Ibn BābawaihAbū Dschaʿfar Muhammad ibn ʿAlī Ibn Bābawaih al-Qummī (arabisch أبو جعفر محمد بن علي ابن بابويه القمي, DMG Abū Ǧaʿfar Muḥammad ibn ʿAlī ibn Bābawaih al-Qummī; geb. 918/19 in Ghom, gest. 991 in Raiy), bekannt auch als asch-Schaich as-Sadūq (الصدوق, DMG aš-Šaiḫ aṣ-Ṣadūq ‚der wahrheitsliebende Scheich‘), war ein zwölfer-schiitischer Theologe, der zu den wichtigsten Sammlern schiitischer Hadithe und Imam-Traditionen gehörte. Er hat sich insbesondere zu Fragen des Imamats und der Ghaiba geäußert. Seine Traditionssammlung Man lā yaḥḍuruhu l-faqīh gehört zu den kanonischen Vier Büchern der Zwölfer-Schia. Ibn Bābawaih war der bedeutendste Vertreter der Hadith-Schule von Qumm und zudem einer der wenigen schiitischen Traditionalisten, die in großem Umfang sunnitische Hadithe zur Prophetenfamilie nutzten, um die schiitischen Lehren zum Imamat stärker zu untermauern.[1] LebenMuhammad Ibn Bābawaih wurde wahrscheinlich im Jahr 306 d.H. (= 918/19) in eine berühmte Gelehrtenfamilie in Qum geboren, angeblich aufgrund einer Bitte seines Vaters an den Verborgenen Imam. Sein Vater ʿAlī ibn Husain Ibn Bābawaih al-Qummī (gest. 939) war einer der wichtigsten imamitischen Gelehrten der Stadt.[2] Seine Mutter war eine Sklavin, die wahrscheinlich aus Dailam stammte. Die Gelehrsamkeit in seiner Familie war sehr wichtig. Auch seine beiden älteren Brüder Hasan und Husain wurden später Gelehrte.[3] Ibn Bābawaih begann sein Studium der Hadithe an der Schule von Qumm. Sein eigener Vater ʿAlī war wahrscheinlich sein wichtigster Lehrer und unterrichtete ihn sowohl im Fiqh als auch im Hadith. Zu seinen anderen Lehrern aus Qumm gehörte Muhammad ibn al-Hasan Ibn al-Walīd al-Qummī, dessen Einfluss sich insbesondere hinsichtlich Beurteilung von Hadith-Überlieferern und der Glaubwürdigkeit der heranzuziehenden imamitischen Texte zeigte.[4] Schon als junger Mann reiste er an verschiedene Orte, um Überlieferungen über die Imame zu erfahren. Zwischen 950 und 958 zog er nach Raiy, der Hauptstadt der Buyiden.[5] In Raiy verkehrte er am Hof des buyidischen Herrschers Rukn ad-Daula (gest. 976).[6] Von diesem Herrscher erhielt er im Jahre 352 (= 963 n. Chr.) eine persönliche Erlaubnis für eine Reise nach Maschhad und Nischapur in Chorasan.[7] Der buyidische Wesir Sāhib ibn ʿAbbād (gest. 995), der die Überlieferung von Hadithen verbot, schickte ihn jedoch in die Verbannung.[8] Ende 353 (= 964 n. Chr.) verließ Ibn Bābawaih Raiy, um sich auf Haddsch zu begeben. Auf dem Rückweg von Mekka Anfang des folgenden Jahres zog er durch den Irak und hielt sich eine Zeitlang in Kufa und in Bagdad auf.[9] Seine Ankunft in Bagdad wird auf das Jahr 966 datiert.[10] In Bagdad hörte asch-Schaich al-Mufīd bei ihm Hadith. Über die Stadt Hamadan kehrte er nach Raiy zurück.[9] Im Jahr 367 (= 977/78 n. Chr.) reiste Ibn Bābawaih erneut nach Chorasan und Transoxanien. Er besuchte Sarachs, Balch, Merw, Marwarrudh, Samarkand, das Ferghanatal und Īlāq, um dort Hadithe zu sammeln und zu übermitteln. In Īlāq verfasste er sein wichtigstes juristisches Werk und umfangreichstes Buch, nämlich das Kitāb Man lā yaḥḍuruhu l-faqīh („das Buch für denjenigen, der keinen Rechtsgelehrten bei sich hat“).[11] Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Raiy. Dort wurde er auch begraben. Sein Grab befindet sich in der Nähe der Ruhestätte von ʿAbd al Azīm Hasanī in der Stadt an einem Ort, der heute nach ihm Ibn Babawaih genannt wird. WerkeIbn Bābawaih soll ungefähr 300 Werke verfasst haben.[12] Kamāl ad-dīn wa tamām an-niʿmaKamāl ad-dīn wa tamām an-niʿma („Die Vollkommenheit der Religion und die vollständige Gnade“) ist ein theologisches Handbuch über die Verborgenheit des Zwölften Imams, abgefasst wahrscheinlich schon 978/79 in Nischapur auf Wunsch eines imamitischen Gelehrten aus Buchara. Als Grund gibt Ibn Bābawaih an, dass er die imamitische Gemeinde der Stadt bei seiner Ankunft bezüglich der Verborgenheit des zwölften Imams in einer Glaubenskrise vorfand, die sie dazu brachte, willkürliche persönliche Meinungen und analoge Argumente (al-ārāʾ wa-l-maqāyīs) zu dieser Frage vorzubringen. Das geschätzte Alter des zwölften Imams betrug zu dieser Zeit 110 Jahre, ein Alter, das bei vielen Menschen Zweifel an der Existenz des Imams aufkommen ließ. Aus diesem Grund widmete der Autor ein ganzes Kapitel des Buchs berühmten langlebigen Personen (muʿammarūn) des Islams und früherer Religionen und Kulturen. In der Einleitung führt der Autor aus, dass er im Traum den verborgenen Imam gesehen habe, der ihm den Auftrag gegeben habe, dieses Buch zu verfassen, um Beispiele für die verborgenen Heiligen und Propheten der Vergangenheit zu geben.[13] Der erste Teil des Werks wurde 1901 von Ernst Möller unter dem Titel „Beiträge zur Mahdilehre des Islams“ ediert und besprochen.[14] Weitere Werke
