Von 1939 bis 1945 nahm er als Soldat am Zweiten Weltkrieg teil. Aus seiner ersten Ehe mit Edith Ulivelli (auch: Ulli Benning, später: Esther Dayan-Ulivelli) ging der spätere Autor und Regisseur Rainer Schnurre (* 1945) hervor.[3] Nach Kriegsende kehrte Wolfdietrich Schnurre aus Westfalen, wohin er im April 1945 geflohen war, nach Berlin zurück. Anfangs lebte er in Ost-Berlin und wurde zunächst Redaktionsvolontär beim Ullstein-Verlag.[4] Nach dem Verbot des sowjetischen Kulturoffiziers, in westlichen Zeitschriften zu publizieren, wechselte er 1946 nach West-Berlin. In den folgenden Jahren arbeitete er als Theater- und Filmkritiker für die Deutsche Rundschau und andere Berliner Zeitungen.
Schnurre wurde 1947 Mitbegründer der „Gruppe 47“ und Mitglied des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland, aus dem er 1962 aus Protest gegen dessen Schweigen zum Bau der Berliner Mauer austrat.[5] Ab 1950 war er freier Schriftsteller. 1964 erkrankte Schnurre an einer schweren Polyneuritis.
1965 nahm sich seine Ehefrau Eva, geborene Mertz, das Leben. 1966 heiratete er die Graphikerin Marina Kamin. Gemeinsam adoptierten sie einen kleinen Jungen. In den letzten Jahren seines Lebens lebte er in Felde in der Nähe von Kiel. Sein Grab auf dem Waldfriedhof Zehlendorf ist seit November 2010 ein Ehrengrab des Landes Berlin.
Schnurres bekanntestes Buch Als Vaters Bart noch rot war trug ihm den Ruf eines humorvollen Erzählers ein. Er selbst sah seinen Humor als „Gratwanderung“.[7] Er verstand sich vor allem als engagierter, zeitkritischer, im weitesten Sinn politischer Autor und wurde auch von Kritikern so wahrgenommen. Marcel Reich-Ranicki nannte ihn einen „militanten Kauz“[8] und „Ruhestörer“.[9] Bereits das 1953 erschienene fiktive Tagebuch Sternstaub und Sänfte. Aufzeichnungen des Pudels Ali enthält Spitzen gegen restaurative Tendenzen der Adenauer-Ära sowie gegen den Literaturbetrieb der frühen Bundesrepublik. In der Eine Chronik untertitelten Parabel-Sammlung Das Los unserer Stadt (1959) verschärfte Schnurre diese Kritik. Seiner Besorgnis über die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik gab er unter anderem in der Kurzgeschichte Das Manöver Ausdruck. Eine erste Bilanz seines Lebens und Schreibens zog Schnurre in dem Aufzeichnungsband Der Schattenfotograf, der ein Verkaufserfolg wurde. Neben Lebenserinnerungen enthält dieser Band Aphorismen, Erzählfragmente, Notizen zu Lektüren und poetologische Reflexionen. Während Schnurre an diesem Buch schrieb, verfasste er auch die Dialogsammlung Ich brauch dich, in der er vollständig auf eine Erzählinstanz verzichtete und nur die Figuren sprechen ließ. Nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem Judentum und der deutschen Schuld gegenüber den Juden veröffentlichte Schnurre 1981 den umfangreichen und vielschichtigen Roman Ein Unglücksfall, mit dem er das Thema „der mißglückten deutsch-jüdischen Symbiose“[10] bearbeitete. Jüdisches Leben im zeitgenössischen (West-)Berlin porträtierte die 1985 ausgestrahlte 13-teilige FernsehserieLevin und Gutman, für die Schnurre das Drehbuch geschrieben hatte.
Seine Kurzgeschichte Das Begräbnis war der erste Text, der beim Gründungstreffen der Gruppe 47 im September 1947 am Bannwaldsee gelesen wurde.[4] Denselben Text las Schnurre noch einmal im September 1977 in Saulgau zum Abschluss einer Wiederbegegnung der inzwischen inaktiven Gruppe.[12]
Dreimal zur Welt gekommen. Ausgewählte Erzählungen. Herausgegeben von Marina Schnurre und Fritz Bremer, mit einem Vorwort von Günter Kunert, Paranus Verlag, Neumünster 2008, ISBN 978-3-940636-01-0.
Die besten Geschenke der Welt. Eine Weihnachtsgeschichte. Bloomsbury, Berlin 2010, ISBN 978-3-8270-5420-3.
Literatur
Manfred Durzak: Literatur auf dem Bildschirm. Analysen und Gespräche mit Leopold Ahlsen, Rainer Erler, Dieter Forte, Walter Kempowski, Heinar Kipphardt, Wolfdietrich Schnurre, Dieter Wellershoff. In: Medien in Forschung und Unterricht. Serie A. Band28. Niemeyer, Tübingen 1989, ISBN 3-484-34028-2, Kapitel „Serien im Fernsehen: Gespräch mit Wolfdietrich Schnurre“ und „Gratwanderung zwischen Schreibtisch und Kasse. Zu Wolfdietrich Schnurres Fernsehspiel Ein Fall für Herrn Schmidt und seiner Serie Levin und Gutman“, S.277–322.
