Deutsche Bischöfe im WeltkriegDeutsche Bischöfe im Weltkrieg ist der Titel eines Dokuments der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Das „Wort zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren“ wurde am 29. April 2020 aus Anlass des bevorstehenden 75. Jahrestags des Kriegsendes veröffentlicht und ist nach Aussage des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, als Schuldbekenntnis zu verstehen.[1] VorgeschichteAn der Rolle der deutschen Bischöfe im Nationalsozialismus bemängelt der kirchenkritische Schriftsteller Karlheinz Deschner, dass die Klagen der katholischen Kirche in Deutschland stets der Verletzung katholischer Interessen, nicht dem System des Nationalsozialismus als solches galten.[2] Die katholischen deutschen Bischöfe hatten sich während der 1930er-Jahre und im Zweiten Weltkrieg lange darauf beschränkt, lediglich durch Eingaben an die Reichsregierung gegen Missstände zu protestieren, da es unter den Bischöfen einen länger dauernden Konflikt und eine Führungskrise sowie unterschiedliche Auffassungen über das Vorgehen gab, die das Gremium an den Rand einer Spaltung brachten.[3] Öffentliche Proteste der deutschen Bischöfe gegen Justizmorde an ihren Gegnern, gegen die Verfolgung von Liberalen, Demokraten und Kommunisten fanden daher nicht statt[4], genauso wenig wie gegen Homosexuelle und Bibelforscher. Ein Protest der Bischöfe gegen Hitlers Überfall auf Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, Dänemark, Norwegen, Belgien, Holland, Frankreich oder die Sowjetunion blieb ebenso aus, wie ein Aufbegehren gegen Judenpogrome, die Zerstörung von Synagogen, die Verschleppung und Vergasung der Juden.[4] Exemplarisch für die Haltung der deutschen Bischöfe ist ein mit Imprimatur des Bischöflichen Ordinariats (8. November 1938) des Bistums Münster versehenes „Vademecum für den katholischen Soldaten“, in welchem es heißt: „Der Führer verkörpert die Einheit des Volkes und Reiches. Er ist der oberste Träger der staatlichen Gewalt. Ihm als solchen zu gehorchen, ist der christliche Deutsche auch ohne Eid im Gewissen gebunden [...]. Ist dem deutschen Soldaten solche Treue seinem Führer und obersten Befehlshaber zu geloben schon leicht gemacht, weil er in ihm das Vorbild wahrhaft soldatischen Wesens und soldatischer Treue erkennt, weil er seine Treue einem Manne schenkt, der den Sinn seines Lebens in der Mehrung der Größe und Ehre seines Volkes sieht und Tag und Nacht selbst das Beispiel der Treue gibt, dann wird der christliche Soldat erst recht sein Gelöbnis in Ernst und Freudigkeit des Herzens sprechen können, weil ihn sein Glaube lehrt, in der Person des Herrschers über die rein menschlichen Fähigkeiten und Leistungen hinaus die ihm von Gott verliehene Herrlichkeit und Ehre zu erkennen und anzuerkennen.“[5] Erst im August 1943 entschlossen sich die katholischen deutschen Bischöfe, sich in einem gemeinsamen Hirtenbrief mit dem Titel „Zehn Gebote als Lebensgesetz der Völker“ öffentlich zu äußern, und erklärten darin am 12. September 1943: „Tötung ist in sich schlecht, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt wurde: An schuld- und wehrlosen Geistesschwachen und -kranken, an unheilbar Siechen und tödlich Verletzten, an erblich Belasteten und lebensuntüchtigen Neugeborenen, an unschuldigen Geiseln und entwaffneten Kriegs- oder Strafgefangenen, an Menschen fremder Rassen und Abstammung.“[6] Nach Kriegsende legten auf Initiative von elf nordwestdeutschen Bischöfen die deutschen Bischöfe am 23. August 1945 in Fulda ein Schuldbekenntnis ab und erklärten: „Viele Deutsche, auch aus unseren Reihen, haben sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus betören lassen.“ Sie seien den Verbrechen gegenüber gleichgültig geblieben und hätte ihnen sogar Vorschub geleistet. „Viele sind selber Verbrecher geworden.“ Seitdem hätten die Bischöfe nach Erkenntnissen des Historikers Ulrich Helbach ihre Rolle in der NS-Zeit nie mehr kritisch thematisiert.[7] Am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils richteten die polnischen Bischöfe am 18. November 1965 eine Botschaft an die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz, die angesichts zahlloser Toter und Vertriebener auf beiden Seiten in dem Satz gipfelte: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Die Erklärung stieß bei der kommunistischen Regierung der Volksrepublik Polen auf entschiedenen Widerspruch. Die deutschen Bischöfe antworteten am 5. Dezember 1965 sehr distanziert und für die polnischen Bischöfe enttäuschend, da man eine Aussage zur Oder-Neiße-Grenze erhofft hatte; in Deutschland befürchtete man, dass vor allem eine Aussage zur Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze den Gläubigen, vor allem den Heimatvertriebenen, nur schwer zu vermitteln sei.[8][9] Entstehung des TextesEine Auseinandersetzung mit dem Verhalten der deutschen Bischöfe in den 1930er- und 1940er-Jahren war wiederholt gefordert worden, zuletzt in einem Schreiben, das der deutsche Theologe Heinrich Missalla kurz vor seinem Tod am 3. Oktober 2018 an die Deutsche Bischofskonferenz richtete und in dem er anlässlich des 80. Jahrestages des Kriegsausbruchs „ein offenes und ehrliches Bekenntnis zum problematischen Verhalten der damaligen Bischöfe zu Hitlers Krieg“ verlangte. Unterstützt wurde das Anliegen von der katholischen Friedensbewegung Pax Christi und der „KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche“.