Ulmen
Die Ulmen (Ulmus), auch Rüster, Rusten oder Effe genannt, bilden eine Pflanzengattung in der Familie der Ulmengewächse (Ulmaceae).[1] In Mitteleuropa finden sich die drei Arten Flatterulme, Feldulme und Bergulme. BeschreibungErscheinungsbildDie Ulmen-Arten sind sommergrüne oder laubabwerfende Bäume oder Sträucher, die Wuchshöhen von bis zu 35 Metern erreichen. An einigen Zweigen findet man die botanisch eher seltene Korkflügel-Rinde, die auch beim Pfaffenhütchen (Euonymus) vorkommt. Sie sind nie mit Stacheln oder Dornen bewehrt. Die Knospen können behaart sein. WurzelUlmen-Arten haben in der Jugend ein Pfahlwurzelsystem. Im Alter bildet sich ein Senkerwurzelsystem mit einer Tendenz zur Herzwurzel (viele Senker aus flach bis schräg streichenden Hauptwurzeln) aus. Selbst auf temporären Nassböden bilden Ulmen ein tiefes Wurzelgeflecht, dieses ist daher außerordentlich stabil. BlätterDie wechselständig und zweizeilig am Zweig angeordneten Laubblätter sind in Blattstiel und Blattspreite gegliedert. Die einfachen, asymmetrischen Blattspreiten sind breit verkehrt-eiförmig oder rundlich mit einfach oder doppelt gesägtem Blattrand. Sie sind fiedernervig und jeder Seitennerv endet in einem „Blattzahn“. Sie sind oft dreispitzig und werden daher oft mit der Hasel verwechselt. Alle drei mitteleuropäischen Ulmenarten sind unschwer an ihren Blättern erkennbar, deren eine Hälfte immer größer und ungleich am Grunde des Blattstieles angesetzt ist. Es sind zwei häutige Nebenblätter vorhanden; sie fallen relativ früh ab und hinterlassen auf beiden Seiten der Blattbasis eine kurze Narbe. Blütenstände und BlütenDie meist im Frühling (bei sommergrünen Arten vor den Blättern) erscheinenden Blüten sind mit zwei häutigen Tragblättern in kleinen, bündeligen, traubigen oder zymösen Blütenständen angeordnet und oft bereits im Vorsommer fertig ausgebildet. Der kurze Blütenstiel ist meist behaart (lang gestielt bei der Flatterulme). Die meist zwittrigen Blüten besitzen ein einfaches Perianth. Die vier bis neun Blütenhüllblätter sind unscheinbar gefärbt und glockig verwachsen. Es sind gleich viele Staubblätter wie Blütenhüllblätter vorhanden. Die Staubfäden sind flach. Der meist sehr kurze Griffel des oberständigen Fruchtknotens endet in einer zweiästigen, behaarten Narbe. Früchte und SamenEs wird eine flache Nussfrucht mit beständigem Perianth gebildet, die ringsum einen breit-eiförmigen bis rundlichen, häutigen Flügel besitzt (solche Früchte nennt man Samara) und auf der noch die Narbe erkennbar ist. Es ist kein Endosperm vorhanden. Die Chromosomengrundzahlen sind meist x = 14. ÖkologieDiasporen sind die geflügelten Nussfrüchte, die vom Wind ausgebreitet werden. Die Samen sind nur wenige Tage keimfähig. Gleich nach der Reife gesät, keimen sie nach zwei bis drei Wochen. Die Keimblätter (Kotyledonen) sind flach bis mehr oder weniger konvex. VerbreitungsgeschichteFossil sind Ulmen schon im Tertiär nachgewiesen. Vor 10 Mio. Jahren zeigt ihr vermehrtes Aufkommen, etwa in Sedimenten der Niederrheinischen Bucht, eine langsame Abkühlung des bis dahin im Rheinland subtropischen Klimas an. Ein Rückgang der Ulmen lässt sich pollenanalytisch bereits im Atlantikum beobachten, ob er krankheitsbedingt oder anthropogen ist, ist umstritten. GefährdungSeit 1920 werden einige Ulmen-Arten durch das Ulmensterben dezimiert. Betroffen sind vor allem die Bergulme und Feldulme aufgrund ihrer rauen Borke. Der Ulmensplintkäfer überträgt eine aus Ostasien eingeschleppte Pilzerkrankung: die Pilze wuchern im Splintholz und verstopfen die Wasserleitbahnen im Frühholz. Dadurch wird der Wasserfluss unterbunden, und der Baum stirbt ab. Im Flachland führt dies zu einem Totalausfall, oberhalb von 700 Metern nur phasenweise.