Friedrich Wilhelm GrafFriedrich Wilhelm Graf (* 19. Dezember 1948 in Wuppertal) ist ein evangelischer Theologe und emeritierter Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität München (LMU). WerdegangNach seinem Abitur am Evangelisch-Stiftischen Gymnasium in Gütersloh, Westfalen, 1969 und einem mehrmonatigen Aufenthalt in Japan studierte Graf evangelische Theologie, Philosophie und Geschichte in Wuppertal, Tübingen und München. 1978 wurde er mit einer von Falk Wagner, dem einflussreichsten Hegelianer in der protestantischen Theologie des späten 20. Jahrhunderts, angeregten Arbeit über David Friedrich Strauß als Dogmatiker und Christentumskritiker in München zum Dr. theol. promoviert. Noch im selben Jahr veröffentlichte er ein viel beachtetes Buch über „liberalreligiöse“ katholische Reformbewegungen im deutschen Vormärz. Die Habilitation folgte 1986 mit einer theologiehistorischen Studie Theonomie. Fallstudien zum Integrationsanspruch neuzeitlicher Theologie. Von 1986 bis 1988 war Graf Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Im Jahr 1988 erhielt er einen Ruf als Professor für Systematische Theologie und neuere Theologiegeschichte an die Universität Augsburg.[1] In den Jahren 1992 bis 1996 lehrte er als Ordinarius für Evangelische Theologie und Sozialethik an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Nach Ablehnung eines Rufes an die Universität Würzburg kehrte er 1996 als Ordinarius für Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen an die Universität Augsburg zurück. Rufe an Universitäten in den USA und in Großbritannien lehnte er ebenso ab wie Angebote, in die Forschungsabteilung der „Lutheran World Federation“ in Genf einzutreten. Von 1999 bis zum Wintersemester 2013/14 war er in Nachfolge seines akademischen Lehrers Trutz Rendtorff Ordinarius für Systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 1997 bis 1999 baute er als ein Gründungsfellow zugleich das Max-Weber-Kolleg an der neugegründeten Universität Erfurt mit auf.[2] Als erster Theologe wurde Graf 1999 mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Außerdem ist er seit 2001 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hier ist der auch zur Ideen- und Geistesgeschichte der Moderne publizierende Theologe Vorsitzender der auf seine Initiative hin gegründeten Kommission für Theologiegeschichtsforschung. Von 2011 bis 2020 war er auch Vorsitzender der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, in deren Auftrag die 2020 abgeschlossene Max-Weber-Gesamtausgabe ediert wurde. 1983 wurde Graf Mitglied des Vorstands der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft und war von 1994 bis 2015 deren Präsident. Er ist somit maßgeblich verantwortlich für die Kritische Gesamtausgabe der Werke Ernst Troeltschs. Seit 1998 ist er Mitglied im Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte, dessen Zweiter Vorsitzender er einige Jahre lang war. Von 2003 bis 2007 war Graf Erster Vorsitzender des Trägervereins des Instituts TTN (Technik-Theologie-Naturwissenschaften) an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Kollegjahr 2003/2004 war er Forschungsstipendiat am Historischen Kolleg München. Nachdem er einen Ruf als Permanent Fellow abgelehnt hatte, verbrachte er das akademische Jahr 2006/07 als Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Einem Ruf als Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen leistete er keine Folge. Von 2009 bis 2012 hatte er im Rahmen des Eliteprogramms der LMU eine durch die Exzellenzinitiative finanzierte Forschungsprofessur inne. Graf lehrte an Universitäten in den USA, Kanada, Dänemark, Norwegen, Portugal, Großbritannien, Indien, Südkorea, Japan, Ägypten und Südafrika. Er ist Research Fellow der University of Pretoria und seit 2001 auch Visiting Professor der Seigakuin University in Tokyo. Seine in Tokyo und Kyoto gehaltenen Vorlesungen sowie Übersetzungen seiner Werke erreichten auf dem japanischen Markt hohe Auflagen. Themen und MedienpräsenzGraf ist vielfältig in den Medien präsent und seine Schriften und Äußerungen haben einiges an Aufsehen und Auseinandersetzungen ausgelöst. Die Wiederkehr der Götter (3. Auflage 2004, erweiterte Taschenbuchausgabe 2007) war seine bisher erfolgreichste Veröffentlichung. Graf hält auch häufig Vorträge zu seinen Forschungsergebnissen.