Augustales

Die Augustalen (lat. seviri Augustales, oft auch nur Augustales) waren Mitglieder einer speziellen Organisation im römischen Reich während des frühen Prinzipats. Sie tauchen vor allem zwischen Beginn des Prinzipats und dem dritten Jahrhundert in vielen Teilen Italiens auf. Ihre Rolle und gesellschaftliche Stellung sind Gegenstand intensiver Forschung, die auf epigrafischen Quellen und literarischen Zeugnissen basiert. Ursprünglich wurden sie oft als Pfleger des Kaiserkults angesehen,[1] jedoch hat sich dieses Verständnis im Laufe der Zeit differenziert.

Herkunft und Zusammensetzung

Die Augustalen waren überwiegend Freigelassene (liberti), die nach ihrer Emanzipation durch erhebliche finanzielle und soziale Anstrengungen versuchten, gesellschaftliches Ansehen zu gewinnen. Ein wichtiges Kriterium zum Eintritt in die Körperschaft der Augustalen scheint deshalb ein gewisses Vermögen.

Neben Freigelassenen fanden sich gelegentlich auch Freigeborene (ingenui) unter den Mitgliedern, die aufgrund mangelnder Qualifikation oder Überangebot an Kandidaten keinen Zugang zu offiziellen Ämtern hatten.[2] Die Zusammensetzung der Kollegien aus ingenui und liberti variiert orts- wie zeitweise und kann nicht erschließend determiniert werden.

Zeugnisse über die Augustalen sind über ein großes Gebiet des Imperium romanum nachgewiesen. Treten sie am höchsten frequentiert in Italien und den westlichen Provinzen des Reiches auf, ist ihr Wirken in Rom selbst nicht überliefert.[3]

Ein Hauptmerkmal der Augustalen war die Zahlung einer sogenannten summa honoraria, einer Ehrengebühr, die oft zur Finanzierung öffentlicher Projekte verwendet wurde. Diese finanziellen Anforderungen begrenzten die Mitgliedschaft auf wohlhabende Personen.[4]

Aufgaben und Funktionen

Kaiserkult

Lange wurde von angenommen, dass die Augustalen primär für die Pflege des Kaiserkults verantwortlich waren. Tatsächlich weisen einige Inschriften und Bauten auf eine Verbindung zu diesem Kult hin. Beispiele sind Weihinschriften an Kaiser oder Statuen in Augustalen-Heiligtümern wie in Herculaneum oder Misenum.[5] Dennoch ist die Verbindung zwischen Augustalen und Kaiserkult nicht abschließend bewiesen. Forschende argumentieren, dass die Widmungen oft weniger kultische als vielmehr loyale oder repräsentative Zwecke hatten. Dass der Name der Augustalen mit einer Huldigung des Kaisers Augustus zusammenhängt, ist ebensowenig bewiesen. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass die Bekundung ihrer Treue zu dem jeweils regierenden Kaiser eine gängige Praxis im römischen Prinzipat darstellte.[6]

Euergetismus

Auffallend bei einer Auseinandersetzung mit Augustalen wird, dass diese meist in Form von wohltätigen Performanzen auftreten. Eine Hypothese hierzu stellt dar, dass die liberti eine solche Selbstdarstellung zum Ablegen ihres unfreigeborenen Stigmas nutzten.

So war ein zentraler Aspekt der Augustalen der Euergetismus, also die öffentliche Wohltätigkeit. Sie finanzierten Spiele, Bauprojekte und andere öffentliche Einrichtungen, um Ansehen zu erlangen und sich in der Gesellschaft zu profilieren. Ihre Spenden trugen oft erheblich zur städtischen Infrastruktur bei und entlasteten die Gemeindekassen. Beispiele für solche Tätigkeiten sind die Pflasterung von Straßen oder die Errichtung von Tempeln.[7]

Selbstdarstellung

Die Augustalen nutzten auch prunkvolle Grabmäler und Stiftungen, um ihren sozialen Status zu betonen. Berühmt ist die Grabinschrift des Publius Decimius Eros Merula, die seine großzügigen Spenden an die Gemeinde detailliert aufführt[8]. Ein literarisches Zeugnis für die Selbstdarstellung der Augustalen liefert die Figur des Trimalchio im Satyricon von Petronius, die überzeichnet den Prunk und die Selbstinszenierung eines reichen Freigelassenen darstellt.[9]

Gesellschaftliche Stellung

Die gesellschaftliche Einordnung der Augustalen ist in der Forschung umstritten. Sie nahmen eine besondere Zwischenstellung ein:

  • Freigelassene konnten aufgrund ihrer Vergangenheit seit der Lex Visellia keine offiziellen Ämter bekleiden und nutzten die Augustalen als Ersatzstruktur für sozialen Aufstieg.
  • Freigeborene, die keine Ämter erlangten, sahen in den Augustalen eine Möglichkeit, Einfluss und Ansehen zu gewinnen.

