Birgit Kelle siedelte 1984 als Rumäniendeutsche in die Bundesrepublik Deutschland über. Sie konvertierte vom evangelischen Glauben zum Katholizismus. Zunächst studierte sie Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, brach das Studium allerdings ab. Mit Anfang zwanzig absolvierte sie ein Volontariat bei einem Anzeigenblatt des Badischen Verlags in Freiburg.[1] Birgit Kelle ist mit dem Journalisten, Medienunternehmer und Autor Klaus Kelle verheiratet. Das Ehepaar hat vier Kinder und wohnt in Kempen am Niederrhein.
Kelle ist Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus.[26] Seit Oktober 2010 ist sie Vorstandsmitglied von New Women For Europe (NWFE), einem seit der Gründung weitgehend inaktiven Verein, der sich als Dachverband von NGO-Frauenverbänden in den EU-Mitgliedsstaaten versteht und diesen eine Plattform bieten möchte, um Einfluss auf politische Prozesse im Rahmen der europäischen Institutionen nehmen zu können.[27] Ferner ist sie trotz häufig geäußerter Kritik am politischen Kurs der Partei nach eigenem Bekunden „immer noch“ Mitglied der CDU.[28]
Kelle engagiert sich nach eigener Aussage „für einen neuen Feminismus abseits von Gender-Mainstreaming und Quoten“.[31] Sie vertritt die Auffassung, dass der traditionelle Feminismus ausgedient habe. Ihr Verein Frau 2000plus, dem Kritiker „rechtskatholische und evangelikale Einstellungen, also ein reaktionäres Frauenbild und eine antiliberale Sexualmoral“ vorwerfen,[32] setzt sich nach eigener Definition für eine „neue Kultur der Frau“ ein.[33]
Sie kritisiert feministische Aktivisten dafür, Opferkonstellationen von Frauen zu betonen. Selbsterklärte Zugehörigkeit zu einer bestimmten „Opfergruppe“ garantiere den betroffenen Frauen Aufmerksamkeit und Erfolg.[34][35] Sie fordert vielmehr die Rückkehr zu traditionellen Rollenbildern in Form eines „femininen Feminismus“, durch den der Wunsch nach Familie besser verwirklicht werden könne, und tritt dafür ein, dass Frauen sich statt für ein Leben aus Karriere und Kindern auch für ein traditionelles Familienleben entscheiden dürfen, ohne deswegen benachteiligt zu werden.[33]
Familienpolitik
Birgit Kelle setzt sich für die Förderung der traditionell zweigeschlechtlichen Familien mit Kindern ein, da nur diese eine relevante Stütze der Gesellschaft seien.[36]
In ihrer Funktion als Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus war Birgit Kelle bei der öffentlichen Anhörung zum geplanten Betreuungsgeld und dem entsprechenden Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und FDP im Familienausschuss des Deutschen Bundestages vom 14. September 2012 zugegen und vertrat die Position, dass das Betreuungsgeld gezahlt werden müsse, da der Staat in der Förderung von Erziehungsmodellen zur Neutralität verpflichtet sei und daher auch Eltern finanziell unterstützen müsse, die ihre Kinder nicht in einer Kindertagesstätte unterbringen wollten.[37]
Kelle kritisiert Abtreibungen scharf. Auf Demonstrationen abtreibungskritischer Gruppierungen ist sie regelmäßig als Rednerin präsent.[38][39]
In verschiedenen Gastbeiträgen äußert die Journalistin sich kritisch zu der Fridays-for-Future-Bewegung und zu Greta Thunberg:[43][44] „In der Tagesschau kann man gerade live eifrig Faxen machende Schulschwänzer sehen, die klassenweise angereist seien für den Klimaschutz. Sogar Jesus wird inhaltlich bemüht. Ich hoffe eher auf das Schulamt. […] Mich etwa treibt eher die Sorge um sie [Greta Thunberg], weil ich sie in Teilen für bedauernswert, fremdgesteuert, gehypt und instrumentalisiert halte. Von weltweiten Massenmedien, linken Aktivisten, Umweltaktivisten, Geschäftemachern, Medienmachern, selbst von der radikalen Antifa und nicht zuletzt von jedem grünen Parteienpflänzchen.“
Ablehnung von „Geschlechtsumwandlungen“ bei Minderjährigen
In einem Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. Januar 2021 befasst sich Kelle mit Behandlungen von „Kindern, die ihr Geschlecht wechseln wollen“, verurteilt ein in Deutschland bestehendes Verbot konservativer Behandlungen, die den Wunsch eines Kindes nach „Geschlechtsumwandlung“ hinterfragen, und beklagt den Einfluss von „weltweiten Trans-Lobby-Gruppierungen“, deren Lobbyismus zu einer Steigerung der Behandlungen an Kindern und Jugendlichen in München und Hamburg auf das Fünffache in wenigen Jahren geführt habe. Hintergrund sei die verhängnisvolle Ergänzung des „Homo-Heiler-Verbot[s]“ in Deutschland um ein „Trans-Heiler-Verbot“. Kelle zitiert den Münchner Jugendpsychiater Alexander Korte, der das Gesetz als „Desaster“ bezeichnete, sowie die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (DGSMTW), nach deren Information Kinder nach einer Behandlung mit Pubertätsblockern danach fast immer Trans-Operationen unterworfen wurden, womit schon frühzeitig der Weg in die Infertilität gebahnt sei. Ohne Blocker sei dagegen eine Überwindung der Geschlechtsdysphorie in der Pubertät durchaus wahrscheinlich. Pubertät sei keine Krankheit: „Pubertätsblocker sind demnach keine Heilung, sondern eher eine Körperverletzung, psychische Störungen und Unfruchtbarkeit inklusive.