[3] Er ist ständiger freier Kolumnist der NZZ[4], der FAZ[5] und schreibt auch für Die Zeit, Die Welt und die Süddeutsche Zeitung. Im Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken veröffentlichte er in den Jahren 2014 bis 2017 zweimal jährlich eine Religionskolumne. Die Doppelfrage Friedrich Schleiermachers „Soll der Knoten der Geschichte so auseinander gehen? Das Christenthum mit der Barbarei, und die Wissenschaft mit dem Unglauben?“ aus dem Sendschreiben über die Glaubenslehre (1829), einem der berühmtesten Texte der theologischen Moderne, führt er als zentrale Fragestellung an.[6] Der entschieden liberale Intellektuelle tritt für ein Verständnis des Christentums als „denkender Religion“ ein, die selbstbestimmte Reflexivität befördern soll. Zur Ökumene und ReformationsgeschichteIn einer Rezension[7] der Reformationsgeschichte Thomas Kaufmanns[8] sah er diesen die „Reformation als einen Prozess der theologischen Infragestellung, der publizistischen Bekämpfung und der gestaltenden Veränderungen des überkommenen Kirchentums“ beschreiben, an dessen Ende, gegen die Intention wichtiger Akteure, drei eigenständige Konfessionskulturen entstanden waren. Die alle Dimensionen der Lebensführung und des Gemeinwesens durchdringende Macht der christlichen Religion vermochte demnach über einen im Kern religiösen, kirchlichen Prozess das politische Institutionengefüge gehörig zu verändern.[7] Graf polemisierte dabei gegen die „ökumenische Schnapsidee“[7], den Papst 2017 nach Wittenberg oder auf die Wartburg einzuladen. Dies hätte nur Kirchenfunktionären mit sehr überschaubarer reformationshistorischer Bildung einfallen können. Die Protestanten bräuchten und wollten demnach keinen Papst. Die „Freiheit eines Christenmenschen“ schließe klerikalen Autoritätskult aus.[7] Einem 2011 erfolgten spontanen mündlichen Votum Grafs für eine Konferenz der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Alfred Herrhausen Gesellschaft zufolge werde die evangelische Kirche zunehmend von „jungen Frauen, meistens eher mit einem kleinbürgerlichen Sozialisationshintergrund, eher Muttitypen als wirklich Intellektuelle“ geprägt. Deren Form von Religiosität drohe „einen Kuschelgott mit schlechtem Geschmack“ zu verbinden.[9] Seine Beschreibung der sich beschleunigenden – aber von ihm keineswegs abgelehnten, sondern als höchst wünschenswert beschriebenen – „Feminisierung“ des Berufs des evangelischen Pfarrers verknüpfte Graf mit einer religionsanalytischen These: Soziologisch gesehen drifteten die beiden großen Volkskirchen im Lande trotz aller forcierten Ökumenerhetorik zunehmend auseinander, jedenfalls solange, wie das Amt des geweihten (und zölibatär leben sollenden) Priesters auf Männer beschränkt bleibe. Debatte um Strukturreform in BayernAm 3. Mai 2003 wurde in der SZ ein Artikel von Graf veröffentlicht, in dem die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern im Allgemeinen und ihr Ausbildungskonzept im Besonderen in Frage gestellt wurde (Unkulturprotestantismus – Die bayerische Landeskirche ist auf dem Weg zur Sekte). Der sehr polemisch gehaltene Artikel löste eine über Monate andauernde öffentliche Debatte aus.[6] Grafs pointierten Formulierungen nach liegt in der bayerischen „Gottesgelehrsamkeitsliga“ die Spielstärke vom Leistungsniveau der Profis des FC Bayern München bis hin zu Freizeitkickern fränkischer Dörfer.[6] Ein Studium bei Professoren, die auf den vorderen Plätzen der akademischen Bundesliga spielten oder die Trophäen der wissenschaftlichen Champions League nach Hause brächten, sei intellektuell viel fordernder als eine Ausbildung bei Lehrenden, die die – so wörtlich – Klerikalliga Süd[6] für die Geisteswelt überhaupt hielten. 64 % der bayerischen evangelischen Theologiestudenten legten ihre Zwischenprüfung in Neuendettelsau ab und hätten teilweise niemals eine Universität von innen gesehen. Die Landeskirche wandere „im finsteren Tale“, wenn sie die Fakultäten beschädige, aber gleichzeitig eine eigene „Hochschule“ mit nur dürftigem Lehrangebot subventioniere und mit staatlichen Mitteln unterstützen lasse.