Hutchinson Internment CampHutchinson Internment Camp war im Zweiten Weltkrieg ein britisches Internierungslager in Douglas (Isle of Man), dank des blühenden künstlerischen und intellektuellen Lebens seiner Internierten auch als das „Lager der Künstler“ bekannt. Ort und StrukturDas Lager bestand aus 33 Häusern um den Hutchinson Square nahe dem Broadway in Douglas auf der Isle of Man. Wegen starker Überbelegung mussten die Internierten sich die Betten teilen.[1] Eines dieser Häuser, Arrandale, wurde die Krankenstation des Lagers.[2] Der Lagerkommandant Major H. O. Daniel[3] war als Leiter beliebt und ermöglichte einen Großteil der kreativen Aktivitäten des Lagers. GeschichteNach Requisition der Häuser und Errichtung zweier Stacheldrahtzäune um das Gelände (in der Art von Mooragh Camp in Ramsey, eröffnet im Mai) wurde das Hutchinson Camp in der zweiten Juli-Woche des Jahres 1940 eröffnet.[4] Zunächst war es nur mit 415 Internierten belegt, doch bis Ende Juli war die Zahl auf 1205 gestiegen, fast ausschließlich Deutsche oder Österreicher.[4] Die Anzahl sank ab September 1940 nach Freilassung der Internierten, die nicht als Bedrohung für Großbritannien angesehen wurden.[5] Dies war besonders in Hutchinson Camp ausgeprägt, wo es einen ungewöhnlich hohen Anteil an jüdischen und antinazistischen Internierten gab.[6] Um es künftig als Kriegsgefangenenlager zu nutzen, wurde Hutchinson Camp im März 1944 geschlossen, und seine 228 Insassen wurden ins Peveril Camp in Peel verlegt.[7] LagerlebenEine Sammlung von über 150 Fotos,[8] aufgenommen ca. 1940/1 meist von Major H. O. Daniel, bewahrt von Klaus Hinrichsen[9] und heute frei zugänglich im Tate-Archiv, vermittelt einen lebendigen Eindruck vom Lager und seinen Einrichtungen, dem Leben und der Kunst im Lager sowie von einzelnen Internierten. PflichtenDie Häuser des Lagers bildeten getrennte Verwaltungseinheiten, in denen die Internierten als Leiter, Küchen- und Reinigungspersonal, Pfleger und Köche arbeiteten. Zwar wurden diese Stellen von der britischen Wache entsprechend militärischem Vorbild eingerichtet, in Hutchinson Camp wurde jedoch die militärische Bezeichnung „Lagerhauptmann“ durch „Lageranführer“ oder „Lagervater“ ersetzt.[10] Die Rolle des Kochs wurde möglichst von den gelernten Köchen im Lager ausgeübt. Die anderen Internierten hatten dann nur die frischen regionalen Produkte für das Kochen vorzubereiten. Dadurch lernten die Internierten als lokale Manx-Spezialität die Kipper (Bücklinge) zu schätzen, von einigen im Lager „Yom Kippur“ genannt.[1] BeschäftigungNach anfänglichem Misstrauen zu Kriegsbeginn durften die Internierten auch außerhalb des Lagers arbeiten, vor allem in der heimischen Landwirtschaft. Zusätzlich übten sie im Lager wieder ihre alten Berufe aus. Neben Berufen wie Schneider und Friseur war der Fall eines Wiener Bäckers bemerkenswert, der Kuchen zum Verkauf im „Künstlercafé“ im Waschraum eines Hauses herstellte.[6] Auch konnten Künstler Porträts und andere Werke verkaufen. SportWie in den anderen Lagern auf der Insel trieben die Internierten viel Sport. Die verschiedenen Camps bildeten eine Fußballliga, in der auch Hutchinson mitspielte; die meisten Spiele wurden im Onchan Camp ausgetragen, das einen Platz auf dem Gelände besaß.[11] Den Internierten wurde auch Ausgang unter Bewachung erlaubt sowie Fahrten zum Schwimmen in der Bucht von Douglas. Bei solchen Ausflügen richtete die Wache ein besonderes Augenmerk auf einen der wenigen in Großbritannien geborenen italienischen Internierten, der bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin für Großbritannien angetreten war. Er hatte sein Mannschafts-Turnhemd mit auf die Insel gebracht und trug es trotzig im Lager als Protest gegen seine Internierung.[12] Als weitere sportliche Aktivität in Hutchinson ist das Boule-Spiel auf dem Grün in der Mitte des Lagers zu nennen, wobei mangels echter Boule-Kugeln mit Messingkugeln von den Bettgestellen des Lagers gespielt wurde.[13] MoralDie Internierten waren sehr darum bemüht, das Beste aus ihrer Internierung in Hutchinson Camp zu machen und diese sogar zu genießen. Dies war jedoch oft nur vorgetäuscht, um ein tiefliegendes Gefühl der Depression zu verbergen. Helmuth Weissen kommentierte später, dass „Internierung … eine kontinuierliche Qual [war].“[6] Dieses Gefühl entsprang der Frustration und Hilflosigkeit über die Internierung und deren Dauer sowie der Empörung über die Ungerechtigkeit, besonders bei jenen Internierten, ob jüdisch oder nicht, die vor ihrer Flucht nach Großbritannien bereits in Nazi-Konzentrationslagern gelitten hatten.[14] Diese latente Depression zeigte sich vielleicht am deutlichsten im Fall von Kurt Schwitters, von dem viele glaubten, er habe eine wunderbare Zeit, während er hinter verschlossenen Türen seinem Sohn seine Depressionen offenbarte. Tatsächlich brachte sein psychischer Zustand sogar seine Epilepsie wieder zum Ausbruch, was seit seiner Kindheit nicht geschehen war.
