Erdbeben in Van 2011
Das Erdbeben in Van im Oktober 2011 war ein Erdbeben mit einer Magnitude von 7,1 Mw, das am 23. Oktober den Osten der Türkei in der Nähe der Grenze zum Iran bei der Provinz Van getroffen hat. Das Epizentrum des Bebens, das sich um 13:41 Uhr Ortszeit (10:41 Uhr UTC) ereignete, lag 17 Kilometer nordnordöstlich von Van und 194 Kilometer südwestlich von Jerewan. Das Hypozentrum des Erdbebens wurde vom United States Geological Survey in einer Tiefe von 18 Kilometern angenommen,[5] nach Angaben türkischer Seismologen handelt es sich um ein Erdbeben mit noch geringerer Tiefe.[6] Tektonischer ÜberblickDie Türkei ist ein tektonisch aktives Gebiet, das häufig zerstörerische Erdbeben erfährt. Grob gesehen werden die seismologischen Vorgänge in der Region des Erdbebens vom 23. Oktober durch die Kollision der Arabischen Platte mit der Eurasischen Platte gesteuert, wobei sich die Arabische Platte mit einer Geschwindigkeit von etwa 24 mm/Jahr nach Norden schiebt. Westlich des Erdbebens vom 23. Oktober wird die Tektonik durch Blattverschiebungen an der Ost- bzw. Nordanatolischen Verwerfungszone dominiert. Diese großen Verwerfungssysteme erstrecken sich über einen Großteil der zentralen und westlichen Türkei und nehmen die westliche Bewegung Anatoliens auf, das durch die Konvergenz von Arabischer und Eurasischer Platte zusammengedrückt wird. Die regionale Tektonik wird im Gebiet des Van-Sees und östlich davon dominiert von der Bitlis-Sutur-Zone im Osten der Türkei und dem Falten- und Überschiebungsgürtel des Zagros in Iran. Das Erdbeben vom 23. Oktober ereignete sich in einer ausgedehnten Region der Konvergenz jenseits der anatolischen Blattverschiebungstektonik. Der Herdmechanismus ist konsistent mit den Mechanismen der verzeichneten Verwerfungen in der Region.[5] Am 9. November 2011 ereignete sich einige Kilometer weiter südlich ein Nachbeben der Stärke 5,6 Mw,[7] das weitere Opfer forderte und Schäden anrichtete. Die mit den beiden Beben in Verbindung stehenden Verwerfungen waren bislang noch nicht kartiert.[2] Das Erdbeben ist nur eines in einer Reihe von mehreren Erdbeben mit hohen Opferzahlen, die sich in den letzten Jahrzehnten in der Türkei ereigneten:
AuswirkungenIn der betroffenen Region stürzten durch das Erdbeben und die Nachbeben etwa 4000 Häuser ein oder wurden schwer beschädigt. In den Trümmern starben 644 Menschen, davon 604 beim Hauptbeben am 23. Oktober, weitere 40 Menschen kamen beim Nachbeben am 9. November ums Leben. Die Zerstörungen waren insbesondere in der Stadt Erciş sehr gravierend, das Nachbeben richtete schwere Schäden in der Stadt Van an, wo viele durch das Hauptbeben beschädigte Gebäude einstürzten.[2] Das Hauptbeben war auch noch in weiter entfernten Gebieten zu spüren, etwa in Syrien, im Libanon, im Norden Israels, in Jordanien, Irak, im Nordwesten Irans, in Georgien, Aserbaidschan und Armenien sowie in den an den Kaukasus angrenzenden Gebieten Russlands.[5] Der türkische Energieminister Taner Yıldız sah sich einmal mehr Fragen und Befürchtungen zum beschlossenen Bau von mehreren Kernkraftwerken ausgesetzt. Zuerst sollte das Kernkraftwerk Akkuyu mit vier Kernreaktoren gebaut werden; dann ein weiteres im Norden am Schwarzen Meer; eventuell noch ein drittes. Yıldız teilte nach dem Erdbeben mit, an den Plänen festzuhalten. Sechs Monate nach dem Beben verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetz, das die Verstärkung bzw. den Neubau von nicht erdbebensicher konstruierten Gebäuden in erdbebengefährdeten Gebieten vorsah.[8] Kritik an BehördenWieder einmal zeigte sich, wie wichtig erdbebensicheres Bauen ist.
Viele Menschen klagten über Willkür und Bestechung beim Austeilen der Hilfsgüter[10] und darüber, dass die Türkei erst spät um Hilfe aus dem Ausland bat. Eine am 10. November in Van stattgefundene Demonstration wurde von der Polizei mit Einsatz von Gewalt aufgelöst.[11] Gesellschaftliche AuswirkungenDas Erdbeben in Van ereignete sich zu einer Zeit, als die Kämpfe zwischen der PKK und der türkischen Armee an Intensität zugenommen hatten. Am morgen des 19. Oktober 2011 kamen bei einem Angriff der PKK auf verschiedene türkischen Militärposten in Çukurca an der Grenze zum Irak 24 Sicherheitskräfte ums Leben und 18 wurden verwundet. Der Angriff war der verlustreichste für die türkische Armee seit 1993. Als direkte Reaktion darauf drangen türkische Kommandoeinheiten in Bataillonsstärke in den Nordirak ein. Des Weiteren wurden in der Türkei und im Ausland Demonstrationen gegen die PKK gehalten. Durch diese Spannung konnte man dann in den Medien Kommentare lesen, die das Erdbeben als Vergeltung oder Gottes Rache ansahen. Auch wurde anderen kurdisch besiedelten Städten wie Diyarbakır und Şırnak ein gleiches Schicksal gewünscht. Besondere Aufregung erregte die Nachrichtensprecherin Duygu Canbaş und die Moderatorin Müge Anlı. Duygu Canbaş sagte:
Müge Anlı sagte während ihrer Sendung am darauffolgenden Montag in belehrendem Wortlaut:
Die Fernsehaufsichtsbehörde RTÜK erwog Strafen wegen Volksverhetzung. Gegen diese einzelnen Meinungen protestierten alle politischen Parteien und riefen zu Brüderlichkeit und Hilfe auf. Es wurden viele private Hilfslieferungen und Lieferungen von karitativen Organisationen nach Van und Erciş geschickt. Zwölf Fernsehsender wie Kanal D, Star TV und NTV und drei Radiosender veranstalteten am 26. Oktober unter dem Slogan „Van İçin Tek Yürek“ (Für Van ein Herz) einen gemeinsamen Spendenmarathon. Der Sender Samanyolu TV organisierte mit dem Motto „Kardeşlik Zamanı“ (Zeit der Brüderlichkeit) eine eigene Spendenaufruf. Van İçin Tek Yürek sammelte 62 Mio. TL und Kardeşlik Zamanı 65 Mio. TL auf. Internationale HilfeMehrere Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, leisteten Katastrophenhilfe. Ungeachtet der Finanzkrise bot Griechenland dem türkischen Nachbarn „jede mögliche Hilfe“ an. (Die ehemals verfeindeten Staaten Griechenland und Türkei kamen sich bereits durch die gegenseitige Erdbebenhilfe von 1999 näher.)[12] WeblinksCommons: Erdbeben in Van 2011 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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