Die Interparlamentarische Union (IPU, gegründet als „Interparlamentarische Union für internationale Schiedsgerichtsbarkeit“, frz.: Union interparlementaire, kurz UIP) ist eine 1889 gegründete internationale Vereinigung von Parlamenten, mit dem Ziel der Sicherung des Friedens, der Förderung des Demokratieverständnisses in allen Teilen der Welt und der Wahrung der Menschenrechte. Sie wurde von William Randal Cremer aus Großbritannien und Frédéric Passy aus Frankreich ins Leben gerufen. Im Jahr 2023 hat die IPU 180 Mitgliedsstaaten und 15 assoziierte Mitglieder.[2] Der Sitz des Sekretariats ist seit 1921 in Genf. Finanziert wird die Union ausschließlich durch die Beiträge der Mitgliedsparlamente.
Die erste Idee zur Gründung einer Friedensorganisation von Parlamentariern hatte der Franzose Frédéric Passy in den 1870er und 1880er Jahren. Er war zeit seines Lebens engagierter Pazifist und seit 1881 Mitglied des französischen Parlaments. Passy entwickelte die Idee der Verhinderung von Kriegen und Konflikten durch eine internationale, staatliche Schiedsgerichtsbarkeit. Nationen sollten sich statt der Anwendung von Waffengewalt einer neutralen Instanz unterwerfen. 1888 lernten sich Passy und der britische Gewerkschafter William Randal Cremer in Paris kennen, der eine friedenssichernde britisch-amerikanische Koalition unter Einbeziehung Frankreichs herstellen wollte. Nachdem im Juni der US-amerikanische Senat diesem Vertrag zustimmte, nahmen Passy und Cremer Kontakt zu verschiedenen europäischen Parlamenten auf.
Ein Jahr später kam es auf deren Initiative zur Gründung der „Interparlamentarischen Union für internationale Schiedsgerichtsbarkeit“ in Paris als Versammlung von Abgeordneten aus den Parlamenten zunächst europäischer Staaten. Ein weiteres Mitglied bei der Gründungskonferenz am 29. und 30. Juni 1889 war der Schweizer Jurist Élie Ducommun.
Die zweite Konferenz fand 1890 in London statt. Auf dieser erhielt die Union erstmals einen repräsentativen Charakter: 111 Abgeordnete vertraten 11 europäische Staaten, über 1000 weitere Parlamentarier hatten Zustimmungserklärungen geschrieben.
Auf der 3. Konferenz am 13. November 1891 in Rom wurde das „Internationale Ständige Friedensbüro“ (frz.: Bureau International Permanent de la Paix) mit Sitz in Bern eingerichtet, dessen erster Vorsitzender Ducommun bis zu seinem Tod 1906 wurde. Die Aufgabe des Büros war vor allem die Koordinierung der vielfältigen Aktionen nationaler, teilweise rivalisierender Friedensorganisationen. Ducommun bekam für diese ehrenamtliche Arbeit als „Geschäftsführer des Friedens“ 1902 den Friedensnobelpreis.
1892 wurde auf der Folgekonferenz in Bern – organisiert von Charles Gobat – das Zentralbüro der Union ins Leben gerufen, an deren Spitze Charles Gobat gestellt wurde.
Den ersten Erfolg konnte die Union mit dem wesentlichen Beitrag zur Einberufung der Ersten Haager Friedenskonferenz 1899 leisten. In der Folgezeit wurden auf Anregung und Vermittlung viele zwischenstaatliche Schiedsverträge abgeschlossen.
1905 wurde der Name auf „Interparlamentarische Union“ verkürzt.
Seit 1920 hat das Sekretariat der Union seinen ständigen Sitz in Genf. Zuvor wechselte der Sitz von Bern (1892–1911) nach Brüssel (1911–1914) und nach Oslo (1914–1920).
Im Jahr 2023 hat die IPU 180 Mitgliedsstaaten und 15 assoziierte Mitglieder. Dies sind nicht einzelne Staaten, sondern Parlamente.[2]
Zu den 15 assoziierten Mitgliedern gehören:
Die Interparlamentarische Union tagt in der Regel zweimal jährlich (Interparlamentarische Konferenz, Versammlung der Interparlamentarischen Union), auf denen sich die Delegationen der Parlamente austauschen. In erster Linie werden in diesem Plenum der Parlamentarier politische, wirtschaftliche und soziale Fragen von internationalem Interesse erörtert und gegebenenfalls themenbezogene Entschließungen erarbeitet. Auf die nationalen Parlamente haben diese Entschließungen aber keine direkten Auswirkungen oder Verpflichtungen.
