Wilhelm Röpke wuchs in einer liberalen bürgerlichen Landarztfamilie auf. Nach dem Abitur am Athenaeum in Stade begann er 1917 mit dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaft in Göttingen. 1918 leistete er kurze Zeit Kriegsdienst,[1] später studierte er in Tübingen und dann in Marburg. Dort wandte er sich dem Studium der Nationalökonomie zu und promovierte im Frühjahr 1921 mit Auszeichnung. Anschließend trat er eine Stelle als Assistent am Staatswissenschaftlichen Seminar bei seinem Doktorvater Walter Troeltsch an. Röpke habilitierte sich 1922 als Privatdozent der politischen Ökonomie an der Universität Marburg und wurde im Alter von 24 Jahren als jüngster deutscher Professor Deutschlands auf eine a.o. Professur an die Universität Jena berufen.
Röpke war gegenüber dem aufkommenden Nationalsozialismus kritisch eingestellt. Dafür trat er öffentlich ein. So verteilte er am 11. September 1930, drei Tage vor der Reichstagswahl angesichts eines vermuteten Erfolgs der NSDAP in seinem Heimatdorf ein Flugblatt mit dem Titel „Nationalsozialisten als Feinde der Bauern“, geschrieben „von einem Sohn Niedersachsens“, gerichtet „an das Landvolk“. Darin nannte er die NSDAP eine „besitzfeindliche, gewalttätige, revolutionäre“ Organisation, die das für die Überwindung der Krise so bedeutsame internationale Vertrauen in die Besonnenheit und den Aufbauwillen der Deutschen zerstören, „die Diktatur einer Partei“ errichten und „wenig Federlesens machen“ werde, „wenn sie erst einmal zur Macht gelangt“ sei. Wer für deren Kandidaten stimme, solle später nicht behaupten, „er habe nicht gewusst, was daraus entstehen könnte“.[3]
Am 27. Dezember 1932 veröffentlichte die Vossische Zeitung einen Artikel Röpkes, in dem dieser mit Bezug auf die durch Krawalle nationalsozialistischer Studenten bewirkte vorläufige Beurlaubung des Breslauer Jura-Professors Ernst Joseph Cohns u. a. schrieb: „Die durch Intoleranz aufs Äußerste bedrohte Lehr- und Geistesfreiheit muß bis zum letzten verteidigt werden. Intoleranz der Professoren selbst ist Verrat an der Idee der Universität“.[4]
Am 8. Februar 1933, neun Tage nach der Machtübernahme des NS-Regimes, hielt Röpke unter der Überschrift Wo stehen wir, wohin treiben wir? einen Vortrag bei Gustav StolpersBund für wirtschaftliche und politische Bildung in Frankfurt und führte unter anderem aus: „Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ist ein Massenaufstand gegen die letzten Grundlagen alles dessen angebrochen, was wir Kultur nennen: ein Massenaufstand gegen Vernunft, Freiheit, Humanität und gegen jene geschriebenen und ungeschriebenen Normen, die in Jahrtausenden entstanden sind, um eine hochdifferenzierte menschliche Gemeinschaft zu ermöglichen, ohne die Menschen zu Staatssklaven zu erniedrigen.“[5] Kritischen Äußerungen Röpkes gegen den Nationalsozialismus bei der öffentlichen Begräbnisrede für seinen am 23. Februar 1933 verstorbenen akademischen Lehrer Troeltsch folgten wütende Reaktionen in der NS-Presse.[6] Wegen seiner Kritik am Nationalsozialismus wurde Röpke durch die nationalsozialistische Regierung im April 1933 von seinem Lehramt entfernt. Im selben Jahr floh er ins Exil in die Türkei.[5][3] Dort lehrte er ab Herbst 1933 an der Universität Istanbul und verfasste sein erfolgreichstes Buch Die Lehre von der Wirtschaft; dieses wurde zur theoretischen Grundlage seiner späteren wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Publikationen. Zum Wintersemester 1937/38 wechselte Röpke nach Genf, wo er eine Tätigkeit als Professor für internationale Wirtschaftsfragen am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien ausübte. Einer seiner Doktoranden in Genf war Carl Zimmerer.
