Grimm (Musical)
Grimm! ist ein Musical von Peter Lund (Text) und Thomas Zaufke (Musik) und trägt den Untertitel Die wirklich wahre Geschichte von Rotkäppchen und ihrem Wolf.[1] Das Stück wurde am 7. Dezember 2014 am Kinder- und Jugendtheater Next Liberty in Graz uraufgeführt, in dessen Auftrag es Peter Lund schrieb. Zeitnah fand die deutsche Erstaufführung am 19. März 2015 als Co-Produktion mit dem dritten Jahrgang des Studiengang Musical/Show der Universität der Künste Berlin an der Neuköllner Oper in Berlin statt. InhaltDas Rotkäppchen, ein 14-jähriges Mädchen, das ihren Spitznamen satt hat und lieber Dorothea genannt werden möchte, lebt in einer Dorfgemeinschaft, die aus verschiedenen Märchenfiguren zusammengewürfelt ist.[2] Eines eint die Dorfbewohner jedoch: Die Angst vor dem Wald und dem darin lebenden Wolf.[3] So leben hier neben dem Rotkäppchen auch Mutter Geiß mit ihren Kindern, Die drei kleinen Schweinchen und zudem noch der alte Hofhund Sultan mit seinem Sohn Rex. Jeder von ihnen hat bereits seine schlechten Erfahrungen mit dem Wolf gemacht – oder tut zumindest so. Der Wolf haust im Wald, und genau da zieht es das Rotkäppchen magisch hin, trotz oder auch gerade wegen all dieser Gruselmärchen. Es kommt der Tag, da obsiegt die Neugier, und das junge Mädchen macht sich gegen alle Warnungen auf in den Wald und begegnet dort Grimm, dem Wolf. Dieser erscheint ihr jedoch gar nicht so böse, wie ihn alle Dorfbewohner geschildert haben.[4] Grimm ist ein Aussteiger, und das Rotkäppchen ist von seiner freiheitsliebenden Art fasziniert und fühlt sich von ihm angezogen – was auf Gegenseitigkeit beruht. Der Wolf hatte bisher nur Kontakt zu Schweinchen Wild, einer Wildsau, und zu Oma Eule. Schweinchen Wild ist anfangs von der Idee, dass Wolf und Mensch eine Freundschaft oder gar Beziehung haben können, gar nicht überzeugt. Allerdings hat sie selbst ein ihr widernatürlich erscheinendes Faible für das im Dorf lebende Schweinchen Dick, welche ebenfalls eine Sau ist. Nur Oma Eule ist für Wald- und Dorfbewohner gleichermaßen offen, weil sie das Leben hier und dort kennengelernt hat. Oma Eule hat mütterliche Gefühle für das Rotkäppchen, und unter ihrem Einfluss beschließt das Mädchen, Grimm mit ins Dorf zu nehmen, um allen Gerüchten ein Ende zu setzen. Sie ahnt jedoch nicht, was sie damit auslöst, denn das Dorf entpuppt sich als intriganter Haufen.[5] Eigentlich leben Ziegen, Schweine, Hunde und das Rotkäppchen nach den Geboten des Animalismus und in demokratischen Strukturen, als sie aber durch einen Wolf in ihrer Gemeinschaft ihre spießige Dorfidylle bedroht sehen,[2] gehen sie in Verteidigungsposition. Der alte Hofhund Sultan, der Bürgermeister des Dorfes, will um jeden Preis einige dunkle Geheimnisse und schmutzige Geschichten bewahren. Schweinchen Schlau wäre auch gerne Bürgermeister, und als er erkennt, dass nach und nach alle Dorfbewohner irgendwann beginnen, ihre Vorurteile gegenüber Grimm aufzugeben und Frau Geiß dann auch noch den Wolf zum Babysitter ihrer Kinder macht und Grimm sogar verführt, versucht er durch eine Intrige die Gemeinschaft gegen den Wolf aufzubringen; er würde ihn am liebsten töten. Falsche Beschuldigungen von Schweinchen Schlau führen fast zu einem Eklat. RezeptionBei Grimm handelt es sich um eine Neuinterpretation verschiedener Märchen, wobei insbesondere die Stoffe des Grimm‘schen Kosmos auf den Kopf gestellt werden.[6] Bereits im Untertitel (Die wirklich wahre Geschichte von Rotkäppchen und ihrem Wolf) wird deutlich, dass Grimm uralte Überlieferungen auf ihren Wahrheitsgehalt abklopft – und vielmehr noch auf ihre Aktualität. Die ewige Geschichte von Gut und Böse und besonders die von Rotkäppchen und dem bösen Wolf wird neu erzählt und seine Boshaftigkeit infrage gestellt. Hat wirklich ein Wolf das Haus der drei Schweinchen umgeblasen, oder waren diese einfach zu dumm, ein stabiles Haus zu bauen? Peter Lund zeigt, „dass Märchen nebst Adaptionen nicht nur für Kinder sind“[7] und kreiert so „eine ganz neue Geschichte“,[8] die – „auch wenn die bekannte Märchenfassade bis in die letzte Faser mit Sexualität durchdrungen“[9] – dennoch für Kinder geeignet ist: „Zwar begreift man erst als Erwachsener alle Anspielung, aber auch Kinder haben ihren Spaß“.