Johann Friedrich August Esmarch, seit 1887 von Esmarch (* 9. Januar1823 in Tönning; † 23. Februar1908 in Kiel), war ein deutscher Chirurg und Begründer des zivilen Samariterwesens in Deutschland.
Friedrich Esmarch stammte aus einer alten schleswig-holsteinischen Pastoren- und Juristenfamilie. Seine Eltern waren der Physikus Theophilus Christian Casper Esmarch (1798–1864) und dessen Ehefrau Friederike Brigitte, geborene Homann. Bereits 1830 zog die Familie nach Rendsburg, wo der Vater als Arzt tätig war.
Esmarch studierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Medizin und wurde Mitglied der Burschenschaft Teutonia zu Kiel.[1] Er wechselte an die Georg-August-Universität Göttingen und hörte und assistierte Bernhard von Langenbeck.[2] Im achten Semester musste er sein Studium unterbrechen, um im 1. schleswig-holsteinischen Befreiungskrieg als Leutnant des Turner- und Studentencorps und Adjutant des Kommandierenden des Jägercorps zu dienen; noch vor der ersten Schlacht von Langenbeck erhielt er ein Diplom als Arzt.[3] In Göttingen wurde er 1848 zum Doktor der Medizin promoviert; 1849 habilitierte er sich für Chirurgie. Als Oberarzt II. Classe war er Assistent des GeneralstabsarztesLouis Stromeyer.[4][5] Ab 1854 war er als Nachfolger von Stromeyer in Kiel Ordinarius für Chirurgie und Augenheilkunde sowie Direktor des Friedrichshospitals in der Flämischen Straße. Sein Assistent war von 1886 bis 1890 der Chirurg August Bier. Kriegschirurgie und Erste Hilfe bildeten die Schwerpunkte in Esmarchs beruflichem Leben. In der Schleswig-Holsteinischen Erhebung und in den drei deutschen Einigungskriegen[6] konnte er vielfältige Erfahrungen sammeln. Er führte das Verbandpäckchen und das Dreiecktuch 1879 ein, ebenso die Beinschienen und den Verbandtornister. In seiner Heimatstadt Tönning wurde er außerdem aufgrund seiner Erfindung des Eisbeutels als „Fiete Isbüdel“ bekannt. Die Erste Hilfe hatte er bereits in seiner vielfach aufgelegten Schrift Der erste Verband auf dem Schlachtfelde von 1869 propagiert.
Von 1854 bis 1899 war er Direktor des Chirurgischen Universitätsklinikums, eine Stellung, die er für die Einführung vieler neuer Methoden nutzte. Als von Esmarch am 1. April 1899 emeritierte, wurde Heinrich Helferich sein Nachfolger als Direktor der chirurgischen Klinik.[7]
Gemeinsam mit dem „Irrenarzt“ Peter Willers Jessen stellte er auf der Grundlage klinischer Studien 1857 als Erster die Vermutung auf, dass Syphilis Ursache der Neurolues sei.[8] Im Deutsch-Französischen Krieg war er beratender Chirurg der Preußischen Armee. Er entwickelte sich zu einem der bedeutendsten Chirurgen des 19. Jahrhunderts. Auf ihn geht das Dreiecktuch zur Stütze bei Armverletzungen zurück und er entwickelte zwei wichtige Verfahren, die bis heute angewandt werden und seinen Namen tragen, den Esmarch-Handgriff[9] und die 1873 publizierte[10] „Esmarchsche Blutleere“,[11] bei der die Extremitäten mittels einer elastischen Gummibinde ausgewickelt werden, wodurch der Blutverlust während Operationen reduziert werden kann.[12] Die auf den von Etienne J. Morel (1674) angewandten Knebel zurückgehende künstliche Blutleere erkannte Esmarch in ihrer Bedeutung für die Versorgung von ausgedehnten Weichteilverletzungen.[13]
Esmarch war Generalarzt mit dem Rang als Generalmajorà la suite des Sanitätskorps,[14]Geheimer Medizinalrat, Ehrenmitglied zahlreicher Fachverbände des In- und Auslands sowie Inhaber einer Reihe von Orden. 1853 heiratete Esmarch Anna Stromeyer, mit der er drei Kinder hatte. Seine Frau Anna erkrankte gegen Ende der 1860er Jahre an Tuberkulose und starb 1870. Zwei Jahre später verliebte sich eine Patientin, Prinzessin Henriette von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, eine Tante der späteren Deutschen Kaiserin Auguste Viktoria, in ihn. Sie heirateten, und in Anerkennung seiner Verdienste wurde Esmarch 1887 durch Kaiser Wilhelm I. in den erblichen preußischen Adelsstanderhoben.[15]
Esmarch-Straßen in Bad Segeberg, Berlin-Prenzlauer Berg, Sebaldsbrück, Elmshorn, Hamburg-Altona, Heide (Holst.), Kassel, Kiel, Düsseldorf, München und Münster.