Die Gesamtzahl der Delegierten variiert. Es können maximal acht Vertreter aus Ländern mit weniger als 100 Millionen Einwohnern und maximal zehn aus Ländern mit mehr als 100 Millionen Einwohnern von den Parlamenten bestimmt werden.
Zusätzlich werden Sonderkonferenzen veranstaltet, die in erster Linie Fragen aus den Bereichen Abrüstung sowie Natur und Umwelt betreffen.
Mit der Planung und Durchführung der Konferenzen betraut ist der Interparlamentarische Rat, dem jeweils zwei Parlamentarier jedes Mitgliedslandes angehören. Aus seiner Mitte wird ein Präsident mit einer Amtszeit von drei Jahren gewählt. Präsident ist derzeit Tulia Ackson, der frühere Präsident des Repräsentantenhauses von Tanzania.[5]
Eine Schlüsselstellung bei der Vorbereitung der Tagesordnung und bei der Einrichtung neuer Ausschüsse hat der Exekutivausschuss. Ihm gehören neben dem Präsidenten des Interparlamentarischen Rates zwölf weitere Mitglieder an. Seine Aufgabe ist die Unterstützung des Rates.
Ständige Ausschüsse
Die inhaltliche Arbeit wird übernommen von den Ständigen Ausschüssen, die mindestens zweimal im Jahr tagen. Aktuell gibt es vier Ständige Ausschüsse:
Ausschuss für Demokratie und Menschenrechte
Ausschuss für nachhaltige Entwicklung, Finanzen und Handel
Ausschuss für Frieden und internationale Sicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Vereinten Nationen
Rat und sonstige Gremien
Neben dem Rat (Governing Council) gibt es unter anderem folgende Gremien:
Treffen der Parlamentarierinnen
Ausschuss für die Menschenrechte von Parlamentariern
Ausschuss zur Förderung der Achtung des humanitären Völkerrechts.
Daneben gibt es als beratendes Gremium die Vereinigung der Generalsekretäre der Parlamente (ASGP).
Bisherige und geplante Konferenzen (Inter-Parliamentary Conferences)
#
Stadt
Land
Zeitraum
1.
Paris
Frankreich
29./30. 6. 1889
2.
London
Großbritannien
1890
3.
Rom
Italien
1891
4.
Bern
Schweiz
1892
5.
Den Haag
Niederlande
1894
6.
Brüssel
Belgien
1895
7.
Budapest
Österreich-Ungarn
1896
8.
Brüssel
Belgien
1897
9.
Kristiania
Norwegen
1899
10.
Paris
Frankreich
1900
11.
Wien
Österreich-Ungarn
1903
12.
Saint Louis
USA
1904
13.
Brüssel
Belgien
1905
14.
London
Großbritannien
1906
15.
Berlin
Deutsches Reich
1908
16.
Brüssel
Belgien
1910
17.
Genf
Schweiz
1912
18.
Den Haag
Niederlande
1913
-
Ottawa
Kanada
geplant 1915
19.
Stockholm
Schweden
1921
20.
Wien
Österreich
1922
21.
Kopenhagen
Dänemark
1923
22.
Bern
Schweiz
1924
23.
Washington und Ottawa
USA und Kanada
1925
24.
Paris
Frankreich
1927
25.
Berlin
Deutsches Reich
1928
26.
London
Großbritannien
1930
27.
Bukarest
Rumänien
1931
28.
Genf
Schweiz
1932
29.
Madrid
Spanien
1933
30.
Istanbul
Türkei
1934
31.
Brüssel
Belgien
1935
32.
Budapest
Ungarn
1936
33.
Paris
Frankreich
1937
34.
Den Haag
Niederlande
1938
35.
Oslo
Norwegen
1939
36.
Kairo
Ägypten
1947
37.
Rom
Italien
1948
38.
Stockholm
Schweden
1949
39.
Dublin
Irland
1950
40.
Istanbul
Türkei
1951
41.
Bern
Schweiz
1952
42.
