Ein Cyathium (griechisch kyathion „kleiner Becher“) ist der rückgebildete, scheinblütige und komplexe, zymöse Blütenstand bei Wolfsmilch (Gattung Euphorbia) und einigen anderen Untertaxa der Familie der Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae), der wie eine einzelne Blüte erscheint.[1][2][3]
Ein zwittriges Cyathium besteht aus
fünf (selten vier) Brakteen. Das sind kleine, verwachsene Hochblätter, die eine becherförmige Blütenhülle (Involukrum, griechisch: Umhüllung) bilden. Die oft innseitig gebildeten und oft gefransten, oberen „Zipfel“ (büschelförmige Deckblätter der männlichen Blüten) bedecken anfangs wie der Zentralverschluss einer Kamera die Öffnung des Involukrums. Mit diesen wechseln ab
fünf (nur terminal) oder vier, fleischige Nektardrüsen, es sind Nebenblätter der involuklaren Hochblätter, sie sind zu Interfoliarstipeln umgewandelt. Dabei bilden die zwei benachbarten Nebenblätter zweier Blätter eine Nektar produzierende Drüse, die untereinander manchmal verschmolzen sind.
Einer auf dem Grund des Involukrums zentral stehenden, reduzierten, meist nackten, gestielten weiblichen Blüte (Gipfelblüte, Gynophor), die oft nur aus einem dreifächrigen Fruchtknoten mit drei ästigen Griffeln besteht und umrandet ist von
fünf Gruppen, in wickligen Blütenständen, reduzierter, meist nackter, oft nur aus einem einzelnen Staubfaden bestehenden, gestielten männlichen Blüten. Sie stehen am Grund in den Achseln der involuklaren Hochblätter. Es können weitere kleine Deckblätter (Lacinien, Sepalschuppen) vorhanden sein.[4][5][6][7]
Die Cyathien können aktinomorph oder zygomorph sein.
Es kann bei den Blüten selten auch ein kleines Perianth vorhanden sein.[1][8] Es sind männliche, weibliche und zwittrige Cyathien möglich.[9]
Der blütenähnliche Charakter der Cyathien wird durch die oft leuchtend gefärbten Nektardrüsen und häufig ihrer kronblattartigen (petaloiden) Anhängsel hervorgehoben. Auch die nur unter dem Cyathium der Euphorbien, meistens vorkommenden, oft auffällig gefärbten, mehr oder weniger ausgebildeten Vor- oder Hochblätter tragen dazu bei. Sie ersetzen zusammen die fehlenden Kronblätter der Einzelblüten. Diese unteren, meistens paarigen, oft aufrechten und becherförmigen oder auch abstehenden, speziellen Hochblätter werden Cyathophyllen genannt.
Die folgenden Querschnitte durch zwittrige Cyathien veranschaulichen deren ungewöhnlichen Aufbau.
Legende:
b
Hochblatt, Brakteole (Cyathophylle)
i
Blütenhülle, Involukrum
g
Nektardrüse
ag
Anhängsel der Nektardrüse
bo
Zipfel der Blütenhülle, Braktee
mf
Männliche Blüte, ein gestielter Staubfaden, der an der Spitze zwei Antheren trägt
jmf
Unreife männliche Blüte
a
Staubbeutel, Anthere
pmf
Stiel der männlichen Blüte
ff
Weibliche Blüte, ein kurz gestielter Fruchtknoten mit den drei ästigen Griffeln, welche die Narben tragen
o
Fruchtknoten, Ovarium
s
Griffel
pff
Stiel der weiblichen Blüte
Die Cyathien stehen nur selten einzeln, sondern meist in zymösen, komplexen, zusammengesetzten Blütenständen zweiter Ordnung: in Trugdolden, auf dichotomisch gegabelten Stielen oder in so genannten einfachen Zymen mit einem zentralen Cyathium und zwei seitlichen Cyathien.
Bei einer Gruppe madagassischer Arten (E. aureoviridiflora, E. capmanambatoensis, E. iharanae, E. leuconeura, E. neohumbertii, E. viguieri) besteht die Tendenz, aus den Zymen ein weiteres Pseudanthium zu bilden. Vermutlich als Anpassung an eine Befruchtung durch Vögel haben sich die Cyathien spezialisiert: Die meisten Cyathien haben aufrecht stehende Cyathophyllen, die sie schützend umschließen, die Nektardrüsen dadurch aber unzugänglich machen. Zum Ausgleich stehen zwischen ihnen nackte, sterile Cyathien, deren einzige Aufgabe die Nektarproduktion ist.