“ Die DGSMTW gehe davon aus, dass die Pubertätsblocker-Therapie schon frühzeitig den Weg in die Infertilität bahne. Da Transpersonen „lebenslang zu Patienten“ würden, müsse dieser Schritt wohl überlegt sein. Eine Zustimmung zu einer Sterilisation sei aber weder durch die Eltern noch durch das Kind juristisch zulässig. Kelle zitiert mehrere Mediziner, dass bis zu 50 % der Hilfesuchenden autistisch seien und oft psychische Probleme hätten und dass bis zu 80 % der Betroffenen Mädchen seien. Die Frage sei somit, „warum vor allem Autisten und Mädchen ihren Körper neuerdings ablehnen, ob hier wirklich Transgeschlechtlichkeit vorliegt oder eher das zutrifft, was in manchen Studien als jugendliche Cluster-Bildung und Zeitgeistphänomen beschrieben wird“. Während es in England eine Kehrtwende hinsichtlich der Behandlung mit Pubertätsblockern gegeben habe, gebe es in Deutschland die absurde Situation, dass Vierzehnjährige nicht wählen und keinen Alkohol trinken dürften, sehr wohl aber ihr Geschlecht umwandeln lassen dürften.[45]
Das LGBTI-Onlinemagazin Queer.de warf Kelle in Reaktion auf den Gastartikel „Transfeindlichkeit“ vor und berichtete, die Autorin Sibel Schick habe u. a. mit Blick auf Kelles Äußerung, Pubertätsblocker seien eine Körperverletzung, Strafanzeige gegen Kelle wegen Volksverhetzung erstattet und Beschwerde beim Presserat gegen die NZZ eingereicht.[46] Auf Nachfrage der Aargauer Zeitung am 2. Februar 2021 hatten allerdings weder Frau Kelle noch die NZZ offizielle Informationen zur Strafanzeige oder zur Beschwerde beim Presserat erhalten. Kelle bestätigte IFamNews am 16. Februar 2021 noch einmal persönlich, dass weder eine Anzeige vorliege noch ein Gerichtsprozess drohe.[47] Der Schweizer Presserat brachte 2021 eine Mitteilung heraus, in der er auf drei Presseratsbeschwerden gegen Kelles Artikel Bezug nahm. Da eine Beschwerdeführerin in Deutschland auch eine Strafanzeige gegen Kelle gestellt hatte, nahm der Presserat diese Beschwerde vom 31. Januar nicht zur Bearbeitung an. Die beiden anderen Beschwerden, beide eingegangen am 1. Februar, darunter eine vom Transgender Network Switzerland (TGNS),[48] wurden mangels zutreffender Begründung abgewiesen.[49]
Rezeption
Ihr Artikel Dann mach doch die Bluse zu! vom 29. Januar 2013 im The European,[50] der sich mit der #Aufschrei-Debatte befasste, wurde aufgrund der großen Verbreitung in sozialen Netzwerken laut den Diensten Werben & Verkaufen und 10000 Flies das „Social-Media-Phänomen des Jahres“.[51] Über die erweiterte Buchfassung Dann mach doch die Bluse zu schrieb Danuta Szarek auf Focus Online: „Es liest sich, wie der nochmals gewählte Titel ‚Dann mach doch die Bluse zu‘ vermuten lässt: unterhaltsam provozierend, polemisch, sarkastisch.“[52] Auch Alexander Wallasch befand in Die Tageszeitung, dass Kelles Buch das Zeug habe, „eine von Alice Schwarzer, Bascha Mika oder Élisabeth Badinter dominierte Debatte zu beleben – und tatsächlich zum Bestseller zu werden“, allerdings seien „Versuche, eine konservative Haltung zum neuen Modernen zu erklären, […] noch selten überzeugend gelungen“.[53]Christian Geyer von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nannte sie 2012 „rhetorisch brillant“.[54] Ein Jahr später führte dieselbe Zeitung in ihrer Sonntagsausgabe ein ganzseitiges Interview mit Kelle.[55] Der Medienjournalist Stefan Niggemeier nannte sie in einer TV-Kritik eine „konservative Journalistin“.[56]
Der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, kritisierte Kelle als Beispiel für Menschen, die mit dem Begriff „Gender“ wenig anfangen könnten. Kelles „Aufschrei“ gegen einen „vermeintlichen Genderwahn“ verstehe er als eine „populistische Anbiederei an veränderungsunwillige konservative Kreise“.[57] In der taz schrieb Simone Schmollack, Kelle propagiere „das Mutterdasein als ein heiliges Frauenideal“.[58]Andreas Kemper kritisierte in der taz, Kelle stelle sich als moderne Feministin dar, doch sie unterstütze die erzkonservativen Legionäre Christi. Ihr Antifeminismus sei so „alt und erstickend wie der missionarische Eifer der Legionäre Christi“.[40] Der Autor Wolfgang Brosche widmete der „Methode Kelle“ in seinem Buch Panoptikum des Grauens. Üble Zeitgenossen, Zombies und andere neue Rechte. (2019)[59] ein eigenes Kapitel.
