Arieh Sharon (hebräisch אַרְיֵה שָׁרוֹן Arjeh Scharōn; geboren am 28. Mai1900 als Ludwig Kurzmann in Jaroslau, Galizien, Österreich-Ungarn; gestorben am 24. Juli1984 in Paris, Frankreich) war ein israelischerArchitekt österreichischer Herkunft. Er war kritischer Wegbereiter der frühen Architektur Israels und verantwortlich für den ersten Nationalen Gliederungsplan des jungen Staates unter dem damaligen Premierminister David Ben-Gurion. Sharon studierte am Bauhaus in Dessau bei Walter Gropius und Hannes Meyer. Nach seiner Rückkehr nach Israel 1931 (damals noch Britisches Mandatsgebiet Palästina) wirkte er an verschiedenen Gebäuden im Internationalen- und Bauhausstil in Tel-Aviv mit (heute Weiße Stadt genannt).
Er errichtete Privathäuser, Kinos, und 1937 sein erstes Krankenhaus. Später spezialisierte er sich auf dieses Fachgebiet und plante so viele der größten medizinischen Zentren des Landes. Arieh Sharon wird als Vater der Israelischen Architektur bezeichnet.
Sharon studierte 1919 an der Deutschen Technischen Hochschule Brünn.[1] 1920 emigrierte er zusammen mit einer Gruppe junger Pioniere, die den HaSchomer haZaʿir angehörten, nach Palästina und arbeitete dort als Bauer in Sichron Jaʿaqov. 1921 schloss er sich den Siedlern in Gan Schmuʾel an; in diesem neuen Kibbuz arbeitete er als Imker und lernte die Baukunst der Bienen zu bewundern, ihr effizientes Design und organisiertes Bauen, und wie sie Funktion und Form auf höchst ökonomische Weise vereinten.[2] Später übernahm er die Planung und Errichtung von kleinen Gebäuden, Kuhställen und Wohnhäusern. 1926 wurde er vom Kibbuz für ein Jahr beurlaubt, um in Deutschland seine Kenntnisse in Bau und Architektur zu erweitern.
Nur einen Monat nach seiner Ankunft in Berlin beschloss er, sich am neu entstandenen Bauhaus in Dessau zu bewerben. Er nahm ab dem Wintersemester 1926 an einem der berühmten Bauhaus-Vorkurse bei Josef Albers, Wassily Kandinsky und Joost Schmidt teil und lernte bei László Moholy-Nagy und Paul Klee. Sharons Studienmodelle – die Transformation von zwei-dimensionalen Papier- und Metallblättern in drei-dimensionale Formen – wurden auf einer Ausstellung des Bauhaus-Vorkurses präsentiert. Im April 1927 wurde er einer der ersten Studenten der von Hannes Meyer geführten neu gegründeten Bauabteilung. Der pragmatische und funktionelle Ansatz seines Meisters in der Architektur beeindruckte ihn stark. Genau wie sein Lehrer war auch Sharon den Ideen des Sozialismus verpflichtet.[3]
1928 besuchte er zusammen mit der Jungmeisterin der Webereiwerkstatt Gunta Stölzl und dem Bauhausschüler Peer Bücking die staatliche Kunsthochschule Wchutemas in Moskau. Im Jahr darauf, 1929, heiratete er Stölzl; ihre gemeinsame Tochter Yaʿel wurde am 8. Oktober geboren, und er erhielt sein Bauhausdiplom am 27. November.[4]
1931 kehrte Sharon nach Palästina zurück und eröffnete in Tel Aviv sein Architekturbüro; Gunta Stölzl emigrierte mit der gemeinsamen Tochter Yaʿel in die Schweiz. Die Ehe wurde 1936 geschieden, denn Sharon wollte ‘Chajale’ Chaja Sankowsky (1909–1998) heiraten, eine Schauspielerin am Ohel-Theater, die zu der Zeit schon zwei Söhne mit ihm hatte.
Während des Kriegs um Israels Unabhängigkeit (1948–1949) wurde Sharon zum Leiter der staatlichen Planungsbehörde bestellt, dessen Hauptaufgabe die Ansiedlung der in den Einwanderungswellen ankommenden Juden in Israel war. 1954 kehrte er in sein privates Architekturbüro zurück und begann eine Partnerschaft mit dem Architekten Benjamin Idelson (1911–1972), ebenfalls ein Preisträger des Israel-Preises (1968).
