Antikes griechisches RechtAls griechisches Recht der Antike wird nicht eine bestimmte einheitliche Rechtsordnung bezeichnet, denn das Recht war von Polis (altgriechisch πόλις) zu Polis verschieden. Es handelt sich vielmehr um eine Sammelbezeichnung für eine regional und historisch abgegrenzte Form des positiven Rechts, das jedoch auf demselben rechtlichen Denken und den gleichen Prinzipien beruhte.[1] So wurden Gesetze wie die des Charondas von Katane manchmal bewusst von anderen Poleis übernommen. Es gab auch gegenseitige Entlehnungen in kleinerem Maßstab, insbesondere im Handelsrecht. Aufgrund des großen Einflusses Athens übte das Attische Recht einen signifikanten Einfluss auf das Recht der Poleis aus. Während die griechische Rechtsphilosophie ihre Spuren im modernen Recht hinterlassen hat, wurde das altgriechische Recht selbst durch das stärker entwickelte Römische Recht ersetzt. Historische QuellenFür das antike griechische Recht sind nur fragmentarisch erhaltene historische Quellen überliefert. ![]() Die wichtigsten Überlieferungen bilden:
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RechtsquellenVom göttlichen Recht zur GesetzgebungIn archaischer Zeit gab es noch keine formulierten Rechtsnormen. Das Recht (δίκη, dike) galt als göttlichen Ursprungs, den Menschen geschenkt von Göttervater Zeus[3], der auch die Anwendung überwachte.[4][5] Die Rechtsfindung wurde Gottesurteilen, dem feierlichen Zweikampf oder dem Reinigungseid[6] zugeschrieben. Die dem König (βασιλεύς), dem Herrscher göttlicher Abstammung, oder seinen Beratern vorbehaltenen Schieds- oder Richtersprüche (θεμιστές, Themistes d. i. der Plural von Themis) galten als Kundgebungen göttlichen Willens.[7] Im 7. Jahrhundert v. Chr. setzte in den Poleis eine Kodifikationsbewegung ein. Das geschriebene Gesetz (νόμος, nomos) – notiert von den Nomotheten – galt den Griechen als Ursprung der Gerechtigkeit und stellte nun die wichtigste formale Quelle des antiken griechischen Rechts dar. ![]() Die Ehrfurcht vor dem Nomos als formulierter Rechtsnorm wurde charakteristisch für das positivistische Rechtsverständnis der Griechen. Sie kommt etwa in der Weigerung Sokrates’ zum Ausdruck, sich seiner Hinrichtung durch Flucht zu entziehen – aus Respekt vor dem Gesetz.[8] Während jedoch das philosophische Problem der Gerechtigkeit im Sinne einer überpositiven Normsetzung oder göttlichen Rechts in Philosophie und Dichtung erörtert wurde, entwickelte sich keine praktisch orientierte Rechtswissenschaft, die das positive Recht begrifflich zu durchdringen versuchte. Andererseits entstand insbesondere in hellenistischer Zeit eine ausgefeilte Kautelarjurisprudenz, die durch Entwicklung von Geschäftsformularen für das praktische Rechtsleben prägend wurde. Gesetzgeber![]() Oft wurden die sich herausbildenden Rechtsregeln mythischen Gesetzgebern zugeschrieben,
ProzessrechtKlageartenDas antike griechische Recht war von prozessualen Vorstellungen geprägt. Dike (δίκη), die Bezeichnung der personifizierten Gerechtigkeit, bezeichnet als juristisch-technischer Begriff die Klage. Insbesondere im Athen der klassischen Zeit entwickelte sich ein regelrechtes Aktionensystem mit verschieden bezeichneten Klagearten wie etwa der Schadensersatzklage (δίκη βλάβης, dike blabes) oder der Unterhaltsklage (δίκη σίτου, dike sitou), die bei der jeweils für sie zuständigen Behörde einzureichen waren. Zu unterscheiden waren die Privatklagen (δίκη dike), die nur vom Verletzten bzw. unmittelbar Betroffenen und dessen Angehörigen eingebracht werden konnten, und die öffentlichen Klagen (γραφή graphé), die insbesondere wegen strafrechtlicher Vorwürfe von jedermann erhoben werden konnten; bei der Dike fiel die streitige Sache oder Buße dem Kläger, bei der Graphe dem Staat zu. Zu den öffentlichen Klagen zählen (im Athen der klassischen Zeit)
