Tessaoua (auch Tessawa, auf TuaregTaṣawa)[1] ist eine Stadtgemeinde und der Hauptort des gleichnamigen Departements Tessaoua in Niger. Sie ist mit rund 173.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt des Landes.
Tessaoua befindet sich am Übergang der Sahelzone zur Großlandschaft Sudan und liegt etwa auf halber Wegstrecke zwischen den Großstädten Maradi und Zinder. Durch das Stadtgebiet verläuft der 8. Längengrad. Tessaoua ist großteils vom Gemeindegebiet von Maïjirgui umgeben und grenzt ferner im Nordwesten an die Landgemeinde Kanan-Bakaché.
Die Stadtgemeinde besteht aus einem urbanen und einem ländlichen Gemeindegebiet. Das urbane Gemeindegebiet ist in 13 Stadtviertel gegliedert. Diese heißen Alkalaoua, Camp de Garde, Fada I, Guindawa, Harmaoua I, Kanaoua (Kanguiwa), Kanguiwa, Kouka Angoual Kouka, Marina, N’Wala, Tessaoua Kanguiwa, Tessaoua Zongo und Toudou. Bei den Siedlungen im ländlichen Gemeindegebiet handelt es sich um 72 Dörfer, 85 Weiler und 37 Lager. Die nach Einwohnern größten Dörfer sind Gounaka, Maïguizaoua und Kaïwa.[2]
Klima
In Tessaoua herrscht trockenes Wüstenklima vor.
Monatliche Durchschnittstemperaturen und -niederschläge für Tessaoua
Tessaoua hat seinen Namen von den Tessaraoua (auch Tazaraoua), einer Hausa-Gruppe, die von den Tuareg aus dem Aïr-Gebirge vertrieben wurde.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Tessaoua eine Provinz von Katsina. Nachdem die Fulbe, die den Hausa-Staat Katsina 1812 erobert hatten, 1819 aus Maradi und weiteren Gebieten im Norden verdrängt worden waren, wurde Tessaoua dem neuen Staat Maradi angeschlossen.[3] Der Deutsche Adolf Overweg betrat im Januar 1851 als erster Europäer die Stadt, sein Reisegefährte Heinrich Barth traf ihn dort wenige Tage später. Barth schrieb über Tessaoua: „Die Stadt, deren Bevölkerung sicher 10,000 Seelen beträgt, bietet das Bild eines regen Lebens und ihr Markt vermittelt einen recht lebhaften Handelsverkehr.“[4]
Der radikale muslimische Anführer Mazawajé war von 1877 bis 1880 in Maradi tätig, bis er aus der Stadt flüchten musste. Er gründete daraufhin einen eigenen Stadtstaat in Tessaoua. Mazawajé wurde 1890 beim Madarounfa-See getötet.[5] Im Jahr 1893 gründete Moussignaoua, der als Sultan von Maradi seine Herrschaft verloren hatte, in Tessaoua ein neues Sultanat, das sich wie Maradi in der Tradition des ehemaligen Hausa-Staats Katsina sah.
