Laut eigener Aussage des Künstlers bei seiner Ernennung zum Ritter (1638) kam er als Sohn des Pietro Martino Cairo am 26. September 1607 in Santo Stefano in Brivio (oder Brevio) „bei Mailand“ zur Welt.[8] In der Überlieferung nach Orlandi und Guarienti jedoch wurde (und wird manchmal) sein Geburtsjahr als 1598 angegeben, und der Geburtsort als Varese oder ein Dorf bei Varese,[9] wo er seine Jugend verbrachte. Später in Mailand war er vermutlich Schüler von Pier Francesco Morazzone,[3][7] und eventuell auch von Cerano, Giulio Cesare Procaccini und/oder Tanzio da Varallo.[10]
Um 1629 oder 1630 ging er nach Turin, möglicherweise wegen der in Mailand ausbrechenden Pestepidemie.[3] Bereits 1633 war er als Maler am Hof des Vittorio Amedeo I. von Savoyen angestellt.[3][7] Dieser beklagte sich allerdings Ende des Jahres 1635 darüber, dass Cairo eine damals als skandalös empfundene uneheliche Beziehung mit der Tochter eines Filippo Pelignino begonnen hatte. Aus dieser Verbindung ging auch eine Tochter hervor.[3]
Später heiratete der Maler Ludovica Piossasco, eine Tochter des Grafen Marco Andrea di Scalenghe, was ihm gesellschaftlich einige Vorteile einbrachte.[3] Außer für den Herzog arbeitete Cairo auch für Kardinal Maurizio und für den Fürsten Tommaso Francesco von Savoyen.[3]
Erste dokumentierte Werke von Cairo stammen aus der Zeit um 1635.[3] Sein Frühwerk ist von Morazzone beeinflusst und folgt der zeitgenössischen Strömung des Tenebrismus. Cairo war ein „eleganter Zeichner und wirkungssicherer Kolorist, der ‚Weichheit, Anmut und Empfindung mit einer gewissen Entschlossenheit der Pinselführung zu verbinden suchte‘ (Woermann)“.[7]
Bekannt ist Cairo besonders für seine Gemälde von „schrecklichen“ pathetischen Themen, besonders von koloristisch subtil gemalten Darstellungen leidender Frauenfiguren wie Salome oder Herodias(?; ital. „Erodiade“)[11] mit dem Haupt Johannes d. Täufers, Judith mit dem Haupt des Holofernes, das Martyrium der hl. Agnes, der Selbstmord der Cleopatra oder der Lucretia, die alle in mehreren Versionen existieren und mit denen er den Zeitgeschmack traf. In eine ähnliche Richtung gehen Bilder wie der Hl. Sebastian, David mit dem Haupt des Goliath oder die Enthauptung des Täufers.[3]
Cairo wurde auch als Porträtmaler geschätzt; Beachtung verdienen besonders seine Selbstbildnisse in den Uffizien und in der Brera und das Porträt des Kunstschriftstellers und Malers Luigi Scaramuccia.[7]
Nach dem Tode Vittorio Amedeos (1637) unternahm Cairo eine Reise nach Rom, wo er etwa zwei Jahre blieb[3] und mit den modernen Kunstströmungen in Kontakt kam, besonders mit den Caravaggisten und Guercino, aber auch mit dem Klassizismus der Carracci und ihrer Nachfolger. Danach folgte eine Phase, in der er zwischen Turin, Mailand und Varese hin und her pendelte.[3] Um 1644 war er wieder in Mailand.[3]
Am 16. September 1646 erhielt er von Cristina di Savoia ein Lehensgut in Peglia, über das es jedoch später diverse Streitereien gab.[3] Ein Jahr später bestellte die Fürstin bei ihm das Votivbilddie Madonna erscheint vor Petrina Tesio für das Santuario dell’Apparizione in Savigliano, das ein gutes Beispiel für seinen neuen heiteren Stil ist.[3]
Francesco del Cairo malte zahlreiche Altarbilder für Kirchen in Mailand, Turin, Varese, und selbst für Santa Maria degli Scalzi in Venedig.[3]
Zu den bedeutenden Werken seiner Spätzeit gehören das 1660 entstandene Martyrium des hl. Stefan in der Kirche Santo Stefano in Casale Monferrato und die Madonna mit Kind und zwei Heiligen in der Certosa di Pavia aus der gleichen Zeit.[3]
Sein vielleicht letztes Werk ist die Predigt des hl. Franz Xaver vor den Indern in der Kirche San Bartolomeo in Modena.[3]
Francesco del Cairo starb in Mailand am 27. Juli 1665. Er hinterließ neun Kinder, von denen keines als Maler bekannt ist.[3]
Bildergalerie
Christus in Gethsemane, 1633–35, Pinacoteca del Castello Sforzesco, Mailand
Hl. Christina, nach 1638, Pinacoteca del Castello Sforzesco, Mailand
David mit dem Haupt des Goliath, Fondation Bemberg, Toulouse (Collection Motais de Narbonne)
Vision des seligen Avellino, Sant’Antonio Abate, Mailand
Die Madonna erscheint vor Petrina Tesio, 1647, Santuario Madonna dell’Apparizione, Savigliano (Cuneo)
Mariagrazia Brunori: Considerazioni sul primo tempo di Francesco del Cairo. In: Bollettino d’Arte, XLIX, (1964, III: Juli -September), Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo, S. 236–245.