In den 1930er Jahren begann er für die Neue Zürcher Zeitung und die Schweizer Monatshefte zu schreiben, für die er über 30 Aufsätze verfasste. In Genf brachte er seine sozialphilosophische Trilogie (Gesellschaftskrisis der Gegenwart, Civitas humana, Internationale Ordnung) zu Papier, deren Grundzüge er in Istanbul mit seinem dortigen Fakultätskollegen Alexander Rüstow entwickelte. Darin beschrieb er – in den Grundsätzen mit den Vertretern der Freiburger Schule einig – seine Vorstellungen von Wirtschaftsordnung. Später wurde der konservative Einschlag im Denken Röpkes stärker; dies wurde in der in Jenseits von Angebot und Nachfrage (1959) geäußerten Kulturkritik deutlich.[7]
1964 schrieb Röpke in den Schweizer Monatsheften, „dass die Neger Südafrikas nicht nur Menschen von einer geradezu extrem anderen Rasse sind, sondern zugleich einer völlig anderen Art und Stufe der Zivilisation angehören“ (Röpke 1964, S. 104). Deswegen sei die Apartheidpolitik der südafrikanischen Regierung vollkommen gerechtfertigt.[8] In der Folge verglich Röpke das weiße Unterdrückungsregime in Südafrika mit den Juden in Israel, die von den Arabern in ihrer Daseinsberechtigung in Frage gestellt würden. In ähnlicher Not befänden sich Weiße in Südafrika, die sich einer Übermacht der Schwarzen gegenüber befänden. Die Untersuchung von Quinn Slobodian weist Wilhelm Röpke als rechte bis reaktionäre Galionsfigur des Neoliberalismus aus, dem es um Demokratieabbau, Wahrung von Besitzrechten, Deregulierung und eine Finanzialisierung der Weltwirtschaft gegangen sei.[9]
Röpke war im April 1947 Gründungsmitglied der Mont Pelerin Society (MPS)[10] und 1961–1962 deren Präsident. In den 1960er Jahren kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe um Friedrich August von Hayek und einer Gruppe um Albert Hunold und Röpke um die zukünftige Ausrichtung der MPS. In der Folge legte Röpke die Präsidentschaft nieder und trat aus der MPS aus.[11]
Er war mit Eva geb. Finke (1901–1983) verheiratet, mit der er drei gemeinsame Kinder hatte.[12] Eva Röpke übersetzte wirtschaftswissenschaftliche Werke wie Hayeks 1944 in England und USA erschienenes The Road to Serfdom, das 1945 mit einem Vorwort von Wilhelm Röpke bei Rentsch in Erlenbach ZH als Der Weg zur Knechtschaft herauskam.[13]
Lehre
Recht, Sitte, Moral, Normen- und Wertüberzeugungen waren für den Volkswirtschaftsprofessor entscheidende Elemente, für die nicht der Markt, sondern die politische Ebene und die Zentralbank stets Sorge zu tragen haben. Mit einer „konformen“ Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik, deren Aufgabe es ist, „jenseits des Marktes“ Schwache zu schützen, Interessen auszugleichen, Spielregeln zu setzen und Macht zu begrenzen, strebte Röpke eine Wirtschaftsordnung des „ökonomischen Humanismus“ an, der von ihm auch „Dritter Weg“ genannt wird. Röpke steht für eine Gesellschaft und Politik, für die die Wahrung der Menschenrechte von höchster Bedeutung ist. Das sogenannte „Individualprinzip“ als wichtiger und elementarer Kern der Marktwirtschaft muss aus seiner Sicht mit einem durchdachten Sozial- und Humanitätsprinzip in Balance gehalten werden. In der Europapolitik warnte er vor zu viel Zentralismus.[14][15]
Der griffige Satz „Der Gleichgewichtspreis räumt den Markt“, der gesamtwirtschaftlich eine optimale Bedarfsdeckung beinhaltet, stammt von ihm. Mit seinem Wirken gehört der liberale Nationalökonom, der in über vier Jahrzehnten weit mehr als 800 Schriften veröffentlichte, zu jenen Ökonomen, die als Wissenschaftler und politische Berater die Entwicklung im Nachkriegsdeutschland maßgeblich mitgeprägt haben. Für Ludwig Erhard war er „im besten Sinne ein Streiter für die höchsten Werte der Menschheit“.
