Dieser Artikel oder nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (beispielsweise Einzelnachweisen) ausgestattet. Angaben ohne ausreichenden Beleg könnten demnächst entfernt werden. Bitte hilf Wikipedia, indem du die Angaben recherchierst und gute Belege einfügst.
Ein deutsches Requiem nach Worten der Heiligen Schrift, op. 45, ist ein Werk des KomponistenJohannes Brahms für Sopran- und Bariton-Solo, Chor und Orchester. Es wurde zwischen 1865 und 1868 komponiert. In der endgültigen Fassung besteht es aus sieben Sätzen.
Unter einem Requiem versteht man gemeinhin die Liturgie der Totenmesse der katholischen Kirche bzw. kirchenmusikalische Kompositionen zum Totengedenken. Der im evangelisch-lutherischen Hamburg groß gewordene Brahms orientierte sich bei der Auswahl seiner Texte nicht am traditionellen Kanon des Requiems als Totenmesse, sondern wählte aus Texten des Alten und Neuen Testamentes in der Fassung der Lutherbibel vor allem solche aus, in denen der Trost der Hinterbliebenen im Mittelpunkt steht. Brahms gestaltete sein Deutsches Requiem nicht als Trauermusik, sondern zum Trost derer, „die da Leid tragen“, also als eine von Ernst, Würde und Zuversicht getragene Musik für die Lebenden. Der kirchenmusikalischen Gattung des Requiems kann und soll das Werk deshalb nicht gerecht werden; von der Anlage – vor allem der Besetzung – her kann man es eher als Oratorium bezeichnen, wenn auch die dramatische Komponente fehlt. In der Textabfolge knüpft es am ehesten an die evangelische Motette früherer Zeiten an.
Orchester: zwei Flöten, Piccoloflöte, zwei Oboen, zwei Klarinetten in A und B, zwei Fagotte, Kontrafagottad libitum, vier Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen, Tuba, Pauken, zwei Harfen (unisono), Streicher, Orgel ad libitum. – Diese Orgelstimme fehlt zwar in der Partitur des Erstdrucks, wurde dem Stimmensatz jedoch beigefügt. Sie stammt von Joh. Brahms selbst. Die Kontrafagott-Stimme wurde nach Brahms’ Anweisung, die sich in seinem Handexemplar finden, herausgeschrieben und zunächst nur den Wiener Stimmen beigelegt, die er für seine Aufführungen verwendete. Im Erstdruck findet sich nirgends ein Hinweis darauf, erst die Partitur der Gesamtausgabe [ed. Eusebius Mandyczewski] fügte diese um 1927 hinzu.
Entstehungsgeschichte
1858 vertonte Johannes Brahms erstmals geistliche Texte (Ave Maria op. 12 und Begräbnisgesang op. 13). 1861 begann er dann mit der Zusammenstellung der Texte zu dem Requiem. Zunächst entstanden die Texte der Sätze I–IV; diese notierte Brahms auf der Rückseite des vierten Liedes seiner Magelonen-Romanzen op. 33. Ebenfalls 1861 komponierte er die ersten beiden Sätze. Nach dem Tod der Mutter 1865 scheint er die Arbeit an dem Werk wiederaufgenommen zu haben, im Frühjahr 1865 entstand der IV. Satz, diesen sandte Brahms als Klavierauszug an Clara Schumann. Satz III ist wohl während eines längeren Aufenthaltes bei dem Freund und Fotografen Julius Allgeyer in Karlsruhe entstanden, die Sätze VI und VII wohl im Sommer des Jahres 1866 in Lichtenthal (bei Baden-Baden) und/oder in Winterthur. Der heutige Satz V wurde erst im Mai 1868 komponiert und nach den ersten Aufführungen in das Werk eingefügt. (Siehe Johannes Brahms und die Schweiz).