Begründer des Samariterwesens
Friedrich Esmarch hatte während seiner Teilnahme am Internationalen Hygiene-Kongress in London im Jahre 1881 die Einrichtungen der dortigen „St. John Ambulance Association“ kennengelernt. Diese Rettungsorganisation war bereits 1877 gegründet worden und hatte überall in England Sanitätsschulen eingerichtet und freiwillige Helfer für den Rettungs- und Sanitätsdienst ausgebildet. Um 1875 hatte Esmarch die Antisepsis in die Kriegschirurgie[21] eingeführt.
Sofort nach seiner Heimkehr begann Esmarch Anfang 1882 mit den Vorbereitungen zu einem ersten deutschen Samariterkursus in Kiel. In diesem Zusammenhang entstand auch sein Werk Die erste Hülfe bei plötzlichen Unglücksfällen – Ein Leitfaden für Samariter-Schulen, das zu den bekanntesten Erste-Hilfe-Leitfäden gehörte, in den folgenden Jahrzehnten schließlich in fast 30 Sprachen übersetzt wurde und im Jahre 1931 seine 50. Auflage erlebte.
Es folgte am 5. Mai 1882 die Gründung des Deutschen Samariter-Vereins in Kiel. Im Unterschied zu seinem englischen Vorbild sollte der Kieler Verein nach dem Willen seiner Begründer aber nicht die Zentrale eines über das ganze Land verbreiteten Zweigvereinswesens sein, sondern lediglich als Vorbild für ähnliche Organisationen dienen, denen man mit Lehrmitteln oder allen erforderlichen Ratschlägen zur Seite stehen wollte. Als Folge der Anregung Friedrich von Esmarchs und nach dem Vorbild des Samariter-Vereines in Kiel wurden in verschiedenen deutschen Städten in den folgenden Jahren ebenfalls Samariterkurse veranstaltet bzw. weitere Samaritervereine gegründet. Vorsitzender des Berliner Zweigvereins wurde der GeneraladjutantKaiser Wilhelms I., General der KavallerieAlfred Bonaventura von Rauch.[22]
Als die Zahl der Samariterorganisationen in Deutschland zunahm, entwickelte sich das Bedürfnis, die unabhängig nebeneinander bestehenden Vereine zu einem Verband zu vereinigen, um einheitliche Grundsätze zu entwickeln und gegenüber anderen Vereinigungen und auch staatlichen Behörden und Institutionen geschlossener und kraftvoller auftreten zu können. Auf dem ersten deutschen Samariter-Tag in Berlin vom 18. bis 20. September 1896 wurde die offizielle Gründung des Deutschen Samariter-Bundes vollzogen, der ab 1908 den Namen „Deutsche Gesellschaft für Samariter- und Rettungswesen“ trug.
Ein Vertreter des Samariterwesens, der Sanitätsrat Leopold Henius (1841–1924) aus Berlin, hielt am 22. Juni 1900 auf dem deutschen Ärztetag in Freiburg im Breisgau einen Vortrag über Die Bedeutung des Samariter- und Rettungswesens für den deutschen Ärztestand. Im Anschluss an diesen Vortrag beschloss der deutsche Ärztetag folgende Leitsätze, mit denen die deutsche Samariterbewegung seitens der deutschen Ärzteschaft erstmals offiziell eine Bestätigung dessen erfuhr, was sie selbst seit ihrer Gründung immer wieder zu den Grundsätzen ihrer Bestrebungen erklärt hatte:
Die Ausübung der ersten Hilfe bei Unglücksfällen und plötzlichen Erkrankungen steht den Ärzten zu. Einheitliche Einrichtung des Rettungsdienstes gewährt am besten sichere und zweckmäßige ärztliche Hilfe.
