Zuwara (Sprache)Die Sprache von Zuwara ist eine Berbersprache, die in der Umgebung der Stadt Zuwara im Nordwesten Libyens gesprochen wird. Eine präzise Eigenbezeichnung für die Sprache existiert nicht; man nennt sie maziγ[1], was einfach "berberisch" heißt. Das Berberische von Zuwara teilt einige Züge mit anderen östlichen Berbersprachen, beispielsweise das Vorhandensein eines distinktiven Wortakzents. Der Anteil an arabischen Fremdwörtern ist sehr hoch. LautsystemKonsonantenIm Berberischen von Zuwara werden folgende Konsonanten unterschieden:
Dazu kommen ṃ, l, r, ṛ, w, y, sowie (nur in Wörtern arabischen Ursprungs) die Glottale ʔ, h und die Pharyngale ḥ, ʕ. Die emphatischen Konsonanten (ḍ, ṭ, ẓ, ṛ, ṃ etc.) gleichen den entsprechenden Lauten des Arabischen. VokaleDie Sprache von Zuwara unterscheidet vier Vokale: a, i, u, ə. Diese können betont oder unbetont sein. Der Murmelvokal ə ist in seiner betonten Variante ein vollwertiges Phonem und kann dann in allen Positionen (auch in offenen Silben) stehen. Das unbetonte ə dient dagegen im Wesentlichen zur Aufspaltung sonst unzulässiger Konsonantengruppen und ist daher in seiner Position weitgehend vorhersagbar. WortakzentDas Berberische von Zuwara besitzt einen ausgeprägten Wortakzent, der meist auf der vorletzten Silbe, manchmal aber auf der letzten Silbe des Wortes liegt. Substantive, inklusive arabischer Fremdwörter, werden immer auf der vorletzten Silbe betont. Auf der letzten Silbe betont man:
PersonalpronomenDas Personalpronomen trifft anders als im Deutschen eine Genusunterscheidung in der 2. und 3. Person des Singulars und des Plurals. Allerdings geraten die femininen Formen des Plurals tendenziell außer Gebrauch und werden nicht mehr konsequent benutzt.
Die kurzen Suffixe stehen vor allem nach Präpositionen, z. B. γə́ṛ-i "bei mir", γə́ṛ-k "bei dir", γə́ṛ-s "bei ihm/ihr", γə́ṛ-nəγ "bei uns", γə́ṛ-wən "bei euch", γə́ṛ-sən "bei ihnen". SubstantivGenusDas Berberische von Zuwara besitzt zwei grammatische Geschlechter: Maskulinum und Femininum. Maskuline Substantive beginnen meist mit einem Vokal. Feminine Substantive stellen diesem Vokal noch ein t- voran und enden meist auch auf -t. Der initiale Vokal lautet oft (t)a-, etwas seltener (t)i- oder ganz sporadisch u-; soweit verhält es sich wie in den meisten anderen Berbersprachen:
Nicht selten kommt in der Sprache von Zuwara als Präfix aber auch (t)ə́- vor, was aus den meisten anderen Berbersprachen nicht bekannt ist:
Bei längeren Substantiven kann der Präfixvokal ganz fehlen. Es handelt sich hier im Prinzip wohl ebenfalls um Substantive auf ə-, wobei aber das ə, da es in einer Vortonsilbe stünde, entfällt:
Noch anders verhalten sich die sehr zahlreichen arabischen Fremdwörter. Diese beginnen, unabhängig vom Geschlecht, meist mit l- oder mit einem Doppelkonsonanten. Dies geht auf den arabischen bestimmten Artikel zurück, der aber im Berberischen von Zuwara fest zum Nomen gehört und nicht als Artikel betrachtet wird:
PluralDie Pluralbildung ist ähnlich wie in den anderen Berbersprachen. Hauptregeln:
Beispiele:
État d'annexionWie viele andere Berbersprachen unterscheidet auch das Berberische von Zuwara beim Substantiv einen "état libre" (die Normalform) und einen "état d'annexion". Letzterer wird in Zuwara nur in Abhängigkeit von Präpositionen verwendet; in allen anderen Fällen steht das Substantiv im état libre.[2] Ähnlich wie in anderen Berbersprachen bildet man den état d'annexion der Maskulina im Wesentlichen durch einen Wechsel des Präfixes a- (aber auch ə-) > wə-:
Anstelle von unbetontem wə- wird u- gesprochen:
Wie in anderen Berbersprachen auch ist das a- einiger Substantive stabil und bleibt nach w- erhalten:
Konsonantisch anlautende Substantive können im état d'annexion manchmal ein w- annehmen, meist bleibt die Form aber unverändert:
Die Präfixe i- und ti-, die auch in den meisten Pluralformen vorkommen, bleiben unverändert:
Feminina können das Präfix ta- durch tə- ersetzen, doch bei vielen Substantiven bleibt das Präfix unverändert.
