Die Abbildungsklassengruppe eines Raumes ist die Gruppe der „Symmetrien“ (Klassen von Abbildungen) dieses Raumes. Dabei werden Abbildungen, die sich stetig ineinander deformieren lassen, als jeweils eine Klasse von Abbildungen angesehen.
Formaler betrachtet man alle Homöomorphismen (stetige Selbstabbildungen, die eine stetige Umkehrabbildung besitzen) eines Raumes. Man sagt, dass zwei Homöomorphismen zur selben Isotopieklasse gehören bzw. isotop sind, wenn es eine stetige Abbildung mit für alle und gibt. Diese Isotopieklassen von Homöomorphismen bilden mit der (wohldefinierten) Verknüpfung von Homöomorphismen eine Gruppe und diese wird als Abbildungsgruppe oder bezeichnet.
Im Kontext orientierbarerMannigfaltigkeiten betrachtet man nur die Isotopieklassen orientierungserhaltender Homöomorphismen. (Die Gruppe aller Isotopieklassen wird dann als erweiterte Abbildungsklassengruppe bezeichnet.) Im Fall von Mannigfaltigkeiten mit Rand betrachtet man nur diejenigen Homöomorphismen, die den Rand punktweise fest lassen und erlaubt auch nur solche Isotopien. Man kann dann also formal definieren
Aus dem Alexander-Trick folgt : jede den Rand punktweise festlassende Selbstabbildung der Kreisscheibe ist homotop zur Identitätsabbildung.
Sphäre
Ebenfalls aus dem Alexander-Trick folgt : jede Selbstabbildung der Sphäre ist homotop zur Identitätsabbildung.
Hose
Die Abbildungsklassengruppe der Hose ist ebenfalls trivial. Falls man den Rand nicht notwendig festlassende Abbildungen betrachtet, bekommt man als Abbildungsklassengruppe die symmetrische Gruppe.
Kreisring
Die Abbildungsklassengruppe des Kreisringes ist zyklisch von unendlicher Ordnung, ein Erzeuger ist der Dehn-Twist an der Kernkurve.
Weil die Abbildungsklassengruppen von Sphäre, Kreisscheibe, Kreisring und Torus leicht zu beschreiben sind, werden wir uns in diesem Artikel im Weiteren nur mit den Abbildungsklassengruppen von Flächen negativer Euler-Charakteristik befassen.
Präsentierungen der Abbildungsklassengruppe
Erzeuger
Die Abbildungsklassengruppe einer Fläche wird von Dehn-Twistserzeugt. Wie Lickorish bewiesen hat, genügen die Dehn-Twists an den 3g-1 im Bild rechts dargestellten Kurven, um die Abbildungsklassengruppe zu erzeugen. Ein anderes Erzeugendensystem mit nur 2g-1 Dehn-Twists wurde von Humphries angegeben.
Relationen
Es gibt eine Reihe von Relationen zwischen Dehn-Twists. Im Folgenden listen wir einige Beispiele, wobei jeweils den Dehn-Twist an der Kurve und
Disjunkt-Relation: Wenn die Schnittzahl ist, dann .
Zopf-Relation: Wenn die Schnittzahl ist, dann .
Laternen-Relation: Wenn 7 Kurven wie im Bild rechts angeordnet sind, dann gilt , wobei die im Bild blauen und die im Bild roten Kurven bezeichnet.
Andererseits gilt für , dass die Dehn-Twists eine freie Gruppe erzeugen.
Präsentierungen
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, explizite Präsentierungen der Abbildungsklassengruppen anzugeben, beispielsweise die Wajnryb-Präsentierung oder die Gervais-Präsentierung.
Seien einfache geschlossene Kurven auf einer zusammenhängenden Fläche . Wir bezeichnen mit die durch Aufschneiden entlang bzw. aus entstehenden Flächen. Wir sagen, dass eine separierende bzw. nicht separierende Kurve ist wenn unzusammenhängend bzw. zusammenhängend ist.
