Borowskys Vorfahren stammen aus Riga, Lettland. Borowsky sollte ursprünglich die Buchhandlung seines Vaters in Riga übernehmen. Durch den Zweiten Weltkrieg wurden seine Eltern im Zuge der unfreiwilligen Umsiedlung der Baltendeutschen in das besetzte Polen verschlagen, weshalb er seine frühe Kindheit in Posen verlebte. Der Vater fiel 1944 auf dem Balkan. Auf der Flucht gegen Kriegsende aus Posen nach Berlin kam sein Bruder ums Leben. Über Umwege gelangten Kay Borowsky und seine Mutter schließlich nach Nagold, wo er seine Jugend verbrachte.
Nach dem Studium der Romanistik, Slawistik und Germanistik, das er 1973 mit einer Promotion abschloss (Boris Pasternaks Auffassung vom Wesen der Dichtung und von der Aufgabe des Dichters), arbeitete Kay Borowsky in Tübinger Buchhandlungen, unter anderem bei Gastl und Heckenhauer. Letztlich ergriff er damit den Beruf, den er nach dem Willen seines Vaters in Riga hätte ausüben sollen. Während des Studiums begann er zu schreiben. Kriminalromane wie Schnee fällt auf die Hüte (1983) oder Dauerlauf am Abend (1988) zeichnet die genaue Darstellung von Details aus.
Während seines Studiums veröffentlichte Borowsky neben Prosa auch Lyrik und Aphorismen. Der Lyrikband Dem Morgen entgegen ist 2010 in Frankreich zweisprachig erschienen.
Kay Borowsky variiert das literarische Erbe spielerisch, statt vor ihm zu erstarren. Dabei beerbt er nicht nur die eigenen, deutschsprachigen Autoren-Väter und -Vorväter, sondern greift Ideen und Bilder auf, um sie seinem geistigen Besitz anzueignen, deren Urhebern er sich geistesverwandt fühlt, unabhängig davon, wo und wann sie gelebt haben.
In Tübingen-Texten wie in den „Wanderungen in Tübingen und Europa“ (2005) oder in den Prosa-Miniaturen Vorsichtig, vorsichtig (1996) ironisiert er seinen Wohnort. Dort schreibt er beispielsweise über das „Wiener Gässle“, es sei „die wichtigste Straße von Tübingen, sie stellt die Verbindung zwischen dem Rathaus und der Alten Aula her und gibt der Stadt einen weltstädtischen Charakter“.
Wirkung
„Der Tübinger ‚macht‘ selbst die eigenen Gedichte sehr viel weniger als dass er sie vielmehr findet, aufspürt, vielleicht auch abschmeckt. Er lässt sich von ihnen leiten, auch beeindrucken, wie von Naturerscheinungen“, urteilte über den Lyrikband Dem Morgen entgegen ein Rezensent des Schwäbischen Tagblatts.[1]
Anlässlich der zweisprachigen Ausgabe des Werks stellte Michel Passelergue in der international renommierten französischen Zeitschrift Europe – revue littéraire mensuelle fest: „Unablässiges Durchdringen der sinnlichen Wirklichkeit und des Wortmaterials bereichert die Poesie Borowkys mit frischen, oft unerwarteten Bildern.“[2]
Vermittlerleistung
Kay Borowskys Interesse an bibliophilen und literarischen Raritäten sowie die Liebe zu den Literaturen der Nachbarländer reicht weit über den engen nationalen Tellerrand hinaus und erklärt sich nicht zuletzt aus seiner Biographie: Bei ihm verbinden sich Respekt vor anderer Kultur und fremden geistigen Leistungen mit der Neigung des auch erblich vorbelasteten Buchhändlers zum gedruckten Wort. Als vielfach gefragter und hoch geachteter Übersetzer – sowohl für namhafte Verlage als auch für Printmedien wie die Neue Zürcher Zeitung – trägt er dazu bei, durch geistigen Austausch Brücken zu schlagen zwischen Nationen, die sich noch in den Weltkriegen feindlich gegenüberstanden.
