Fussenegger wurde als Tochter des k.u.k. Offiziers Emil Fussenegger geboren und wuchs in Neu Sandez (Galizien), Dornbirn und Telfs auf, ehe sie nach dem Tod ihrer Mutter 1926 wieder nach Pilsen (zu dieser Zeit Tschechoslowakei) zog, wo sie im Sommer 1930 ihre Matura ablegte. Anschließend studierte sie zunächst an der Universität Innsbruck und in München Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie und wurde 1934 in Innsbruck bei Harold Steinacker zum Dr. phil. promoviert.
Bereits im Mai 1933 trat sie angeblich der österreichischen NSDAP bei.[3] Nachdem sie bei einer Demonstration im Mai 1934 in Innsbruck das Horst-Wessel-Lied gesungen und den Hitlergruß dargeboten hatte, wurde sie zu einer Geldstrafe verurteilt.[3] Im Februar 1935 gehörte sie noch einer österreichischen NS-Studentinnengruppe an, wechselte aber im November desselben Jahres ins Deutsche Reich.[3] Nach dem „Anschluss Österreichs“ beantragte sie am 4. August 1938 die Aufnahme in die NSDAP, wurde rückwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 6.229.747)[4][5][6] und huldigte Hitler mit einem Hymnus.[3]
Später lebte sie in München, von wo sie 1943 wegen der Bombardierungen mit den Kindern nach Hall in Tirol übersiedelte. 1961 zog sie nach Leonding bei Linz.
In erster Ehe war sie von 1935 bis zur Scheidung 1947 mit dem BildhauerElmar Dietz verheiratet, in zweiter Ehe (seit 1950) mit dem Bildhauer Alois Dorn.
„Da meine zweite Ehe nur standesamtlich geschlossen war, war ich sehr lange von den Sakramenten ausgeschlossen. Das habe ich als tief schmerzlich empfunden, doch es war ein Schmerz, der auch sehr fruchtbar für mich geworden ist. Nur so ist mir die ganze Kostbarkeit der Eucharistie bewusst geworden. Ich kann es nicht bedauern, dass ich in jener Zeit oft bittere Tränen vergossen habe. Genau genommen war ich beschenkt durch das Verbot.“[7]
Sie hatte vier Kinder – Ricarda, Traudi, Dorothea und Raimund – aus erster Ehe, einen zweiten Sohn, Lukas, aus der zweiten Ehe.
Der Nachlass ihrer Werke befindet sich im Oberösterreichischen Literaturarchiv im Stifterhaus in Linz.[8]
Künstlerisches Schaffen
Fussenegger begann mit historischen Romanen, die in unterschiedlichen Epochen spielen. Beeinflusst wurden ihre Erzählungen durch ihre katholische Herkunft. Die Autorin war sich ihrer Abhängigkeit vom Renouveau catholique bewusst, was auch in ihrem Roman Zeit des Raben, Zeit der Taube zum Ausdruck gelangt.[9]
Gertrud Fussenegger verfasste ein mehr als 60 Bücher umfassendes Werk, das in 25 Verlagen veröffentlicht und in elf Sprachen übersetzt wurde.[10]
Fussenegger und das Dritte Reich
Für die Anfänge ihres Schreibens und die späteren Kontroversen um ihre Person war ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus prägend. Bereits im Jahr 1933 trat Fussenegger der österreichischen, 1938 dann der deutschen NSDAP bei. 1939 wurde sie Mitglied der Reichsschrifttumskammer (RSK).[11] Sie nahm an den Weimarer Dichtertreffen 1938 und 1939 teil und hatte Kontakt zu bekannten völkischen Autoren wie Ina Seidel, Lulu von Strauß und Torney-Diederichs, Will Vesper und Wilhelm Pleyer.[12] Trotz ihres Einsatzes für das NS-Regime äußerte das Amt Schrifttumspflege unter der Leitung von Hans Hagemeyer im Amt Rosenberg literarische Einwände gegen ihre Werke.[3] Die Mohrenlegende (1937), eines ihrer ersten Bücher, wurde zwei Jahre nach Erscheinen von den NS-Gutachtern als Kritik an der Rassenideologie und „katholisches Machwerk“ verfemt. Die Diskussion um eben dieses Werk lebte 1993 wieder auf, als Fussenegger der Weilheimer Literaturpreis sowie der Jean-Paul-Preis des Freistaates Bayern verliehen werden sollte.[13]
Viele von Fusseneggers weiteren, meist religiös konzipierten Romanen, Gedichten und Rezensionen fanden allerdings in wichtigen NSDAP-Organen Verbreitung. Ihr Gedicht „Stimme der Ostmark“ wurde 1938 im Völkischen Beobachter abgedruckt. Dieses Gedicht brachte ihr 1945 massive Kritik ein, weil es als Bejubelung des „Anschlusses“ Österreichs und als Verherrlichung Hitlers gesehen wurde. Rund 50 Jahre später erklärte Fussenegger, es tue ihr leid, „viele gute Gedanken verschwendet“ zu haben „auf eine Sache, die dann ein Greuel war“.[10]