In den 1960er Jahren bewarb er sich zunehmend auch um Aufträge außerhalb Israels, zum Beispiel für Gebäude der Universität in Ile-Ife, Nigeria (heute Obafemi Awolowo University). 1965 trat sein Sohn Eldar Sharon (1933–1994) in das Architekturbüro ein.
Arieh Sharon starb auf einer Reise in Paris; er wurde auf dem Friedhof Nachalat Jizchaq in Givʿatajim (nahe Tel Aviv) beigesetzt. Das von ihm begründete Architekturbüro existiert noch heute und wird von seinem Enkel Arad Sharon geleitet.
Sharons erster Auftrag in Tel Aviv war der Bau von vier Pavillons für die Histadrut (Dachverband der israelischen Gewerkschaften) für die Levante-Messe im Jahre 1932, nachdem er für den Entwurf den ersten Preis im Architekturwettbewerb gewonnen hatte. Diese Pavillons bestanden aus modularen Holzelementen, die stufenweise ansteigend und ausbreitend angeordnet und mit Jute bedeckt waren. Es folgte eine Reihe von Gebäuden in Tel Aviv im sogenannten Internationalen Stil, die zu der markanten Architektur Tel Avivs als Weiße Stadt beitrugen. 1936 baute er sein erstes Krankenhaus.
Sharons Arbeiterwohnsiedlungen sind um einen großen, öffentlichen, begrünten Innenhof angeordnete Gebäude, mit Wohnungen in den oberen Geschossen und Geschäften sowie gemeinschaftlichen Einrichtungen – Kindergarten, Waschküche, Synagoge – im Erdgeschoss.
Für Kibbuzim entwarf Sharon einfache Gebäude, kommunale Einrichtungen und Schulen, die aus vor Ort verfügbaren Materialien gebaut werden konnten: Sand, Ziegel, Kalkstein. Das Zentrum eines Kibbuz bildet häufig der gemeinsame Speisesaal (hebräisch חֲדַר הָאוֹכֵל Chadar haʾŌchel), der sowohl beim Essen als auch bei Festen und Versammlungen Mittelpunkt des gemeinschaftlichen Lebens ist und auch für Film- und Theateraufführungen genutzt wird. Die Schulen wurden meist für 200 bis 300 Kinder mehrerer Kibbuzim gebaut und waren selbst wie ein Mikro-Kibbuz angelegt. Sharon gestaltete Entwürfe für existierende Siedlungen und ihrer Erweiterungen sowie allgemeine Strukturen für neue landwirtschaftliche Siedlungen und Gemeinschaftsschulen.
Sharon hielt auch Vorlesungen am Technion in Haifa, der Technischen Universität Israels, unter anderem zu den Themen:
Die Kvutza, aus denen sich später die Kibbuzim entwickelten
Die Raumstruktur der verschiedenen Siedlungsformen
Soziale und wirtschaftliche Strukturen in den Kibbuzim
Arbeitsorganisation, Erziehung und kulturellen Aktivitäten in den Kibbuzim
Zur Zeit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 lebte die Mehrzahl der Bevölkerung in dem schmalen Küstenstreifen entlang des Mittelmeers. Eine der Hauptaufgaben der neu gegründeten staatlichen Planungsbehörde, deren Vorsitzender Arieh Sharon wurde und die direkt dem Büro des Premierministers David Ben-Gurion unterstand, war es, Lösungen für die vielen Einwanderer zu finden, die nach der Unabhängigkeit nach Israel strömten. Diese Gruppe bestand aus 180 Stadt- und Regionalplanern, Architekten, Ingenieuren und Volkswirtschaftlern.[6] Sie entwickelte den ersten Nationalen Gliederungsplan (hebräisch תִּכְנוּן פִיסִי בְּיִשְׂרָאֵל Tichnūn fīssī bə-Jisraʾel, deutsch ‚Physische Planung/Raumplanung in Israel‘, englischNational Outline Plan) für Israel – den so genannten Sharon-Plan (hebräisch תָּכְנִית שָׁרוֹן Tåchnīt Scharōn),[7] in dem das Land – abhängig von wirtschaftlichen Möglichkeiten, geographischen Besonderheiten, Kommunikationsfaktoren und der historischen Vergangenheit – in Planungsregionen aufgeteilt wurde. Die Regionalstruktur wurde durch den Aufbau einer mittelgroßen Stadt zu einem regionalen, urbanen Zentrum vervollständigt. Dieser Plan enthielt den Bau von 20 neuen, über das Land verteilten Städten und Richtlinien für Industriegebiete nahe dieser neuen Städte. Sharons Plan führte so zum Aufbau der Entwicklungsstädte, beispielsweise Beit Scheʾan, Qirjat Gat und Nazareth Illit. Landwirtschaftliche Regionen wurden definiert, die bis in die südliche Wüste Negev reichten. Eine nationale Wasserplanung sah die Versorgung des trockenen Südens des Landes mit Wasser aus dem wasserreichen Norden vor (Landeswasserrohrleitung). Weiterhin wurde die Entwicklung von Nationalparks geplant, um Stätten mit besonderen landschaftlichen Merkmalen, geschichtlicher Bedeutung und Naturschutzgebiete zu bewahren.[8]
Ende 1953 wurde Sharon von den Vereinten Nationen eingeladen, um als Planungsexperte Seminare zum Thema Wohnungsbau und Entwicklung des Gemeinwesens in Neu-Delhi, Burma und Japan abzuhalten.