Theologische LehrauffassungenBei dogmatischen Fragen folgte Ibn Bābawaih der traditionalistischen imamitischen Strömung der Ashāb al-hadīth.[24] Er hat insgesamt drei Glaubensbekenntnisse verfasst: Sein frühestes ist wahrscheinlich dasjenige am Anfang seiner Hidāya (S. 2–12), das umfangreichste ist dasjenige, das er in al-Iʿtiqādāt formulierte, und das dritte findet sich in seinen Amālī und ist auf Freitag, den 12. Schaʿbān 368 datiert (= 14. März 979).[15] Bezüglich des Tauhīd erklärt Ibn Bābawaih in seinen Iʿtiqādāt, dass Gott einer (wāḥid) und absolut einzigartig (aḥad) ist und ihm nichts gleichkommt. Gott ist nach ihm präexistent (qadīm), war immer schon und wird immer sein; er ist der Hörende und Sehende, der Wissende (ʿalīm) und Weise (ḥakīm), der Lebende (ḥaiy) und Beständige (qaiyūm), der Mächtige (ʿazīz) und Heilige (quddūs), der Mächtige (qādir) und Selbstgenügsame (ġanī). Er kann weder als Substanz (ǧauhar), Körper (ǧism), Form (ṣūra) oder Akzidens beschrieben werden. Er steht außerhalb der beiden Begrenzungen von Entleerung (ibṭāl) und Verähnlichung (tašbīh).[25] Im Kitāb al-Tauḥīd unterscheidet Ibn Bābawaih zwischen den Attributen Gottes, die ewig sind (hörend, wissend, weise, mächtig usw.), und denen der Tat, die in der Zeit eingetreten sind (erschaffend, handelnd, wollend usw.).[12] Hinsichtlich der Frage der Willensfreiheit folgte Ibn Bābawaih der Parole lā ǧabr wa-lā tafwīḍ („Es gibt keinen Zwang und es gibt auch keine Übertragung der Verfügungsgewalt an den Menschen“) und propagierte einen Mittelweg.[26] Damit stand er der Lehre, wie sie in verschiedenen sunnitischen Bekenntnisschriften bezüglich der Handlungen der Menschen formuliert wird, sehr nahe.[27] Ibn Bābawaih führte diese Mittelposition auf den sechsten Imam Dschaʿfar as-Sādiq zurück. Die Handlungen der Menschen sind nach Ibn Bābawaih von Gott erschaffen, aber nur im Sinne einer „Erschaffung durch Vorherbestimmung“ (ḫalq at-taqdīr), nicht im Sinne einer „Erschaffung durch Hervorbringung“ (ḫalq at-takwīn), was bedeutet, dass er immer die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten (maqādīr) kennt.[26] Die imamitische Lehre vom Badāʾ bedeutet für ihn nicht, dass Gott seine Meinung geändert hat oder dass ihm neue Ideen gekommen sind. Vielmehr bedeutet es die Aufhebung eines göttlichen Befehls durch einen anderen oder dass Gott das Leben und die Nahrung eines Menschen entsprechend seinen Taten vermehrt oder verringert.[12] Der Koran ist nach Ibn Bābawaih die Rede Gottes, Seine Eingebung (waḥy) und Herabsendung (tanzīl), Sein Wort (qaul) und Buch (kitāb); Falschheit kann weder von vorne noch von hinten in ihn eindringen.[28] Der Koran, den Gott Seinem Propheten Muhammad offenbart hat, ist nach Ibn Bābawaih auch derselbe wie der zwischen den beiden Buchdeckeln (daffatain) und das, was sich in den Händen der Menschen befindet, und hat keinen größeren Umfang als dieses Buch. Wer den Schiiten die Lehre zuschreibe, dass der Koran mehr als das umfasse, sei ein Lügner. Allerdings war Ibn Bābawaih der Auffassung, dass die Suren 93 und 94 sowie 105 und 106 jeweils eine Sure bildeten.[29] Nach Ibn Bābawaih besteht die Welt aus Körpern und ihren zeitlichen Akzidentien. Atome spielen bei ihm keine Rolle.[12] Die wohlverwahrte Tafel (lauḥ) und das im Koran erwähnte Schreibrohr (qalam) sind seiner Auffassung nach zwei Engel.[30] Ibn Bābawaih war ein Verfechter des Konzepts der ʿIsma. So meinte er, dass die Propheten und Imame von Beginn ihrer Laufbahn an vor Befleckung und großen und kleineren Sünden geschützt und in Intellekt und Wissen vollkommen waren. Glauben definierte er als Bekenntnis mit der Zunge, Für-glaubwürdig-halten im Herzen und Handeln mit den Gliedern. Der Glauben nimmt seiner Auffassung nach durch Taten zu und durch Unterlassung ab. Der schwere Sünder ist kein Gläubiger mehr, aber bleibt ein Muslim. Die Schau Gottes am Tag des Jüngsten Gerichts ist seiner Auffassung nach rein geistig und erfolgt nicht mit den Augen.[12] Literatur
Weblinks
Belege
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