[10] So fühlen sich zu Beginn erst das Rotkäppchen und letztendlich auch Schweinchen Doof von Grimm angezogen, Frau Geiß verführt diesen sogar, und auch Wildsau und Dorfsau finden zusammen. Trotz all dieser eher märchenuntypischen Elemente bedient Grimm auch die tradierten Vorstellungen eines Märchens: Der Wald und das Dorf, Dunkel und Hell, Böse und Gut, fremd und gewohnt;[2] alle diese Extreme werden im Stück gegenübergestellt – auch wenn nach und nach erkennbar wird, dass es gar nicht so einfach ist, scheinbare Gegensätze auseinanderzuhalten. Da ist einerseits Grimm, die namensgebende Figur des Stücks. Grimm ist „ein echt cooler Typ“,[11] „ein sanfter Hippie mit langen Haaren und Fell-Weste auf nacktem Oberkörper“, der nicht etwa dadurch für die Dorfgemeinschaft gefährlich ist, dass er diese fressen möchte, sondern dadurch, dass er so unabhängig und frei lebt.[2] Sein Lebensmotto lautet: „Sei ein Wolf, sei immer du selber. Sei ein Wolf heißt: tu nur, was du willst, Ja, als Wolf, da bist du gefährlich, aber doch nur, wenn du dich hungrig fühlst.“[2] Grimm glaubt, „er sei das edelste Geschlecht der Welt“.[12] Auf der anderen Seite steht mit dem Dorf eine Gesellschaft, die sich ihre Feindbilder selbst sucht,[13] und ganz besonders Schweinchen Schlau ist alles andere als harmlos, wenn er versucht, die Welt zu sortieren.[14] Die Intrige, durch die er die Dorfgemeinschaft gegen den Wolf aufbringen will, lässt Schweinchen Schlau wie der Farm der Tiere entsprungen erscheinen, und er begibt sich aus der ihm zugeschriebenen Opferrolle heraus, hinein in eine Täterrolle. Eine Figur im Stück, die beide Seiten kennt, ist Oma Eule. Sie bringt allerlei dunkle Geheimnisse ans Licht, verhindert damit aber Schlimmeres. Dass beide Seiten irgendwie zusammenfinden liegt nicht daran, dass sie einander besser kennenlernen, sondern sie vielmehr von Oma Eule einen Spiegel vorgehalten bekommen, sich ihrer eigenen Fehler bewusst werden und hierdurch wieder ein wenig zu sich selbst finden. So hat die stattfindende Selbstauflösung der Dorfgemeinschaft auch etwas Reinigendes. Das hyperaktive, zunehmend persönlichkeitsgespaltene Schweinchen Doof, das anfänglich so gerne ein Hahn wäre hört letztlich sein ganz persönliches Ping und verliebt sich in den Wolf, wodurch ihm alle dunklen Gedanken wie weggeblasen scheinen. Schweinchen Dicklinde fühlt sich gar nicht mehr so dick und zieht zu Schweinchen Wild in den Wald, die sich nun nicht mehr als einsames, hässliches Warzenschwein empfindet. Die alleinerziehende Mutter Geiß, die damit ein wenig überfordert scheint, hat ihre sexuellen Bedürfnisse bereits zuvor erfüllt. Und auch der von ihr zuvor meist nur als Babysitter eingesetzte Rex beginnt ein neues Leben, nachdem er erstmals Blut geleckt hat. Rex erfährt durch eine gemeinsame Kaninchenjagd mit Grimm, wie sich Freiheit anfühlt und was es bedeutet, ein Hund zu sein. Rotkäppchen erkennt dadurch, dass es nicht die Hinwendung zum eigenen Schatten ist, sondern vielmehr gemeinsame Interessen sind, die Freundschaften begründen. Der Autor schuf so eine Charakterstudie, die zeigt, dass Hunde feige und faul, Schweine Dreckschweine und ein Wolf einsam sein können – aber eben nicht müssen: „Weil es keine Schwarz-Weiß-Malerei gibt, gibt es auch kein verkitschtes Musical-Happy-End. Aber eine Annäherung und ein Relativieren von Gut und Böse.“[15] Auch wenn Lund „eine große Liebesgeschichte, eine Freundschaft, die nicht sein darf“ zeichnen möchte,[13] dürfen Rotkäppchen und Grimm nicht wirklich zueinander finden, und ob das Beziehungsexperiment einer Wildsau mit einem Hausschwein funktionieren kann, ist ebenfalls ungewiss. Der Zuschauer wird am Schluss vielmehr gebeten, sich sein eigenes Ende auszumalen. Grimm ist damit zwar keine Liebeskomödie, aber eben auch kein Beziehungsdrama und gerade hierdurch „eine spannende Geschichte um Wahrheit und Lüge, Vorurteile und eine große Freundschaft, die man so bestimmt noch nicht gesehen hat“.