Nachdem der Kunst- und Glasmaler Heinrich Horn schon 1855 in der Residenzstadt des Königreichs Hannover eine erste Werkstatt für Glasmalereien eröffnet hatte, gründete der gebürtige Ungar Alois Freystadtl, der eine Hannoveranerin geheiratet hatte, um 1881 ebenda die „Erste hannoversche Glasmalerei – Bleiverglasungen mit und ohne Malerei“.[1]
Freystadtl, der zeitweilig als A. Freystadtl, Erste Hannoversche Glasmalerei auftrat,[3] stellte von seinem Sitz in der Königstraße 53 aus[4] seine „Neuerungen in dem Verfahren zur Herstellung von Kathedralglas“ vor. Dies betraf farbig überfangene oder durch die gesamte Masse gefärbte geblasene oder gegossene Glastafeln, die mit einer speziell zubereiteten Mixtur überstrichen wurden.[5] Hierfür erhielt er mit einer Patentschrift den entsprechenden Schutz durch das Kaiserliche Patentamt.[6]
1888 hielt er vor Mitgliedern des Kunstgewerbe-Vereins zu Hannover einen dann in der Glas-Fachzeitschrift Der Diamant abgedruckten Vortrag über die teils bemängelte zeitgenössische Auftragsausführung, die vor allem durch die beauftragenden Kirchenbau-Architekten und den von diesen vorgegebenen Auftragsbedingungen wie etwa Zeitdruck entstanden seien. Zugleich hob Freystadtl die Vorzüge insbesondere der Nachhaltigkeit durch die traditionelle Glasmacherkunst hervor.[7]
1888 war Freystadtl einer von mehr als 1000 Ausstellern auf der Deutsch-Nationalen Kunstgewerbe-Ausstellung in München und wurde dort für seine Exponate – wie rund 61 Prozent seiner Mitbewerber und nahezu alle Glasmaler – mit einer einheitlichen Bronzemedaille mit dazugehörigem Ehrendiplom ausgezeichnet.[1] Er hatte dort in der Collectiv-Ausstellung Hannover mit seinen Mitarbeitern Franz Lauterbach und W. Massag „Glasgemälde für Hauskapelle [und] 2 Glasgemälde für Privatzimmer“ ausgestellt.[8]
Im Zuge der Trennung von seiner Ehefrau verließ Freystadtl Hannover; in der Folge nutzten die beiden aus Münster kommenden Partner der Glasmaler-Werkstatt Henning & Andres ihre Chance zur Eröffnung einer Glasmalerwerkstatt in Hannover.[1]
1895 meldete A. Freystadl in Zwickau ein „Damaskirverfahren für Glasgegenstände“ zum Patent an.[9]
Laut einer Mitteilung von Oliver J. D. Hughes, amerikanischer Konsul in Coburg, ließ Freystadtl um 1900 ein neuartiges Glas durch die Gebrüder Putzler in Penzig in der Oberlausitz produzieren. Etwa zeitgleich ging er einem Großauftrag über sakrale Fenster aus diesem Material mit Figuren, Wappen und Ornamenten für die St.-Johannis-Gilde in Riga nach.[10] Freystadls neuartiges Glas unterschied sich von dem von den Amerikanern eingeführten Opalescentglas und wurde von ihm nach Theophilus benannt.[11]
Aus Dresden kommend gründete Freystadtl gemeinsam mit dem Dresdner Richard Bleckmann in Weitersglashütte im Erzgebirge am 1. Mai 1901 bei gleichzeitiger Übernahme der Gebäude der Aktiengesellschaft für Tafelglasfabrikation die Saxonia-Farbenglaswerke Freystadtl & Bleckmann. Über die neue Firma wurde am 18. Dezember desselben Jahres das Konkursverfahren eröffnet, am 26. November 1903 wurden die Firmengrundstücke versteigert. Rund eineinhalb Jahre später erwirbt jedoch die in Gütertrennung lebende Ehefrau Freystadtls, Emma Freystadtl, geborene Oberhoff[12], die Glashütte aus der Konkursmasse und gründete am 12. Mai 1905 die Glashütte zur Fertigung von Tafelglas erneut. Neben ihr als Inhaberin wurde ihr Ehemann als Prokurist ins Handelsregister für die Glasfabrik Weitersglashütte eingetragen. 1906 produzierten dann 50 Arbeiter unter Direktor Alois Freystadtl mit einem regenerativ mit Braunkohle beheizten 6 Hafen umfassenden Hafenofen rund 100.000 m² Fensterglas unter der Schutzmarke „St. Lukas.“ Im Folgejahr 1907 wurde die Flachglasfabrik stillgelegt.[13]