Ein Briefwechsel dem Verleger Jakob Melchior Rieter-Biedermann vom November 1867 belegt Brahms' Absicht, das Requiem in Basel uraufführen zu wollen. Dorthin pflegte Brahms enge Kontakte mit dem Mäzen Friedrich Riggenbach-Stehlin, bei dessen Hauskonzerten er einige Sätze aus dem Requiem im Klavierauszug aufführte. Zur eigentlichen Uraufführung kam es jedoch nicht, Brahms bemerkte: „Die Basler sind von einer so unpraktischen Weitläufigkeit, dass das wohl nichts wird. Und ich wäre gar gerne zum Frühling in Ihre Gegend gegangen. Dagegen will man das Requiem in Bremen durchaus aufführen […]“[1]
Die ersten drei Sätze – mehr wollte man dem Publikum „nicht zumuten“ – wurden Anfang Dezember 1867 durch den Wiener Singverein in einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien uraufgeführt. Der Behauptung, die Aufführung habe einen „eklatanten Misserfolg“ erlebt, widerspricht ein Brief von Brahms’ Freund Joseph Joachim an seine Frau (1. Dezember 1867); dort ist die Rede davon, das Publikum habe „mit Theilnahme“ zugehört, „eine kompakte kleine Partei“ sogar „mit Weihe und Enthusiasmus“, während „einiges zischendes Gesindel […] den Sieg nicht erringen“ konnte. Der Beifall habe so lange angehalten, bis Brahms „vom Saal über die Treppe in’s Orchester“ gekommen sei. Ein Problem der Aufführung, die von Eduard Hanslick insgesamt durchaus positiv rezensiert wurde, war, dass der Paukist beim langen Orgelpunkt der Schlussfuge von Nr. 3 („Der Gerechten Seelen“) viel zu laut spielte.
Weitaus mehr Anklang fand die erstmalige Aufführung der vorläufig vollendeten Komposition: Das damals noch sechssätzige Werk wurde in seiner Gesamtheit erstmals am Karfreitag, dem 10. April 1868, im Bremer Dom unter der musikalischen Leitung von Brahms aufgeführt, nach Einstudierung durch den Bremer Domkapellmeister Carl Martin Reinthaler. Der bei diesem Konzert noch fehlende fünfte Satz wurde erst danach eingefügt. Das vollständige Werk erlebte am 18. Februar 1869 seine Uraufführung im Leipziger Gewandhaus durch den GewandhausChor; allerdings hatte es am 3. Januar 1869 bereits eine private Aufführung der Klavierauszugversion mit kleinem Chor und Solisten in Dessau gegeben, wie Brahms von seinem Freund Adolf Schubring erfuhr.
Struktur
Durch die Einfügung von Satz V ergibt sich eine symmetrische Struktur um den Satz IV, der die „lieblichen Wohnungen des Herrn“ beschreibt. Satz I und VII beginnen mit „Selig sind …“, wobei Satz I den Seligpreisungen der Bergpredigt entnommen ist, Satz VII der Offenbarung des Johannes. Auch musikalisch sind diese beiden – überwiegend verhaltenen – Sätze aufeinander bezogen, besonders am Ende. Die Sätze II und VI sind dramatisch konzipiert, Satz II betont die Vergänglichkeit („Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“), Satz VI die Auferstehung („Siehe, ich sage euch ein Geheimnis“). Die Sätze III und V werden von einer Solostimme begonnen. In Satz III bittet der Bariton („Herr, lehre doch mich“), der Chor wiederholt mehrfach verallgemeinernd den Text. In Satz V dagegen singen die Sopranistin und der Chor unterschiedlichen Text, „Ihr habt nun Traurigkeit“ gegenüber „Ich will euch trösten“. Im ganzen Werk singen die Solisten, anders als zum Beispiel in barocken Oratorien, keine Arien, sondern sind Teil der Gesamtarchitektur. Fast alle Sätze – mit Ausnahme von IV und VII – beruhen auf einer Folge mehrerer Bibelworte, die jeweils sinnvoll von Leid und Trauer zum Trost führen. Das letzte Wort ist – wie das erste – „selig“.
Text und Musik
Die folgende Tabelle listet innerhalb der Sätze die Zeilenanfänge für neuen Text. Wechsel in der biblischen Quelle bedingen oft auch einen Wechsel im Charakter der Musik, der durch Tonart, Tempo und Takt beschrieben wird. Der Chor singt vierstimmig, mit Ausnahme einiger Akkorde, und ist fast pausenlos Träger des Geschehens. Brahms fand für einige Sätze deutsche Beschreibungen für Tempo und Ausdruck, andere bezeichnete er mit üblichen italienischen Angaben.