Moussignaoua schloss 1897 einen Schutzvertrag mit Frankreich ab.[3]Großbritannien verzichtete 1898 auf seine Ansprüche auf das Sultanat. Zuvor hatte seit dem Anglo-Französischen Abkommen von 1890 die Linie Say–Barwa als Grenze zwischen den Einflusssphären Großbritanniens und Frankreichs gegolten.[6] In den ersten beiden Dezemberwochen des Jahres 1899 hielt sich die französische Forschungs- und Militärexpedition Mission Foureau-Lamy in der Stadt auf.[7]
Der Markt von Tessaoua war einer der kleinen Märkte in der Region, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der französischen Verwaltung zugelassen wurden.[8] Der britische Reiseschriftsteller A. Henry Savage Landor besuchte die Sultansstadt und das vorgelagerte Dorf Raba 1906 im Rahmen seiner zwölfmonatigen Afrika-Durchquerung.[9] In den 1920er Jahren galt die durch Tessaoua führende und 1375 Kilometer lange Piste von Niamey nach N’Guigmi als einer der Hauptverkehrswege in der damaligen Kolonie Niger. Sie war in der Trockenzeit bis Guidimouni und wieder ab Maïné-Soroa von Automobilen befahrbar. Dies war auch der Fall für die 175 Kilometer lange Piste von Tessaoua nach Tanout.[10]
Das Sultanat Tessaoua bestand noch bis 1927, bis die Stadt direkt der Kolonialverwaltung Französisch-Westafrikas unterstellt wurde.[5] Im selben Jahr griff eine Gruppe Hausa aus Nigeria, beeinflusst von Lehren des Marabout Malam Moussa, den französischen Militärposten in Tessaoua an, wobei mehrere Menschen ums Leben kamen.[11] Sultan Barmou von Tessaoua wurde der Komplizenschaft verdächtigt, abgesetzt und ins Exil nach Französisch-Sudan geschickt, wo er starb.[12] Das französische Übersee-Forschungsinstitut Office de la Recherche Scientifique et Technique Outre-Mer (ORSTOM) betrieb in Tessaoua eine geomagnetische Station, die zu einem Netzwerk von mehreren hundert ORSTOM-Stationen in Westafrika gehörte, an denen in den 1950er Jahren geomagnetische Messungen vorgenommen wurden.[13]
Bis 1972 hatten in Niger nur die Großstädte Niamey, Maradi, Tahoua und Zinder den Status einer eigenständigen Gemeinde. In diesem Jahr wurde Tessaoua zeitgleich mit sechs weiteren nigrischen Orten zur Gemeinde erhoben.[14]
Bevölkerung
Bei der Volkszählung 2012 hatte die Stadtgemeinde 172.796 Einwohner, die in 21.189 Haushalten lebten.[2] Bei der Volkszählung 2001 betrug die Einwohnerzahl 119.506 in 16.345 Haushalten.[15]
Das urbane Gemeindegebiet hatte bei der Volkszählung 2012 43.409 Einwohner in 6.012 Haushalten,[2] bei der Volkszählung 2001 31.667 in 5.135 Haushalten[15] und bei der Volkszählung 1988 19.645 in 3.201 Haushalten.[16] Bei der Volkszählung 1977 waren es 10.590 Einwohner.[17]
In ethnischer Hinsicht ist die Gemeinde ein Siedlungsgebiet von Katsinawa, Tuareg, Fulbe, Azna und Gobirawa.[18] Dabei betreibt die Hausa-Untergruppe Gobirawa vor allem Ackerbau, die Fulbe-Untergruppe Tchilanko’en ist auf Agropastoralismus spezialisiert und die Fulbe-Untergruppe Oudah’en praktiziert vor allem Fernweidewirtschaft.[19]
Jeweils ein traditioneller Ortsvorsteher (chef traditionnel) steht an der Spitze von 71 Dörfern in der Gemeinde.[2]
Die Stadt ist der Sitz eines Tribunal d’Instance, eines der landesweit 30 Zivilgerichte, die unterhalb der zehn Zivilgerichte der ersten Instanz (Tribunal de Grande Instance) stehen.[21] Die Haftanstalt Tessaoua hat eine Aufnahmekapazität von 250 Insassen.[22]
Kultur
Tessaoua ist ein Schauplatz des 1903 erschienenen Abenteuerromans A travers le Sahara. Aventures merveilleuses de Marius Mercurin von G. Demage. Die Heldin des Romans Toum von Maurice Delafosse, der diesen 1926 unter dem Pseudonym Louis Faivre veröffentlichte, kommt aus der Gegend.[23]
Wirtschaft und Infrastruktur
Wirtschaft
In Tessaoua gibt es einen Viehmarkt, der vor allem von Zwischenhändlern besucht wird. Der Markttag ist Sonntag.[24] Das staatliche Versorgungszentrum für landwirtschaftliche Betriebsmittel und Materialien (CAIMA) unterhält eine Verkaufsstelle im Stadtzentrum.[25]