Im Übrigen gab es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen Zivilprozess und Strafverfahren. Das VerfahrenDie Klage wurde erhoben durch Ladung des Beklagten vor den zuständigen Beamten. Dieser unterzog die einzureichende Klageschrift einer Vorprüfung (Anakrisis). Zivilverfahren über Geldforderungen wurden einem öffentlichen Schiedsrichter (diaitetes) übertragen; wenn dessen Schiedsspruch von einer der Parteien nicht angenommen wurde, wurde ein dikasterion befasst. Die Parteien legten Argumente und Beweise vor. Während in archaischer Zeit und auch noch im Recht von Gortys starre Beweisregeln galten, drang in klassischer Zeit die freie Beweiswürdigung vor. Die Richter entschieden in geheimer Abstimmung ohne Aussprache entweder nach dem Antrag des Klägers oder dem des Beklagten. Ziel des Prozesses war es, die amtliche Billigung für die private Rache oder Rechtsdurchsetzung des Klägers zu erreichen. Der erfolgreiche Kläger erlangte das Recht, Person oder Vermögen des Beklagten zu belangen. Die Vollstreckung selbst konnte der Obsiegende dann im Wege der Selbsthilfe vornehmen. RechtspflegeberufeIn der athenischen Demokratie ging das Richteramt – ursprünglich eine den Königen, später Beamten wie den Archonten anvertraute Aufgabe – weitgehend auf Volksgerichte wie die Heliaia über. Da es eine juristische Ausbildung und Rechtsanwälte im modernen Sinn nicht gab, setzten professionelle Gerichtsredenschreiber (Logographen) wie etwa Demosthenes den Parteien Plädoyers auf und übten sie mit ihnen ein. Ihre überlieferten Gerichtsreden, in denen rhetorisch, aber in Ansätzen auch juristisch argumentiert wurde, stellen die wichtigste Quelle für die Erforschung des attischen Rechts dar. StrafrechtAls Straftatbestände waren dem antiken griechischen Recht etwa bekannt:
ZivilrechtPersonenrechtTräger von Rechten konnte nur der Freie, in der Polis der Bürger sein, und zwar der volljährige, d. h. über 18 Jahre alte Mann. Nur er konnte Grundeigentümer sein, erben, als Prozesspartei oder Zeuge auftreten, nicht dagegen Sklaven und Frauen. Fremde waren auf die Protektion eines Bürgers angewiesen; sie genossen lediglich in beschränktem Maße behördlichen Schutz. Auch Metöken und Periöken hatten eine geminderte Rechtsstellung. Halbfreie wie die Heloten in Sparta oder die an die Scholle gebundenen „Häusler“ (ϝοικέες) in Gortys konnten immerhin Rechtsträger sein und im Gegensatz zu den völlig rechtlosen Sklaven nicht verkauft werden.