Jenseits der Mauer des SchlafesJenseits der Mauer des Schlafes (englischer Originaltitel Beyond the Wall of Sleep) ist eine Kurzgeschichte des amerikanischen Schriftstellers H. P. Lovecraft aus dem Jahr 1919. Es handelt sich um eine der ersten veröffentlichten Kurzgeschichten des später für seine Horrorgeschichten bekannten Lovecraft, zugleich wird sie als seine früheste Science-Fiction-Geschichte betrachtet. Sie handelt von einem augenscheinlich verrückten Mann aus den Catskill Mountains, der nach einem Mord in eine Nervenheilanstalt eingeliefert wird. Der Erzähler, ein Assistenzarzt der Anstalt, versucht, der Ursache der Verrücktheit auf den Grund zu kommen. Während der Mann schläft, tritt der Arzt deshalb mit einem kosmischen Wesen in Kontakt, das im Körper des Patienten gefangen ist und auf Rache an dem Dämonenstern Algol sinnt. InhaltJenseits der Mauer des Schlafes handelt von einem Mann namens Slater (bzw. Slaader) aus den Catskill Mountains, der nach einem Anfall und einem brutalen Mord an einem anderen Menschen im Jahr 1900 in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wird. Slater wird als verrückt und gefährlich dargestellt. Er wird zeitweilig von einer unmenschlichen Kraft besessen, plaudert über jenseitige Ebenen und einen Gegner aus den Sternen, an dem er sich zu rächen sucht. Während einer dieser Episoden, bei denen das fremde Wesen die Kontrolle über ihn übernimmt, tötet Slater einen Nachbarn und wird nach der Verhaftung in die Klinik eingeliefert. Bei der Einlieferung wirkt er ruhig, dümmlich und teilnahmslos; wenige Tage später bekommt er einen Tobsuchtsanfall und muss beruhigt werden. Während seiner Raserei „plapperte er in seinem Hinterwäldlerdialekt von großen Gebäuden aus Licht, Ozeanen voller Sterne, seltsamer Musik und schattigen Bergen und Tälern.“ Zusätzlich beschrieb er ein „geheimnisvoll strahlendes Wesen […], das zitterte und lachte und ihn verhöhnte.“ Er wolle „durch Abgründe der Leere emporschweben und jedes Hindernis niederbrennen, das sich ihm in den Weg stellte“, um das Wesen zu töten.[2] Die Geschichte ist aus der Ich-Perspektive eines Assistenzarztes der Klinik geschrieben, der hinter der offenkundigen Verrücktheit Slaters und dessen Träumen und Phantasien ein tiefer verborgenes Geheimnis vermutet. Der junge Mediziner vertritt die Ansicht, dass Traumgebilde auf messbaren Schwingungen beruhen, und hat deshalb schon vor Längerem Apparate konstruiert, um diese zu messen, seine Versuche jedoch letztlich aufgegeben. Aufgrund des aktuellen Falles reaktiviert er eines seiner „kosmischen Radios“, um sich Zugang zu Slaters Geist zu verschaffen. Nach mehreren Versuchen gelingt es ihm, telepathisch mit dem Wesen in Slater zu kommunizieren. So erfährt er, dass Slater von einem überirdischen und zeitlosen Wesen übernommen wurde und dieses in ihm gefangen war. Während der Kommunikation stirbt Slater, und das Wesen in ihm kann aus dem Körper ausbrechen:
Das Wesen teilt ihm mit, dass es auf Rache an dem Stern Algol sinnt und diese erst nach dem Tod Slaters vollführen kann:
Die Geschichte endet offen mit einem Zitat aus dem Werk von Garrett P. Serviss, dass Astronomen das Entstehen eines neuen Sterns, der Nova Persei am 22. Februar 1901, in der Nähe von Algol beobachtet haben:[4][3]
