Der preußische Justizminister Hanns Kerrl schuf durch Gründungsverordnung vom 29. Juni 1933 ein nationalsozialistisches Schulungslager für Rechtsreferendare in Jüterbog, etwa 60 Kilometer südlich von Berlin.[1] Der erste Lehrgang bestand aus dreiundvierzig preußischen Referendaren und begann am 11. Juli 1933.[2] Zwischen dem 12. Juli 1933 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 mussten etwa 20.000 preußische Rechtsreferendare acht Wochen ihres juristischen Vorbereitungsdienstes in diesem Schulungslager im Jüterboger Ortsteil Neues Lager verbringen.[1]
Seit dem 30. Januar 1936 wurden die Referendare aus dem gesamten Reichsgebiet ins Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ beordert; nicht mehr nur die aus Preußen;[1] jedoch erst in der Justizausbildungsordnung vom 4. Januar 1939 (Reichsgesetzblatt Teil I, S. 5) wurde angeordnet, dass deutschlandweit alle Rechtsreferendare zwei Monate ihres Vorbereitungsdienstes im Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ abzuleisten hatten.[6]
Die preußischen Justizreferendare waren anfangs in den Baracken einer Kaserne im Jüterboger Ortsteil Neues Lager untergebracht. Der erste Spatenstich für Neubauten erfolgte am 4. Januar 1934. Ende Februar 1936 war die Anlage für 720 Lehrgangsteilnehmer und das Führungspersonal weitgehend fertiggestellt.[7]
Schulungen
Gegenstand der Schulungen im Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ war weniger eine juristische Ausbildung als vor allem eine weltanschauliche Indoktrination im Geiste des Nationalsozialismus sowie ein paramilitärisches Training.[8] Die Rechtsreferendare waren für die Dauer ihres Aufenthalts im Gemeinschaftslager Jüterbog uniformiert.[9] Sie trugen eine graue Drillichuniform mit Hakenkreuz-Armbinde und dazu Kürassierstiefel (sogenannte Kanonenstiefel),[10] als Kopfbedeckung eine Feldmütze (ein so genanntes Feldkrätzchen).[11]
Einstellung des Betriebs
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 beanspruchte das Heer das Gelände bei Jüterbog für sich; der Schulungsbetrieb für Rechtsreferendare im Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ wurde eingestellt.[1]
Personal
Erster Leiter des NS-Juristenlagers in Jüterbog war der Oberstaatsanwalt Christian Spieler.[12] Spieler leitete jedoch nur von Juli 1933 bis Dezember 1934 das Jüterboger „Gemeinschaftslager“ für Rechtsreferendare. Im Januar 1935 wurde er durch den zum Architekten ausgebildeten Karl Hildebrandt abgelöst. Dieser blieb bis zur Schließung des Referendarlagers im Herbst 1939 im Amt.[13] Stellvertretender Lagerkommandant unter Christian Spieler war zunächst ein SA-Sturmführer namens Heesch aus Elmshorn. Ihm folgte der Amts- und Landrichter Dr. Freyher. Am 1. Juni 1934 wurde der Oberlandesgerichtsrat Maas (NSDAP-Mitglied seit 1. März 1932) zum stellvertretenden Lagerleiter berufen; er blieb bis Ende März 1936 in diesem Amt. Nach dem Wechsel in der Lagerleitung von Spieler zu Hildebrandt im Januar 1935 war vom 25. März 1936 bis Oktober 1938 Erich Lawall (NSDAP-Mitglied seit 1. Juni 1933) stellvertretender Lagerleiter. Lawalls Nachfolger von Oktober 1938 bis zur Schließung des Lagers Anfang September 1939 wurde ein gewisser Bahls.[14]
Folker Schmerbach: „Das »Gemeinschaftslager Hanns Kerrl« für Referendare in Jüterbog 1933–1939“, Verlag: Mohr Siebeck, 2008, ISBN 978-3-16-149585-4.
