WindroseInformation zur Formatierung im Artikel: Die Windrose ist ein grafisches Mittel, um Winde und Windrichtungen beziehungsweise Himmelsrichtungen darzustellen. Sie wird zur Orientierung auf geografischen Karten, selbst in der äußerst vereinfachten Form eines Pfeils, der die Nordrichtung angibt, benutzt und ist als Kompassrose ein häufiger Bestandteil von Kompassen. Wenn sie auch zum Beispiel in der Heraldik als sogenannte Gemeine Figur eine eher untergeordnete Rolle spielt, dient sie doch in einer Vielzahl von Zusammenhängen als beliebtes und wichtiges Gestaltungselement. Die Bezeichnung als „Rose“ hängt mit der recht kunstvollen Ausgestaltung zusammen, wie sie früher in Buchmalerei und Karten üblich war. Ältere Quellen benutzen manchmal den Begriff stella maris (‚Stern des Meeres‘), um sich auf die Verwendung der Windrose in der Nautik zu beziehen (eine Überschneidung mit dem Marientitel Stella maris ist möglich). EntstehungUrsprünglich wurde die Windrose für meteorologische Zwecke konzipiert und hatte für den Einsatz bei der Navigation nur eine vorläufige Bedeutung, denn nur eine kurze Zeit wurde keine Unterscheidung zwischen Wegpunkten und Winden gemacht. Schließlich wurde die klassische Windrose mit zwölf Winden von der modernen Kompassrose (mit einer Teilung in 8, 16 oder 32 Segmente) verdrängt, die von Seeleuten und Kartografen seit dem Mittelalter ständig weiterentwickelt wird. In der langen Entwicklung der Windrose spielen die Namen der Winde die entscheidende Rolle. Griechen und Römer orientierten sich bei der Einteilung am Namen der Winde, um die geografische Richtung zu bezeichnen.[1] Alte Windrosen hatten in der Regel eine Teilung in zwölf Windrichtungen, die manchmal auf acht reduziert, aber auch auf bis zu vierundzwanzig erweitert sein konnte.[2] Es ist nicht gesichert, wann oder warum die geografische Orientierung mit Wind und dessen Richtung in Verbindung gebracht wurde. Im Jahr 1983 hat der Linguist Cecil Brown 127 Sprachen der Welt untersucht.[3] Er fand heraus, dass 18 % der Sprachen überhaupt keine Begriffe für Himmelsrichtungen haben und nur 64 % alle vier Himmelsrichtungen benennen. Es ist wahrscheinlich, dass für die alten sesshaften Völker lokale Landmarken (zum Beispiel Berge, Wüsten, Siedlungen) die ersten und unmittelbarsten Marker für allgemeine Richtung waren (‚Richtung Küste‘, ‚bei den Hügeln‘ etc.). Astronomische Größen, insbesondere die Lage der Sonne in der Dämmerung, wurden ebenfalls verwendet, um eine Richtung zu bezeichnen. Die Assoziation von Himmelsrichtung mit dem Wind war eine weitere Quelle. Es waren wohl die Landwirtschaft treibenden Völker, die Regen und Temperatur für ihre Ernten aufmerksam beobachteten und als Erste die qualitativen Unterschiede in den Winden bemerkten – einige waren feucht, andere trocken, einige heiß, andere kalt. Und sie erkannten, dass diese Verschiedenheit davon abhängt, woher der Wind weht. Lokale Richtungsnamen wurden verwendet, um sich auf die Winde zu beziehen, und schließlich wurden den Winden selbst Eigennamen gegeben, unabhängig von der Position eines Beobachters. Dies wurde wahrscheinlich durch Seeleute vorangetrieben, die trotz fehlender Landmarken auf dem Meer einen bestimmten Wind anhand seiner Eigenschaften unter seinem vertrauten Namen wiedererkannten. Ein letzter Schritt war es, die Eigennamen der Winde zu verwenden, welche die allgemeingültigen Namen der Himmelsrichtungen auf der Kompassrose bezeichnen. Biblische QuellenIn der hebräischen Bibel gibt es häufig Bezugnahmen auf die vier Himmelsrichtungen.[4] Die Namen können wahrscheinlich auf die alten Israeliten, die in der Region von Judäa lebten, zurückgeführt werden. Deren geografische Namen bezeichnen:
Himmelsrichtungen werden im Alten Testament an mehreren Stellen mit Winden gleichgesetzt.[6] ‚Vier Winde‘ werden in der Bibel an mehreren Stellen angeführt.[7] Kedem (der Osten) wird oft als der Name eines sengenden Winds, der aus dem Osten weht, verwendet.[8] Es gibt einige Passagen, die sich auf die Zerstreuung der Menschen ‚in alle Winde‘ beziehen.[9] Griechische AntikeIm Gegensatz zu den Israeliten dieser Zeit pflegten die frühen Griechen zwei getrennte und unterschiedliche Systeme zur Bestimmung von Himmelsrichtungen und Winden, zumindest eine Zeit lang.[10] Um die vier Himmelsrichtungen zu definieren, wurden astronomische Größen verwendet:
Heraklit schlägt vor, dass ein Meridian zwischen dem Norden (Arktus) und seinem Gegenüber verwendet werden könnte, um den Osten vom Westen abzugrenzen.[12] Homer sprach bereits von Griechen, die mit Ursa Major zur Orientierung segelten.[13] Die Identifizierung des Polarsterns als besserer Indikator für die Nordrichtung scheint wenig später entstanden zu sein (es heißt, Thales habe dies eingeführt und wahrscheinlich von phönizischen Seeleuten erlernt).[14] Getrennt von den Himmelsrichtungen hatten die alten Griechen vier Winde – die Anemoi. Berichten zufolge beachteten die Völker des frühen Griechenlands zunächst lediglich zwei Winde – die Winde aus dem Norden, bekannt als Boreas (βoρέας), und die Winde aus dem Süden, bekannt als Notos (νόtος).[15] Aber zwei weitere Winde – Euros (εὖρος) aus dem Osten und Zephyros (ζέφυρος) aus dem Westen – wurden schon bald mitberücksichtigt. Die Etymologie der vier alten griechischen Windnamen ist ebenfalls ungewiss. Boreas weist möglicherweise auf Boros hin, eine alte Variante von Oros ‚Berge‘, die geografisch im Norden verortet waren.[16] Eine alternative Hypothese ist, dass Boros so viel wie ‚gefräßig‘ bedeutet,[17] eine weitere lautet, dass es von der Phrase ἀπὸ τής βoής ‚vom Lärm‘ kommt, in Bezugnahme auf die heftigen und lauten Geräusche, die ihn begleiten.[18] Notos kommt wahrscheinlich von Notios ‚feucht‘, ein Verweis auf den warmen Regen und die Stürme, die er aus dem Süden bringt.[19] Euros und Zephyros scheinen von Eos ‚Helligkeit‘ und zophos ‚Dunkelheit‘ zu kommen, jeweils zweifellos Verweise auf Sonnenauf- und -untergang.[20] HomerDer antike griechische Dichter Homer (ca. 800 v. Chr.) bezieht sich auf vier Winde mit Namen, den Boreas, Euros, Notos und Zephyros, denen nach der Richtung, aus der sie wehen, Nord, Ost, Süd bzw. West zugeordnet werden können (Vier-Winde-Version für Homers Windrose).[21] An einigen Stellen in seinen Werken Odyssee und Ilias scheint Homer Winde anderer Richtung, etwa einen aus Nord-West (βορέης καὶ Ζέφυρος)[22] oder einen westlichen Süd (ἀργεστᾶο Νότοιο)[23], anzudeuten. Während einige in den zusammengesetzten Ausdrücken einen Hinweis sahen, dass Homer im Grunde nur nördliche (Boreas) von südlichen (Notos) Winden klar schied,[24] folgerten andere daraus, dass er weitere unterschied, möglicherweise bis zu acht Winde kannte,[25] wofür allerdings ein Beweis fehlt. Strabon erwähnte um 10 v. Chr., dass einige Zeitgenossen aufgrund Homers Mehrdeutigkeit annahmen, er habe bereits die Unterscheidung nach Sommer und Winter vorweggenommen, wie sie erst später von Aristoteles eingeführt werden wird. Dies bezieht sich auf die Tatsache, dass Sonnenaufgang (östlich) und Sonnenuntergang (westlich) nicht fest auf dem Horizont liegen und von der Jahreszeit abhängen (im Winter liegen Sonnenauf- und -untergang weiter südlich, im Sommer weiter nördlich). In dieser Version weist Homers Windrose dann sechs Winde auf: Boreas (Nord) und Notos (Süd) liegen auf der Meridian-Achse sich gegenüber, Unter Berufung auf Poseidonios trägt Strabon vor, dass Homer manchmal qualitative Attribute verwendete, um die Richtung der Hauptwinde zu kennzeichnen; so schreibe Homer „stürmischer Zephyros“ und meine damit den Nord-West, wenn er „klar-blasender Zephyros“ schreibe, so meine er den Westwind, und „argestes Notos“ sei der aufklarende Südwind, ihr Leuco-notos.[24] Auch wenn es den Anschein hat, Homer habe von mehr als vier Winden gewusst, hat er diese Attribute nicht systematisch genug verwendet, um uns den Schluss zu erlauben, er habe auch eine in sechs oder acht Richtungen unterteilte Windrose angenommen.[26] Andere klassische Autoren wie Plinius der Ältere sind davon überzeugt, Homer habe nicht mehr als vier Winde erwähnt.[27] Hesiod (um 700 v. Chr.) verleiht den vier Winden in seiner Dichtung Theogonie (um 735) mythische Personifikation als Gottheiten, die Anemoi (Ἄνεμοι), Kinder der Titanen Astraios (Gott der Abenddämmerung) und Eos (Göttin der Morgenröte). Aber Hesiod selbst nennt nur drei Winde mit Namen – Boreas, Notos und Zephyros – die er als die „guten Winde“ und die „Kinder des Morgens“ bezeichnet (was ein wenig verwirrend ist, da es so gelesen werden kann, es handele sich bei allen um Ostwinde; darüber hinaus ist es merkwürdig, dass Euros nicht aufgeführt wird).[28] Hesiod bezieht sich außerdem auf andere „schlechte Winde“, jedoch nicht mit Namen. Der griechische Arzt Hippokrates (ca. 400 v. Chr.) bezieht sich in seiner Schrift De aere, aquis et locis („Über Luft, Wasser und Orte“) auf alle vier Winde und bezeichnet sie nicht mit ihren homerischen Namen, sondern mit der Himmelsrichtung, aus der sie wehen (Arktos, Anatole, Dysis etc.). Er hat sechs geografische Punkte erkannt – Norden, Süden, Sonnenauf- und -untergang, differenziert nach Sommer und Winter. Mit Nord, Süd und den Wintersonnenständen legt er die Grenzen für die vier Hauptwinde fest.[29] AristotelesDer antike griechische Philosoph Aristoteles führte in seinem Werk Meteorologica (ca. 340 v. Chr.) ein Windsystem mit zehn bis zwölf Winden ein.[30] Eine Auslegung seines Systems ist, dass es acht Hauptwinde gibt: Aparctias (N), Caecias (NO), Apeliotes (O), Euros (SO), Notos (S), Lips (SW), Zephyros (W) und Argestes (NW). Aristoteles fügt zwei Nebenwinde, Thrascias (NNW) und Meses (NNO), hinzu und stellt fest, dass sie „keine Gegensätze“ aufweisen. Später schlägt Aristoteles jedoch den Phoenicias, der an einigen lokalen Stellen auftritt, für Süd-Süd-Ost (SSO) vor, unterlässt aber Ähnliches für Süd-Süd-West (SSW). So gesehen hat Aristoteles wirklich eine asymmetrische Windrose mit zehn Winden aufgestellt, es fehlen effektiv zwei Winde.