Mathias Adelhoefer: Wolfdietrich Schnurre: ein deutscher Nachkriegsautor. Centaurus, Pfaffenweiler 1990, ISBN 3-89085-441-9.
Iris Bauer: „Ein schuldloses Leben gibt es nicht“ – das Thema „Schuld“ im Werk von Wolfdietrich Schnurre. Igel, Paderborn 1996, ISBN 3-89621-041-6.
Katharina Blencke: Wolfdietrich Schnurre: eine Werkgeschichte. Lang, Frankfurt am Main [u. a.] 2003, ISBN 3-631-51259-7.
Katharina Blencke: Wolfdietrich Schnurres Nachlaß: Katalogisierung, Systematisierung und Darstellung der Werkgeschichte. Igel, Paderborn 1993, ISBN 3-927104-51-5.
Peter Dörp: Wolfdietrich Schnurre: Ein Fall für Herrn Schmidt. Kurzgeschichte. Hörspiel. Fernsehspiel mit Materialien. Klett, Stuttgart 1986, ISBN 3-12-261350-6.
Günter Helmes: Wolfdietrich Schnurre. In: Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, Bd. 5. Harenberg Lexikon-Verlag, Dortmund 1989, ISBN 3-611-00091-4, S.1594f.
Günter Helmes: Wolfdietrich Schnurre: „Das Begräbnis“ und „Das Manöver“. In: Werner Bellmann (Hrsg.): Klassische deutsche Kurzgeschichten. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-017525-9, S.13–22 und 146–150.
Günter Helmes: „Gesinnungsästhetik“ im „Postismus“. Wolfdietrich Schnurres „Ein Unglücksfall“. In: Günter Helmes, Marianne Polz (Hrsg.): Sprachbilder, Sprachbildung, Sprachhandeln. Carl Böschen Verlag, Siegen 2008, ISBN 978-3-932212-73-4, S.23–29.
Hilke Möller: Thränen-Samen und Steckdosenschnauze. Linguistische Beschreibung von Neubildungen Catharina Reginas von Greiffenberg und Wolfdietrich Schnurres. Dissertation. Universität, Zürich 1975.
Ian Roberts: «Eine Rechnung, die nicht aufgeht», Identity and Ideology in the Fiction of Wolfdietrich Schnurre. Lang, Frankfurt am Main [u. a.] 1997, ISBN 3-631-31120-6.
Daniela Schwardt: „Fabelnd denken“ – zur Schreib- und Wirkungsabsicht von Wolfdietrich Schnurre,. Igel, Oldenburg 1999, ISBN 3-89621-094-7.
Ilse-Rose Warg: „Doch ich krümm mich um alles, was lebt“ – Wolfdietrich Schnurres lyrisches Schaffen. Lang, New York [u. a.] 1993, ISBN 0-8204-1973-7.
Ilse-Rose Warg (Hrsg.): Er bleibt dabei: Schnurre zum 75.; Erinnerungen und Studien. Igel, Paderborn 1995, ISBN 3-89621-002-5.
↑Bernd Wähner: Schnurre wuchs im Ortsteil auf, doch den Schriftsteller kennen hier nur wenige. In: Berliner Woche. 22. April 2018 (berliner-woche.de [abgerufen am 24. November 2018]).
↑Jörg Becker: In Schatten und Schuld. In: Wolfdietrich Schnurre: Kritiken. Edition Text + Kritik, München 2010, S. 75.
↑ abKatharina Blencke-Dörr: Schnurre, Wolfdietrich. In: Deutsche Biographie. Abgerufen am 24. November 2018.
↑Marina Schnurre im Gespräch mit Dieter Kassel: „Er war politisch durch und durch“. In: Deutschlandfunk Kultur. 20. August 2010 (deutschlandfunkkultur.de [abgerufen am 24. November 2018]).
↑Wieder in: Jenö war mein Freund. Geschichten. Mit 3 Zeichnungen. Hirschgraben, Frankfurt 1960; häufige Neuausgabe in Schul-Anthologien; auch in Adalbert Keil (Hrsg.): Die Prophezeiung. Zigeunergeschichten (= Goldmanns Gelbe TB. 1622). München 1965, S. 9–12. (Anthologie, zuerst Kurt Desch, ebd. 1964)
↑Wolfdietrich Schnurre: Interview mit Mathias Adelhoefer und Andreas Wendt. In: Mathias Adelhoefer: Wolfdietrich Schnurre ein deutscher Nachkriegsautor. Mit einer Vorbemerkung von Marina Schnurre. Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1990, S. 96.
↑Marcel Reich-Ranicki: Deutsche Literatur in West und Ost. Neuausgabe. DVA, Stuttgart 1983, S. 159.
↑Marcel Reich-Ranicki: Nachwort. In: Wolfdietrich Schnurre: Die Erzählungen. Walter-Verlag, Olten 1966, S. 429.
↑Wolfdietrich Schnurre: Der Schattenfotograf, München (Paul List Verlag) 1978 S. 127.
↑Hans Werner Richter: Ein Bussard der vom Himmel fiel. In: Ders.: Im Etablissement der Schmetterlinge: einundzwanzig Porträts aus der Gruppe 47. Hanser Verlag, München 1986, S. 245.