ÄmteranfragenÄmteranfragen oder Ämterbefragungen waren im Ancien Régime in der Schweiz Meinungsumfragen, die von den städtischen Obrigkeiten des 15. bis 18. Jahrhunderts fallweise durchgeführt wurden. Der Begriff wurde von der Geschichtswissenschaft entwickelt. Der 1869 entstandene Begriff der Volksanfragen wird kaum mehr gebraucht, weil er suggeriert, dass die Ämteranfragen eine Vorstufe des modernen Referendums gewesen seien.[1] BedeutungDer an den Landsgemeinden der Länderorte gepflegte Meinungsaustausch war im späten Mittelalter auch zwischen städtischen Obrigkeiten und ihren Untertanen üblich. Aus verschiedenen Kommunikationsformen wie z. B. dem Fürtrag ― der Vorladung von Vertretern der Landschaft vor den Rat zur Mitteilung wichtiger Beschlüsse ― entwickelte sich ab den 1430er Jahren eine das ganze Territorium umfassende Untertanenbefragung.[1] Anlass zu Ämteranfragen gaben v. a. drohende Krisen (Kriege, Teuerung usw.) und bevorstehende Bündnisabschlüsse. Indem städtische Obrigkeiten ihre Untertanen zu Aussen- und Innenpolitik, zu Krieg, Bündnissen, Pensionen, Reislaufen sowie Steuern um ihre Meinung befragten, beteiligten sie diese an den Regierungsentscheiden. Die Ämteranfragen halfen Konflikte mit der Landschaft zu verhindern und unpopuläre Entscheide zu legitimieren. Sie dienten der Obrigkeit dazu, ihre Absicht darzustellen und um Konsens und Loyalität der Untertanen zu werben. Die Antworten waren für die Obrigkeit nicht bindend.[1] Ämteranfragen, in denen die Untertanen zu politischen Sachthemen Stellung nehmen konnten, gab es in Bern und Zürich. Luzern kannte eine beschränkte Form von sachgerichteten Ämteranfragen, mit denen sich der Rat über Zustände auf der Landschaft informierte. Um 1500 war diese Form der Untertanenrepräsentation ebenso in süddeutschen Territorien verbreitet.[1] ArtenEs gab drei Arten der Ämteranfragen:[1]
Zu Landtagen wurde in der Regel die männliche Bevölkerung ab 14 Jahren aufgeboten. Die Antworten, Mehrheitsentscheide durch Handmehr, verraten den Einfluss der politisch und ökonomisch führenden bäuerlichen und landstädtischen Schichten.[1] EntwicklungAb den 1480er und 1490er Jahren wurden die Untertanengebiete fast regelmässig angefragt, allgemein gehäuft in Krisenzeiten. Dies geschah u. a. 1435–1450 (Alter Zürichkrieg), 1499–1516 (Mailänderkriege) und 1523–1532 (Bauernrevolten, Reformation).[1] Häufige Ämteranfragen, sechs bis sieben pro Jahr in Bern 1516–1522, machten die Landbevölkerung mit der obrigkeitlichen Politik vertraut und darin geübt, sich zu politischen Fragen zu äussern. Grundsätzlich gingen Ämteranfragen von der Obrigkeit aus, doch fanden bei ländlichen Unruhen (1513, 1515–1516, 1523–1525) Versammlungen auch unerlaubt statt und wurden der Obrigkeit Beschwerden ungefragt eingereicht. In der 1536 eroberten Waadt führte Bern keine Ämteranfragen durch, da die sporadisch zusammentretende Ständeversammlung (Etats de Vaud) bis ins 1. Viertel des 18. Jahrhunderts konsultative Funktion ausübte.[1] Die Ämteranfragen galten nicht als Volksrecht, sondern als vom Rat gewährte Gunst. Trotz der von den Untertanen erstrebten und zum Teil erlangten Institutionalisierung der Ämteranfragen (u. a. 1513 im Könizer Aufstand) wurden diese vom 16. Jahrhundert an immer seltener und unterblieben im 18. Jahrhundert fast ganz. Die letzte Ämteranfrage erfolgte in Bern im Jahr 1712. Am 17. Januar 1798 lancierte die alte Regierung von Zürich die letzte Befragung der Landschaft; Inhalt, Ablauf und Absicht dieser Befragung entsprachen in etwa jener von 1653 (die Reaktionen in den verschiedenen Regionen fielen jedoch sehr unterschiedlich aus).[2] Die Einstellung der Ämteranfragen weist auf die nunmehr erstarkte Landesherrschaft der grossen Städteorte im Ancien Régime hin.[1] Zürcher VolksbefragungenExemplarisch zeigt dies das nachstehende chronologische Verzeichnis der Zürcher Volksbefragungen seit der Reformation:
Einzelnachweise
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