Die sogenannte Londoner Fassung des Requiems ist eine Bearbeitung für Chor und Klavier. Zur Entstehung dieser Fassung existieren unterschiedliche Meinungen. Gemeinhin wird sie als eine eigenhändige Bearbeitung Brahms’ für die erste Aufführung des Werks in London 1871 bezeichnet.[3] Neueren Forschungen[4] zufolge wurde für diese Aufführung ein bereits 1869 von Brahms selbst veröffentlichtes vierhändiges Klavierarrangement[5] verwendet, das eigentlich für das heimische Musizieren ohne Chor vorgesehen war. Der Chorpart wurde hierfür nur teilweise aus den Klavierstimmen gestrichen.
Theodor Kirchner schrieb eine Fassung für Klavier solo. Robert Schaab schuf eine Konzertfassung für Orgel der Sätze IV („Wie lieblich sind deine Wohnungen“) und VI („Denn wir haben hie keine bleibende Statt“).
Heinrich Poos schrieb eine Bearbeitung für Soli, Chor, zwei Klaviere und Pauken. 2010 hat Ingo Schulz das Werk in einer für Kammerorchester und Chor übertragenen Fassung veröffentlicht.[6] Diese ist von den gesetzten Noten her sehr nah am Originalwerk, hat jedoch ein deutlich verkleinertes Instrumentarium. Das Aufführungsmaterial dieser Version ist online frei verfügbar.[7] Ebenfalls 2010 veröffentlichte Joachim Linckelmann eine Fassung für Kammerorchester und Chor im Carus-Verlag.[8]
Auf Basis einer 1963 erstellten Vorlage des Amerikaners Norris L. Stephens wurde vom St. Galler DomorganistWillibald Guggenmos 2014 eine Fassung für Chor, Orgel und Pauke geschaffen.
Rezeption
Bereits zu Lebzeiten von Johannes Brahms wurde sein religiöser Hintergrund thematisiert. So bewertete Heinrich von Herzogenberg sein Œuvre als Zeugnis eines „kern-protestantischen und tiefreligiösen Mannes“. Während der Vorbereitungen zur Uraufführung des Requiems bemerkte Carl Martin Reinthaler in einem Briefwechsel mit ihm, dass in der Textzusammenstellung der Hinweis auf Jesus Christus fehle. Brahms antwortete lediglich, er habe auf diese Verweise „mit allem Wissen und Willen“ verzichtet.[11] Da seine geistlichen Werke auf eine liturgische Bindung verzichten und nicht im kirchlichen Auftrag komponiert wurden, sind sie als autonome Kunst zu sehen, die im 19. Jahrhundert im Zuge der Säkularisierung zunehmend an Bedeutung gewann. Brahms war durch den enthusiastischen Artikel Neue Bahnen, den Robert Schumann in seiner Neuen Zeitschrift für Musik veröffentlicht hatte, bereits sehr früh mit einer gleichsam kunstreligiösen Erwartungshaltung konfrontiert und in die Rolle des musikalischen Messias gedrängt worden. Er selbst widersetzte sich der religiösen Erhöhung der Kunst und verwendete in diesem Zusammenhang gegenüber Clara Schumann den Begriff Menschenwerk.[12]
Im Spannungsfeld zwischen Liberalismus und politischem Katholizismus, in Wien etwa durch den antisemitischen Journalisten Albert Wiesinger vertreten, wurde er dem liberalen Lager zugerechnet.[12]
Brahms selbst gab zu, den inneren „Theologen … nicht los werden“ zu können, charakterisierte seine Textauswahl auf der anderen Seite allerdings als heidnisch.[11]
Clara Schumann schrieb in einem Brief an Johannes Brahms, nachdem sie die Noten des 6. und 7. Satzes von ihm erhalten hatte: „Zu erzählen gibt es hier wenig, aber sagen muß ich Dir noch, daß ich ganz und gar erfüllt bin von Deinem Requiem, es ist ein ganz gewaltiges Stück, ergreift den ganzen Menschen in einer Weise wie wenig anderes. Der tiefe Ernst, vereint mit allem Zauber der Poesie, wirkt wunderbar, erschütternd und besänftigend. Ich kann’s, wie Du ja weißt, nie so recht in Worte fassen, aber ich empfinde den ganzen reichen Schatz dieses Werkes bis ins Innerste, und die Begeisterung, die aus jedem Stücke spricht, rührt mich tief, daher ich mich auch nicht enthalten kann es auszusprechen. … Ach könnte ich es hören, was gäb ich wohl darum“.[13]
Live-Aufnahme St. Petri Dom Bremen, 10. April 2018.