Kreative AktivitätenUniversitätDas Lager war mit einer Fülle von wissenschaftlichen und kreativen Talenten gesegnet, die nur allzu bereit waren, in der Lager-Umgebung zu lehren und zu lernen, wo sie sonst wenig hatten, um ihre Zeit zu füllen. Ähnlich wie in früheren Transitlagern richteten sie innerhalb weniger Wochen nach Eröffnung des Lagers eine „Lageruniversität“ ein. Diese befand sich in einem Gebäude auf der Nordseite des Platzes, bezeichnet als „Vortragshaus“ in einer Lagerkarte, die in einer Ausgabe von The Camp veröffentlicht wurde. Bei gutem Wetter wurden auch Vorträge auf dem Rasen gehalten oder bei kleineren Kursen in den Räumen der Insassen. Die Universität nutzte das Talent von Naturwissenschaftlern, Mathematikern, Juristen, Philosophen, Schriftstellern, Künstlern, Linguisten und vielen anderen.[6] in Ergänzung zu den Künstlern und Musikern, die Einzelunterricht in ihren Zimmern oder Studios anboten. Zu diesen herkömmlich qualifizierten Dozenten gesellten sich einige andere ungewöhnliche, wie zum Beispiel:
Dieser positive Geist des Lernens wird gut von Fred Uhlman in seinen Memoiren beschrieben:
Die Zeitschrift The CampHutchinson Camp produzierte eine eigene Zeitung, The Camp. Das Blatt wurde in englischer Sprache von den Internierten und für sie geschrieben. Es enthielt Besprechungen und Geschichten sowie redaktionelle Beiträge und Nachrichten von innerhalb und außerhalb des Lagers.[9] Die erste Ausgabe erschien am 21. September 1940.[17] Trotz der Fülle im Lager vorhandener künstlerischer Begabung enthielt das Blatt keine Abbildungen, im Gegensatz zum Onchan Pioneer, der in Onchan Camp weiter nördlich an der Douglas Bay produziert wurde. Es gab auch andere Ad-hoc-Veröffentlichungen aus der Arbeit der Internierten. Ein Beispiel dafür war Kurt Schwitters’ Kurzgeschichte The Flat and the Round Painter, die in englischer Übersetzung eines anderen Internierten veröffentlicht und im Lager verteilt wurde.[18] KunstHutchinson Camp war für sein blühendes künstlerisches Leben berühmt, nicht zuletzt wegen seiner vielen bedeutenden und bekannten Künstler. Die im Lager geschaffene Kunst reichte über eine Vielzahl von Medien und Genres: figurative Skulpturen, Malerei der neuen Sachlichkeit, Grafik, Expressionismus, Dadaismus, naive Kunst und Gravur. Klaus Hinrichsen, der die Kulturabteilung des Lagers leitete,[9] bemerkte später, im Lager seien fast alle Stile vertreten gewesen, die zur damaligen Zeit im Dritten Reich unterdrückt wurden.[6] Schon im ersten Monat nach Eröffnung des Lagers wurde in einem Gebäude eine Kunstausstellung abgehalten.[19] Ihr Erfolg führte zu einer zweiten Ausstellung im November 1940, in der Künstler wie Kurt Schwitters ihre Arbeit zeigten, oft in der Hoffnung, sie zu einem bescheidenen Preis an andere Internierte zu verkaufen. Dafür sprach das künstlerische Produktionstempo von Internierten wie bei Fred Uhlmann, autodidaktischer naiver Künstler, der fast ein Werk am Tag schuf.[6] Kurt Schwitters, vielleicht der bedeutendste Künstler im Lager, schuf über 200 Werke während seiner 16-monatigen Internierung, darunter mehr Porträts als zu jeder anderen Zeit seiner künstlerischen Laufbahn.[20][21] Diese Art von Kreativität übte Druck auf die Einrichtungen des Lagers aus und bewirkte einen drastischen Mangel an Malutensilien, zumindest in den frühen Tagen des Lagers. Dies führte zu viel Einfallsreichtum, so zum Beispiel, Farbe aus Ziegelmehl mit dem Öl aus Sardinenbüchsen herzustellen, während der Ausflüge nach Ton zu graben, um daraus Skulpturen zu schaffen, und Linoleumböden aufzureißen, um aus den Stücken Linolschnitte zu machen, die dann zum Druck durch die Heißmangel gezogen wurden.[6] Hinzu kam ein unersättlicher Verbrauch von Materialien wie Packpapier, staatlichem Toilettenpapier sowie von den Wänden gerissenen Tapeten, und die dabei entstandenen Leerstellen an den Wänden boten Platz für Wandmalereien.[6] Der Graveur Hellmuth Weissenborn begann einen Trend im Lager, indem er Bilder in die dunkelblaue Farbe auf den Fensterscheiben ritzte, die zu jener Kriegszeit zur Verdunkelung bei Luftangriffen herhalten musste.[22] Die von Weissenborn und dann auch von anderen geschaffenen Bilder zeigten Landschaften, Blumen und erotische Frauendarstellungen.[6] Schwitters bereicherte das Ideenspektrum der Internierten um Skulpturen aus Porridge-Brei:
Später verbesserten sich die Bedingungen für die Künstler erheblich dank der verständnisvollen Haltung des Lagerkommandanten Major H. O. Daniel, der Materialien für die Internierten besorgte sowie einzelnen von ihnen, wie Kurt Schwitters und Paul Hamann, Räume als Atelier zuwies.[6] An Orten wie diesen konnten sie Studenten aufnehmen, die aus dem engen und intensiven Kontakt mit solch führenden Künstlern großen Nutzen zogen.[6] MusikMajor Daniel übte seinen Einfluss auch bei der Förderung des Musikwesens im Lager aus, etwa, indem er Instrumente für die Internierten besorgte.[1] Bald entstand ein Lagerorchester unter der Leitung von Prof. Kästner, angeblich ein Neffe von Thomas Mann.[24] Werke von Komponisten wie Bach, Mozart, Schubert, Beethoven und Brahms waren besonders beliebt.[24] Einer der berühmtesten Musiker im Lager war der Konzertpianist Marjan Rawicz. Wie andere Künstler und Musiker im Lager, so gab auch Rawicz dort Auftritte. Es wurde kolportiert, dass Rawicz bei der Vorbereitung eines solchen Konzerts jedes einzelne der elf Klaviere prüfte, die in den Häusern des Hutchinson Camp existierten. Als er eines davon spielte, brach das Klavier buchstäblich entzwei. Sogleich stürzten sich die anderen Lagerinsassen darauf und „kannibalisierten“ es für ihre Zwecke: Maler nahmen das Holz als Malgrund, die metallenen Saiten wurden von der Technischen Abteilung als elektrische Leitungen verwendet, und ein Zahnarzt nutzte die Elfenbein-Tasten als Material für Zahnersatz.[6] TheaterAuch das Theaterwesen blühte im Lager, mit Aufführungen an allen möglichen Orten. So wurde von einer Produktion von John Steinbecks Von Mäusen und Menschen berichtet, die vor zwanzig in ein Schlafzimmer gedrängten Zuschauern gespielt wurde, und von Sketchen wie einer Parodie von Shakespeares Romeo und Julia, jedoch über eine homosexuelle Beziehung zwischen „Romeo and Julian“.[1] Das Lager sah auch Aufführungen, die von manchen zu den frühesten Beispielen einer Performance gezählt werden, so Kurt Schwitters’ 40-minütiges, dadaistisches Lautgedicht Ursonate. Das Stück erwies sich bei manchen Lagerinsassen als so beliebt, dass die Refrains zeitweise zum Gruß im Lager abgewandelt wurden.[9] Schwitters war auch verantwortlich für andere dadaistische Lesungen und Performances, von formellen Gedichtlesungen bis hin zu seiner Vorliebe, unter seinem Bett zu schlafen und wiederholt wie ein Hund zu bellen.[9] KriegsgefangenenlagerNachdem Hutchinson Camp im März 1944 als Internierungslager geschlossen war, wurde es als Quartier für Kriegsgefangene hergerichtet. Der Umbau nahm lange Zeit in Anspruch, da hierfür nicht die ursprünglichen Hauseinrichtungen verwendet wurden, sondern diese eingelagert und durch neu angefertigtes Mobiliar ersetzt wurden. Zusätzlich wurde der Stacheldrahtzaun verstärkt, man errichtete Wachtürme und verstärkte die Wachen.[7] Am 22. November 1944 trafen etwa 5.000 deutsche Kriegsgefangene auf der Insel Man ein, von denen viele ins Hutchinson Camp eingewiesen wurden. Dies war der erste von vielen Zugängen für die Lager auf der Insel, die jetzt kollektiv als 171 POW Camp bezeichnet wurden.[7] Bis zum 4. August 1945 hatten die Gefangenen das Lager wieder verlassen. Bis zum 24. November wurden die Mieter und Eigentümer der Häuser in den Lagern Hutchinson, Onchan and Mooragh informiert, dass ihr Eigentum wieder freigegeben sei und sie wieder einziehen könnten.[7] Bekannte Internierte
Literatur
Weblinks
Einzelnachweise
|