[16] In der Partitur lassen sich alle Arten von musikalischen Einflüssen erkennen,[17] wodurch „ein flotter Mix aus unterschiedlichen Stilrichtungen“[18] entsteht. Die Musik orientiert sich einerseits an Disney-Filmmusik, ist jedoch schneller und damit postmodern,[19] andererseits finden sich auch lässige Ohrwürmer[20] und Retro-Duette im Foxtrott und Charleston-Rhythmus, die wie eine „Hommage an die großen Musical-Klassiker der 30er und 40er Jahre“[9] wirken. Unterstrichen werden die märchenhaften Klänge durch eine Wiederaufnahme des Themas in den Dialogen und im Gesang. So heult Grimm während seiner Rede, die Schweinchen quieken immer wieder, und Mutter Geiß meckert ständig, und zwar auf schwäbisch. Die tierischen Charaktere werden zudem auch in der Choreografie konsequent umgesetzt. Das „minimalistische Bühnenbild“[21] lässt den Schauspielern viel Platz für Bewegungen und zur Ausfüllung ihrer Rollen. Uraufführung und deutsche ErstaufführungGrimm! wurde am 7. Dezember 2014 am Kinder- und Jugendtheater der Oper Graz (Next Liberty) in einer Interpretation, die für Kinder ab 6 Jahren geeignet ist, uraufgeführt. Die deutsche Erstaufführung fand am 19. März 2015 an der Neuköllner Oper in Berlin statt. Weitere AufführungenAb 9. Februar 2017 wurde Grimm in einer Inszenierung von Werner Sobotka am Theater der Jugend in Wien aufgeführt.[22] Ab 30. September 2017 wurde das Musical an den Uckermärkische Bühnen Schwedt unter der Regie von Neva Howard vorgestellt.[23] Am Theater Erfurt hatte Grimm! am 1. Februar 2018 Premiere (Inszenierung: Stephan Beer).[24] Ab 29. März 2019 wurde Grimm von Stage Focus in Oberhausen aufgeführt.[25] Am 10. Februar 2019 hatte Grimm! Premiere am Theater Annaberg-Buchholz (Inszenierung: Tamara Korber).[26] Am 10. Juni 2022 hat das Werk Premiere am Musiktheater Linz mit ausschließlich jugendlichen, semi-professionellen Darstellern und Musikern im Orchester. (Musikalische Leitung: Thomas Doss, Regie: Heidelinde Leutgöb, Choreographie: Daniel Feik)[27] Ebenfalls nur mit semi-professionellen Darstellern hatte Grimm! am 20. Januar 2024 Premiere im Saal „Wartburg“ des Hessischen Staatstheater Wiesbaden in der Inszenierung und mit den Choreographien von Iris Limbarth. Die Inszenierung der mit dem Deutschen Musical Theater Preis 2022[28] ausgezeichneten Regisseurin Limbarth wird aktuell aufgeführt vom Jungen Staatsmusical Wiesbaden (kurz: JUSM), ehemalig Jugendclub, was in der Musicalszene als Sprungbrett für Junge Talente gilt.[29] Ensemble der ersten Spielzeit (Graz-Cast)7. Dezember 2014 bis 27. April 2015[16] Besetzung
Darsteller
Orchester
Ensemble der zweiten Spielzeit (Berlin-Cast)19. März bis 14. April 2015 mit dem 3. Jahrgang des Studiengang Musical/Show der Berliner Universität der Künste[30] Besetzung
Darsteller(in alphabetischer Reihenfolge)
Orchester
Mit den gleichen Darstellern erfolgte im November 2015 eine Wiederaufnahme des Stückes an der Neuköllner Oper.[31] Liste der Lieder
Pressestimmen
– Frank Wesner: allesintheater.com, 29. März 2015[32]
– Kai Luehrs-Kaiser: tip Online, 24. März 2015[33]
– boro: Berliner Morgenpost, 24. März 2015[34]
– Kevin Clarke: Klassik.com, 20. März 2015[35]
– Inforadio, 20. März 2015[2]
– Musical Theatre Review, 2. Februar 2015[36]
– Kleine Zeitung, 9. Dezember 2014[37]
– Kronen Zeitung, Dezember 2014 AuszeichnungenDie Grazer Aufführung von Grimm! wurde im August 2015 von der Deutschen Musical Akademie in vier Kategorien für den Deutschen Musical Theater Preis nominiert.[38] Am 26. Oktober 2015 wurde Peter Lund bei der Preisverleihung in der Kategorie Bestes Buch ausgezeichnet, und Christof Messner wurde als Bester Darsteller geehrt.[39] Siehe auchWeblinks
Belege
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