Galerie
Die folgenden Fotos zeigen Beispiele häufig vorkommender Formen von Blütenständen, Cyathien, und deren Details.
Einzelnes Cyathium (hier einer weiblichen Pflanze) von Euphorbia mammillaris mit Nektartropfen
Blütenstände der Euphorbia stellata in so genannten einfachen Zymen. Die zentralen Cyathien sind im männlichen, die seitlichen Cyathien im weiblichen Stadium.
Einfache Zymen bei Euphorbia sepulta mit bereits welken zentralen Cyathien
Einfache Zymen bei Euphorbia opuntioides mit den seitlichen Cyathien im Knospenzustand
Bei Euphorbia attastoma erscheinen die roten Cyathien einzeln oder in kleinen Gruppen
Bei Euphorbia mafingensis ahmen die hufeisenförmig verschmolzenen Nektardrüsen in Farbe und Geruch Aas nach. Unter dem Cyathium steht ein Paar grüner Hochblätter.
Auch bei Euphorbia echinulata sind die auffallenden Nektardrüsen hufeisenförmig verschmolzenen
Bei Euphorbia globosa ist die Höhlung des Involukrums gut erkennbar. Die Nektardrüsen tragen fingerförmige Anhängsel
Bei Euphorbia xanti haben die rotbraunen Nektardrüsen weiße, Kronblatt-artige Anhängseln
Der Christusdorn (Euphorbia milii) trägt ein Paar abgespreizter Cyathophyllen unter dem Cyathium
Nahaufnahme eines Cyathiums von Euphorbia milii. Zwischen den Nektardrüsen ragen die „Zipfel“ über die Öffnung des Involukrums.
Bei Euphorbia neohumbertii ist das Paar Cyathophyllen schützend um die Cyathien gewickelt. Gut erkennbar sind die sterilen und nackten Cyathien, die nur der Nektarproduktion dienen
Die Cyathien des Weihnachtssterns (Euphorbia pulcherrima) sind von leuchtend roten Hochblättern umgeben
Die Cyathien von Euphorbia pulcherrima tragen nur ein oder zwei lippenförmige Nektardrüsen
↑ abGerhard Prenner, Paula J. Rudall: Comparative ontogeny of the cyathium in Euphorbia (Euphorbiaceae) and its allies: exploring the organ–flower–inflorescence boundary. In: Am. J. Bot. 94(10), 2007, S. 1612–1629, PMID 21151828.
↑G. Prenner, St. Hopper, P. Rudall: Pseudanthium development in Calycopeplus paucifolius, with particular reference to the evolution of the cyathium in Euphorbieae (Euphorbiaceae-Malpighiales). In: Australian systematic botany. 21(3), 2008, S. 153–161, doi:10.1071/SB08010, online (PDF) auf researchgate.net.
↑J. Horn, B. van Ee, J. J. Morawetz et al.: Phylogenetics and the evolution of major structural characters in the giant genus Euphorbia L. (Euphorbiaceae). In: Molecular phylogenetics and evolution. 63, 2012, S. 305-26, doi:10.1016/j.ympev.2011.12.022, online (PDF) auf researchgate.net, abgerufen am 26. Mai 2018.
↑Veit M. Dörken: Euphorbiaceae – Wolfsmilchgewächse (Malpighiales).online (Memento des Originals vom 27. Mai 2018 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/cms.uni-konstanz.de (PDF; 1,6 MB) bei Univ. Konstanz, abgerufen am 26. Mai 2018.
↑J. Molero, A. M. Rovira: Euphorbia L. subsect. Esula (Boiss. in DC.) Pax in the Iberian Peninsula. Leaf surface, chromosome numbers and taxonomic treatment. In: Collect. Bot. (Barcelona), 21, 1992, S. 121–181.
↑H. Reichert, Th. Gregor, L Meierott: Euphorbia saratoi (= E. podperae, E. pseudovirgata auct., E. virgata var. orientalis, E. virgultosa) – in Mitteleuropa und Nordamerika ein Neophyt unklarer Herkunft. In: Kochia. 11, 2018, online (PDF; 5,6 MB) auf researchgate.net, abgerufen am 27. Mai 2018.