Die folgende Eigenschaft wird als change of coordinates principle für die Wirkung der Abbildungsklassengruppe bezeichnet:
Es gibt einen Homöomorphismus mit dann und nur dann, wenn
entweder und beide nicht-separierende Kurven sind,
oder beide separierende Kurven sind und die (unzusammenhängenden) Flächen und zueinander homöomorph sind.
Ein wichtiges Hilfsmittel beim Studium der Abbildungsklassengruppe ist der Kurvenkomplex.
Satz von Dehn-Nielsen-Baer
Die Abbildungsklassengruppe ist eine Untergruppe vom Index 2 in der „erweiterten Abbildungsklassengruppe“ der Isotopieklassen aller (nicht-notwendig orientierungserhaltender) Homöomorphismen.
Für jeden asphärischen Raum ist die Gruppe der Selbst-Homotopieäquivalenzen modulo Homotopie isomorph zu . Aus dem Satz von Dehn-Nielsen-Baer folgt also, dass man die Abbildungsklassengruppe äquivalent auch als Gruppe der Selbst-Homotopieäquivalenzen (statt nur der Homöomorphismen) modulo Homotopie definieren könnte.
Satz von Johnson: Für wird die Torelli-Gruppe erzeugt von für Paare , die einen 2-fach punktierten Torus beranden.[4]
Alle 3-dimensionalen Homologiesphären lassen sich durch Heegaard-Zerlegungen gewinnen, deren Verklebeabbildung ein Element der Torelli-Gruppe repräsentiert.
Flächen mit markierten Punkten
Für eine geschlossene, orientierbare Fläche vom Geschlecht mit Punkten definiert man
als die Gruppe der Homotopieklassen von Homöomorphismen mit , wobei auch die Homotopien die Punkte festlassen sollen.
Die Abbildungsklassengruppen für unterschiedliche hängen über Birman-Sequenzen miteinander zusammen.
In verschiedenen Zusammenhängen ist es einfacher, statt zu untersuchen, etwa bei der Berechnung der stabilen Homologie von Abbildungsklassengruppen (Satz von Madsen-Weiss).
Literatur
Benson Farb, Dan Margalit: A primer on mapping class groups. (= Princeton Mathematical Series. 49). Princeton University Press, Princeton, NJ 2012, ISBN 978-0-691-14794-9. (online; pdf)
Nikolai Ivanov: Mapping class groups. In: R. J. Daverman (Hrsg.): Handbook of geometric topology. North-Holland, Amsterdam 2002, ISBN 0-444-82432-4, S. 523–633.
↑Für Flächen kann man die Abbildungsklassengruppe äquivalent auch durch Isotopieklassen von Diffeomorphismen definieren: . Weiterhin besagt ein Satz von Baer, dass Homöomorphismen von Flächen genau dann isotop sind, wenn sie homotop sind, weshalb man die Abbildungsklassengruppe von Flächen auch durch Homotopieklassen von Homöomorphismen definieren könnte. Das gilt entsprechend auch für Flächen mit Rand, wo zwei den Rand punktweise festlassende Homöomorphismen genau dann isotop sind, wenn sie homotop sind (bzgl. den Rand punktweise festlassender Isotopien bzw. Homotopien).
↑Alle Beispiele in diesem Abschnitt finden sich in Kapitel 2 von Farb-Margalit (op.cit.).
↑H. Zieschang, E. Vogt, H.-D. Coldewey: Flächen und ebene diskontinuierliche Gruppen. (= Lecture Notes in Mathematics. Vol. 122). Springer-Verlag, Berlin/New York 1970, ISBN 3-540-04911-8.
↑Dennis L. Johnson: Homeomorphisms of a surface which act trivially on homology. In: Proc. Amer. Math. Soc. 75, no. 1, 1979, S. 119–125.