Entstehung und VeröffentlichungenNach Angaben von Sunand T. Joshi und David E. Schultz wurde die Geschichte vor allem durch einen Artikel der New York Tribune vom 27. April 1919 mit dem Titel How Our State Police Have Spurred Their Way to Fame inspiriert, in dem eine Familie als „Die Slaters“ bezeichnet und als Beispiel für das dekadente Elend der Bergbewohner beschrieben wurde. Lovecraft kombinierte die Geschichte mit Eindrücken, die er aus dem astronomischen Werk Astronomy with the Naked Eye von Garrett P. Serviss gewonnen hatte, das zu seiner Bibliothek gehörte und das Datum erklärt. Serviss beschrieb darin unter anderen die Nova Persei von 1901, die auch am Ende der Geschichte erwähnt wird. Die Nova war ein wichtiges astronomisches Ereignis, da vergleichbare Erscheinungen wie die Supernovae von 1054 und 1572 sehr lange zurücklagen, und erschien kurz vor dem Beginn von Lovecrafts Interesse für das Fach.[5] Die Kurzgeschichte Beyond the Wall of Sleep erschien zum ersten Mal als Beitrag in der von John Clinton Pryor herausgegebenen Amateur-Zeitschrift Pine Cones, Ausgabe 6, im Oktober 1919. Im Oktober 1934 wurde sie in Fantasy Fan veröffentlicht und im März 1938 erschien sie erneut in Weird Tales.[4] In der Fassung im Fantasy Fan von 1934 wurde ein Einschub „Freud to the contrary with his puerile symbolism“ („Freuds kindischem Symbolismus zum Trotz“) ergänzt, der sich auf die sexuelle Deutung vieler Träume durch Sigmund Freud bezieht. Dieser wurde auch in der Weird Tales und in späteren Ausgaben übernommen, obwohl er im Original nicht vorhanden war.[2] In den meisten Versionen wird das Werk durch eine Zeile aus Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare eingeleitet:[2]
– Shakespeare (Ein Sommernachtstraum, 4 Akt, 1. Szene)[2] In Weird Tales wurde sie eingeleitet mit dem Anreißer:
– Übersetzung nach Klinger 2017[2] 1943 wurde die Geschichte in dem Sammelband Beyond the Wall of Sleep des Verlages Arkham House aufgenommen, danach erschien sie mehrfach in weiteren Sammelbänden mit Lovecraft-Texten. 2014 wurde die Geschichte in die Sammlung The New Annotated H.P. Lovecraft von Leslie S. Klinger aufgenommen, 2017 erschien sie auch in der ins Deutsche übersetzten Version H.P. Lovecraft – Das Werk in einer neuen Übersetzung von Andreas Fliedner und Alexander Pechmann. Interpretation und RezeptionInterpretationJoshi und Schultz stellen heraus, dass es keine inhaltlichen Überschneidungen mit Beyond the Wall von Ambrose Bierce gibt, da es sich bei letzterer um eine konventionelle Geistergeschichte handelt. Ein Einfluss könnte durch die Geschichte Before Adam von Jack London bestanden haben, es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass Lovecraft diese gelesen hatte. In Londons Geschichte geht es um einen Mann, der Träume von einem Vorfahren aus früheren Zeiten hat, und der sich äußert mit dem Satz „Nor … did any of my human kind ever break through the wall of my sleep“. Laut Joshi und Schultz gibt es weitere Parallelen in den Geschichten. Sie sehen Lovecrafts Geschichte als spiegelbildlich zu Before Adam an.[4] Für S. T. Joshi präsentiert die Kurzgeschichte einige „wirkungsvolle Ideen“, leidet hingegen an der stellenweise unübersichtlichen Handlungsführung, dem preziösen Stil und dem selbstgefälligen Standesbewusstsein des Autors.[6] Er weist darauf hin, dass Lovecraft die Berglandschaft nicht aus eigener Anschauung kannte und vermutlich durch den Amateurdichter Jonathan E. Hoag auf sie aufmerksam gemacht wurde, der im Bundesstaat New York lebte und den er seit etwa 1916 kannte. Joshi vermutet, dass Lovecraft die ihm unbekannte Region als Schauplatz wählte, um sein gesellschaftliches Überlegenheitsgefühl den degenerierten „Hinterwäldlern“ gegenüber zum Ausdruck bringen zu können. Seltsam ist für ihn auch, dass Lovecraft eine Erklärung für unnötig hielt, warum die Wesenheit ausgerechnet den Körper Slaters wählte. Andererseits schätze er das Werk dafür, dass es Motive späterer Arbeiten vorwegnahm. Anders als Dagon enthalte es „kosmische“ Elemente, indem das Universum den Hintergrund einer Geschichte bilde, die sich zunächst um ein schlichtes Verbrechen drehe. Das Motiv des Traums verbinde sie mit anderen frühen Werken wie Polaris und The Tomb.