Eva Röpke (Hrsg.): Briefe von Wilhelm Röpke 1934 – 1966. Der innere Kompass. Rentsch, Erlenbach ZH 1976, ISBN 3-7249-0473-8.
Der Cicero auf dem Dorfe. Wunderliche Geschichten zwischen Stadt, Schwarmstedt und dem Genfer See. Ausgewählt und zusammengestellt von Werner Pries. Geiger, Horb 2002, ISBN 3-89570-794-5.
Dieter Haselbach: Staat und Markt. Zur intellektuellen Biographie Wilhelm Röpkes. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Herausgegeben im Auftrag der Gesellschaft für Exilforschung von Claus-Dieter Krohn und Lutz Winckler. Band 6: Vertreibung der Wissenschaften und andere Themen.
Heinz Rieter, Joachim Zweynert (Hrsg.): Wort und Wirkung. Wilhelm Röpkes Bedeutung für die Gegenwart. Metropolis, Marburg 2010, ISBN 978-3-89518-799-5.
Jean Solchany: Wilhelm Röpke, l'autre Hayek : Aux origines du néolibéralisme. Publications de la Sorbonne, Paris 2015, ISBN 978-2-85944-893-6.[18][19]
Quinn Slobodian: The World Economy and the Color Line: Wilhelm Röpke, Apartheid, and the White Atlantic. In: German Historical Bulletin Institute Suplement. Nr. 10, 2014, S. 61–87.
↑Hans Jörg Hennecke: Streiten für diesen Staat - Wilhelm Röpke und die Bundesrepublik. In Dominik Geppert, Jens Hacke: Streit um den Staat: intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960-1980. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-525-36758-2, S. 23. Anmerkung 1; (der 21. und 22. März 1918 waren die ersten beiden Tage des Unternehmen Michael).
↑Wilhelm Röpke. 9. Oktober 1899, abgerufen am 30. Oktober 2022.
↑ abGötz Aly: Wilhelm Röpke gegen Volk und Führer, 2015. Der Vortrag vom 8. Februar 1933 liegt gedruckt unter dem Titel „Epochenwende?“ vor in Wilhelm Röpke: Wirrnis und Wahrheit – Ausgewählte Schriften, Ernst Rentsch Verlag Erlenbach ZH 1962, S. 105ff (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche), und in: Fronten der Freiheit, Seewald Verlag 1966, S. 167ff, (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Leonie Breunung, Manfred Walther: Die Emigration deutscher Rechtswissenschaftler ab 1933, De Gruyter Saur 2012, ISBN 978-3-11-025857-8, S. 90 (online)
↑Philip Mirowski, Dieter Plehwe (Hgg.): The Road From Mont Pelerin. 2009, ISBN 978-0-674-03318-4, S. 19.
↑Vgl. Nils Goldschmidt und Michael Wohlgemuth (Hrsg.): Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, Tübingen: Mohr Siebeck (Untersuchungen zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik 50) 2008, S. 469–474.
↑Helmut Zimmermann: Röpkestraße, in: Die Strassennamen der Landeshauptstadt Hannover, Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1992, ISBN 3-7752-6120-6, S. 209.
↑daraus an die Deutschen über den NS: Hütet euch, eure schwere Verantwortung zu leicht zu nehmen, und glaubt nicht, dass es genüge, die Nationalsozialisten als eine Verbrecherbande zu bezeichnen, mit der ihr nichts zu tun habt! S. 108.