Nur in denjenigen Fällen, in denen ärztliche Hilfe nicht sofort zu beschaffen ist, namentlich auf dem Lande und in kleinen Städten, ist die Hinzuziehung des Laienelements zulässig. Doch sollen sich die für die Leistung der ersten Hilfe eigens von Ärzten ausgebildeten Samariter darauf beschränken, dem Verletzten alles fernzuhalten, was ihm schaden könnte, und ihn möglichst schnell ärztlicher Versorgung zu übergeben. Die in großen Städten zu treffenden Einrichtungen zur Beschaffung erster ärztlicher Hilfe bei Unfällen oder plötzlichen Erkrankungen (Rettungswachen, Unfallstationen, Sanitätswachen) sollen von den städtischen Verwaltungen unterhalten oder finanziell sichergestellt werden. Sie entsprechen nur dann den Interessen des Publikums wie der Ärzte,
wenn sie bezüglich der Einrichtung und ihres Betriebes einer ärztlichen Oberleitung unterstehen;
wenn auf der Wache selbst oder am Orte des Unfalles resp. der Erkrankung die Hilfe von Ärzten geleistet wird;
wenn sie sich darauf beschränken, nur die erste und nur einmalige Hilfe zu gewähren;
wenn die Teilnahme am Rettungsdienst sämtlichen Ärzten gestattet wird, die sich bestimmten, vertragsmäßig festzusetzenden Bedingungen unterwerfen, welche den Standesvertretungen zur Genehmigung vorgelegt werden können;
wenn sie über geeignete Transportmittel verfügen, um Verletzte und Schwerkranke möglichst schnell und in zweckmäßiger Weise in ihre Wohnung oder in ein Krankenhaus zu schaffen;
wenn sie außer der Gewährung erster Hilfe keinerlei Nebenzwecke verfolgen;
wenn der Öffentlichkeit keinerlei Mitteilungen über Vorkommnisse bei den Verletzten und Erkrankten gemacht werden;
wenn Unbemittelten die Hilfe unentgeltlich, sonstigen Patienten nach den üblichen Taxsätzen geleistet wird.
Schriften (Auswahl)
mit Peter Willers Jessen: Syphilis und Geistesstörung. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie. Band 14, 1857, S. 20–36.
Der erste Verband auf dem Schlachtfelde. Schwers’sche Buchhandlung, Kiel/Leipzig 1869 (mdz-nbn-resolving.de, Digitalisat); 3. Auflage: Lipsius & Fischer, Kiel 1899.
Verbandplatz und Feldlazareth: Vorlesungen für angehende Militairärzte. August Hirschwald, Berlin 1868. (archive.org, Digitalisat)
Ueber den Kampf der Humanität gegen die Schrecken des Krieges. Ein Vortrag. Kiel 1869.
Über künstliche Blutleere bei Operationen (= Volkmanns Sammlung klinischer Vorträge. Band 58). 1873.
Die antiseptische Wundbehandlung in der Kriegschirurgie. 1876.
Zur Resection des Schultergelenkes. 1877.
Handbuch der kriegschirurgischen Technik. C. Rümpler, Hannover 1878 (auch Kiel 1893 und 1901).
Die erste Hülfe bei plötzlichen Unglücksfällen. Ein Leitfaden für Samariter-Schulen in fünf Vorträgen. F. C. W. Vogel, Leipzig 1882; weitere Auflagen z. B. 1886, später unter dem Titel Die erste Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen. Ein Leitfaden für Samariter-Schulen in sechs Vorträgen. 1912, 1913 und 1931 (archive.org, Digitalisate).
Die Axen und Ebenen des Körpers. Lipsius & Tischer, Kiel 1882.
Zur Belehrung über das Sitzen der Schulkinder. Lipsius & Tischer, Kiel 1884.
Schema zu Physiologie der Harnentleerung. Lipsius & Tischer, Kiel 1884.
mit E. Kowalzig: Operationen an Brust, Bauch und Becken. Lipsius & Tischer, Kiel und Leipzig 1899.
Operationen an Kopf und Hals. Lipsius & Tischer, Kiel und Leipzig 1899.
