Ana Roldán wuchs in Mexiko-Stadt auf. In der Schlosserei und der Schreinerei ihres Vaters, eines kleinen Fabrikanten, entdeckte sie ihre Liebe zum Handwerklichen und entwarf Möbel.[1] Nach einer Ausbildung zur Gastronomin führte sie ein Restaurant, dann studierte sie an der Escuela Nacionál de Antropologia e Historia Geschichte. Die Arbeit der mexikanischen Performancekünstlerin Elvira Santamaría begeisterte sie so sehr[1], dass sie Ende der 1990er Jahre in Mexiko-Stadt als Performancekünstlerin aufzutreten begann. 2000 zog sie in die Schweiz und studierte Kunst an der Berner Hochschule der Künste[2] sowie Linguistik an der Universität Bern. Danach widmete sie sich ganz der Kunst. 2007 gewann sie das Atelierstipendium der Stadt Zürich für China und arbeitete während eines Jahres in Kunming.[3]
Ana Roldán lebt nach längeren Aufenthalten in São Paulo und Mexiko in Zürich.
Werk
Ana Roldáns Medien sind Performances, Skulpturen, Videos, Collagen, Installationen, Fotografie und Gruppenausstellungen, die sie kuratiert.[4] Vertreten durch Galerien in der Schweiz,[5] in Madrid,[6] in Mexiko[7] und in Kolumbien[8] ist sie in Lateinamerika ebenso präsent wie in Europa.
Im Anschluss an den TropicalismoHélio Oiticicas verwendet Roldán häufig naturhafte Materialien aus Lateinamerika wie Kokosnüsse[9], Palmen, Bananenstauden[10] oder Jade. Viele Arbeiten oszillieren zwischen dem Gestrengen der europäischen Moderne und den weicheren Formen der lateinamerikanischen Moderne wie man sie etwa beim mexikanischen Architekten Luis Barragán findet, auf den Roldán sich verschiedentlich bezieht.[11] So geraten die Rechtecke der Moderne schief und krumm, die Ana Roldáns Arbeit für Rio de Janeiro Colección de Especímenes de un Nuevo Mundo I[12] mit dem ärmlichen Naturmaterial Bambus rekonstruiert. Und statt der Grundfarben verwendet sie die Palette der Hauttöne von Brasiliens Bevölkerung.[13]
Zu Roldáns Repertoire gehören konkrete Gegenstände, die zu abstrakter, oft minimalistischer Kunst werden. Sie faltet Staats-Fahnen so zusammen, dass komplexere abstrakte Farbbilder entstehen[14][15] oder, im Falle des bürgerkriegsgeplagten Mexikos, von der rot-weiss-grünen Fahne nur noch eine blutrote geometrische Form übrigbleibt.[16]
Ein weiteres wiederkehrendes Motiv sind anthropomorphe Skulpturen, die sie erstmals 2004 mit der Arbeit Joe zeigt, über die Pablo Müller schreibt: Zwei aufeinander liegende, angewinkelte Rollen aus Leder erinnern in ihrer Form und Materialität an menschliche Glieder. So deutet sich in den Werken eine performative Qualität der Skulptur an.[17] Hans Rudolf Reust sagt über eine Weiterführung von Joe, nämlich die Arbeit I thought it was impossible (2015): Gänzlich aufgehoben wird die Trennung zwischen Geometrien und Körpern, Figuration und Abstraktion in den sich bildenden Figurationen aus schwarzen runden Stoffschlangen mit partiell hautfarbigen Überzügen. Wie leicht schematisierte menschliche Körper sind sie uns vertraut, bis sie durch einen kleinen Wechsel des Blickwinkels unvermittelt in abstrakte Lineaturen kippen.[18] Eine politische Lesart schlägt Thomas Haemmerli vor, der an die zerstückelten Leichen erinnert, die im Rahmen des Bürgerkriegs in den Medien Mexikos präsent sind: Der Titel I thought it was impossible (Ich dachte, das wäre nicht möglich) bezeichnete dann Grausamkeiten, die Menschen sich antun – eine Diagnose, die heute nicht nur in Mexiko, sondern in einer aus den Fugen geratenen Welt global gilt.[19]
Roldáns Interesse für Linguistik und Sprachphilosophie mündet immer wieder in entsprechende Werke. Beispielhaft ist die Skulptur Truth[20] von 2006, die dreidimensional den Schriftzug truth (Wahrheit) sowie seine Spiegelung abbildet. Weiss man nicht, dass das Wort an der Mittellinie gespiegelt ist, so kann man es nicht entziffern und ist wie Kinder oder Analphabeten auf unverständliche Zeichen zurückgeworfen. Ausserdem spielt der Titel der Arbeit mit dem Wahrheitsanspruch, den Worte für sich reklamieren.[21] In einer ortsspezifischen Installation[22] für den Hauptsitz des Rückversicheres Swiss Re werden die Begriffe Risk und Life zu abstrakten Stuhllehnen. Und in ihrem mehrteiligen Bestiarium,[23] arbeitet Roldán direkt mit Texten[21] und beschreibt Institutionen wie die foundation (Stiftung) sowie Figuren wie den young curator (Jungkurator) und die female artist (weibliche Künstlerin) als Bestien des Kunstbetriebs.
Ausstellungen
Einzelausstellungen (Auswahl)
2024: Dibujando un Círulo, Formato Cómodo, Madrid[24]
2023: Tell Me What Red Is..., Instituto de Visión, New York City
Matices del arte en América Latina Andrea Hinteregger De Mayo[71] / Turner Libros, 2019 Madrid, ISBN 978-84-17866-03-7
Existiert die Schweiz? Lagebericht zur Schweizer Kunstszene der Gegenwart mit einem Ausflug zu Athene Galiciadis, David Renggli und Ana Roldán. Fanni Fetzer in: Gipfeltreffen. Junge Bildhauerei aus der Schweiz und aus Deutschland, Ausstellungskatalog, Kunst im Tunnel, Düsseldorf.
Distant Memory herausgegeben vom Kunstverein Solothurn, mit Texten von Fabienne Bideaud, Hélène Joye-Cagnard, Catherine Kohler, Sylvia Mutti, Marina Porobic und Roswitha Schild, Solothurn 2010.[72]
Ana Roldán. Cocompositions, 2011, Editions Ready to Print, digital publication, Issue #11/2011[74]
Blackboard – White Page, herausgegeben von Maud Châtelet und Ana Roldán, Zürich, 2014.
Interview von Rahel Beyerle mit Ana Roldán, 26. Dezember 2014, SIK-ISEA, Zürich, 2014.[75]
2012 Beni Bischof, Manuel Burgener, Athene Galiciadis, Ana Roldán. Marianne Wagner. In: Madeleine Schuppli Ausstellungskatalog: "La jeunesse est un art", Jubiläum Manor Kunstpreis, Aargauer Kunsthaus, Aarau ISBN 978-3-906016-05-4.
↑Michal Pfister, Es raucht aus dem Spiegel. Mythos, Reflexion, Wirklichkeit: Gibt es einen „esprit mexicain“ in den Arbeiten von Ana Roldán? S. 46ff, in: Ana Roldán. Different Orders. Kunsthaus Langenthal, Langenthal 2011