ArztnetzEin Arztnetz bzw. Praxisnetz ist ein Zusammenschluss niedergelassener Haus- und Fachärzte verschiedener Fachrichtungen und Psychotherapeuten sowie Vertreter anderer Gesundheitsberufe (z. B. Physiotherapeuten oder Logopäden) aus dem ambulanten oder stationären Bereich in einer Region. Durch den Zusammenschluss soll eine Disziplinen übergreifende, wohnortnahe ambulante medizinische Versorgung in der Region organisiert werden. Zudem soll durch die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure und Einrichtungen die Qualität sowie die Effizienz der ambulanten medizinischen Versorgung verbessert werden. HistorieBereits seit Mitte der 1980er Jahre gab es erste Bemühungen um kooperative ärztliche Berufsausübungsformen. Mit dem „Zweiten GKV-Neuordnungsgesetz 1997“ (2. NOG) kam es zu einer Etablierung von Praxisnetzen. Das Gesetz hatte die Förderung neuer Versorgungsstrukturen im ambulanten Bereich durch eine stärkere Vernetzung von niedergelassenen Ärzten zum Ziel gehabt. Durch diese engere Kooperation zwischen den Vertragsärzten erhoffte sich der Gesetzgeber Qualitätsverbesserungen und mehr Wirtschaftlichkeit in der Versorgung. In den darauffolgenden Jahren stieg die Zahl der Ärztenetze kontinuierlich. Zählte man in 2002 bundesweit noch rund 200 Netze, in denen rund 10.000 niedergelassene Ärzte zusammengeschlossen waren, sind es heute circa 400 Netze mit schätzungsweise rund 30.000 Ärzten. Etwa ein Viertel (27 %) der niedergelassenen Ärzte in Deutschland gehört heute einem Ärztenetz an.[1] Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Netzen. Einige bündeln zahlreiche Ärzte einer Region, so dass diese eine hohe Verbindlichkeit und funktionierende Managementstrukturen aufweisen, Verträge mit Krankenkassen abgeschlossen haben und einen Teil der medizinischen Versorgung selbst gestalten. Andere haben sich für weniger verbindliche Strukturen entschieden. Vertragsgestaltung und gesetzliche GrundlagenDa der Begriff Praxis- oder Ärztenetz nicht gesetzlich definiert ist, bietet er den beteiligten Vertragspartnern einen großen Spielraum in der Gestaltung ihrer Zusammenarbeit. Dadurch haben sich im Laufe der Jahre viele unterschiedliche Vernetzungen zwischen den niedergelassenen Vertragsärzten gebildet. Sie reichen von losen, aber regelmäßigen Treffen bis zu Gesundheitsunternehmen mit einer festen vertraglichen Grundlage. Die gesetzliche Vorgabe ist im Rahmen von Strukturverträgen nach § 73a SGB V oder von Modellvorhaben nach § 63 ff. SGB V verankert.[2] Auch die Aufhebung der vormals starken sektoralen Trennung der Aufgaben zwischen ambulanter (d. h. niedergelassener Ärzte) und stationärer Versorgung (Krankenhaus) sowie Rehabilitation (Nachsorge) führt zu neuen Herausforderungen. Gesetzliche Grundlage bildet das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) (BGB, 2003), welches Anfang 2004 in Kraft trat. Darin wird die Integrierte Versorgung gemäß den neuen Regelungen in § 140a bis § 140d SGB V als bedarfsorientierte, Sektor übergreifende und moderne Versorgungsform definiert. Umsetzungsformen und AufgabengebieteMeist entsteht zunächst ein loser Verbund von 15 bis 100 niedergelassenen Ärzten einer Stadt oder Region, um die Versorgung vor Ort zu verbessern. Daraus bilden sich später teilweise enge unterschiedliche Praxis- oder Ärztenetze zwischen niedergelassenen Vertragsärzten. Praxis- oder Ärztenetze nehmen folgende Aufgaben für ihre Mitglieder wahr:
Instrumente der Netzsteuerung
Anerkennung und FörderungMit der Aufnahme von Praxisnetzen in das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V § 87b) im Rahmen des „GKV-Versorgungsstrukturgesetzes“ (GKV-VSG) von 2012 fiel der Startschuss zunächst für die Anerkennung und später auch für die finanzielle Förderung von Praxisnetzen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) entwickelte eine bundesweite Rahmenvorgabe als Grundlage für eigene Richtlinien der regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Mittlerweile gibt es bereits rund 70 Netze, die sich haben anerkennen lassen.[5] Mit dem 2015 folgenden GKV-Versorgungsstärkungsgesetz schaffte der Gesetzgeber dann die Möglichkeit, dass Praxisnetze finanziell gefördert werden können. Einige Kassenärztliche Vereinigungen haben bereits eigene Förderrichtlinien erlassen. Anforderungen für die Anerkennung von PraxisnetzenUm als förderungswürdig anerkannt zu werden, werden an Praxisnetze besondere Anforderungen gestellt. So müssen bestimmte Strukturvorgaben erfüllt sein. Zudem werden bestimmte Anforderungen an die Qualität der Versorgung gestellt und die Netze müssen nachweisen, mit welchen Maßnahmen sie Verbesserungen der Qualität und der Wirtschaftlichkeit erreichen wollen.