Werke
Selbständig erschienene Werke
Kunst und Leben. Die Ästhetik Boris Pasternaks. (Diss.) Olms, Hildesheim 1976, ISBN 3-487-06007-8
Alphörner sind in die Stadt gekommen. Kurzprosa, Texte-Verlag, Tübingen 1978 (Edition Texte), ISBN 3-88213-007-5
Goethe liebte das Seilhüpfen. Eine sehr vertrackte Literaturgeschichte der Eigenarten von Goethe bis Handke. Texte-Verlag, Tübingen 1980 (Edition Texte), ISBN 3-88213-019-9
Landschaften fürs Ohr. Gedichte. Mit vier Radierungen von Jörg Neuner, Texte-Verlag, Tübingen 1982 (Edition Texte), ISBN 3-88213-022-9
Und schon geht sie auf die Reise. Annas erstes Lebensjahr. 72 Gedichte mit 24 Scherenschnitten von Lotte Reiniger, Heliopolis, Tübingen 1982, ISBN 3-87324-053-X
Schnee fällt auf die Hüte. Kriminalroman, Narr-Verlag, Tübingen 1983, ISBN 3-87808-192-8
Guter Mond, du gehst so stille. Kriminalroman, Narr-Verlag, Tübingen 1984, ISBN 3-87808-201-0
Schatten am Fluß. Kriminalroman, Narr-Verlag, Tübingen 1984, ISBN 3-87808-311-4
Ein bißchen Lachen kann nicht schaden. Tödliche Geschichten, Narr-Verlag, Tübingen 1985, ISBN 3-87808-444-7
Die Hinfälligkeit des Todes. Gedichte. Mit 12 Pinselzeichnungen von Maxime Alexandre, Heliopolis-Verlag, Tübingen 1985, ISBN 3-87324-058-0
Über die Liebe und andere Gegenstände. Neue Gedichte. Mit Linolschnitten von Wolfram Wenig. Aldus-Presse, Reicheneck 1996, ISBN 3-87324-085-8
Vorsichtig, vorsichtig. Geschichten. Illustriert von Wolfram Wenig. Wortberg-Verlag, Tübingen 1996, ISBN 3-929191-05-9
Initiales. Gedichte. Mit Linolschnitten von Wolfram Wenig. Wortberg-Verlag, Dettenhausen 1999
Les mots chemins. Wortwege. Gedichte, deutsch/französisch. Les éditions Gaspard Nocturne, Romans-sur-Isère 2001, ISBN 2-914156-06-5
Alter statt Friedhof. Grabinschriften. Wortberg-Verlag, Tübingen 2001, ISBN 3-929191-08-3
Medizynika. Arzney & Poesie. Gedichte. Mit Linolschnitten von Wolfram Wenig. Wortberg-Verlag, Tübingen 2003, ISBN 3-929191-09-1
In Tübingen und drumherum. Mit Kay Borowsky auf Tour durchs Ländle. Attempto-Verlag, Tübingen 2003, ISBN 3-89308-364-2
Amselarien. Zum Jahr des Zaunkönigs: Das Buch zum Vogel. Gedichte. Mit Linolschnitten von Wolfgang Wenig. Wortberg-Verlag, Tübingen 2003, ISBN 3-929191-09-1
Wanderungen in Tübingen und Europa. Attempto-Verlag, Tübingen 2005, ISBN 3-89308-376-6
Worthäuser. Gedichte. Gestaltung: Wolfram Wenig. Wortbergverlag, Tübingen 2009, ISBN 978-3-929191-11-0
dem Morgen entgegen – à la rencontre du matin. Gedichte, deutsch/französisch. Traduction française Marie-Paule Richard avec deux triptyques de René Schlosser. Atelier du Hanneton 2010
Pariser Traum. Gedichte von Nerval, Baudelaire, Mallarmé, Verlaine und Rimbaud in neuen Übersetzungen. Heliopolis, Tübingen 1984 (zweisprachig), ISBN 3-87324-054-8