Es verdient Beachtung, dass im aristotelischen System der alte Euros von seiner traditionellen Position im äußersten Osten nach Apeliotes (ἀπηλιώτης) verschoben ist, gleichbedeutend mit ‚von der Sonne [kommend]‘;[31] noch deutlicher wird die Namensherkunft, wenn man die lateinische Übersetzung heranzieht: Solanus mit den Wortteilen Sol ‚Sonne‘ und anus ‚alt, betagt‘. Der alte Boreas ist nur als alternative Bezeichnung für Aparctias (ἀπαρκτίας) erwähnt, das‚ vom Bären [kommend]‘ bedeutet und dieser Bär wiederum ist kein anderer als Ursa Major, der Polarkreis. Unter den neuen Winden sind der Argestes (ἀργέστης) mit der Bedeutung ‚Lichtung‘ oder ‚Aufhellung‘, ein Verweis auf den Nordwestwind, der die Wolken hinwegfegt, Argestes Varianten, Olympias (ἀλυμπίας) und Sciron (σκίρων) sind lokale Athener Namen, ein Verweis auf den Olymp und den Sciros-Felsen in Megara.[32] Die übrigen Winde scheinen auch geografisch verortet zu sein. Caecias (καικίας) bedeutet ‚von Caicus [kommend]‘, einem Fluss in Mysien, einer Region im Nordosten der Ägäis.[33] Lips (λίψ) ist die griechische Bezeichnung für Libyen, südwestlich von Griechenland (obwohl eine alternative Theorie es mit λείβω ‚Leibo‘ verbindet, das dieselbe Wortherkunft besitzt wie der Begriff für Trankopfer (Libation), was ‚gießen‘ bedeutet, weil dieser Wind Regen bringt).[34] Phoenicias (φοινικίας) kommt von Phoenicia, einer Landschaft südöstlich von Griechenland, und Thrascias (θρασκίας) von der Bezeichnung für die römische Provinz Thracia (in Aristoteles’ Zeit bedeckte Thrakien eine größere Fläche als heute, einschließlich des Nordnordwestens Griechenlands).[35] Schließlich Meses (μέσης), was einfach ‚Mitte‘ bedeuten könnte, vermutlich, weil es sich um einen Nebenwind (auch Zwischenwind) handelt.[36] Aus der Einteilung in Haupt- und Nebenwinde muss gefolgert werden, dass Aristoteles’ Konstruktion asymmetrisch ist. Insbesondere liegen dieser Anordnung nach die Nebenwinde 22½° beiderseits des Nord-Meridians,[37] während die acht Hauptwinde in 45° aufeinanderfolgend zu liegen kommen. Eine alternative Hypothese geht allerdings von einer gleichmäßigeren Teilung in 30°-Segmente aus. Als Hinweis erwähnt Aristoteles, dass die östlichen und westlichen Positionen die sind, welche die Sonne am Horizont zu verschiedenen Zeiten des Jahres in der Morgen- und Abenddämmerung einnimmt. Mit seiner alphabetischen Notation stellte Aristoteles fest, dass zur Sommersonnenwende die Sonne bei Z (Caecis) aufgeht und bei E (Argestes) untergeht, zur Tagundnachtgleiche geht sie bei B auf (Apeliotes) und bei A (Zephyros) unter und schließlich geht sie zur Wintersonnenwende bei Δ (Euros) auf und bei Γ (Lips) unter. Auf eine Kompassrose übertragen, ergeben sich aus Aristoteles’ Ausführungen vier Parallelen:
Vorausgesetzt der Betrachter befindet sich in Athen, würde sich für diese Konstruktion eine symmetrische Kompassrose mit einer Teilung in Kreissegmente mit Mittelpunktswinkeln zu etwa 30° ergeben.[38] Auf einen modernen Kompass übertragen, könnte das aristotelesche System als Zwölf-Punkt-Windrose mit vier Hauptwindrichtungen gedacht werden (N, O, S, W), mit vier Winden zu den Sonnenwenden (ca. NW, NO, SO, SW), zwei Polarwinden (ca. NNW, NNO) und zwei ‚Nicht-Winden = Windstille‘ (SSW, SSO).[39] Aristoteles gruppiert ausdrücklich Aparctias (N) und die Nebenwinde Thrascias (NNW) und Meses (NNO) zusammen als „nördliche Winde“ und Argestes (NW) und Zephyros (W) zusammen als „westliche Winde“ – und er betont weiter, dass sowohl die aus nördlichen und westlichen Richtungen strömenden Winde „generell als Nordwinde = Boreae“ eingestuft werden könnten, da sie alle dazu tendieren, kalte Luftströmungen mit sich zu führen. In ähnlicher Weise sind demzufolge Lips (SW) und Notos (S) „Südwinde“ sowie Euros (SO) und Apeliotes (O) „Ostwinde“, aber wieder einmal sind beide, Süd- als auch Ost-Winde, „der Regel nach Südwinde = Notiae“, da alle relativ warm sind.
Die Ausnahme in diesem System ist Caecias (NO), von dem Aristoteles notiert, er sei „halb Nord und halb Ost“, und somit weder überwiegend nördlich noch überwiegend südlich. Er kennzeichnet den nur lokal auftretenden Phoenicias (SSO) in ähnlicher Weise mit „halb Süd und halb Ost“. Aristoteles fährt fort die meteorologischen Eigenschaften der Winde zu diskutieren, zum Beispiel dass die Winde auf der NW-SO-Achse in der Regel trocken sind, während die NO-SW-Winde feucht sind; NO bringt schwerere Wolken mit sich als SW. N und NNO bringen Schnee. Winde aus dem gesamten nordwestlichen Sektor (NW, NO, N) werden als kalte, stürmische und Wolken klärende Winde beschrieben, die Gewitter und Wirbelstürme mit sich bringen können. In diesem Zusammenhang sei auf die Medicanes verwiesen, tropensturmähnliche Sturmtiefs im Mittelmeerraum, die erst in den 1980er Jahren aufgrund ihrer spiralförmigen Wolkenstrukturen auf Satellitenbildern entdeckt wurden. Außerdem macht Aristoteles besonders auf die periodisch auftretenden Etesiae aufmerksam. Diese Sommerwinde wehen aus verschiedenen Richtungen, je nach Standort des Betrachters.[40] Aristoteles hatte das Windsystem über Homer hinausgehend auf zehn Winde erhöht, aber beließ es im Ungleichgewicht. Es blieb nachfolgenden Geografen überlassen, entweder zwei weitere Winde (SSW und SSO) hinzuzufügen, um es zu einem symmetrischen Zwölf-Wind-System zu machen (wie es der Navigator Timosthenes tun wird) oder zwei Winde (NNW und NNO) abzuziehen, um es zu einem symmetrischen Acht-Wind-System zu wandeln (wie es Eratosthenes machen wird). TheophrastosTheophrastos von Eresos, Nachfolger von Aristoteles in der peripatetischen Schule, verwendet in seinen Arbeiten De Signis („Über Wetterzeichen“) und De ventis („Über die Winde“, ca. 300 v. Chr.) das gleiche Windsystem wie Aristoteles, mit nur einigen geringfügigen Unterschieden: zum Beispiel schrieb Theophrastos Thrascias fälschlich als ‚Thracias‘ und schien jeweils zwischen Apractias und Boreas (vielleicht als ‚Nord-Westwind‘ und ‚Nordwind‘) zu unterscheiden.[41] In dem pseudo-aristotelischen Fragment Ventorum Situs („Lage der Winde“, oftmals Theophrastos, manchmal aber auch Aristoteles zugeschrieben) gibt es den Versuch, die Windnamen etymologisch abzuleiten. Da sie oft nach einem bestimmten Ort, von wo aus sie zu wehen scheinen, benannt wurden, haben sich verschiedene Orte in der hellenistischen Welt lokale Namen für die Winde ausgedacht.[42] In der Liste des Ventorum Situs sind folgende Varianten angegeben:
Timosthenes von RhodosDer Seefahrer Timosthenes von Rhodos wird 270 v. Chr. von Ptolemaios II. nach Ägypten berufen und zum Admiral der Flotte ernannt. Timosthenes schrieb ein zehnbändiges Werk mit dem Titel Über die Häfen. Es ist die beste Küstenbeschreibung der Zeit. Er fertigte auch zu jedem Buch eine Epitome an, was dazu beitrug, dass er bis in die Spätantike ein oft zitierter Autor bleibt. 500 Jahre später gab der griechisch-römische Arzt und Geograf Agathemeros (ca. 250 n. Chr.) in seiner Schrift Geographia die acht Hauptwinde an und berief sich auf Timosthenes, von dem er sagt, er habe ein System von zwölf Winden durch Hinzufügen von vier zu den bis dahin gebräuchlichen acht Winden entwickelt.[44] (Agathemeros täuscht sich natürlich – Aristoteles beschrieb zumindest zehn Winde, und nicht acht.) Timosthenes Liste (nach Agathemeros) enthält Aparctias (N), Boreas (nicht Meses, NNO), Caecias (NO), Apeliotes (O), Euros (SO), Phoenicias alias Euronotos (SSO), Notos (S), Leuconotos alias Libonotos (erste Erwähnung, SSW), Lips (SW), Zephyros (W), Argestes (NW) und Thrascias alias Circius (NNW).[45] In vielerlei Hinsicht ist Timosthenes’ Neuerung ein bedeutender Schritt bei der Entwicklung der Kompassrose. Je nachdem, auf wann das Fragment Ventorum Situs datiert wird, kann Timosthenes die Weiterentwicklung von Aristoteles’ asymmetrischem Zehn-Punkt-Kompass zu einem symmetrischen Zwölf-Punkt-Kompass gutgeschrieben werden. Er erreicht dies durch die Einführung von Leuconotos alias Libonotos, einem Wind in SSW, den Aristoteles und Theophrastos weggelassen hatten, und Zuweisung des Euronotos nach SSO an Stelle des lokalen Phoenicias (Aristoteles deutete diesen Wind schon an, Theophrastos’ Orthonotos wird hier nicht erwähnt). Seine Hervorhebung des italienischen Circius als Hauptvariante des Thrascias (NNW) könnte der erste Hinweis auf den bekannten Mistral im westlichen Mittelmeerraum sein. Eine weitere wichtige Änderung bei Timosthenes ist, dass er Boreas aus der Nordposition nach NNO verschiebt (und dabei Meses ersetzt – wie es bei späteren Autoren üblich geworden ist). Timosthenes ist auch von Bedeutung, da er vielleicht der erste Grieche ist, der über die Behandlung dieser Winde als lediglich meteorologisches Phänomen hinausgeht und beginnt, sie richtig als Punkte geografischer Richtung zu betrachten. Timosthenes ordnet (nach Agathemeros) jedem der 12 Winde geografische Regionen und Völker zu (relativ zu Rhodos):[46]
Moderne Wissenschaftler vermuten, dass Timosthenes die Auflistung dieser Winde für die Epitome seines verloren gegangenen Periplus (nautische Navigationshilfe) verwendet haben könnte (was Agathemeros’ Eifer erklären könnte, Timosthenes als „Erfinder“ der Zwölf-Punkt-Windrose zu rühmen).[47] Timosthenes’ geografische Liste ist, wie hier dargestellt, Jahrhunderte später, in der Arbeit von Johannes von Damaskus im 8. Jahrhundert und einer Prager Handschrift aus dem frühen 14. Jahrhundert, fast wörtlich wiedergegeben.[48] In der pseudo-aristotelischen Schrift De Mundo (gewöhnlich einem anonymen Nachahmer von Poseidonios zugeschrieben, entstand wahrscheinlich zwischen 50 n. Chr. und 140 n. Chr.[49]) sind die Namen der Winde nahezu identisch mit Timosthenes’ Bezeichnungen (zum Beispiel Aparctias steht allein im Norden, Boreas wurde an NNO verschoben, Euronotus ersetzt Phoenicias und Circius steht als Variante von Thrascias). Die Unterschiede von De Mundo zu Timosthenes sind folgende:
Eratosthenes und der Turm der WindeAls der Geograf Eratosthenes von Kyrene in der Zeit um 200 v. Chr. erkannte, dass viele Winde nur leichte Variationen anderer Winde in übergeordneten (größeren) Windsystemen sind, reduzierte er die (bis dahin gebräuchlichen) zwölf Winde auf acht Hauptwinde.[51] Eratosthenes’ eigene Arbeit ist leider verloren gegangen; Vitruv berichtet aber davon, indem er ausführt, Eratosthenes sei zu diesem Schluss im Laufe der Vermessung des Erdumfangs gekommen. Dabei habe er festgestellt, dass es wirklich nur acht gleich große Sektoren gebe und dass andere Winde lediglich lokale Varianten dieser acht Hauptwinde seien. Würde das stimmen, hieße es, dass Eratosthenes als der Erfinder der Acht-Punkt-Kompassrose gelten kann. Es bedeutet nichts, dass Eratosthenes ein Schüler von Timosthenes war und in erster Linie auf seine Arbeit aufgebaut haben soll.[52] Aber es ist interessant festzustellen, wie sie sich diesbezüglich unterscheiden. Beide erkannten, dass Aristoteles’ Zehn-Wind-System unsymmetrisch war; aber während Timosthenes das Gleichgewicht herstellte, indem er zwei Winde für ein symmetrisches Zwölf-Wind-System hinzufügte, zog Eratosthenes zwei Winde ab, um so ein ebenfalls symmetrisches Acht-Wind-System zu schaffen. Nach praktischen Erwägungen scheint Eratosthenes’ Reduzierung als voller Erfolg gewertet werden zu können. Der berühmte Turm der Winde in Athen zeigt nur acht Winde statt der zehn von Aristoteles oder der zwölf von Timosthenes. Der Turm soll von Andronikos von Kyrrhos (ca. 50 v. Chr.) erbaut worden sein, aber er wird im Allgemeinen auf nach 200 v. Chr. datiert (d. h. nach Eratosthenes). Er zeigt in Reliefs die acht Winde Boreas (nicht Aparctias, N), Caecias (SO), Apeliotes (O), Euros (SO), Notos (S), Lips (SW), Zephyros (W) und Sciron (NW, Variante Argestes). Das Wiedererscheinen von Boreas als der Nord-Wind anstelle von Aparctias ist bemerkenswert. Die Reliefs zeigen im übertragenen Sinne Abbildungen der Windgötter, der Anemoi. Es wird angenommen, dass der Turm von einer Wetterfahne gekrönt wurde, wie es die Rekonstruktion von 1762 nahelegt. RömerDas griechische Windsystem wurde von den Römern zum Teil unter ihrer griechischen Nomenklatur übernommen, aber auch zunehmend unter neuen lateinischen Namen. Der römische Dichter Vergil bezieht sich in seiner Dichtung Georgica (ca. 29 v. Chr.) auf mehrere Winde mit ihren alten griechischen Namen, wenngleich auch mit der lateinischen Endung -us statt griechisch -os (zum Beispiel Zephyrus oder Eurus).[53] Außerdem führt er ein paar neue lateinische Namen ein – namentlich nigerrimus (schwarzer) Auster, frigidus (kalter) Aquilo und frigidus Caurus.[54] Der im antiken Thugga aufgefundene Platz der Windrose ist mit einer solchen ornamentiert. SenecaDer römische Schriftsteller Seneca, erwähnt in seinem Werk Naturales quaestiones (ca. 65 n. Chr.) die griechischen Namen von einigen der großen Winde und fährt fort, dass der römische Gelehrte Varro davon sprach, es seien zwölf Winde gewesen. Wie von Seneca angegeben, lauten die lateinischen Namen der zwölf Winde:
(Ableitungen der lateinischen Etymologie im Abschnitt Isidor von Sevilla weiter unten ↓). Seltsamerweise sagt Seneca, dass die Meridianlinie aus Euronotus (SSW) hervorgeht und nicht aus Auster (S), sowie dass der „höchste Punkt“ im Norden Aquilo (NNO) und nicht Septentrio (N) ist.[55] Dies könnte darauf hindeuten, dass man sich bereits der magnetischen Deklination bewusst war. Diese beschreibt die Differenz zwischen dem magnetischen Norden (Kompass Norden, in diesem Fall Aquilo) und dem wahren Norden (Polarstern, Septentrio). PliniusPlinius der Ältere fügt in seiner Enzyklopädie Naturalis historia („Naturgeschichte“, ca. 77 n. Chr.) die Anmerkung an, dass die „Modernen“ die Winde auf acht reduziert haben, nachdem er festgestellt hat, dass zwölf eine Übertreibung war. Er listet sie wie folgt auf: Septentrio (N), Aquilo (NNO), Subsolanus (O), Vulturnus (SO), Auster (S), Africus (SW), Favonius (W) und Corus (NW).[56] Bemerkenswert ist, dass Caecias (NO) nicht Mitglied dieses Oktetts ist. Stattdessen legt Plinius den Nebenwind Aquilo (NNO) dort fest. Es scheint, dass sich Plinius bewusst ist, dass es sich bei Aquilo um einen Nebenwind handelt, denn er sagt, er liege „zwischen Septentrio und der Sommersonnenwende“ (wenn er ihn auch in einem späteren Kapitel direkt auf die Sommersonnenwende legt).[57] In der ersten Version bedeutet dies, dass Plinius’ Acht-Punkt-Kompass asymmetrisch ist. Plinius fährt fort zu erwähnen, dass „Aquilo auch Aparctias und Boreas genannt wird“ (die Identifikation mit Boreas NNO machte bereits Timosthenes, aber der Abstieg des Aparctias aus dem Norden ist neu). Als er fortfährt, Nebenwinde zu diskutieren, stellt Plinius Caecis erneut vor: „… er liege zwischen Aquilo und Subsolanus“, und stellt so seine Nord-Ost-Position de facto wieder her.[58] Offensichtlich liest Plinius Aristoteles und versucht den lange verlorenen Meses erneut „zwischen Boreas (= Aquilo) und Caecis“ zu platzieren, also an einer Position, wie sie auf einem modernen 32-Punkt-Kompass bei Nord-Nord-Ost zu finden wäre. In einem späteren Kapitel stellt Plinius fest: „Aquilo verwandelt sich im Sommer in die Etesiae“. Über diesen periodisch auftretenden Wind, heute unter dem Namen Meltemi bekannt, hatte bereits Aristoteles berichtet.[59] Plinius erwähnt auch die anderen Nebenwinde, Phoenicias (für SSO und nicht Euronotus), Libonotus (SSW) und Thrascias (NNW). Es ist offensichtlich, Plinius hatte vor kurzem Aristoteles gelesen und versucht daraufhin, einige der in Vergessenheit geratenen aristotelischen Namen wiederzubeleben. Boreas bzw. Aparctias, Meses, Etesiae, Phoenicias, er erwähnt sogar Olympias und Sciron als lokale griechische Winde. Auf ein heutiges Zwölf-Punkt-Kompass-Schema übertragen, erscheint dieses Unterfangen jedoch eher unbeholfen. Aulus GelliusIn seinem Werk Noctes Atticae („Attische Nächte“, von ca. 159 n. Chr.) wurde der aus Athen stammende griechisch-römische Schriftsteller Aulus Gellius möglicherweise durch den Turm der Winde in seiner Geburtsstadt inspiriert. Jedenfalls reduziert er die lateinische Windrose von zwölf auf acht Winde, die Hauptwinde, für die er sowohl die lateinischen und griechischen Namen[60] wie folgt angibt:
Unter den Neuheiten ist das Verschwinden von Caecias aus NO (wie bei Plinius), obwohl er in einer späteren Notiz festhält, dass Caecias bei Aristoteles erwähnt wird (er gibt aber keine Position an). Aquilo bzw. Boreas scheint sicher im NO eingerichtet zu sein. Eine weitere Überraschung ist das erneute Auftauchen von Eurus im Osten, wo er seit Homer nicht mehr gesehen wurde. Er scheint Eurus als lateinischen Namen zu verwenden, den aristotelischen Apeliotes wie das griechische Äquivalent zu behandeln und Subsolanus auf eine bloße Variante ‚für römische Seeleute‘ zu reduzieren. Mit Eurus, der jetzt im SO fehlt, wird Euronotos (zuvor im SSO) auf die vakante SO-Position befördert. Schließlich taucht ein neuer Name auf, Caurus wird als NW-Wind eingeführt (dies ist fast sicher eine falsche Schreibweise von Corus, ebenfalls ein NW-Wind!). Aulus Gellius gibt einige Informationen über lokale Winde. Er erwähnt Circius als lokalen Wind in Gallien, der für seine schwindelerregenden Wirbel bekannt ist, und hält mit Cercius seine alternative Schreibweise in Hispanien fest (wahrscheinlich ein Hinweis auf den Mistral).[61] Er notiert ferner Iapyx (der bereits erwähnt wurde, hier aber erstmals als ein lokaler Wind aus Iapygia in Apulien erklärt wird). Und er vergisst auch nicht die periodischen regionalen Etesiae sowie die Prodromi (NW Vor-Winde, griechisch πρόδρομοι). Die Vatikan-TabelleDie Vatikan-Tabelle ist ein römisches Marmor-Anemoskop (Windrichtungsgeber) aus dem 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. und befindet sich im Besitz der Vatikanischen Museen. Es ist in zwölf gleich große Seiten geteilt, auf jeder Seite sind die klassischen Windnamen sowohl in Griechisch als auch in Latein eingemeißelt. Die Vatikan-Tabelle listet sie wie folgt:
Es gibt mehrere Rechtschreibfehler, sowohl auf der griechischen (Aparkias, Apheliotes, Thrakias) als auch lateinischen (Chorus mit einem h, Solanus ohne das Präfix Sub) Seite. Der Hauptfehler der Vatikan-Tabelle ist die Fehlplatzierung von Vulturnus im NO statt SO, mit dem Ergebnis, dass der alte griechische Euros jetzt seinen Platz in der lateinischen Übersetzung einnimmt. Dieser Fehler wird später wiederholt werden. Es gibt auch wichtige neue lateinische Namen, Austroafricus anstelle von Libonotus und Circius anstelle von Thrascias (obwohl Letzterer bereits von Timosthenes vorweggenommen wurde). Der alte Iapyx aus dem Fragment Ventorum Situs erlebt auch ein Comeback – im Griechischen. Isidor von SevillaJahrhunderte später, nach dem Fall Roms, machte sich Isidor von Sevilla daran, einen Großteil des klassischen Wissens in seiner Enzyklopädie Etymologiae zusammenzustellen (ca. 620 n. Chr.). Im Kapitel über die Winde legte er eine Auflistung vor, die mit der Vatikan-Tabelle praktisch identisch ist.[64] Er unternahm auch den Versuch, die Etymologie für jeden verwendeten Windnamen zu liefern.