Gastautor Giuseppe Gracia schrieb am 2. November 2021 auf FOCUS Online: „Die Bestsellerautorin Birgit Kelle gehört seit Jahren zu den mutigsten Frauenstimmen im deutschsprachigen Raum. Trotzdem bleibt ihr die breite Anerkennung bislang verwehrt, weil sie sich die Frechheit leistet, keine Linke zu sein. (...) An der Oberfläche kämpft diese Frau gegen die Propagandamaschine der Identitäts-Politik. Unter der Oberfläche aber ist Kelle eine Feministin – eine ganzheitliche Feministin. Das ist etwas Anderes als der Mainstream-Feminismus.“[60]
2016 erhielt sie den „für politischen Journalismus, welcher herausragende Zeichen für Zivilcourage und Demokratieerhalt in Deutschland und Europa setzt“ ausgelobten und mit 5000 Euro dotierten Dr.-Jörg-Mutschler-Preis.[62]
2017 wurde Kelle von der zur evangelikalen Offensive Junger Christen gehörenden OJCOS-Stiftung für ihre „Verdienste um die Förderung von christlichen Werten, Ehe und Familie“ mit dem Stiftungspreis ausgezeichnet.[63]
Veröffentlichungen
Der alte Feminismus hat uns nichts mehr zu sagen. In: Eckhard Kuhla (Hrsg.): Schlagseite – MannFrau kontrovers. Klotz, Magdeburg 2012, ISBN 978-3-88074-031-0, S. 211–229.
Keine Familienpolitik an den Interessen der Mütter vorbei! In: Klaus Hurrelmann, Tanjev Schultz (Hrsg.): Staatshilfe für Eltern. Brauchen wir das Betreuungsgeld? Beltz-Juventa, Weinheim 2013, ISBN 978-3-7799-2752-5, S. 72–85.
Ich kauf mir ein Kind : das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft, FBV, München 2024, ISBN 978-3-95972-770-9.
Literatur
Wolfgang Brosche: Die Methode Kelle. In: Panoptikum des Grauens. Üble Zeitgenossen, Zombies und andere neue Rechte. Edition Critic, Berlin 2019, ISBN 978-3-946193-25-8, S. 63–96.
↑
Vereinsregisterblatt VR 2320 des Amtsgerichts Neuss
↑LobbyFacts (LF) EU lobby transparency register (Stand vom 19. September 2021). Abgerufen am 20. November 2021 (englisch).
↑Achgut.com Birgit Kelle (Gastautorin):CDU-Mitglied. Immer noch. Online-Artikel vom 7. November 2021. Abgerufen am 20. November 2021.
↑Katharina Schmitz: Alice Schwarzer war gestern. In: Cicero. Nr.3, 2014, S.108.
↑Erstunterzeichner. In: idw-europe.org. 7. Januar 2020, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 6. Mai 2024; abgerufen am 25. September 2020.Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/idw-europe.org
↑Frankfurter RundschauFRAU2000PLUS. Was Antifeminismus mit Angst vor Kinderrechten zu tun hat. Katja Thorwarth im Gespräch mit Wolfgang Brosche. Interview vom 19. Februar 2020. Abgerufen am 20. November 2021.
↑Birgit Kelle: Birgit Kelle: Was heute zählt, ist die Zugehörigkeit zur richtigen Opfergruppe. In: DIE WELT. 14. September 2020 (welt.de [abgerufen am 23. September 2020]).
↑Simone Schmollack: Kommentar Birgit Kelle und die CDU: Sachsens Gefühl fürs Abendland. In: Die Tageszeitung: taz. 21. März 2016, ISSN0931-9085 (taz.de [abgerufen am 23. September 2020]).
↑Simone Schmollack: Birgit Kelle und die Christdemokraten: „Gendergaga“ in Dresden. In: Die Tageszeitung: taz. 20. März 2016, ISSN0931-9085 (taz.de [abgerufen am 23. September 2020]).