Einspielungen von Bearbeitungen
2010 Coviello Classics: Simon Halsey (Dirigent), Rundfunkchor Berlin (Fassung für Klavier zu vier Händen von Johannes Brahms in einer Bearbeitung für Chor, Soli und Klavierduo von Phillip Moll), Marlis Petersen (Sopran), Konrad Jarnot (Bariton), Philip Mayers, Phillip Moll (Klavier)
2010 musik-art: Ingo Schulz (Dirigent), Stefanie Wüst, Alban Lenzen, Ölberg-Chor (Fassung für Kammerorchester von Ingo Schulz [2010])
Literatur
Ein deutsches Requiem nach Worten der heil. Schrift für Soli, Chor und Orchester (Orgel ad libitum); op. 45. Partitur. Rieter-Biedermann, Leipzig (u. a.) [1868] (Digitalisat der Erstausgabe, Exemplar der Stadtbibliothek Lübeck mit Widmung des Plöner Gesangvereins an Carl Stiehl).
Klaus Blum: Hundert Jahre Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms. Entstehung, Uraufführung, Interpretation, Würdigung. Schneider, Tutzing 1971, ISBN 3-7952-0108-X.
Norbert Bolin: Johannes Brahms. Ein deutsches Requiem (= Schriftenreihe der Internationalen Bachakademie Stuttgart. Band 13). Bärenreiter, Kassel 2009, ISBN 978-3-7618-1917-3.
Dieter Feldtmann: Johannes Brahms – ein deutsches Requiem in Hamburg: Eine Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte. Lang, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-631-62441-8.
Michael Heinemann: Johannes Brahms. Ein deutsches Requiem nach Worten der Heiligen Schrift, op. 45. Eine Einführung. Hainholz, Göttingen 1998, ISBN 3-932622-36-7.
Sven Hiemke: Johannes Brahms. Ein deutsches Requiem (= Bärenreiter Werkeinführungen). Bärenreiter, Kassel 2018, ISBN 978-3-7618-1251-8.
Michael Musgrave: Brahms, A German Requiem. Cambridge University Press, New York 1996, ISBN 0-521-40995-0.
Wolfgang Sandberger (Hrsg.): „Ich will euch trösten …“ Johannes Brahms – Ein deutsches Requiem (= Veröffentlichungen des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck. Band 6). Edition Text+Kritik, München 2012, ISBN 978-3-86916-218-8.
Traduction de chants de Brahms. Traduction du Requiem allemand de Brahms. In: evv.ch. L'Ensemble Vocal De Villars-Sur-Glâane, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 30. Juli 2016; abgerufen am 15. April 2022 (französisch, deutsch, biblische Referenzen des deutschen Textes mit Übersetzung auf Französisch; mit Link zum PDF; 108 kB (Memento vom 31. Juli 2016 im Internet Archive)).
↑Michael Struck: Requiem in wechselnden Gestalten – Werk-, Gebrauchs-, Phantom- und Aufführungsfassungen. In: Wolfgang Sandberger (Hrsg.): „Ich will euch trösten…“. Johannes Brahms – Ein deutsches Requiem. Symposion – Ausstellung – Katalog. Edition Text+Kritik, München 2012, S. 27–32.
↑Leonard Van Camp: A Practical Guide for Performing, Teaching, and Singing the Brahms Requiem. Lawson-Gould Music Publishers, New York 2002, ISBN 0-7579-9859-3, S. 9 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem. Programmheft der Uraufführung der Fassung für Kammerorchester und Chor von Ingo Schulz, „Loses Blatt“, Berlin 2010.
↑ abZit. nach Jan Brachmann: Brahms zwischen Religion und Kunst. In: Wolfgang Sandberger (Hrsg.): Brahms-Handbuch. Metzler/Bärenreiter, Stuttgart/Kassel 2009, ISBN 978-3-476-02233-2, S. 129.
↑ abJan Brachmann: Brahms zwischen Religion und Kunst. In: Wolfgang Sandberger (Hrsg.): Brahms-Handbuch. Metzler/Bärenreiter, Stuttgart/Kassel 2009, ISBN 978-3-476-02233-2, S. 129.
↑Frank Reinisch: Nachwort. In: Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem. Klavierauszug (= Edition Breitkopf. 6071). Breitkopf & Härtel, Wiesbaden o. J., S. 96.