PossessionNominalHinter dem Possessum folgt, eingeleitet durch die Präposition n, der Possessor, der in der Form des état d'annexion stehen muss:
PronominalAls Entsprechung deutscher Possessivpronomina stehen Possessivsuffixe zur Verfügung, die oben im Abschnitt "Personalpronomen" aufgelistet sind. Wenn sie dem Substantiv angehängt werden, wird der Akzent so verschoben, dass er auf der vorletzten Silbe bleibt:
Ein ə geht oft verloren, sobald es den Akzent verliert:
Es gibt aber auch Substantive, für die eine Erhaltung des unbetonten -ə- bezeugt ist:
Wenn eine Pluralendung -ən und ein Possessivsuffix mit -ən- aufeinanderfolgen, so findet eine Kontraktion statt: míddən "Leute" + -ə́nnəγ "unsere" → middə́nnəγ "unsere Leute". Dies betrifft nicht Fälle mit anderen Pluralendungen wie ilə́γman "Kamele": iləγman-ə́nsən "ihre Kamele". DemonstrativumDas Demonstrativum besteht aus einer unflektierbaren Partikel, die dem Substantiv vorangeht und mit ihm in einer Genitivkonstruktion verbunden wird:
VerbPersonalflexionWie andere Berbersprachen auch hat die Sprache von Zuwara am Verb Prä- und Suffixe, die das Subjekt bezeichnen. Die Affixe sind im Prinzip für alle Verben und Tempora die gleichen. Hier als Beispiel die Personalformen von zwei Verben:
Zu beachten:
StammformenDie wichtigsten Stammformen des Verbs sind der Aorist, das Präteritum und das Präsens. Alle Formen werden hier in der 3.sg.mask., also mit dem Personalpräfix y-, angegeben. Der Aorist und das Präteritum unterscheiden sich bei den meisten Verben allein durch den Akzent. Während der Aorist und das Präsens die in der Sprache vorherrschende Normalbetonung auf der vorletzten Silbe zeigen, wird im Präteritum die Betonung auf die letzte Silbe verlagert. Das Präsens wird oft durch die Verdopplung des mittleren Konsonanten charakterisiert, wobei sich dabei in Einzelfällen die Natur des Konsonanten ändern kann:
Eine zweite häufige Bildungsweise des Präsens besteht darin, dem Aoriststamm ein Präfix tt- voranzustellen:
Beide Bildungen kombiniert finden sich in dem Verb für "fallen" (in dem, wie auch sonst üblich, verdoppeltes ḍ als ṭṭ realisiert wird):
Viele Verben haben im Präteritum einen auslautenden betonten Vokal -á, wohingegen im Aorist der Vokal (der unbetont sein müsste) ganz abfällt. Das Präsens solcher Verben wird teils durch Konsonantenverdopplung, teils durch ein Präfix tt- gebildet:
Manche Verben zeigen im Präsens zusätzlich zu einem der üblichen Bildungsmittel noch die Einfügung eines Vokals -a-:
Dann gibt es Verben, die im Präsens entweder ein -a oder eine Kopie des Stammvokals anhängen:
Der Stamm mancher Verben beginnt mit einem variablen Vokal. Dieser lautet a- im Aorist und u- im Präteritum. Das Präsens solcher Verben wird auf tta- gebildet:
Einige Verben, die einen ungewöhnlichen oder längeren Stamm haben (z. B. mit vier Konsonanten), haben im Aorist und Präteritum die gleiche Form, verzichten also auf den Unterschied im Akzent. Bei solchen Verben kommt nur die Präsensbildung mit tt- in Frage, gelegentlich mit Einschub eines -a-:
Mehr oder weniger unregelmäßig ist das Präsens folgender Verben:
Völlig unregelmäßig ist das Verb für "sagen":
Einfluss der Personalaffixe auf die BetonungBei den meisten Verbalklassen bleibt die Tonstelle eines Verbs in allen Personalformen unverändert, auch dort wo Suffixe angefügt werden:
Als Ausnahme ist das (nur im Präteritum gebräuchliche) Verb für "wollen" zu verzeichnen, das den Ton auf die Suffixe verschiebt:
Bei bestimmten Verben jedoch verlagert sich durch das Anfügen von Personalendungen der Ton innerhalb des Stammes nach rechts. Dies betrifft besonders Verben des Typs yə́knəf "braten". Wie man in der folgenden Tabelle sieht, bleibt der Unterschied zwischen Aorist und Präteritum trotzdem fast immer gewahrt, und nur in der 2.pl.fem. und 3.pl.fem, die besonders lange Endungen aufweisen, müssen beide Tempora zusammenfallen:
Bei den Verben vom Typ yə́wətt "schlagen" mit auslautendem Doppelkonsonanten kann der Unterschied zwischen Aorist und Präteritum nur in den ausschließlich präfixalen Formen aufrechterhalten werden und geht in den meisten Personalformen verloren:
AoristDer Aorist kommt ziemlich selten in Reinform vor, am ehesten in Abhängigkeit von gewissen Modalverben. Meistens wird der Aorist mit einer vorangestellten Partikel a(d)- kombiniert. In diesem Fall ist der Aorist selbständig verwendbar und hat etwa die Bedeutung eines Futurs. Die Partikel lautet meist a-, vor folgendem Vokal steht jedoch ad-. Wird im Aorist die erste Silbe betont, so geht der Akzent in manchen Fällen auf die Partikel über:
ImperativDer Imperativ wird aus dem Aoriststamm ohne Personalaffixe gebildet:
Einen Plural des Imperativs bildet man mit Hilfe der Endung -(ə)t:
NegationWird ein Verb negiert, so verändern einige Verbformen, und zwar nur solche des Präteritums, ihren Stamm: Ein variabler Auslautvokal -a/-i (Typ yəflá "er ging" – fliγ "ich ging") wird auf -i vereinheitlicht: yəflí. Außerdem fügen viele Verben, deren Stamm auf Konsonant endet, vor diesem Konsonanten ein -i- ein. Weiter hat das negierte Verb ein Präfix wə- und ein Suffix -š. Beide diese Markierungen sind optional, und Regeln für ihre Verwendung sind nicht im Detail bekannt. Das Suffix -š wird aber in der Mehrzahl der Fälle gesetzt, insbesondere dann, wenn kein Objekt vorhanden ist. Das Suffix -š zieht den Ton auf die letzte Silbe. Beispiele:
Es gibt keinen negierten Aorist, sondern dafür tritt das negierte Präsens ein. Entsprechend wird der Imperativ (der ja vom Aoriststamm gebildet ist) nicht direkt negiert, sondern zur Negierung des Imperativs wird der Stamm des Präsens ohne die Personalaffixe verwendet:
ObjektssuffixeNach dem VerbDie Objektssuffixe (Formen oben im Abschnitt "Personalpronomen") unterscheiden in der dritten Person zwei Reihen für das direkte Objekt und eine Reihe für das indirekte Objekt. In den anderen Personen fallen direktes und indirektes Objekt zusammen. Normalerweise hängen die Objektssuffixe hinter dem Verb. Beim direkten Objekt der dritten Person steht nach einer Personalendung die t-Reihe, nach dem Verbalstamm meist die i-Reihe:
Nach dem Verb für "wollen" erhalten unmittelbar auf den Stamm folgende Objektssuffixe den Ton. In der Regel jedoch bleibt der Ton auf dem Stamm:
Wenn der Verbalstamm auf -a auslautet, sind zwei Fälle zu unterscheiden. Im ersten Fall (dies betrifft Präteritalformen von Verben, die das -a nur im Präteritum haben) wird der Vokal vor dem Suffix elidiert:
Im zweiten Fall (Verben mit stabilem a-Auslaut) bleibt der Vokal erhalten, und für das direkte Objekt werden Formen auf -tt- gebraucht:
Werden gleichzeitig Suffixe für das indirekte und das direkte Objekt gebraucht, so stehen sie in dieser Reihenfolge:
Vor dem VerbWenn dem Verb entweder das Präfix a(d)- des Aorists oder die Negation wə- vorangeht, hängt das Objektsuffix hinter diesem und nicht hinter dem Verb:
Wenn in einer negierten Form das Präfix wə- nicht realisiert ist, steht das Objektssuffix dennoch vor dem Verb:
SonstigesIm negierten Präsens (einschließlich des negierten Imperativs) stehen nur die Dativsuffixe vor dem Verb, die Akkusativsuffixe dagegen hinter ihm:
Manchmal wird das Objekt nicht durch ein Objektsuffix ausgedrückt, sondern mit einer Präposition umschrieben:
SyntaxWortstellungDie Wortstellung ist sehr variabel. Häufig steht das Verb am Satzanfang. NichtverbalsatzEin nominales Prädikat kann durch das Element d angebunden werden:
FrageSatzfragen haben am Ende meist eine Partikel -a. Die Silbe direkt davor wird betont:
RelativsatzDie Konstruktion des Relativsatzes unterscheidet sich von der vieler anderer Berbersprachen; insbesondere fehlt die sonst als "Partizip" bezeichnete Form. Relativsätze werden meist mit einer Partikel la eingeleitet, die im Übrigen auch "dass" bedeutet: áyu la yəγs ṛə́bbi nə́tta la yəṃṃá-yid WortschatzEinige Elemente aus dem Grundwortschatz; Verben sind in der 3. Pers. sg. mask. des Aorists zitiert:
Der Anteil an arabischen Wörtern und ganzen Phrasen ist im Berberischen von Zuwara sehr hoch. Einige Beispiele:
Literatur
Mitchells Grammatik, die aus dem Nachlass erschien, beschreibt nur das Verbalsystem. Informationen über das Nominalsystem enthalten seine älteren Aufsätze. Einige weitere grammatische Themen behandelt Galand (auf der Basis von Mitchells Materialien). Ein Wörterbuch existiert nicht. Anmerkungen
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