Weiterhin heftig umstritten blieb ihr Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus, in der sie Texte im Völkischen Beobachter (27 Beiträge zwischen 1937 und 1941) und anderen nationalsozialistischen Zeitschriften wie Wille und Macht und Das Reich veröffentlichte,[14]Adolf Hitler als Heilsfigur verherrlichte[15] und unter dem Titel „Aus Reiseaufzeichnungen“ (1943) folgende Eindrücke aus Prag niederschrieb:
„Einst waren hier unter zehn Menschen fünf Juden zu treffen, die Strumpfbänder und Fahrpläne feilboten, die in kostbaren Pelzen oder geckenhaften Anzügen zum Geschäft und Vergnügen flanierten; und neben ihnen war die Straße von Bettlern bevölkert [...] Derlei Unfug ist heute in Prag längst verschwunden[16] […]. [Im Gegensatz zu] früher, da die zwar willig geduldete Überfremdung durch Artandere und Entartete Prag ein zuweilen bis zur Verzerrtheit groteskes Aussehen verlieh.“ Und ein paar Sätze weiter schilderte sie den Alten Jüdischen Friedhof in Prag in antisemitischer Weise mit folgenden Worten: „Friedhof nennt man diese Stätte? Wir finden uns in einen wüsten Irrgarten versetzt, in ein finsteres und häßliches Labyrinth unzähliger übereinandergetürmter Leichensteine, die in regellosen Massen, schief und gerade, aufrecht und umgestürzt, wie es eben kommt, den schwarzen unbegrünten Grund gleich einer Drachensaat besetzen. Siebenmal – heißt es – liegen hier die Toten übereinander, siebenmal hat man den engen Fleck mit Leichen vollgepfercht. Vergiftet von dem fürchterlichen Gedränge, scheint die Erde hier ihre Gabe verloren zu haben, die ihr übergebenen Leiber zur eigenen reinen Urform aufzulösen und so das Verfallene mit sich selbst zu versöhnen. [...] Hier aber berührt uns der Atem einer fremden, einer feindlichen Welt, einer heimlich noch lauernden Macht, und schaudernd verlassen wir den unseligen Ort.“[17]
1942 gewann Fussenegger mit ihrem Erzählband Eggebrecht das Preisausschreiben „Die Novelle des XX. Jahrhunderts“.[18]
Noch 1952 schrieb Fussenegger – ganz in der Terminologie der nationalsozialistischen Rassenlehre –, sie gehöre einer Rasse an, die „hellhäutig, helläugig, empfindlich gegen die Wirkung des Lichts, ein Mischtyp aus nordischen und dinarischen Zügen“[22] zu sein scheine.
In der Nachkriegszeit setzte sich Fussenegger immer wieder mit der deutschen Schuldfrage auseinander.[23] Der Literaturwissenschaftler Klaus Amann bezeichnete ihre Autobiographie von 1979 Ein Spiegelbild mit Feuersäule als „insgesamt ein peinliches Dokument der Verdrängung und der Verstocktheit“.[24] In diesem Werk griff die Autorin die obige Beschreibung des jüdischen Friedhofs erneut auf – „allerdings in einer zeitgemäß ,bereinigten’ Fassung. Hier berichtet sie lediglich von überfüllten Grabstätten, nichts aber von ,Artanderen’ oder ,Entarteten’, die Tendenz des Textes ist eine völlig andere.“[25]
Ihre Mohrenlegende, einerseits von Nationalsozialisten als „katholisches Machwerk“ und als „Mitleidwerbung für Andersrassige“ verunglimpft, die „unvereinbar mit unseren Auffassungen von den Rassegesetzen“ sei,[26] andererseits im Zuge der Vergangenheitsaufarbeitung in Österreich später als „rassistisch“ verurteilt,[27] wurde in der BRD unverändert neu aufgelegt und 1988 von Gernot Friedel verfilmt. Fussenegger veröffentlichte in den folgenden Jahren außerdem Gedichte, Erzählungen und Theaterstücke. Ihr Roman Das verschüttete Antlitz behandelt die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei aufgrund der Beneš-Dekrete. Pilatus, ein Oratorium mit Musik von Cesar Bresgen, wurde 1979 beim Carinthischen Sommer in Ossiach uraufgeführt. 1996 fand am Landestheater Linz die Uraufführung der Oper Kojiki – Tage der Götter von Mayuzumi Toshirō statt, für die Fussenegger das Libretto bearbeitete.[28]
Auszeichnungen und Ehrungen
1942: Erster Preis beim Wettbewerb „Die Novelle des XX. Jahrhunderts“
1984: Die Funkerzählung: Sie waren Zeitgenossen – Regie: Alfred Pittertschatscher (Hörspielbearbeitung – ORF-Oberösterreich)
1994: Die Funkerzählung: Durststrecken – Regie: Alfred Pittertschatscher (Hörspiel – ORF-Oberösterreich)
1994: Besuch im Altersheim – Regie: Alfred Pittertschatscher (Hörspiel – ORF-Oberösterreich)
1997: Ich bin Ophelia – Regie: Alfred Pittertschatscher (Original-Hörspiel – ORF-Oberösterreich)
Quellen: OE1-Hörspieldatenbank für die österreichischen und ARD-Hörspieldatenbank für die deutschen Produktionen
Literatur
Friedrich Denk: Die Zensur der Nachgeborenen. Zur regimekritischen Literatur im Dritten Reich. Denk-Verlag, Weilheim i. OB 1995, 3. Auflage 1996, ISBN 3-9800207-5-4.