[19] Minderjährige, Frauen und Sklaven standen unter der rechtlichen Gewalt (κυρία kyría) des Kyrios (κύριος Herr), des männlichen Vorstands des Hausverbandes (Oikos, οἶκος), der sie bei Rechtsgeschäften und vor Gericht vertrat. Der Kyrios konnte Neugeborene anerkennen oder aussetzen und Hausangehörige verstoßen. Ehe- und FamilienrechtDer Fortbestand des Oikos, der eine wirtschaftliche und religiöse Einheit darstellte und Baustein der Polis war, wurde durch die Ehe (γάμος) gesichert. Sie wurde durch ein Rechtsgeschäft zwischen dem Kyrios der Braut und dem Bräutigam, die Engye (ἐγγύη) und die (ἔκδοσις ekdosis, ,Herausgabe‘) der Braut begründet. Voraussetzung war die Epigamie, die Ehefähigkeit der Brautleute, die in Athen nur Bürger und solche Metöken hatten, denen sie durch Isopolitievertrag mit ihrer Polis gewährt wurde. Eine der Braut von ihrem Kyrios mitgegebene Mitgift (Proix) war bei der Scheidung der Ehe zurückzugeben, bei ihrem Tod fiel sie ihren Söhnen zu. Erbrecht und AdoptionNur die ehelichen Kinder aus einer Verbindung zwischen Bürgern (γνήσιοι, gnesioi) hatten nach attischem Recht Anspruch auf das Bürgerrecht und waren erbberechtigt. Die Nothoi (νόθοι) dagegen, die aus einer unehelichen Verbindung mit einer Sklavin oder Konkubine (παλλακή pallakē) stammten oder deren Eltern nicht beide das Bürgerrecht besaßen, waren zwar nicht erbberechtigt, konnten aber unter Umständen das Bürgerrecht erwerben. Ein nothos metroxenos war ein Nothos, dessen Vater das Bürgerrecht besaß und dessen Mutter das Bürgerrecht nicht besaß. Hinterließ der Erblasser lediglich eine Tochter, konnte diese, sofern sie unverheiratet war, nicht frei über das Erbe verfügen. Denn da sie nicht Kyrios ihrer selbst war, konnte sie auch keine Verfügungsgewalt über Vermögen ausüben. Sie wurde zur Epikleros (ἐπίκληρος), zur Erbtochter. Sie war nun zwar de jure im Besitz des Erbes (οἶκος, oikos, wörtlich „Haus“, d. h. Haushalt bzw. Hausstand) ihres Vaters, brauchte aber einen neuen kyrios. Um den Bestand des oikos zu sichern, war der nächste Angehörige ihres Vaters, oft dessen Bruder, verpflichtet, die Erbtochter zu heiraten. Wenn er bereits verheiratet war, konnte er entweder die Scheidung von seiner Ehefrau erreichen, um die Erbtochter heiraten zu können, oder die epikleros dem nächstnäheren Verwandten überlassen. Die Pflicht des nächsten Verwandten des Vaters zur Heirat oder zur Überlassung an den nächstnäheren bestand auch dann, wenn die Frau wenig oder gar kein Vermögen hatte. War kein Verwandter hierzu bereit, musste der Archon den nächsten Verwandten zwingen, sie mit einer Aussteuer auszustatten und zu verheiraten. Die Funktion des Erbens als Nachfolge im Oikos schloss grundsätzlich aus, einen Erben abweichend von der gesetzlichen Rechtsnachfolge der gnesioi testamentarisch zu bestimmen. Wer keinen Sohn hatte, konnte jedoch, um den Fortbestand des Oikos zu sichern, durch Adoption (εἰσποίησης, eispoiēsis) einen Sohn annehmen. Seit Solon konnte dies auch durch letztwillige Verfügung (διαθήκη, diathēkē) geschehen. VertragsrechtEine dogmatisch durchdrungene Rechtsgeschäftslehre hat das griechische Recht anders als das römische nicht entwickelt. Vereinbarungen, wie sie im Geschäftsleben gängig waren, wurden als einseitige „Zweckverfügung“, nicht als Konsensualvertrag verstanden.[20] Jedoch bot die „Homologie“ (ὁμολογία, von ὁμός homos „gleich“ und λόγος logos „Wort, Sinn“), das „Zugestehen“ nicht nur von Tatsachen, sondern auch von Rechtsfolgen, die Möglichkeit, Verpflichtungen ohne Rechtsgrund (causa) zu begründen; sie war schon in klassischer Zeit gebräuchlich und wurde in hellenistischer Zeit zu einem wesentlichen Begriff der Vertragsgestaltung. Literatur
WeblinksEinzelnachweise
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