Vitruvs 24-Punkt-WindroseVitruv schrieb von den Winden im späten 1. Jahrhundert v. Chr. und somit vor den bereits genannten Autoren wie Seneca, Plinius, Aulus Gellius usw. Sein System der Winde soll gesondert betrachtet werden, da Seneca sich bei seiner Darstellung des Zwölfwindsystems auf den vor Vitruv schreibenden Varro stützt, Vitruvs System sich demgegenüber aber als eigenständig auszeichnet und verdient, gesondert behandelt zu werden. Vitruv erwähnt im ersten Band seines Werks De architectura libri decem („Zehn Bücher über Architektur“, ca. 15 v. Chr.) in ziemlich anerkennender Weise die Reduzierung der Winde von zwölf auf acht Hauptwinde durch Eratosthenes. Doch Vitruv fährt dann fort festzustellen, dass es viele andere Winde gibt, die sich nur geringfügig von den vorherrschenden acht unterscheiden, die in der Vergangenheit mit einem eigenständigen Namen erwähnt wurden. Ziemlich schnell bestimmt Vitruv auf beiden Seiten der acht Hauptwinde je zwei Varianten, woraus sich eine Windrose aus 24 Winden ergibt.[76] Obwohl es einfacher zu sein scheint, die 24 Winde in einem gleichen Abstand von 15° zueinander zu zeichnen, sind sie auf diese Weise mit einer modernen Halb- und Viertel-Wind-Notation erheblich leichter aufzulisten. In der folgenden Tabelle sind die Hauptwinde im Kursivdruck hervorgehoben:
Viele Namen in Vitruvs Liste erschienen zuvor schon an anderer Stelle. Zu den erwähnenswerten Änderungen zählt die Einführung von Gallicus (wahrscheinlich der Mistral) und Supernas (wahrscheinlich ein lokaler Wind an einem Alpensee) im äußersten NO, das Verschieben von Aquilo (alt NNO) nach NO, fast wie bei Plinius. Der alte Boreas (jetzt von Aquilo getrennt) wurde weiter ostwärts gerückt – noch nie zuvor wurde er so weit von seinem ehemaligen Platz im Norden verschoben. Caecias verschwindet völlig aus NO (obwohl er in einigen Aufzählungen von Vitruvs Liste erscheint und schon bald sein Comeback bei Seneca machen wird). Carbas, wie bereits erwähnt eine SO-Variante aus Kyrene, wird im nordöstlichen Quadranten positioniert. Der lateinische Vulturnus befindet sich rechtmäßig im Südosten neben seiner griechischen Variante Eurus. Der griechische Argestes wird hier gesondert angegeben, in Nachbarschaft mit Favonius im Westen, allerdings unterhalb seines üblichen nordwestlichen Quadranten. Leuconotus, zuvor eine Variante für Libonotus, wird abgetrennt und in den südöstlichen Quadranten verschoben; an eine Stelle, wo gewöhnlich Euronotos bzw. Euroauster zu finden waren, die nun aber gänzlich verschwunden zu sein scheinen. Es gibt dennoch einen ähnlich klingenden Namen in der Nähe, Eurocircias im Südosten, der mit dem biblischen Euroaquilo identisch sein könnte.[78] Unter anderem ist erwähnenswert, dass Solanus nicht mit dem Präfix Sub aufgeführt ist und der Wind Caurus (später bei Aulus Gellius erwähnt) zwischen Corus und Circius eingefügt wird (zusammen mit dem alten Thrascias, dem eine gesonderte Position darüber gegeben wird). Wichtig ist auch, dass Caurus und Corus dabei differenziert voneinander behandelt werden und nicht nur als ein Rechtschreibfehler des jeweils anderen. Altanus ist wahrscheinlich ein lokaler Bezug auf eine seeseitige Brise. Es kann der Eindruck entstehen, Vitruv wolle nur Namen von Winden und deren jeweilige Position, zu einer einzigen langen Liste, die Bildung von Redundanzen billigend, in einem einzigen System zusammenfassen. Die Verschiebungen von einigen alten griechischen Winden (Boreas, Eurus, Argestes, Leuconotus) in nicht-traditionelle Positionen (manchmal sogar in falsche Quadranten), könnte die relative Position von Griechenland zu Italien widerspiegeln – oder einfach nur zeigen, dass Vitruv nicht viel Sorgfalt an den Tag legte und ihre Namen grob über den Daumen zuordnete, nur um ein nettes, symmetrisches System mit zwei Nebenwinden zu jedem Hauptwind zu erhalten. Man kann aber auch fast einen Hauch von Spott in seiner Konstruktion erkennen, als ob er versuche, kompliziertere Windsysteme, die über die grundlegenden acht Winde hinausgehen, lächerlich zu machen. Wenn sie auch meistens ignoriert wird, taucht Vitruvs Liste der 24 Winde doch gelegentlich wieder auf. Für Vitruvs Liste sprach sich zuletzt Georgius Agricola in seinem Buch der Metallkunde De re metallica (1556) aus.[79] Zufällig wurden 24-Punkt-Windrosen in Himmelskarten der Astronomie/Astrologie und der chinesischen Geografie verwendet, diese stehen aber in keinem Zusammenhang mit Vitruv. Mittelalterliche ÜbergangszeitDie Antike endete mit dem ungelösten Streit zwischen Eratosthenes’ Acht-Punkt-Windrose und der Zwölf-Punkt-Windrose nach Timosthenes. Einfach gesagt, es schien, als ob die klassisch gesinnten Geografen das Zwölf-Wind-System bevorzugten, während die mehr praktisch veranlagten dem Acht-Wind-System den Vorzug gaben. Aus dem Frühmittelalter liegen insgesamt nur sehr wenige Quellen vor. Etwa im Jahr 620 erschien die Enzyklopädie Etymologiae des Isidor von Sevilla, der als Wächter des klassischen Wissens das aus zwölf Windrichtungen bestehende System des Timosthenes für die Nachwelt bewahrte. Karl der GroßeDer fränkische Chronist Einhard behauptete in seiner Biografie „Vita Karoli Magni“ (ca. 830), dass Karl der Große selbst das klassische Zwölf-Wind-System übernahm, wobei er die griechisch-lateinischen Namen mit einer Reihe völlig neuer germanischer Namen seiner eigenen Erfindung ersetzte. Er listet Karls Nomenklatur unter Angabe der entsprechenden lateinischen Namen aus Isidors Liste wie folgt:[81]