Um 1910 hatte Freystadtl mit Sitz in brandenburgischen Steglitz bei Berlin abermals ein Patent angemeldet.[14] Die Freystadtl & LinauGmbH produzierte dort nach D.R.P. 219 149 ihre figürlichen und ornamentale Glasmosaikflächen aus, wobei die Glasmosaikplatten erst bemalt und gebrannt und erst geschnitten wurden, nachdem sie auf eine versandfähige Unterlage geklebt wurden. Das fertige Bild konnte später gemeinsam mit der Unterlage in die zu schmückende Fläche eingelassen werden.[2]
Nachdem Freystadtl eine Geschäftspartnerschaft mit Adolf Waldemar Willy Knaut in Freiberg in Sachsen eingegangen war, leitete der das Unternehmen als Direktor und firmierte als Freystadtl & Knaut, Erste sächsische Marmorik Spiegelglas-Werke, Freiberg i. S. Nach dem Ausscheiden Knauts war Freystadtl Alleininhaber und führte die Firma ab etwa 1913/1914 wieder unter seinem eigenen vollen Namen.[15]
Werke (sofern bekannt)
Glasfenster
1881–1882: Während der Umgestaltung der Stadtkirche St. Mauritius in Zörbig wurden auch zeitgenössische Kirchenfenster eingebaut. Die Bleiglasfenster verschwanden dann 1934–1935 unter der Rückbesinnung auf den barock durch Restaurator Albert Leusch. Nachdem der Gründer des Heimatmuseums Schloss Zörbig Teile der Glaskunst sicherte und im Magazin des Hauses einlagerte, wurde Anfang 2021 ein gläsernes Abbild des Heiligen Mauritius aus dem Chor der Zörbiger Stadtkirche aufgefunden. Dabei handelt es sich möglicherweise um eine hannoversche Arbeit Freystadtls.[16]
um 1891: Für die Bauherren Gebrüder Kasten baute der Architekt Friedrich Geb einen neuen Saal und ließ das Haupttreppenhaus vom Hotel Royal in Hannover umbauen; Freystadl führte dabei die kuppelförmige Glasdecke des Wintergartens und die übrige farbige Verglasung aus.[18]
die beiden nördlichen Fenster: Darstellungen aus dem Leben Luthers und Paul Gerhardts durch Freystadtl;[19]
die drei südlichen Fenster mit Kain und Abel, der Sintflut und dem Opfer Noahs durch Henning & Andres, wobei Olbers nachweislich mindestens den Karton zu Noahs Opfer selbst gemalt hatte.[19]
1893, von Hannover aus: Johanniskirche in Halle an der Saale: 5 figürliche,[20] nach Vorbild der „Bayernfenster“ im Kölner Dom[21] geschaffene Fenster in der als neogotischer Klinkerbau 1892 bis 1893 nach Plänen des Architekten Friedrich Fahro errichteten Kirche; nach Vandalismusschäden aus der Nachkriegszeit restauriert in Absprache mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt als Kooperation der Glasmalereiwerkstatt der FR Konservierung und Restaurierung mit Studierenden und Absolventen der Fachhochschule Erfurt.[20] Die Glasfenster galten bis Anfang 2021 als einzige erhaltene Arbeiten Freystadtls in Mitteldeutschland.[16]
in den 1890er Jahren lieferte Freystadt – mit Ausnahme der von A. Fichtmann aus Aachen gefertigten Chor-Glasmalereien – Glasarbeiten in Lütgendortmund[22]
Ferdinand Avenarius (Hrsg.): Kunsthandwerk. In: Der Kunstwart. Rundschau über alle Gebiete des Schönen. 1. Jahrgang (Oktober 1887 bis September 1888), Dresden: Kunstwart-Verlag, S. 336–337 (Google-Books).