Henrik Schulze: „Jammerbock III – Die Wehrmacht (1935–1945)“, Band 3 der Militärgeschichte Jüterbogs 1792–2014 in 4 Bänden, E. Meißler, Dezember 2016, 670 Seiten, ISBN 978-3932566769, S. 280–294.
↑Lothar Gruchmann, „Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner“, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Nr. 28, 3., verbesserte Auflage, Oldenbourg-Verlag, München 2001, ISBN 978-3-486-53833-5, S. 301
↑Ilse Staff (Hrsg.), „Justiz im Dritten Reich. Eine Dokumentation“, Fischer-Bücherei, Bücher des Wissens, Frankfurt am Main und Hamburg, 1964, S. 136; dort ein Bericht von Justus W. Hedemann, Jena.
↑Ilse Staff (Hrsg.), „Justiz im Dritten Reich. Eine Dokumentation“, Fischer Bücherei, Bücher des Wissens, Frankfurt am Main und Hamburg, 1964, S. 140ff., S. 140
↑Anne C. Haupt, Fabian Forst, Bundesarchiv, Reichsjustizprüfungsamt, BArch R 3012, https://www.bundesarchiv.de/findbuecher/rlg_findm/findb/R3012-34887.xml : „Das Lager diente zur Heranbildung einer ideologisch geschulten und im nationalsozialistischen Sinne gefestigten künftigen juristischen Funktionselite.“
↑Lothar Gruchmann, „Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner“, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Nr. 28, 3., verbesserte Auflage, Oldenbourg-Verlag, München 2001, ISBN 978-3-486-53833-5, S. 310: In der Allgemeinverfügung zum Ausbau des Gemeinschaftslagers Hanns Kerrl des Reichsjustizministeriums von Oktober 1937 „…hieß es ausdrücklich, daß »eine Ausbildung in militärischer Form unterbleibt«, da soldatische Haltung bei den Referendaren nunmehr vorausgesetzt werden könne. Dennoch trugen die Referendare - später bei Ausgang aus dem Lager nicht mehr - weiterhin Uniform.“
↑Sebastian Haffner, „Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914–1933“, Deutscher Taschenbuch-Verlag (dtv), München, Juni 2002, Kap. 35, S. 252: „Vier Wochen später trug ich Kanonenstiefel und eine Uniform mit einer Hakenkreuzbinde und marschierte viele Stunden am Tage als Teil einer uniformierten Kolonne in der Umgebung von Jüterbog umher…“. Siehe auch Kap. 36, S. 255/256: „Sie alle trugen dieselbe graue Uniform mit Hakenkreuzbinde…“
↑Marc von Miquel, „Juristen: Richter in eigener Sache“, S. 181–237, S. 185, in: Norbert Frei (Hrsg.), „Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945“, Campus-Verlag, Frankfurt am Main / New York. In Zusammenarbeit mit Tobias Freimüller, Marc von Miquel, Tim Schanetzky, Jens Scholten, Matthias Weiß
↑Folker Schmerbach, „Das »Gemeinschaftslager Hanns Kerrl« für Referendare in Jüterbog 1933–1939“, Mohr Siebeck, 2008, S. 76
↑Lothar Gruchmann, „Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner“, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Nr. 28, 3., verbesserte Auflage, Oldenbourg-Verlag, München 2001, S. 311
↑Sabine Schneider, Eckart Conze, Jens Flemming, Dietfrid Krause-Vilmar (Hg.), „Vergangenheiten. Die Kasseler Oberbürgermeister Seidel, Lauritzen, Branner und der Nationalsozialismus“, Schüren-Verlag, Marburg, 2015, S. 70, https://www.uni-kassel.de/fb01/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=622&token=4d58397922862b7446bfba01e50a57f357e69249 : „Vom 10. Februar bis zum 4. April 1936 absolvierte er das obligatorische «Gemeinschaftslager Hanns Kerrl» für Referendare im brandenburgischen Jüterbog.“