[10] Die Deutsche Bischofskonferenz beschloss im Oktober 2019, eine Stellungnahme zum Verhalten der Bischöfe im Zweiten Weltkrieg zu veröffentlichen, auf ihrer Frühjahrsvollversammlung im März 2020 verabschiedete sie den inzwischen erarbeiteten Text.[11] Der Text beruht auf Untersuchungen der Kommission für Zeitgeschichte, die die Geschichte des deutschen Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert erforscht, und wurde unter Koordination der Deutschen Kommission Justitia et Pax erstellt. Dabei suchte die Kommission auch den Kontakt zur Polnischen und zur Französischen Bischofskonferenz, deren Länder während des Zweiten Weltkriegs besonders unter der deutschen Besatzung litten. Die 23-seitige Erklärung wurde herausgegeben als Nr. 107 in der Schriftenreihe „Die deutschen Bischöfe“ und am 29. April 2020 in einer Video-Pressekonferenz vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, dem Vorsitzenden der Kommission „Justitia et Pax“, Bischof Heiner Wilmer, und für die Kommission für Zeitgeschichte von dem Historiker Christoph Kösters vorgestellt. Inhalt1. Abschnitt: Die Gegenwart der ErinnerungIm ersten Abschnitt (S. 9–11) gehen die Bischöfe den Kriegsfolgen und der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in der Gesellschaft der beiden deutschen Staaten und in der Kirche nach, die nicht ohne Konflikte verlaufen seien. Sie sprechen die Gefühle von Scham und Schuld wie auch der Erleichterung darüber an, dass Krieg und die Zeit des Nationalsozialismus vorüber seien; für viele sei das Kriegsende mit schmerzhaften Vertreibungserfahrungen und dem Verlust der Heimat verbunden gewesen. Die Bischöfe begrüßen den europäischen Kontext der deutschen Erinnerungskultur und die Tatsache, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit heute zum Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland gehöre. Dabei sei „die Bereitschaft unserer Nachbarn zur Versöhnung ... ein bleibendes Geschenk, für das wir demütig dankbar sind“, so dass es möglich geworden sei, dass sich die Deutschen mit sich, ihrer schuldbelasteten Vergangenheit und ihren Nachbarn weitgehend ausgesöhnt hätten. Erst spät sei in Deutschland verstanden worden, dass der Tag des Kriegsendes am 8. Mai 1945 auch für die Deutschen „vor allem ein Tag der Befreiung“ war. Aus Respekt vor den Opfern sei jetzt der Jahrestag des Kriegsendes ein Anlass, das Verhalten der damaligen Bischöfe kritisch zu betrachten und auch Verfehlungen zu benennen, nicht zuletzt bestärkt durch die Klagen, „dass die katholischen Bischöfe in Deutschland die katholischen Soldaten in ihrer Gewissensnot allein gelassen und sich – mehr noch – am Krieg beteiligt hätten“. Die Bischöfe seien bemüht, die Gründe für das Handeln ihrer Vorgänger zu erkennen, um für das eigene Wirken zu lernen. 2. Abschnitt: Das Verhalten der katholischen Bischöfe in Deutschland während des Zweiten WeltkriegsAuf den Seiten 12 bis 15 tragen die Bischöfe Fakten über die Verflechtungen zwischen der katholischen Kirche und Staat und Gesellschaft während des Weltkriegs zusammen und konstatieren, bei aller inneren Distanz, bisweilen sogar offener Gegnerschaft zum Nationalsozialismus sei die katholische Kirche in Deutschland „Teil der Kriegsgesellschaft“ gewesen.
Die Deutsche Bischofskonferenz folgert aus solchen Untersuchungsergebnissen:
– Deutsche Bischöfe im Weltkrieg, S. 15 Bischof Heiner Wilmer, der Vorsitzende der Deutschen Kommission Justitia et Pax, bezeichnete diese Aussage bei der Vorstellung des Dokuments als die Kernaussage des Textes.[12] 3. Abschnitt: Zugänge des VerstehensDie Bischofskonferenz, so das Dokument, müsse sich um historischen Verstehen bemühen, weil man es nicht zuletzt den Opfern schuldig sei, zu ergründen, wie sich solche Haltungen entwickeln konnten und womit sie begründet wurden. Im dritten Abschnitt (S. 16–20) werden die folgenden Aspekte aufgeführt, das Verhalten zum Krieg nachvollziehbar zu machen, es aber nicht zu entschuldigen. Hierbei seien aber vorschnelle Verallgemeinerungen vom Verhalten einzelner Bischöfe auf alle zu vermeiden.
4. Abschnitt: Lehren für die ZukunftIm vierten Abschnitt (S. 21–23) beklagen die Bischöfe, dass „der Verweis auf die vielen Märtyrer der Konzentrationslager und Hinrichtungsstätten sowie die Anwaltschaft der Bischöfe für das eigene deutsche Volk“ lange Zeit für die meisten Katholiken eine hinreichende Antwort auf die Fragen nach der Mitverantwortung und Schuld in Krieg und Nationalsozialismus gewesen sei, so dass viel zu spät „auch unter den Bischöfen die eigenen Verstrickungen in das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg thematisiert und selbstkritisch betrachtet wurden“. Besonders beschämend sei es, dass „die Leiden und Opfer der Anderen“ nicht in den Blick gekommen, geschweige denn offen angesprochen worden seien. Hilfreich seien bei der Veränderung dieses verdrängenden Blickwinkels der Austausch und die Wege der Versöhnung mit den Nachbarländern, besonders mit Frankreich und Polen, gewesen; diese Begegnungen würden bis heute zur Erneuerung der Kirche beitragen. Die Bischöfe nennen als Lehren aus dieser Geschichte:
Siehe auchWeblinks
Einzelnachweise
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