Modelle zur Einordnung

  1. Mittelschicht (Abramenko): Augustalen bilden einen eigenständigen Mittelstand zwischen der Plebs und der städtischen Aristokratie.[10]
  2. Oberschicht (Alföldy): Die Augustalen werden trotz ihres limitierten Zugangs zu hohen Ämtern den Oberschichten zugerechnet, da sie ähnliche Statussymbole und Habitus übernahmen.[11]
  3. Rand der Aristokratie (Jacques und Scheid): Sie positionieren die Augustalen am Rande der städtischen Aristokratie, ohne sie als Teil der traditionellen Eliten anzuerkennen.[12]

Fazit

Die Augustalen repräsentierten eine hybride soziale Gruppe im römischen Reich, die sowohl durch ihre Herkunft als Freigelassene als auch durch ihren Wunsch nach sozialem Aufstieg und Anerkennung geprägt war. Sie vereinten Aspekte von Kult, öffentlicher Wohltätigkeit und Selbstdarstellung. Ihre genaue Funktion bleibt in der Forschung umstritten, doch ihr Einfluss auf die städtische Gesellschaft, vor allem wirtschaftlich ist unbestritten.

Weiterführende Literatur

  • L. Alapont, Zuchtriegel, G. The newly discovered tomb of Marcus Venerius Secundio at the Porto - Sarno, Pompeii: Neronian zeitgeist and its local reflection. JRA 35 (2). 2022. 595-620.
  • G. Alföldy, Augustalen- und Sevirkörperschaften in Pannonien. AAntHung 6. 1958. 433-459.
  • A. Allroggen-Bedel, Das sogenannte Forum von Herculaneum und die Borbonischen Grabungen von 1739. Cronache Ercolanesi 4. 1974. 97-109.
  • Beard et al, Religions of Rome. 1: A history. Cambridge 1998.
  • Beard et al, Religions of Rome. 2: A sourcebook. Cambridge 1998.
  • M. Clauss, Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich. Berlin, Boston 2013.
  • A. M. Duff, Freedmen in the early Roman Empire. Oxford 1928.
  • R. Duthoy, Les Augustales. ANRW II Bd 16,2. 1978. 1254-1309.
  • R. Duthoy, La fonction sociale de l’Augustalité. Epigraphica 36. 1974. 134-154.
  • D. Fishwick, D. The Imperial Cult in the Latin West. Studies in the Ruler Cult of the Western Provinces of the Roman Empire. II, 2.1. Leiden 1990.
  • P. Kneissl, Entstehung und Bedeutung der Augustalität. Zur Inschrift der ara narbonensis (CIL XII 4333). Chiron 10. 1980. 291-326.
  • D. Ladage, Soziale Aspekte des Kaiserkultes. In: W. Eck. Studien zur antiken Sozialgeschichte .Wien 1980.
  • M. L. Laird, Civic Monuments and the Augustales in Roman Italy. Cambridge 2015.
  • T. Mommsen, résumé d’une communication. Archäologische Zeitung 36. 1878. 74—75.
  • H. Mouritsen, H. Freedmen and Decurions. Epitaphs and social history in imperial Italy. JRS 95. 2005. 38-62.
  • K. J. Neumann, Augustales 1. In: Paulys Realenzyklopädie der Altertumswissenschaft (RE). Bd. II, 2. Stuttgart 1896. Sp. 2349 f.
  • S. E. Ostrow, Augustales along the Bay of Naples: A case for their early growth. Historia 34 (1). 64-101.
  • S. E. Ostrow, The Augustales in the Augustan Scheme. In: Raaflaub, K., Toher, M. (Hg.). Between Republic and Empire: Interpretations of Augustus and His Principate. Berkeley 1990. 364-380
  • L. R. Taylor, "Augustales, Seviri Augustales, and Seviri: a Chronological Study," TAPA 45 (1914). 231-53.
  • P. Veyne, Die römische Gesellschaft. Übers. v. Jatho, H. München 1995.
  • Vittinghoff (Hrsg.), Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1. Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der römischen Kaiserzeit. Stuttgart 1990.
  • W. Wohlmayr, Kaisersaal. Die Kultanlagen der Augustalen und munizipale Einrichtungen für das Herrscherhaus in Italien. Wien 2004.

Einzelnachweise

  1. John (Paris) Scheid, Christian (Berlin) Gizewski: Augustales. In: Der Neue Pauly Online. Brill (brill.com [abgerufen am 11. Dezember 2024]).
  2. Robert Duthoy: La fonction sociale de l'Augustalité. In: Epigraphica 36. 1974, S. 134–154.
  3. Wolfgang Wohlmayr: Kaisersaal: Kultanlagen der Augustalen und munizipale Einrichtungen für das Herrscherhaus in Italien. Wien 2004.
  4. Jeffrey Easton: The elusive <<libertina nobilitas>>: a case-study of Roman municipal freedmen in the <<Augustales>>. In: Phoenix 73. 2019, S. 333–335.
  5. Beate Bollmann: Römische Vereinshäuser. Untersuchungen zu den Scholae der römischen Berufs-, Kult-, und Augustalenkollegien in Italien. Mainz 1998.
  6. Manfred Clauss: Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich. Berlin / Boston 2013.
  7. Henrik Mouritsen: Freedmen in the Roman World. Cambridge 2011.
  8. CIL XI 5400.
  9. Petron. Satyr. 65.
  10. Andrik Abramenko: Die munizipale Mittelschicht im kaiserzeitlichen Italien. Zu einem neuen Verständnis von Sevirat und Augustalität. Frankfurt a.M. 1993.
  11. Geza Alföldy: Römische Sozialgeschichte. 4. Auflage. Stuttgart 2011.
  12. John Scheid, François Jacques: Rom und das Reich und er Hohen Kaiserzeit: 44 v.Chr. - 260 n.Chr. Die Struktur des Reiches. Stuttgart 1998.