Werke
Bauwerke (Auswahl)
New Beilinson General Hospital (hebräisch בֵּית חוֹלִים בֶּילִינְסוֹן כְּלָלִי Beit Chōlīm Beilīnsōn Klalī, seit 1996 umbenannt in (hebräisch מֶרְכָּז רְפוּאִי רַבִּין Merkaz Rəfūʾī Rabīn; Krankenhaus mit 500 Betten), Petach Tiqwa 1950–1956
Gebäude 21 und 22 des Verteidigungsministeriums, HaQirja, Tel Aviv 1952–1954
Ichilov Municipal Hospital (hebräisch בֵּית חוֹלִים אִיכִילוֹב Beit Chōlīm Īchīlōv; Krankenhaus mit 300 Betten), seit 1980 Medizinisches Zentrum Tel Aviv ‹Sourasky› (hebräisch מֶרְכַּז רְפוּאִי תֵּל אָבִיב עַל שֵׁם סוּראסְקִי Merkaz Rəfūʾī Tel Avīv ʿal Schem Sourasky, מרת״א MaRT"A), Tel Aviv 1954–1958
Forum des Technion (inkl. Sekretariat, Bibliothek und Churchill-Auditorium), Tel Aviv 1954–1958
Terrassenwohnhaus für Immigranten, Nazareth 1954–1955
Ife Universität (Institut für Pädagogik und Sekretariat, mit AMY Ltd.), Ile-Ife, Nigeria 1968–1972
Masterplan für die Altstadt von Jerusalem und Umgebung (mit dem Architekten David A. Brutzkus), 1968–1970
Ben Gurion Research Center, Midreschet Sde Boker, 1968
Bank Jisraʾel, Jerusalem, 1979–1981, Planungen 1969–1974
Amerikahaus (mit dem Architekten M. Tintner), Tel Aviv 1970–1973
Oduduwa Halle, Ife Universität (mit AMY Ltd.), Ile-Ife, Nigeria 1972–1976
Soroka Medical Center (jetzt hebräisch סוֹרוֹקָה - מֶרְכַּז רְפוּאִי אוּנִיבֶרְסִיטָאִי Soroka – Merkaz Rəfūʾī Ūnīverssīṭaʾī, deutsch ‚Soroka – Universitäres Medizinisches Zentrum‘; Erweiterung des Krankenhauses auf 1200 Betten), Beʾer Scheva, 1972–1976
Tel Aviv Medical Center, seit 1980 Medizinisches Zentrum Tel Aviv ‹Sourasky› (hebräisch מֶרְכַּז רְפוּאִי תֵּל אָבִיב עַל שֵׁם סוּראסְקִי Merkaz Rəfūʾī Tel Avīv ʿal Schem Sourasky, מרת״א MaRT"A); Erweiterung des Krankenhauses auf 1000 Betten), Tel Aviv 1972–1982
Hospital Assaf haRofe (Krankenhauskomplex), Tel Aviv 1975–1985
Gil haSahav (גִּיל הַזָּהָב ‚Goldenes Alter‘; Seniorenwohnheim), Tel Aviv 1980
Veröffentlichungen (Bücher)
Kibbutz + Bauhaus: an architect’s way in a new land. Karl Krämer Verlag, Stuttgart und Massada, Israel 1976.