[7] Laut Leslie S. Klinger handelt es sich bei der Geschichte um „reine Science-Fiction, geschrieben bevor dieses Genre existierte.“ Den Mittelpunkt bildet die technische Erklärung der Übertragung von Gehirnwellen und die Schilderung eines Ereignisses, das anhand astronomischer Daten nachprüfbar ist.[2] Nach seiner Ansicht „versucht Lovecraft hier zum ersten Mal die Idee der Gedankenübertragung auszuloten, der er später in Der Flüsterer im Dunkeln und Der Schatten aus der Zeit tiefgründiger nachgehen wird.“[2] Demnach verfolgt er „eine Idee, die die Tür zu Reisen durch Raum und Zeit auf eine Art öffnete, die man sich vorher nicht vorstellen konnte.“[2] Zudem enthüllt diese Erzählung auch nach Klingers Ansicht „nicht zuletzt Lovecrafts tiefverwurzelte Abneigung gegen Menschen, die keinen makellosen neuenglischen Stammbaum besaßen.“[2] Dabei bezieht er sich auf die Beschreibung des Joe Slater aus den Catskill Mountains, der in der Geschichte als typischer Bewohner dieses Landstrichs geschrieben wird:
Generell galten zur Zeit der Entstehung der Geschichte Menschen aus den Catskill Mountains für die Bewohner der Städte als rückständig und ungebildet. Klinger führt für dieses Vorurteil zum einen Artikel aus den Catskill Mountain News auf, der den Fall einer Familie beschreibt, die für das Töten eines Fuchses in ihrem Hühnerstall zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, und einen weiteren über die New York State Troopers, in dem die Bewohner der Region ähnlich beschrieben wurden wie von Lovecraft: „Die Catskills und ihre Ausläufer, deren Täler ein Volk beherbergen, das so gesetzlos und verkommen ist wie das der Hochländer im Süden und der Adirondacks, deren Bewohner seit Jahren eine herzliche Abneigung gegen alle von Menschen erlassenen Gesetze hegen.“ In einem Ort namens Polly Hollow, in dem „viele Familien Slater (sprich Slaater) heißen“, könne nach diesem Artikel „keiner der Einwohner lesen oder schreiben“ und sie werden als „verkommen“ beschrieben.[8] Klinger schreibt weiter, dass es diese White-Trash-Bevölkerung nie gegeben habe. Nach seinen Angaben konnten nach einer Volkszählung von 1910 nur 1,6 % der einheimischen weißen Landbevölkerung nicht lesen und der Anteil der Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren, die eine Schule besuchten, lag mit 41,3 % auf dem Land sogar höher als der Anteil von 34 % in der Stadt.[8] Technische und astronomische InhalteLovecraft beschäftigt sich in seiner Geschichte sowohl mit technisch-medizinischen Inhalten zur Elektrophysiologie wie auch mit der Messung und Interpretation von Gehirnwellen während der Traumphase des Patienten. In der Geschichte nutzt der Protagonist ein umgebautes Radiogerät, um Kontakt mit dem Unterbewusstsein des Patienten aufzunehmen und Gehirnwellen zu empfangen. Zu dem Zeitpunkt, in dem die Geschichte angesiedelt wurde (1900 bis 1901) war die elektrische Aktivität des Gehirns noch weitgehend unerforscht, und auch zum Zeitpunkt der Entstehung um 1919 war sie nur teilweise erforscht. Die ersten Beschreibungen elektrischer Veränderungen im Gehirn stammten von dem britischen Physiologen Richard Caton aus dem Jahr 1875. Adolf Beck beschrieb 1890 Oszillationsmuster in der Aktivität von Tiergehirnen. Radiowellen, die der Erzähler mit Gehirnwellen vergleicht, wurden von James Clerk Maxwell 1865 postuliert, jedoch erst 1887 von Heinrich Hertz im Labor nachgewiesen.