[2] NutzungViele Arten liefern gutes Holz. Die Früchte vieler Ulmenarten sind außerdem zum Verzehr geeignet. Medizinische Wirkungen wurden untersucht. Einige Arten werden in der chinesischen Medizin eingesetzt.[3] Junge Ulmenblätter sind essbar, zum Beispiel in Salaten. Holz der UlmeDas Holz der Ulme wird regional auch „Rüster“ genannt. Die Ulme ist ein Kernreifholzbaum. Das ringporige Holz der Bergulme hat drei Zonen, die den Jahresringen folgen: ein gelblich-weißes Splintholz, ein ähnlich helles Reifholz und ein blassbraunes bis rötliches Kernholz. Es ist zäh, mäßig hart, sehr stoß- und druckfest und gut zu bearbeiten, reißt leicht und muss daher sehr vorsichtig getrocknet werden.[4] Das wertvolle Holz wird zu Furnieren, Möbeln, Gewehrschäften, Parkett, Täfelungen und Schreibgeräten verarbeitet. Früher wurden auch Langbögen, Felgen, Räder, Speichen und Wagenkästen aus Rüster gefertigt. Das Schwindmaß des Rüsterholzes gehört zu den geringsten aller Holzarten. Systematik und VerbreitungDer Gattungsname Ulmus wurde 1753 durch Carl von Linné in Species Plantarum, Tomus I, Seite 225 veröffentlicht.[5] Als Lectotypusart wurde 1913 Ulmus campestris L. durch N. L. Britton und A. Brown in Ill. Fl. N.U.S. 2. Auflage, 1 S. 626 festgelegt. Ein Synonym für Ulmus L. ist Chaetoptelea Liebm.[6] Ulmen-Arten gedeihen vor allem in den gemäßigten Gebieten der Nordhalbkugel: Eurasien und Nordamerika bis nach Mexiko. Alleine in China kommen 21 Arten vor, 14 davon nur dort. Die Gattung Ulmus wird in zwei Untergattungen mit jeweils einigen Sektionen und insgesamt etwa 40 Arten gegliedert.[6] Hier eine Auswahl:
SymbolikDer Ulme wurde in diversen Kontexten symbolische Bedeutung zugeschrieben, ohne dass diese eindeutig festgelegt worden wäre. Neben ihrer Rolle in der Mythologie hat sie teils erheblichen Symbolwert in der politischen Rhetorik, zumal jener der Vereinigten Staaten von Amerika. MythologieIm Altertum, zum Beispiel im Antiken Griechenland, konnte die Ulme als Symbol des Todes und der Trauer[8] begegnen. So pflanzen in der Ilias (VI.419) Bergnymphen Ulmen rings um das Grab des Eëtion, des Vaters der Andromache. Jenseits davon zählt die Nymphe Ptelea, also Ulme, zu den Hamadryaden, also den Töchtern von Oxylos und seiner Schwester Hamadryas[9]. Das weist auf eine allgemeine Heiligung des Baums hin, die in der Bukolik des Theokrit ihren Niederschlag gefunden hat: „Komm', dort sitzen wir unter den Ulmbaum, gegen Priapos / Ueber und gegen die Nymphen des Quells, wo der Schäfer sich Rasen- / Bänke gemacht in der Eichen Umschattung.“[10] Die Ulme hat ihren selbstverständlichen Platz in der amönen Landschaft seiner Idyllen. In der nordischen Mythologie war Embla, also die Ulme, der Baum, aus dem die drei Götter Odin, Hönir und Lodur die erste Frau geformt haben. So heißt es in der Prosa-Edda des Snorri Sturluson: „Als die Söhne Borrs am Meeresstrand entlangliefen, fanden sie zwei Baumstämme. Die hoben sie auf und erschufen daraus die Menschen. Der erste gab ihnen Seele und Leben, der zweite Verstand und Bewegungsfähigkeit, der dritte äußere Gestalt, Sprechvermögen, Gehör und die Fähigkeit zu sehen. Sie gaben ihnen Kleider und Namen; der Mann hieß Ask, die Frau Embla, und aus ihnen ging das Menschengeschlecht hervor, dem Midgard zur Heimat gegeben wurde.