Washington
USA
1953
43.
Wien
Österreich
1954
44.
Helsinki
Finnland
1955
45.
Bangkok
Thailand
1956
46.
London
Großbritannien
1957
47.
Rio de Janeiro
Brasilien
1958
48.
Warschau
Polen
1959
49.
Tokio
Japan
1960
50.
Brüssel
Belgien
1961
51.
Brasília
Brasilien
1962
52.
Belgrad
Jugoslawien
1963
53.
Kopenhagen
Dänemark
1964
54.
Ottawa
Kanada
1965
55.
Teheran
Iran
1966
56.
Lima
Peru
1968
57.
Neu-Delhi
Indien
1969
58.
Den Haag
Niederlande
1970
59.
Paris
Frankreich
1971
60.
Rom
Italien
1972
61.
Tokio
Japan
1974
62.
London
Großbritannien
1975
63.
Madrid
Spanien
1976
64.
Sofia
Bulgarien
1977
65.
Bonn
Bundesrepublik Deutschland
1978
66.
Caracas
Venezuela
1979
67.
Ost-Berlin
Deutsche Demokratische Republik
1980
68.
Havanna
Kuba
1981
69.
Rom
Italien
1982
70.
Seoul
Südkorea
1983
71.
Genf
Schweiz
1984
72.
Genf
Schweiz
1984
73.
Lomé
Togo
1985
74.
Ottawa
Kanada
1985
75.
Mexiko-Stadt
Mexiko
1986
76.
Buenos Aires
Argentinien
1986
77.
Managua
Nicaragua
1987
78.
Bangkok
Thailand
1987
79.
Guatemala-Stadt
Guatemala
1988
80.
Sofia
Bulgarien
1988
81.
Budapest
Ungarn
1989
82.
London
Großbritannien
1989
83.
Nikosia
Zypern
1990
84.
Punta del Este
Uruguay
1990
85.
Pjöngjang
Nordkorea
1991
86.
Santiago de Chile
Chile
7.–12. 10. 1991
87.
Yaoundé
Kamerun
6.–11. 4. 1992
88.
Stockholm
Schweden
7.–12. 9. 1992
89.
Neu-Delhi
Indien
12.–17. 4. 1993
90.
Canberra
Australien
13.–18. 9. 1993
91.
Paris
Frankreich
21.–26. 3. 1994
92.
Kopenhagen
Dänemark
12.–17. 9. 1994
93.
Madrid
Spanien
27. 3. – 1. 4. 1995
94.
Bukarest
Rumänien
9.–14. 10. 1995
95.
Istanbul
Türkei
5.–19. 4. 1996
96.
Peking
China
16.–20. 9. 1996
97.
Seoul
Südkorea
10.–14. 4. 1997
98.
Kairo
Ägypten
11.–15. 9. 1997
99.
Windhuk
Namibia
6.–10. 4. 1998
100.
Moskau
Russland
7.–11. 9. 1998
101.
Brüssel
Belgien
11.–15. 4. 1999
102.
Berlin
Deutschland
10.–15. 10. 1999
103.
Amman
Jordanien
30. 4. – 5. 5. 2000
104.
Jakarta
Indonesien
15.–21. 10. 2000
105.
Havanna
Kuba
1.–6. 4. 2001
106.
Ouagadougou
Burkina Faso
9.–14. 9. 2001
107.
Marrakesch
Marokko
17.–22. 3. 2002
108.
Santiago de Chile
Chile
6.–11. 4. 2003
109.
Genf
Schweiz
1.–3. 10. 2003
110.
Mexiko-Stadt
Mexiko
18.–23. 4. 2004
111.
Genf
Schweiz
28. 9. – 1. 10. 2004
112.
Manila
Philippinen
3.–8. 4. 2005
113.
Genf
Schweiz
17.–19. 10. 2005
114.
Nairobi
Kenia
7.–12. 5. 2006
115.
Genf
Schweiz
16.–18. 10. 2006
116.
Nusa Dua
Indonesien
29. 4. – 4. 5. 2007
117.
Genf
Schweiz
8.–10. 10. 2007
118.
Kapstadt
Südafrika
13.–18. 4. 2008
119.
Genf
Schweiz
13.–15. 10. 2008
120.
Addis Ababa
Äthiopien
5.–10. 4. 2009
121.