Physical Planning in Israel. Tel Aviv 1954.
Hospitals in Israel and the Developing Countries. Tel Aviv 1968.
Planning Jerusalem: The Old City and its Environs. Weidenfeld and Nicolson, Jerusalem 1973.
University of Ife Master Plan. Egboramy Co. & Arieh Sharon, Eldar Sharon, 1981.
Veröffentlichungen (Artikel)
entwurf für das haus des arbeiterrats in jerusalem. In: bauhaus. Nr.1, Januar 1929, S.22–23.
Planning in Israel. In: Israel and Middle East. Tel Aviv März 1952.
Planning in Israel. In: Town Planning Review. Liverpool April 1952.
Collective Settlements in Israel. In: Town Planning Review. Liverpool Januar 1955.
Hospitals in Israel. In: World Hospitals. Band1. London 1964.
Medical Centres and Hospitals in Developing Countries. In: Dialogue in Development – Proceedings of the 2nd World Congress of Engineers and Architects in Israel. Tel Aviv 1970.
Planning Jerusalem. In: Ekistics. Athen November 1974.
Ausstellungen
Architecture in Eretz Israel. HaBima Theater, Tel Aviv, September 1944.
National Exhibition. Tel Aviv Museum of Art, Februar 1950.
Conquest of the Desert (hebräisch כִּבּוּשׁ הַשְְּׁמָמָה Kibbūsch haSchmamah, deutsch ‚Einnahme der Ödnis‘). International Convention Center (Jerusalem), September 1953.
50 Jahre Bauhaus. Stuttgart 1967.
Tel Aviv – Neues Bauen 1930–1939. Stuttgart, 1993
White City: International Style Architecture in Israel: A Portrait of an Era. Tel Aviv Museum of Art, 1984; Jewish Museum (New York), 1984
The Israeli Project. Tel Aviv Museum of Art, 2001
Einzelausstellung Kibbutz+Bauhaus: an architect’s way in a new land. Bauhaus-Archiv Berlin, 1976; Essen, Zürich, 1977; München, Stuttgart, Hamburg, Mexiko-Stadt, 1978; Washington, New York, Philadelphia, 1979; Chicago, 1980.
Arieh Sharon – Bauhaus-Schüler und Architect. Erfurt, 2009.
Ehrungen und Mitgliedschaften
Mitglied des Stadtplanungskomitees, Tel Aviv, 1934
Geschäftsführendes Mitglied der Engineers and Architects Association, 1936
Goldmedaille des Mexikanischen Architekturinstituts, 1936
Vorsitzender des Israel Institute of Architects (IIA), 1955
Rokach-Preis für Architektur, Stadtverwaltung Tel Aviv, 1960
↑Elizabeth Zach: The Influence of Bauhaus on Architecture in Early Palestine and Israel. In: The New York Times. 16. März 2012 (englisch, online).
↑Nitza Metzger-Szmuk: Des maisons sur le sable: Tel-Aviv, mouvement moderne et esprit Bauhaus. Éditions de l’Éclat, Paris 2004, ISBN 2-84162-077-8, S.318 (französisch).
↑K. Michael Hays: Modernism and the posthumanist subject: the architecture of Hannes Meyer and Ludwig Hilberseimer. MIT Press, 1995, ISBN 0-262-58141-8, S.310 (englisch).
↑Israel 2020 – A New Vision – May-95. In: Israel Ministry of Foreign Affairs (Hrsg.): Israel Environment Bulletin. Band18, Nr.2 Spring 1995-5755, 1. Mai 1995 (englisch, online [abgerufen am 6. Oktober 2017]).
↑Ilan Troen: The transformation of Zionist planning policy: from rural settlements to an urban network. In: Planning Perspectives. Nr.3. E. & F. N. Spon, 1988, S.3–23 (englisch, Auszug [PDF; 6,5MB; abgerufen am 6. Oktober 2017]).
↑Yoʾav Sagi: Escape from Megalopolis. In: Israel Ministry of Foreign Affairs (Hrsg.): Israel Environment Bulletin. Band20, Nr.1 Winter 1997-5757 (englisch, israelforeignaffairs.com [abgerufen am 6. Oktober 2017]).