[6] Strukturelle Anforderungen sind: GrößeUm einen regionalen Austausch auf fachlicher Ebene zu ermöglichen, dürfen Praxisnetze weder zu groß noch zu klein sein. Die Rahmenvorgabe der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sieht deshalb mindestens 20 und höchstens 100 vertragsärztliche und psychotherapeutische Praxen für ein Netz vor. ZusammensetzungPraxisnetze zeichnen sich durch ihren fachgruppenübergreifenden Charakter aus. Um diesen Anspruch gerecht zu werden, müssen mindestens drei Fachgruppen im Praxisnetz vertreten sein. In jedem Fall müssen dabei Hausärzte beteiligt sein. VersorgungsgebietUm eine wohnortnahe ambulante medizinische Versorgung in einer Region organisieren zu können, müssen sich die Netzpraxen in einem zusammenhängenden Gebiet befinden. RechtsformUm einen Antrag auf Anerkennung stellen zu können, müssen sich die Praxen in Form einer Personengesellschaft, einer eingetragenen Genossenschaft, eines eingetragenen Vereins oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zusammenschließen. Der Zusammenschluss muss bei der Antragstellung seit mindestens drei Jahren bestehen. KooperationenUm eine umfassende Versorgung zu ermöglichen, können andere Gesundheitsberufe in das Praxisnetz einbezogen werden. Auch sektorenübergreifende Kooperationen mit Krankenhäusern tragen zu einer umfassenden Versorgung bei. Förderungswillige Praxisnetze müssen deshalb eine verbindliche Kooperationsvereinbarung nachweisen. Gemeinsame StandardsFür die in Praxisnetzen intensivierte fachliche Zusammenarbeit sind Standards festzulegen. Dabei geht es um das Qualitätsmanagement, die Beteiligung an vereinbarten Maßnahmen zum Wissens- und Informationsmanagement, sowie zur Unabhängigkeit gegenüber Dritten (z. B. Pharmaunternehmen). ManagementProfessionelle Praxisnetze benötigen ein eigenes Netzmanagement, um tragfähige Strukturen aufbauen zu können. Um anerkannt zu werden, muss das Netz deshalb über eine Geschäftsstelle, einen Geschäftsführer und einen ärztlichen Leiter bzw. Koordinator verfügen. VersorgungszieleNeben den strukturellen Anforderungen müssen Netze für die Anerkennung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen darlegen, mit welchen Maßnahmen sie eine effiziente, auf die Bedürfnisse der Patienten ausgerichtete Versorgung sicherstellen wollen. Dabei geht es zum einen unter dem Stichwort Patientenzentrierung darum, die medizinische Versorgung, aber auch die Abläufe und Strukturen in den Praxen stärker auf die Bedürfnisse der Patienten auszurichten. Unter dem Punkt kooperative Berufsausübung werden Maßnahmen zusammengefasst, die eine Verbesserung der Zusammenarbeit aller Beteiligten im Netz herbeiführen sollen. Je besser die Zusammenarbeit funktioniert, desto mehr profitieren die Patienten. AnerkennungsstufenDie Rahmenvorgabe unterscheidet zwischen drei Anerkennungsstufen: Basis-Stufe, Stufe I und Stufe II. Eine Anerkennung ist in allen drei Stufen möglich – Netze können je nach ihrem Entwicklungsstand einsteigen und müssen dabei keiner Anerkennungs-Hierarchie folgen. Die Strukturanforderungen sind für alle Stufen gleich. Die Anforderungen bei den Versorgungszielen steigen von Stufe zu Stufe und bauen aufeinander auf. Es besteht aber keine Pflicht zur Weiterentwicklung in die nächsthöhere Stufe. Erfolgsfaktoren von ArztnetzenDie Kernelemente einer erfolgreichen Vernetzung sind
Vorteile von PraxisnetzenIn einem Praxisnetz bleibt bei gleichzeitiger verbesserter Zusammenarbeit mit anderen Leistungserbringern die Selbständigkeit der ärztlichen und psychotherapeutischen Tätigkeit bewahrt. Praxen werden damit in die Lage versetzt, ihr Leistungsspektrum zu erweitern und effizienter zu arbeiten. Zudem können oftmals unnötige Doppeluntersuchungen vermieden und eine insgesamt mehr auf die Patienten abgestimmte Versorgung erreicht werden. Die Patienten profitieren von einer Verbesserung der Qualität durch einheitliche Qualitätsstandards. Dies führt zu einer verbesserten Effizienz der Versorgung und zu einer hohen Patientenzufriedenheit, die bei Patienten in Praxisnetzen tendenziell etwas besser ist.[7] Praxisnetze als InnovationsmotorenUm die Qualität und Effizienz der ambulanten medizinischen Versorgung auf regionaler Ebene zu verbessern, entwickeln und beteiligen sich Praxisnetze häufig an Projekten zur Verbesserung der Versorgung vor Ort.[8] Darüber hinaus wirken sie auch in größeren Projekten, die der Entwicklung neuer Versorgungsformen dienen, mit.[9] Schließlich geht es unter dem Stichwort verbesserte Effizienz/Prozessoptimierung darum, wie mit den vorhandenen Mitteln eine bestmögliche Versorgung organisiert werden soll. Hier helfen beispielsweise strukturierte Abläufe, klare Regeln, aber auch Potenzialanalysen, um eine Verbesserung der Effizienz zu erreichen. Agentur deutscher ÄrztenetzeEinige der großen Ärztenetze und Gesundheitsverbünde haben sich mit dem Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands zusammengeschlossen, um ihre Interessen und Kompetenzen in einer gemeinsamen Netzagentur zu bündeln und sich auf Bundesebene besser zu positionieren. Am 8. Juli 2011 wurde in Berlin der Verein „Agentur deutscher Ärztenetze“ aus der Taufe gehoben. Der Verband ist politischer Interessenvertreter für die rund 400 Arztnetze in Deutschland, will seine Mitglieder bei der Professionalisierung unterstützen und Dienstleister bei Vertrags- und Versorgungskonzepten sein. Derzeit sind 22 ordentliche Mitglieder in der Agentur deutscher Arztnetze organisiert. Literatur
Einzelnachweise
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