[6] Eine evangelische Kirche, die in der Wissensgesellschaft die Entakademisierung ihrer zukünftigen Funktionselite betreibe, gebe ihre Corporate Identity preis und werde auf konkurrenzgeprägten durchaus boomenden Religionsmärkten weitere Marktanteile verlieren. Auch Sinnunternehmen müssten Managementfehler vermeiden.[6] Graf forderte daher die Auflösung der Augustana-Hochschule Neuendettelsau zugunsten der Stärkung der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg, der alten bayerischen 'Landesfakultät'. Dass diese 2007 mit Zustimmung der bayerischen Landeskirche aufgehoben wurde und ihre Professorenstellen in die Philosophische Fakultät überführt wurden, sah er als eine Bestätigung seiner Sorgen über eine selbstgewählte, aber intellektuell verarmende Emigration der Evangelischen Theologie aus den staatlichen akademischen Institutionen und der gelehrten Welt.[6] Dawkins und HitchensGraf setzte sich feuilletonistisch mit dem neuen Atheismus in Gestalt von Richard Dawkins und Christopher Hitchens auseinander.[10] Graf meint, Dawkins wiederhole wenig Originelles. Dass nicht Gott die Bibel schrieb, sondern die Heilige Schrift gegensätzliche Texte unterschiedlicher Autorenkollektive und frommer Individuen versammle, wisse man schon seit gut 300 Jahren.[10] In der Kritik der alten metaphysischen Gottesbeweise bleibe Dawkins weit unter dem Reflexionsniveau David Humes oder Immanuel Kants, die er dank mangelnder Quellenkenntnis für knallharte Atheisten halte.[10] Dawkins mache bei der Religionskritik zuweilen mit seinen ärgsten Feinden, den Kreationisten, gemeinsame Sache.[10] Gegen all jene Religionsanalytiker, die religiöse Symbolproduktion und wissenschaftliche Theoriebildung strikt unterscheiden und deshalb die Fehden zwischen Schöpfungsgläubigen und Neodarwinisten für sachlich gegenstandslos halten, wisse er sich mit den Kreationisten darin eins, dass Glaube und Wissen denselben Deutungsanspruch erhöben.[10] Hitchens fehlten die analytischen Mittel und das Verständnis, die elementare Ambivalenz aller religiösen Symbolsprachen und ihre hohe Interpretationsoffenheit zu erkennen. Er sei nicht in der Lage, Erklärungen dafür anzubieten, warum in Glaubensbildern Tendenzen der Selbstverabsolutierung durch Gleichschaltung mit Gott ebenso angelegt seien wie eine durchaus heilsame und demütige Selbstlimitierung möglich werde.[10] Kritik an Margot KäßmannGraf veröffentlichte im Februar 2011 nach dem Rücktritt von Margot Käßmann vom EKD-Ratsvorsitz und Landesbischofsamt einen kritischen Artikel über sie. Käßmann stamme aus „kleinbürgerlichen“ Verhältnissen und sei wegen ihrer Rhetorik und einer Fähigkeit zur Selbstinszenierung rasch in höchste Kirchenämter aufgestiegen. Ihre Aussagen zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan von 2009 seien „Gesinnungspazifismus“. Sie habe ihre eigene politische Meinung durch ein häufiges „Ich“-Sagen implizit zur einzig gültigen christlichen Haltung erklärt. Damit habe sie einen neuen „Klerikalismus“ gefördert, der dem reformatorischen Priestertum aller Gläubigen widerstreite. Sie unterscheide kaum zwischen Religion und Moral und setze in der Verkündigung des Evangeliums vor allem auf moralische Kommunikation. Ihr Rücktritt sei konsequent gewesen, da sie die eigene „präreflexive Unmittelbarkeit“, die Übereinstimmung ihrer verkündeten Moral mit dem eigenen Ich, vorher öffentlich so deutlich in Szene gesetzt habe.[11] Assistierter SuizidGraf veröffentlichte im Mai 2015 im Merkur einen viel beachteten Essay, in dem er sich in die damals laufende Debatte um den assistierten Suizid einschaltete.[12] Er argumentierte entgegen der traditionell kirchlichen Überzeugung zu Gunsten des ärztlich assistierten Suizids. Dieser sei eine legitime Ausübung der Freiheitsrechte des Individuums, die dem Menschen als Konsequenz des Geschenks freien Lebens durch Gott zustünden. Die Kirchen dürften sich deshalb nicht für eine Verschärfung der Gesetzgebung gegen den ärztlich assistierten Suizid einsetzen. Er lobte den Gesetzentwurf der Abgeordneten Peter Hintze (CDU), Carola Reimann (SPD), Karl Lauterbach (SPD) und anderer.[13][14] Ehrungen
SchülerZu den bedeutenden Schülern von Friedrich Wilhelm Graf gehören Alf Christophersen, Stefan Pautler,[15] Astrid Reuter und Friedemann Voigt. Veröffentlichungen (Auswahl)
Sekundärliteratur
Weblinks
Einzelnachweise
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