorgnis (siehe etwa den Störfall von 1992). In rund 200 km Entfernung liegt finnisches Gebiet. Wäre die Tschernobyl-Wolke hier entwichen, zum Teil nach West-Nordwesten abgedriftet und teils über diesem Gebiet ausgeregnet (Wash-out), so wäre die Kontamination ca. gleich hoch gewesen wie in der 1986 stark getroffenen belarussischen Region nördlich von Gomel[14]. Leningrad IIDas Kernkraftwerk Leningrad II soll das alte Kraftwerk ablösen. Im Mai 2006 legte der Chef der russischen Atomenergieagentur Rosatom Pläne für einen Neubau mit sechs Reaktorblöcken vor. Diese sollen einerseits bis spätestens 2019[veraltet] die derzeitigen vier Blöcke ersetzen, andererseits den wachsenden Energiebedarf des Raums Sankt Petersburg standhalten. Geplant sind sechs Druckwasserreaktoren vom Typ WWER-1160. Jeder Block soll eine Leistung von 1160 MW haben. Die Bauarbeiten haben am 30. August 2007 begonnen. Der WWER-1160 wird der erste seiner Art sein und darauf wird wahrscheinlich eine Baureihe folgen. Der WWER-1160 basiert auf Erfahrungen während des Baus der Reaktoren in Tianwan und Kudankulam. Die Ausschreibung zum Bau des neuen Kraftwerkes am 28. Februar hat Atomstroiexport gewonnen. Die Kosten sollen rund 135 Milliarden Rubel betragen. Die Inbetriebnahme des ersten Blocks sollte laut Rosatom 2013 erfolgen.[2][15], erfolgte aber effektiv erst im März 2018. Am 29. Oktober 2018 ging Leningrad II-1 in den kommerziellen Betrieb, dafür wurde am 22. Dezember 2018 Leningrad I-1 stillgelegt.[16] Am 22. Oktober 2020 ging Leningrad II-2 ans Netz, dafür wurde am 10. November 2020 Leningrad I-2 stillgelegt.[17] Daten der ReaktorblöckeDas Kernkraftwerk Leningrad hat vier Blöcke:
Siehe auchQuellen
WeblinksCommons: Kernkraftwerk Leningrad – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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