Genf
Schweiz
18.–21. 10. 2009
122.
Bangkok
Thailand
27.3. – 1. 4. 2010
123.
Genf
Schweiz
4.–6. 10. 2010
124.
Panama-Stadt
Panama
15.–24. 4. 2011
125.
Bern
Schweiz
16.–19. 10. 2011
126.
Kampala
Uganda
31.3. – 5. 4. 2012
127.
Québec
Kanada
21.–26. 10. 2012
128.
Quito
Ecuador
22.–27. 3. 2013
129.
Genf
Schweiz
7.–9. 10. 2013
130.
Genf
Schweiz
16.–20. 3. 2014
131.
Genf
Schweiz
12.–16. 10. 2014
132.
Hanoi
Vietnam
27. 3. – 1. 4. 2015
133.
Genf
Schweiz
17.–21. 10. 2015 (ursprünglich geplant in Cartagena de Indias, Kolumbien)
134.
Lusaka
Sambia
19.–23. 3. 2016
135.
Genf
Schweiz
23.–27. 10. 2016
136.
Dhaka
Bangladesch
1.–5. 4. 2017
137.
Sankt Petersburg
Russland
14.–18. 10. 2017
138.
Genf
Schweiz
24.–28. 3. 2018
139.
Genf
Schweiz
14.–18. 10. 2018
140.
Doha
Qatar
6.–10. 4. 2019
141.
Belgrad
Serbien
13.–17. 10. 2019
142.
virtuell / Wien
Österreich
August 2020 (Teil 1: Videokonferenz wegen Covid-Pandemie)[6] und 6.–8. 9. 2021[7] (Teil 2: in Präsenz)
In der Regel alle 5 Jahre findet seit 2000 eine Weltkonferenz (World Conference of Speakers of Parliament) statt:[13]
#
Stadt
Land
Zeitraum
1.
New York
USA
2000
2.
New York
USA
2005
3.
Genf
Schweiz
2010
4.
New York
USA
2015
5. 5WCSP
virtuell / Wien
Österreich
August 2020 Videokonferenz (virtual) + 7.–8. 9. 2021 persönlich (in person)
Seit etwa 2005 finden etwa 1- bis 2-jährlich Gipfelkonferenzen der weiblichen Parlamentssprecher statt (Summit of Women Speakers of Parliament - xSWSP). 2020/2021 zum 13. Mal virtuell bzw. in Wien.[14]
#
Stadt
Land
Zeitraum
1.
New York
USA
2005, anläßlich 2WCSP
2.
New York
USA
27. Februar oder März 2006
3.
New York
USA
2. März 2007
4.
New York?
USA?
– 2008?
5.
Wien
Österreich
13.–14. Juli 2009
6.
Bern
Schweiz
16.–17. Juli 2010
7.
New Delhi
Indien
3.–4. Oktober 2012
8.
New York
USA
12.–13. November 2013
9.
Genf
Schweiz
4.–5. September 2014
10.
New York
USA
29.–30. August 2015
11.
Abu Dhabi
UAR
12.–13. Dezember 2016
12.
Cochabamba
Bolivien
25.–26. April 2018
13. 13SWSP
virtuell / Wien
Österreich
August 2020 Videokonferenz (virtual) + 6. 9. 2021 persönlich (in person)
Beat Habegger: Parlamentarismus in der internationalen Politik. Europarat, OSZE und Interparlamentarische Union, Nomos-Verlag, Baden-Baden 2005 (Nomos Universitätsschriften, Politik, Band 132), ISBN 3-8329-1657-1.
Ralph Uhlig: Die Interparlamentarische Union 1889-1914. Friedenssicherungsbemühungen im Zeitalter des Imperialismus, Steiner, Stuttgart 1988 (Studien zur modernen Geschichte, Band 39), ISBN 3-515-05095-7.
↑Parlamentarier-Weltkonferenz beginnt in Wien orf.at, 5. September 2021, abgerufen am 6. September 2021. - "Konferenz speziell der Parlamentspräsidentinnen" am 6.9. Generaldebatte und 5 Themengruppen (Panels) parallel am 6. und 7.9.: Gleichstellung der Geschlechter; Pandemie; Klimawandel; Transparenz und Sicherheit von Parlamenten; "Global Governance". - "5. Weltkonferenz in Wien".