Rainer Hackel: Gertrud Fussenegger. Das erzählerische Werk. Böhlau, Wien u. a. 2009.[32]
Norbert Langer: Etwas wie ein Gebet. Notizen zur religiösen Lyrik Gertrud Fusseneggers. In: Sudetenland: Europäische Kulturzeitschrift. Böhmen. Mähren, Schlesien, Jahrgang 29 (1987), S. 342–344.
Christopher Meid: Eine Reise ins „deutsche Prag“. Gertrud Fusseneggers Reisebericht Böhmische Verzauberungen (1944). In: Lublin Studies in Modern Languages and Literature, 48 (2024), H. 1 (= Sonderband Kulturlandschaften Ostmitteleuropas in der Reiseprosa. Hrsg. von Anna Pastuszka), S. 57–69 (als PDF online zugänglich).
Helmut Salfinger: Gertrud Fussenegger. Bibliographie. Böhlau, Wien u. a. 2002, ISBN 3-205-99461-2.
Sonja Segerer: Versuch über die Romane Gertrud Fusseneggers. Magisterarbeit, Universität Erlangen-Nürnberg 1993 (ungedruckt).
Carina Steeger: Gertrud Fussenegger – Autorin im Widerspruch? In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter für das Dritte Reich: biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Band 4, Aisthesis Verlag, Bielefeld 2018, S. 185–212.
↑ abcdeErnst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 172.
↑Uwe Baur und Karin Gradwohl-Schlacher: Literatur in Österreich 1938–1945. Band3: Oberösterreich. Böhlau, Wien 2014, S.207–14 (library.oapen.org [PDF]).
↑Carina Steeger: Gertrud Fussenegger – Autorin im Widerspruch? In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter für das „Dritte Reich“. Band 4: Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Aisthesis, Bielefeld 2018, S. 193f.
↑Carina Steeger: Gertrud Fussenegger – Autorin im Widerspruch? In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter für das „Dritte Reich“. Band 4: Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Aisthesis, Bielefeld 2018, S. 202f.
↑Carina Steeger: Gertrud Fussenegger – Autorin im Widerspruch? In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter für das „Dritte Reich“. Band 4: Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Aisthesis, Bielefeld 2018, S. 199.
↑Carina Steeger: Gertrud Fussenegger – Autorin im Widerspruch? In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter für das „Dritte Reich“. Band 4: Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Aisthesis, Bielefeld 2018, S. 185.
↑„Führer des Volkes, dem es gegeben war, Tränen der Freude zu locken aus lange erblindetem Aug’“. [...] Aus: Hymnus auf Hitler, zitiert nach Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 172.
↑Während der NS-Zeit wurden mindestens 217.000 Juden auf dem Gebiet der Tschechoslowakei ermordet. Vgl. Die faschistische Okkupationspolitik in Österreich und der Tschechoslowakei 1938–1945. Berlin 1988, ISBN 3-326-00293-9.
↑Aus Reiseaufzeichnungen. In: Das Innere Reich. 10. Jahrgang, 1943/44, S. 65–68.
↑Carina Steeger: Gertrud Fussenegger – Autorin im Widerspruch? In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter für das „Dritte Reich“. Band 4: Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Aisthesis, Bielefeld 2018, S. 207f.
↑Gertrud Fussenegger: „Aussage geschehenen Schicksals. Ein Selbstportrait“. In: Welt und Wort. Literarische Monatsschrift. (1952), S. 84. Zit. n. Steeger (2018), S. 207.
↑Klaus Amann: Die Dichter und die Politik. Essays zur österreichischen Literatur nach 1918. Edition Falter/Deuticke, Wien 1992, ISBN 3-85463-119-7, S. 295.
↑Carina Steeger: Gertrud Fussenegger – Autorin im Widerspruch? In: Rolf Düsterberg (Hrsg.): Dichter für das „Dritte Reich“. Band 4: Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie. Aisthesis, Bielefeld 2018, S. 207.
↑Erweiterte Dissertation bei Dieter Borchmeyer, Universität Heidelberg. Hannelore Schlaffer: Zeit des Raben, Zeit der Taube. In: Süddeutsche Zeitung. Nr. 106, 10. Mai 2010, S. 14.