[9] Auch bei der Beschreibung astronomischer Inhalte nutzte Lovecraft wissenschaftliche Literatur der Gegenwart und baute diese in seine Erzählung ein. Wie bereits dargestellt, nutzte er das Buch Astronomy with the Naked Eye von Garrett P. Serviss und zitierte dieses auch am Ende der Geschichte. Klinger weist in seiner Kommentierung darauf hin, dass der neue Stern, wenn er 1901 zum ersten Mal gesehen werden konnte, nicht im gleichen Jahr entstanden sein kann. Da Algol 93 Lichtjahre von der Erde entfernt ist, muss ein Stern in dessen Nähe entsprechend 89 Jahre vor seiner Sichtung entstanden sein, in diesem Fall also um 1808. Als Möglichkeit, wie dies doch mit der Geschichte korrelieren könnte, könnten die Gedanken des kosmischen Wesens ebenfalls mit Lichtgeschwindigkeit und durch Raum und Zeit gewandert sein.[10] Der Dämonenstern AlgolDer Stern Algol wurde aufgrund seiner schwankenden Helligkeit nach der arabischen Bezeichnung ‚al-Ghul‘ benannt, übersetzt etwa „Unheilstifter“. Dies ist zugleich die Bezeichnung einer dämonenartigen Kreatur, des Ghuls (arabisch غُول ghūl, DMG ġūl), sowie des ‚Ra’s al Ghul‘ (lateinische Transliteration des arabischen Ra's al-Ghul / رأس الغول / Raʾs al-Ġūl / ‚Kopf des Dämons‘), des „Kopf des Dämonen“ bzw. „Dämonenkopf“. Nach dem Werk Star Names: Their Lore and Meaning (1899) von Richard Hinckley Allen ist ‚Ra’s al Ghul‘ auch die tatsächliche Herkunft des Namens Algol. Er erwähnt, dass der Ghul auch als Figur in den Geschichten von Tausendundeine Nacht als dämonische Figur auftauche. Nach Allen behaupteten Astrologen, „der Stern sei der unheilvollste, stärkste und gefährlichste am Himmel.“[11] Ghule finden auch später in Horrorgeschichten sowie daraus abgeleiteten Werken wie Pen-&-Paper-Rollenspielen Verwendung, wo sie als leichenfressende Untote auftauchen. In den DC Comics ist Ra’s al Ghul der Anführer einer Geheimorganisation und Gegenspieler Batmans.[11] Abgeleitete WerkeMusikalische RezeptionDie englische Band Black Sabbath veröffentlichte 1970 ihr Debütalbum Black Sabbath mit dem Song Behind the Wall of Sleep, der durch die gleichnamige Kurzgeschichte inspiriert wurde. Der Songtext beschreibt das Leben und den Ausbruch des Wesens aus dem toten Körper:
Wahrscheinlich handelte es sich hierbei um den ersten Bezug einer Metalband auf die Werke von H. P. Lovecraft. Songschreiber und Bassist der Band Geezer Butler gab an, dass er sowohl durch die Lovecraft-Geschichte wie auch durch einen persönlichen Traum für den Song inspiriert wurde.[13] Der Song wurde unter anderen von der Death-Metal-Band Macabre und der Industrial-Metal-Band Static-X gecovert. Weitere Bands, die sich von der Geschichte zu Songs inspirieren ließen, waren Sentenced, Manticora, The Smithereens und Opeth sowie der Gitarrist Christian Münzner. Die 1994 gegründete Gothic-Rock-Band Beyond the Wall of Sleep benannte sich nach der Geschichte. Filmische UmsetzungenDie Kurzgeschichte wurde 2006 und 2009 verfilmt. 2006 erschien ein gleichnamiger Film von Barrett J. Leigh and Thom Maurer, bei der William Sanderson die Rolle des Patienten Joe Slaader und Fountain Yount die Rolle des jungen Arztes Edward Eischel übernahmen.[14] 2009 erschien zudem ein Kurzfilm von Nathan Fisher auf der Basis der Geschichte.[15] Sonstiges1991 wurde Beyond the Wall of Sleep von dem Schriftsteller Steven Philip Jones zusammen mit dem Zeichner Octavio Cariello als Comic aufgearbeitet, das bei Malibu Graphics veröffentlicht wurde. Im Jahr 2016 druckte Caliber Comics dieses in der Anthologie H. P. Lovecraft's Worlds und einem eigenen Grafikroman nach.[16] Belege
Literatur
WeblinksCommons: Jenseits der Mauer des Schlafes – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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