Christian Zöllner: Friedrich von Esmarch, 1823–1908, eine Biographie. Ludwig, Kiel 2023, ISBN 978-3-86935-442-2.
Christian Zöllner: Der Kieler Samariter Friedrich (von) Esmarch. Kranken- und Verwundetenpflege – Rotes Kreuz – Samariterbund – im 19. Jahrhundert. Ludwig, Kiel 2022, ISBN 978-3-86935-426-2.
Jan Schlürmann: Friedrich von Esmarch und die Schleswig-Holsteinische Erhebung 1848–1851. In: Friedrich von Esmarch (1823–1908). Ausstellung anlässlich seines 100. Todestages. herausgegeben von der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek, Kiel 2008, S. 17–21.
Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt, Hartwig Molzow: Johannes Friedrich August Esmarch. In: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck. Neumünster 1985, Bd. 7, S. 56–59.
Harry Schmidt: Friedrich von Esmarch. Jugenderinnerungen. Westholsteinische Verlagsanstalt, Heide 1938.
Esmarch, Johannes Friedrich August. In: Eduard Alberti (Hrsg.): Lexikon der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen und Eutinischen Schriftsteller von 1829 bis Mitte 1866. Bd. 1: A–L, Akademische Buchhandlung, Kiel 1867, S. 193 ff. (mit Angaben zu Veröffentlichungen).
Kerstin Nees: Johann Friedrich August von Esmarch. In: Geschichte: Große Forscher und Forscherinnen. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, abgerufen am 14. September 2018.
Christa Geckeler: Friedrich von Esmarch. In: Ehrenbürger*innen von Kiel. Landeshauptstadt Kiel, Stadtarchiv, Rathaus, abgerufen am 10. September 2018.
↑Nicolai Guleke: Kriegschirurgie und Kriegschirurgen im Wandel der Zeiten. Vortrag gehalten am 19. Juni 1944 vor den Studierenden der Medizin an der Universität Jena. Gustav Fischer, Jena 1945, S. 34.
↑Vgl. Wilhelm Anschütz: Der junge Dr. Esmarch und Professor Stromeyer in den schleswig-holsteinischen Befreiungskriegen. Festschrift zum 275jährigen Bestehen der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Hirzel, Leipzig 1940.
↑Vgl. auch Wilhelm Anschütz: Der junge Dr. Esmarch und Professor Stromeyer in den schleswig-holsteinischen Befreiungskriegen. Festschrift zum 275jährigen Bestehen der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Hirzel, Leipzig 1940.
↑Friedrich Esmarch: Ueber künstliche Blutleere bei Operationen. In: Sammlung klinischer Vorträge. Band 58, 1873, S. 373–382.
↑Otto Dornblüth: Blutleere. In: Klinisches Wörterbuch (13./14. Auflage, 1927). textlog.de, abgerufen am 24. November 2014.
↑Nicolai Guleke: Kriegschirurgie und Kriegschirurgen im Wandel der Zeiten. Vortrag gehalten am 19. Juni 1944 vor den Studierenden der Medizin an der Universität Jena. 1945, S. 34.
↑Hermann Ecke, Uwe Stöhr, Klaus Krämer: Unfallchirurgie. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Mit einem Geleitwort von Rudolf Nissen. Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 204–216, hier: S. 207.
↑A. Freiherr von Houwald: Brandenburg-Preußische Standeserhebungen und Gnadenakte für die Zeit 1873–1918. Görlitz 1939, S. 52.
↑Jürgen Voigt, Brigitte Lohff: Ein Haus für die Chirurgie 1802–1986. Zur Geschichte der einzelnen Kliniken und ihrer Professoren an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1986, ISBN 3-529-7208-7, S. 149.
↑Vgl. Nicolai Guleke: Kriegschirurgie und Kriegschirurgen im Wandel der Zeiten. Vortrag gehalten am 19. Juni 1944 vor den Studierenden der Medizin an der Universität Jena. Gustav Fischer, Jena 1945, S. 34.
↑Deutscher Samariter-Verein (Kiel): Jahresbericht des Deutschen Samariter-Vereins zu Kiel. 1891 (google.de [abgerufen am 29. August 2024]).
Chirurgie-Ordinarien der Christian-Albrechts-Universität