(Mitübersetzer) Alexander Puschkin: Ein Denkmal schuf ich mir. Ausgewählte Gedichte. Narr-Verlag, Tübingen 1983 (Das russische Gedicht), ISBN 3-87808-190-1
Lew Druskin: Am Abend ging ich fort. 25 Gedichte. Narr-Verlag, Tübingen 1984 (zweisprachig), ISBN 3-87808-199-5
Maxime Alexandre: Memoiren eines Surrealisten. Mit einem Flugblatt zur ‚Affäre Aragon‘ und Auszügen aus dem Tagebuch. Ergänzt durch die Chronik des französischen Surrealismus von Volker Schröder. Mit einem Foto von Man Ray, Zeichnungen von Hans Arp und M. Alexandre. Heliopolis, Tübingen 1987, ISBN 3-87324-061-0
Charles Juliet: Jahr des Erwachens. Roman. Heliopolis, Tübingen 1990, ISBN 3-87324-085-8
Georgij Iwanow: Gedichte. Mit einer Lithographie von Michael Gompf. Aldus-Presse, Reicheneck 1990. (zweisprachig)
(Mitübersetzer) Boris Pasternak: Ljuvers Kindheit. Erzählung. Briefe. Gedichte. Oberbaum-Verlag, Berlin 1990 (Übersetzung der Gedichte, zweisprachig), ISBN 3-926409-28-2
Russische Lyrik im 20. Jahrhundert. Mit 23 Porträtzeichnungen von Wolfram Wenig. Heliopolis, Tübingen 1991, ISBN 3-87324-094-7, ISBN 3-87324-095-5
Aleksandr Kušner: Die Zeit ist unsre Haut. Gedichte. Mit einer Porträtzeichnung von Wolfram Wenig. Hölderlin-Gesellschaft, Tübingen 1990 (zweisprachig)
(Mitübersetzer) Anna Achmatowa: Briefe, Aufsätze, Fotos. Hrsg. v. Siegfried Heinrichs. Oberbaum-Verlag, Berlin 1991, ISBN 3-926409-60-6
Edgar Allan Poe: Der Rabe. Mit 4 Linolstichen von Zbigniew Dolatowski. Aldus-Presse, Reicheneck 1992 (zweisprachig)
Andrej Platonow: Das Volk Dshan. Der Takyr. Die Baugrube. Erzählungen, Briefe, Fotos, Dokumente. Hrsg. v. Siegfried Heinrichs. Oberbaum-Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-926409-79-7
(Mitübersetzer) Ossip Mandelstam: Wie ein Lied aus Palästina. Gedichte, Briefe, Dokumente. Hrsg. v. Siegfried Heinrichs. (Übersetzung der Gedichte und Dokumente) Oberbaum-Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-926409-53-3
(mit Marlene Milack) Andrej Platonow: Erzählungen. Reclam-Verlag, Stuttgart 1993, ISBN 3-15-008767-8
Edgar Allan Poe: Die Maske des Roten Todes und andere Geschichten. München, Martus-Verlag 1995, ISBN 3-928606-16-6
(Mitübersetzer) Warlam Schalamow: Ankerplatz der Hölle. Erzählungen. Gedichte. Briefe. Fotos. (Übersetzung der Gedichte, Briefe und Essays). Oberbaum-Verlag, Berlin 1997, ISBN 978-3-926409-80-5
Iwan Bunin: Nur die Trauer tröstet ganz. Gedichte. Attempto-Verlag, Tübingen 1997 (Lyrik im Hölderlinturm) (zweisprachig), ISBN 3-89308-257-3
(Mitübersetzer) Anna Achmatowa: Poem ohne Held. (Übersetzung der Erinnerungen an Anna Achmatowa.) Oberbaum-Verlag, Chemnitz u. a. 1997, ISBN 3-926409-40-1