Interessanterweise behebt Karls Gliederung das Problem mit den Nebenwinden (zum Beispiel NNO gegenüber NO) durch die Wortstellung – Nordost und Ostnord – und gibt so keinem den Vorrang vor den anderen (folglich rückt NNO näher an ONO, während NO selbst fehlt). Das fränkische Suffix ‑roni kennzeichnet hierbei Adjektive der Richtungsangabe „von woher kommend“. Karls Bezeichnung nordroni bedeutet also „von Norden kommend“ und bezeichnet in Kombination mit Wind (wint) den „Nordwind“. Seine Unterteilungen konnten sich jedoch ebenso wenig durchsetzen wie seine diesbezügliche Nomenklatur.[82] Die Hauptwinde in Karls Namenssystem, das beispielsweise im Altnordischen mit den Zwergen Norðri, Suðri, Austri und Vestri der nordischen Mythologie vorgezeichnet ist, finden sich als Haupthimmelsrichtungen (Nord, Ost, Süd und West) zwar auch in den meisten westeuropäischen Sprachen, unabhängig von der Zugehörigkeit zum germanischen (Deutsch, Niederländisch, Englisch etc.) oder zum romanischen Sprachzweig (Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Rumänisch). In die französische Sprache als Vermittlerin an das Italienische, Spanische und Portugiesische wurden sie allerdings erst im 12. Jahrhundert aufgenommen, als unter den Nachfahren Wilhelms des Eroberers vermehrt angelsächsische Wörter ihren Weg in das Französische fanden.[83] Arabische ÜbersetzerIm frühen Mittelalter kamen arabische Gelehrte in Kontakt mit den griechischen Arbeiten. Yahya ibn al Bitriq und Hunain ibn Ishāq übersetzten Aristoteles „Meteorologica“ und Gelehrte wie Ibn Sina und Ibn Ruschd kommentierten und erweiterten sie für ihre eigenen Systeme. Ein erhaltener arabischer Text aus dem 9. Jahrhundert (Pseudo-Olympiodoros, übersetzt von Hunain ibn Ishāq) ist zwar nicht authentisch, wie ein Vergleich mit dem griechischen Original zeigt; er enthält allerdings die folgenden arabischen Namen für die 12 griechischen Winde:[84]
Die Windrose der SeefahrerDas plötzliche Auftauchen der Portolankarten zu Beginn des 13. Jahrhunderts im Mittelmeerraum, ursprünglich in Genua, bald aber in Venedig und auch auf Mallorca legt die Vermutung nahe, dass sie auf der Grundlage von Segelanweisungen aufbauten, die lange zuvor in den Lotsenbüchern (Portolani) der Seeleute im Mittelmeer niedergeschrieben wurden. Messungen mit dem nautischen Magnetkompass, der fast zeitgleich entstand, wurden zusammen mit Wegbeschreibungen in Karten eines Achtpunktkompass-Systems eingetragen. Die Himmelsrichtungen wurden mit den folgenden Namen angegeben:
Von diesen acht Hauptwinden könnte eine 16-Punkt-Windrose mit Nebenwinden (NNO, ONO etc.) konstruiert werden, die lediglich die Namen der Hauptwinde kombiniert (zum Beispiel NNO würde den griechischen Tramontana, ONO den griechischen Levante repräsentieren usw.). In 32-Punkt-Windrosen, wie sie bereits auf Karten des frühen 13. Jahrhunderts anzutreffen sind, wurden die Abstände nochmals halbiert und die Namen der so entstandenen ‚Viertel-Winde‘ konnten ebenfalls einfach nur durch Kombinationen aus den Namen der Hauptwinde generiert werden. Die Namen der acht Winde dieser Kompassrose gehen offenbar auf die italienisch-gefärbte 'lingua franca' im Mittelmeerraum während des Hoch- und Spätmittelalters zurück. Von den acht Winden können nur zwei auf vorherige klassische Winde zurückverfolgt werden, Ostra (S) vom lateinischen Auster und Libeccio (SW) vom griechischen Lips – die anderen aber scheinen weitgehend eigenständig konzipiert zu sein. Die Namen Levante (O) von lateinisch ‹levare = erheben, also aufgehen› und Poniente (W) von ‹[de]ponere = setzen, also untergehen› wurden selbstverständlich mit dem Sonnenstand in Verbindung gebracht, aber etymologisch ganz anders als in den Bildern der antiken Namen, die sich auf Helligkeit, Dunkelheit oder die Sonne selbst beziehen, aber ausdrücklich nicht auf die Verben auf- bzw. untergehen verweisen. Tramontana (N), italienisch für ‹über die Berge›, bezieht sich im Namen wahrscheinlich auf die Alpen in Norditalien, hat aber nichts mit dem klassischen Aparctias-Septentrio zu tun (obwohl es einen zarten Zusammenhang mit dem alten griechischen Boreas gibt, der im venezianischen Sprachgebrauch erhalten blieb, wie auch im Bora der Adria). Der Maestro ist, wie bereits erwähnt, die Entsprechung des Mistral im westlichen Mittelmeer, einem Wind der bereits in der lateinischen Windrose als Circius angegeben wurde, der Name hier aber ist neu. Zwei arabische Wörter fallen ins Auge: Scirocco (SO) vom arabischen ‹al-Sharq = Osten› und die Variante Garbino (SW) vom arabischen ‹al-Gharb = Westen› – beide werden übrigens jeweils mit auf- bzw. untergehen übersetzt. Darüber hinaus gibt es das Rätsel des Greco (NO). Da Griechenland im Südosten Italiens liegt, deutet dies stark darauf hin, dass der Name des Greco im südlichen Mittelmeer vergeben wurde, sehr wahrscheinlich im 10. oder 11. Jahrhundert auf dem arabischen Sizilien (die von Byzanz gehaltenen Provinzen Kalabrien und Apulien lagen im Nordosten des arabischen Sizilien). Einen wesentlichen Teil ihrer Segelkenntnisse erwarben die italienischen Seefahrer des Mittelalters nicht von ihren römischen Vorfahren, sondern von arabischen Seeleuten über das arabisch-normannische Sizilien.