“[11] PolitikOhne unmittelbaren Bezug zur Mythologie erhielt die Ulme bereits im europäischen Mittelalter politischen Symbolwert: Zumal in Frankreich[12], aber auch in Norditalien, England und in Teilen Portugals hat sie die Funktion eines Gerichtsbaums[13]. Besondere Berühmtheit erlangte die Ulme von Gisors durch einen diplomatischen Zwischenfall. Schon in der Zeit der Rolloniden hatte sie als Ort der Unterhandlung zwischen französischen Königen und normannischen Herzögen und späteren englischen Königen gedient[14]. Im Zuge der schwelenden Auseinandersetzungen zwischen dem französischen König Philippe II. Auguste und dem englischen König Heinrich II. Plantagenet war es Victor Pattes Histoire de Gisors (1896) zufolge am 1. September 1188 ausgerechnet im Zuge von Friedensverhandlungen zu einem Eklat gekommen: Philippe II. und sein Gefolge hätten sich durch die im Schatten des Baumes bereits auf sie wartenden Engländer verhöhnt gefühlt und daher die Fällung der Ulme in Aussicht gestellt. Nachdem Heinrich II. daraufhin den Baum mit Eisenbändern geschützt habe, soll es zu einem Gefecht gekommen sein, nach dessen Ende die siegreichen Franzosen die Ulme umgehauen hätten unter dem Schwur, dass an dieser Stelle nie wieder eine Unterredung abgehalten werden solle[15]. Ähnlich, aber mit Richard Löwenherz statt dessen Vater auf der normannisch-englischen Seite, schildert die Chronik des Ménéstrel von Reims das Ende des Baums: Et s’arresterent à l’orme , et esragierent les bandes à force, et couperent l’orme cui que il pesast.[16] Als Gedenkbaum hatte man Ulmen bereits während der spätmittelalterlichen Rosenkriege an ehemaligen Schlachtfeldern gesetzt[17]. In ähnlicher Funktion begegnet sie laut Richard H. Richens auch in der frühen Neuzeit im Kontext des Gunpowder Plot sowie 60 Jahre später der Glorious Revolution in England. Als Beispiele dafür nennt der Botanik-Historiker Ulmen-Pflanzungen in den Dörfern Bisham, Kempsey und Gunnerside. Zum Symbol der Revolution wird die Ulme jedoch erst in Nordamerika. So nehmen im Frühjahr 1765 die Proteste gegen das Stempel-Gesetz und die britische Steuerpolitik mit Versammlungen und in-effigie-Erhängungen an einer 1646 gepflanzten Ulme ihren Anfang[18]. Bereits im September desselben Jahres wird der Baum mit einer an den Stamm genagelten Plakette zum „Tree of Liberty“ erklärt. Nach Einschätzung des Landschafts-Architekturhistorikers Thomas J. Campanella wird die Ulme zu einem der weltweit wirkmächtigsten Symbole der Revolution[19]. Diese Verwendung erweist sich als nachhaltig für das Repertoire amerikanischer Gedenk-Politik: Als 1826 der transatlantische Revolutionsheld General Lafayette Boston besucht, wird er an den Ort des mittlerweile gefällten Baums geführt, wo der Richter Thomas Dawes ein selbstverfasstes Lobgedicht auf die Ulme vorträgt[20]. Ebenfalls rückblickend wird eine Ulme auf der Bürgerweide von Cambridge (Massachusetts) zur „Washington Elm“ verklärt. Der Legende nach soll George Washington unter dieser Heerschau gehalten haben, als er am 3. Juli 1775 das Kommando über die Kontinental-Armee übernahm. Die Ulme habe auf diese Weise die Funktion eines nie gebauten Denkmals erfüllt, resümierte der Lokalhistoriker Samuel F. Batchelder 1925 in einem Vortrag vor der Cambridge Historical Society, der die Mystifikation offenlegt. „It was a symbol of Our Country“[21]. Das traf zu diesem Zeitpunkt Campanella zufolge auch für die Ulme als Art zu: Mit rund 25 Millionen gepflanzten Exemplaren um 1937 hätten sie den ausgedehntesten jemals angelegten Stadtwald gebildet. Dank dieser Entwicklung sei die Elm Street zu einem von Amerikas fantasieanregendsten und archetypischsten Orten geworden[22]. Literatur
WeblinksCommons: Ulmen (Ulmus) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
|