Bei mir in Moskau leuchten die Kuppeln. Eine Stadt im Spiegel ihrer Gedichte. Staudacher-Verlag, Stuttgart 1997 (zweisprachig), ISBN 3-928213-06-7
Alexander Puschkin: Gedichte. Reclam-Verlag, Stuttgart 1998 (zweisprachig), ISBN 3-15-003731-X
Alexander Puschkin: Der steinerne Gast. Reclam-Verlag, Stuttgart 1999 (zweisprachig), ISBN 3-15-000428-4
Fjodor M. Dostojewskij: Weiße Nächte. Martus-Verlag, München 1999, ISBN 3-928606-25-5
Michail Lermontow: Gedichte. Reclam-Verlag, Stuttgart 2000 (zweisprachig), ISBN 3-15-003051-X
Alexander Puschkin: Das Märchen vom Zaren Saltan und seinem Sohn, dem berühmten und mächtigen Heldenfürsten Gwidon Saltanowitsch, und der wunderschönen Schwanenprinzessin. Reclam-Verlag, Stuttgart 2001 (zweisprachig), ISBN 3-15-018126-7
Sinaida Hippius: Verschiedener Glanz. Gedichte, Briefe an Nina Berberowa und Wladislaw Chodassewitsch, Fotos, Dokumente (Übersetzer der Gedichte) Oberbaum-Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-928254-11-1
Anna Achmatowa: Der Abend. Gedichte. Staudacher-Verlag, Horb-Rexingen 2003, ISBN 3-928213-12-1
(Mitübersetzer) Anton Tschechow: Erzählungen in 4 Bänden. Artemis und Winkler-Verlag, Düsseldorf 2003–2004
Charles Baudelaire: Le spleen de Paris / Pariser Spleen. Petits poèmes en prose / Kleine Gedichte in Prosa. Reclam-Verlag, Stuttgart 2008 (zweisprachig), ISBN 978-3-15-018556-8
(mit Barbara Heitkamp) Warlam Schalamov: Ankerplatz der Hölle. Erzählungen, Gedichte, Briefe, Fotos. Oberbaum-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-926409-80-5
Anna Achmatowa: Liebesgedichte. Herausgegeben von Ulla Hahn, Auswahl und Übersetzung aus dem Russischen von Kay Borowsky, Nachwort von Elisabeth Cheauré. Reclam-Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-15-010845-1
Herausgebertätigkeit
Und nun ist das Wort aus Stein gefallen. Russische Frauenyrik im 20. Jahrhundert. S. Fischer-Verlag, Frankfurt a. M. 1993 (Fischer-Taschenbuch Nr. 11622) (zweisprachig, Übersetzung vom Herausgeber), ISBN 3-596-11622-8
(mit Ludolf Müller) Russische Lyrik. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Reclam, Stuttgart 1983 (zweisprachig); 5., erweiterte Auflage 1998, ISBN 3-15-007994-2
Fünfzig russische Gedichte. Reclam-Verlag, Stuttgart 2001 (zweisprachig, Übersetzung vom Herausgeber), ISBN 3-15-018110-0
(mit Barbara Werner) Tübingen im Gedicht. „und stochern weiter durchs Aquarell“. Edition J. J. Heckenhauer, Tübingen 2003, ISBN 3-9806079-3-3
Einzelnachweise
↑Wilhelm Triebold: Im Worthimmel. Neue zweisprachige Gedichte von Kay Borowsky. In: Schwäbisches Tagblatt, 19. Oktober 2010.
↑Michel Passelergue: Kay Borowsky, À la rencontre du matin / Dem Morgen entgegen [Rezension]. In: Europe No. 979-980, November/Dezember 2010.