[85] Während die Seeleute wahrscheinlich den Quellen ihres Wissens völlig gleichgültig gegenüberstanden, waren Wissenschaftler, geschult in den Klassikern von Isidor und Aristoteles, nicht so leicht zu überzeugen. Die klassische Zwölf-Punkt-Windrose wurde in den Akademien noch bis weit ins 15. Jahrhundert gelehrt, wie zum Beispiel in Peter von Aillys astronomisch-geographischer Schrift „Imago Mundi“ unter Verwendung von Isidors Version.[86] Mehrere schulmäßig konstruierte mappa mundi halfen, die klassische Zwölf-Punkt-Windrose einzuführen. Unter diesen finden sich die ‚mappa mundi‘ aus dem Beatus von Saint-Sever aus dem 8. Jahrhundert (Karte), die Tabula Peutingeriana von der Reichenau aus dem 10. Jahrhundert, (Karte) die ‚mappa mundi‘ des Heinrich von Mainz aus dem 12. Jahrhundert,[87] die Ebstorfer Weltkarte aus dem 13. Jahrhundert (Karte) und die Weltkarte des Ranulf Higden aus dem 14. Jahrhundert. (Karte)[88] Viele Portolankarten zollen den klassischen und geistlichen Autoritäten Respekt, indem sie Zeiger für die zwölf klassischen Winde enthalten – nicht in Form einer Windrose, die Kartografen schrieben vielmehr Namen oder Initialen der Winde in kleine runde Bereiche, die sie an den Rändern der Karte platzierten, sodass sie nicht störten.[89] Bereits 1250 versuchte der englische Scholastiker Matthäus Paris in einem zu seinem Hauptwerk Chronica Maiora separat verfassten Anhang von Dokumenten, dem Liber Additamentorum, die zwölf klassischen Winde, die ihm gelehrt wurden, mit der ‚neuen‘ Windrose aus dem Mittelmeerraum zu vereinbaren.[90] In einem ersten Schritt vergab Matthäus die zwölf klassischen Namen an N, O, S, W und an die Nebenwinde (NNO, ONO, OSO etc.), sodass die Hauptdiagonalen NO, SO, SW und NW leer blieben. Somit fällt Septentrio auf N, Aquilo auf NNO, Vulturnus auf ONO, Subsolanus auf O, Euros auf OSO, Euroauster auf SSO, Auster auf S und so weiter. (Diese Zuordnung wird in der Tat von vielen Autoren verwendet, um das klassische Zwölf-Windsystem mit modernen Begriffen zu erklären, nicht aber in diesem Artikel). In einem zweiten Schritt zog er 16 klassisch klingende Namen für alle 16 Winde der Windrose aus dem Hut. In seinem Entwurf, ziemlich schlampig in die Ecke eines Manuskripts hingekritzelt, schien er die folgende Aufstellung in Betracht zu ziehen:
Aber Matthäus verfolgte diesen Gedanken offenbar nicht weiter und ging über die Notierung dieser Namen nicht hinaus. In seinem Atlas von 1558 machte der portugiesische Kartograf Diogo Homem einen letzten Versuch, die klassischen Zwölf mit den acht Winden der Seefahrer in Einklang zu bringen, indem er acht der zwölf zu Hauptwinden des Kompasses, und die restlichen vier (NNW, NNO, SSO und SSW) zu Nebenwinden bestimmte.[91]
Diogo Homems Zuordnung der 12 antiken Namen auf den modernen Kompass, entspricht genau der Zuordnung, wie sie übrigens im gesamten Artikel verwendet wurde. VerwendungBeispiele zur Verwendung in Karten und Schriften
Die Windrose als GestaltungselementDie Windrose ist ein altes Gestaltungselement an Gebäuden und ist dort häufig auf der Spitze des Daches angebracht. Sie dient zur Orientierung an der Himmelsrichtung und deren Illustration, in Verbindung mit einer Windfahne zur Anzeige der Windrichtung. Sie findet sich an Fassaden wie zum Beispiel am Turm der Winde in Athen, auf Plätzen wie dem Platz der Windrose in den römischen Ruinen von Thugga oder dem Petersplatz in Rom,[92] als Skulptur vor dem Sitz des Nordatlantikrats in Brüssel; selbst auf Fußböden wie im Padrão dos Descobrimentos (Denkmal der Entdeckungen) in Lissabon und manchmal sogar in ganz normalen Einfamilienhäusern. Als Dekor auf Textilien findet sie bestimmt nicht nur im Symbol auf der NATO-Flagge Anwendung, wo sie ‚für den gemeinsamen Kurs der Mitgliedstaaten auf den Frieden‘ steht.
Die Windrose in der HeraldikDie Windrose ist in der Heraldik eine sogenannte ‚Gemeine Figur‘. Sie kommt nicht oft vor und wird durch übereinander gelegte Sterne dargestellt. Die Nordrichtung wird selten hervorgehoben.
Vergleichstabelle der WindnamenDas Bild links zeigt die „Anemographia“ (Windbeschreibung) von Johannes Janssonius aus dem 5. Band des Atlas Novus Sive Theatrum Orbis Terrarum von 1652. Die konzentrischen Ringe zeigen die Richtungen in 6 Sprachen an. Norden ist um 45° nach links geneigt. Die nachfolgende Tabelle fasst die Entwicklung der Namen der Winde für das klassische Altertum und das Frühmittelalter chronologisch zusammen. Auf den Vergleich mit Vitruvs 24-Punkt-Windrose wird an dieser Stelle verzichtet, weil deren Darstellung zu eigenwillig ist und nicht mit dem übrigen Inhalt der Tabelle vereinbar ist.
Siehe auch
WeblinksCommons: Windrose – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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