Véronique Damian: Reni, Vermiglio et Cairo, trois figures caravagesques: tableaux italiens du XVIe au XVIIIe siècle. Galerie Canesso, Paris 2012.
Francesco Frangi: Francesco Cairo (in der Reihe: Studi sull’arte in Italia). Umberto Allemandi, Turin 1998, ISBN 88-422-0784-5.
Giovanni Testori: Su Francesco del Cairo. In: Paragone, III, Nr. 27, 1952, S. 24–43.
Giovanni Testori et al.: Francesco del Cairo, 1607–1665. (Ausstellungskatalog der Musei civici di Varese), Bramante Editrice/Edizioni Lativa, Busto Arsizio/Varese 1983.
Daniele Cassinelli, Paolo Vanoli, Sala Veratti: La luce del primo Seicento: Morazzone, Cairo e Montalto. (Ausstellungskatalog), Edizioni Lativa, Varese 2014.
↑Dieses Datum gab Cairo selber als seinen Geburtstag an. Mariagrazia Brunori: Considerazioni sul primo tempo di Francesco del Cairo, in: Bollettino d'Arte, XLIX (1964, III: Juli -September), Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo, S. 236–245, hier: 237
↑Der Katalog der Ausstellung von 1983 in Varese nennt 1607 als Beburtsjahr im Titel. Giovanni Testori et al.: Francesco del Cairo, 1607-1665. (Ausstellungskatalog der Musei civici di Varese), Bramante Editrice/Edizioni Lativa, 1983
↑Mariagrazia Brunori: Considerazioni sul primo tempo di Francesco del Cairo, in: Bollettino d'Arte, XLIX (1964, III: Juli -September), Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo, S. 236–245, hier: 237 f
↑Laut Brunori kommen zwei Orte in Frage: ein Brivio in der Provinz Bergamo und ein Blevio bei Como. Mariagrazia Brunori: Considerazioni sul primo tempo di Francesco del Cairo, in: Bollettino d'Arte, XLIX (1964, III: Juli -September), Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo, S. 236–245, hier: 237–238
↑Mariagrazia Brunori: Considerazioni sul primo tempo di Francesco del Cairo, in: Bollettino d'Arte, XLIX (1964, III: Juli -September), Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo, S. 236–245, hier: 237
↑Mariagrazia Brunori: Considerazioni sul primo tempo di Francesco del Cairo, in: Bollettino d'Arte, XLIX (1964, III: Juli -September), Ministero dei beni e delle attività culturali e del turismo, S. 236–245, hier: 238
↑Der italienische Name Erodiade bedeutet zwar „Herodias“, meint aber nicht unbedingt die Mutter der Salome, sondern wurde auch für Salome selber verwendet, vielleicht weil der Name Salome gar nicht in der Bibel genannt wird. Beispielsweise werden die beiden Frauen in Stradellas Oratorium San Giovanni Battista (1675) als Erodiade la figlia („Herodias, die Tochter“; Hauptrolle) und als Erodiade la madre („Herodias, die Mutter“; Nebenrolle) bezeichnet (Siehe Booklet bzw. Libretto zur CD-Einspielung: Stradella: San Giovanni Battista, mit Catherine Bott, Gérard Lesne u.a., Les Musiciens du Louvre, Marc Minkowski (Erato, 1992)). Es bleibt also eigentlich offen, wer die Dargestellte auf den Gemälden von Cairo (und anderen) ist.