↑Verzeichnis der von dem Kaiserlichen Patentamt in der Zeit vom ... ertheilten Patente, 1894, S. 80; Google-Books
↑Theodor Koller (Hrsg.): Neueste Erfindungen und Erfahrungen auf den Gebieten der praktischen Technik, Elektrotechnik, der Gewerbe, Industrie, Chemie, der Land- und Hauswirthschaft. Band 10 (1883), S. 478; Google-Books
↑No. 22306 vom 9. August 1882, in: Auszüge aus den Patentschriften, herausgegeben vom Kaiserlichen Patentamt, Berlin: Carl Heymanns Verlag, Druck: Julius Sittenfeld, 1883, S. 275; Google-Books
↑Ferdinand Avenarius (Hrsg.): Kunsthandwerk, in: Der Kunstwart. Rundschau über alle Gebiete des Schönen, 1. Jahrgang (Oktober 1887 bis September 1888), Dresden: Kunstwart-Verlag, S. 336–337; Google-Books
↑Officieller illustrirter Katalog der Deutsch-Nationalen Kunstgewerbe-Ausstellung zu München 1888, München: Commissionsverlag der Academischen Monatshefte, 1888, S. 130; Google-Books
↑Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer Plauen für das Jahr 1895 (1896), S. 491; Google-Books
↑ abOliver J. D. Hughes: New German Glas, in: Consular Reports, Commerce, manufactures, etc, Ausgaben 240–243 (1900), S. 131; Google-Books
↑Der gemeinsame Sohn Emil Wilhelm Herbert Freystadtl kam 1900 in der gemeinsamen Wohnung in Dresden zur Welt. vgl. Standesamts-Nebenregister Dresden 1900.
↑Patentblatt. Vierteljährliches Namens-Verzeichnis zu den im Jahrgang 1910 zum Patent angemeldeten ..., Berlin: Carl Heymanns Verlag, 1910, S. 17 (google.de)
↑Sprechsaal für Keramik, Glas, Email, Silikate, Band 47, Teil 1, 1914, S. 139; Vorschau über Google-Bücher
↑ abUlf Rostalsky: [Heiliger wieder aufgetaucht: St. Mauritius schmückte einst die Zörbiger Stadtkirche], illustrierter Artikel auf der Seite der Mitteldeutschen Zeitung vom 3. Januar 2021, abgerufen am 19. Januar 2024
↑Zeitschrift des Architekten- und Ingenieur-Vereins zu Hannover, Band 37 (1891), S. 655 ff.; Google-Books
↑ abHorst Appuhn, Christian Radtke et al.: 850 Jahre St.-Petri-Dom zu Schleswig. 1134–1984. Hrsg.: Evangelisch-Lutherische Domgemeinde Schleswig, Schleswig: Schleswiger Druck- und Verlagshaus, 1984, ISBN 3-88242-086-3, S. 53; Vorschau über Google-Bücher.
↑Martin Gottschalk (Bearb.): Die Johanneskirche, Teil 2: Ergänzungsheft, Johanneskirchensanierung 1991-2011, ein Rückblick, hrsg. von der Evangelischen Johanneskirchengemeinde Halle, Halle, 26. Juni 2011, S. 15; Digitalisat über docplayer.org