Gesundheit und Bildung
Im Stadtzentrum besteht ein Distriktkrankenhaus. Gesundheitszentren des Typs Centre de Santé Intégré (CSI) mit jeweils eigenem Labor und Entbindungsstation sind im Stadtviertel Guindawa und im Dorf Maïguizaoua vorhanden. Weitere Gesundheitszentren dieses Typs ohne eigenes Labor und Entbindungsstation befinden sich in den ländlichen Siedlungen Gounaka, Gouradjé, Guidan Zougaou und Oura.[26]
Es gibt mehrere allgemein bildende Schulen der Sekundarstufe in der Stadt. Der CEG 1 Tessaoua und CEG 2 Tessaoua gehören dabei zum Schultyp Collège d’Enseignement Général (CEG), ebenso der CEG FA Tessaoua, der einen Fokus auf die arabische zusätzlich zur französischen Sprache aufweist. Weitere Schulen dieses Typs sind der CEG Maïguigé und der CEG Maïguizaoua in den ländlichen Siedlungen Maïguigé und Maïguizaoua. Ebenfalls eine Sekundarschule ist der LEG Tessaoua, ein Lycée d’Enseignement Général (LEG).[27] Beim Collège d’Enseignement Technique de Tessaoua (CET Tessaoua) handelt es sich um eine technische Fachschule[28] und beim Centre de Formation aux Métiers de Tessaoua (CFM Tessaoua) um ein Berufsausbildungszentrum.[29] Die Lehrerbildungsanstalt Ecole Normale d’Instituteurs de Tessaoua besteht seit dem Jahr 2014.[30]
Kalla Moutari (* 1964), Politiker, von 1993 bis 1996 beigeordneter Administrator (Bürgermeister) von Tessaoua
Literatur
Noirot Bartel: Une province hausa du Niger: Le Tessaoua – essai sur les coutumes. In: Renseignements Coloniaux. Februar 1937, S.20–24.
Nazifi Harouna Kassoum: Analyse des facteurs et impacts des inondations sur le développement de la ville de Tessaoua. Mémoire. Faculté des Lettres et Sciences Humaines, Université Abdou Moumouni de Niamey, Niamey 2017.
Chaïbou Néino: Populations locales et travail forcé. Le cas de Tasawa, 1900–1951. Editions Universitaires Européennes, Saarbrücken 2012, ISBN 978-3-8417-9623-3.
Boubacar Sani Ousmane: Fonctionnement des marchés à bétail et commercialisation des animaux dans la région de Maradi, cas des marchés de Dakoro, Mayahi, Tessaoua et Maradi. Faculté d’Agronomie, Université Abdou Moumouni de Niamey, Niamey 2013.
Sani Souley-Maman: Caractérisation socio-économique de l’élevage péri et intra dans la Commune Urbaine de Tessaoua. Faculté d’Agronomie, Université Abdou Moumouni de Niamey, Niamey 2005.
↑ abEdmond Séré de Rivières: Histoire du Niger. Berger-Levrault, Paris 1965, S.148 und 152–153.
↑Heinrich Barth: Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central Afrika in den Jahren 1849 bis 1855. Erster Band. Justus Perthes, Gotha 1859, S.241 und 244 (archive.org [abgerufen am 11. Mai 2018]).
↑ abJolijn Geels: Niger. Bradt, Chalfont St Peter 2006, ISBN 1-84162-152-8, S.211–212.
↑Edmond Séré de Rivières: Histoire du Niger. Berger-Levrault, Paris 1965, S.260.
↑Fernand Foureau: Documents scientifiques de la mission saharienne. Mission Foureau-Lamy d’Alger au Congo par le Tchad. Atlas (Kartograf: Verlet-Hanus). Masson, Paris 1905 (jubilotheque.upmc.fr [abgerufen am 6. Mai 2018]).
↑Hassane Gandah Nabi: Commerçants et entrepreneurs du Niger (1922–2006). L’Harmattan, Paris 2013, ISBN 978-2-336-29136-9, S.38.
↑A. Henry Savage Landor: Across Widest Africa. An Account of the Country and People of Eastern, Central and Western Africa As Seen During a Twelve Months' Journey From Djibuti To Cape Verde. Volume II. Hurst and Blackett, London 1907, S.322–323 (archive.org [abgerufen am 13. März 2021]).
↑Maurice Abadié: La Colonie du Niger. Mit einem Vorwort von Maurice Delafosse. Société d’Editions Géographiques, Maritimes et Coloniales, Paris 1927, S.426 und 429.
↑Edmond Séré de Rivières: Histoire du Niger. Berger-Levrault, Paris 1965, S.248.
↑Abdourahmane Idrissa, Samuel Decalo: Historical Dictionary of Niger. 4. Auflage. Scarecrow, Plymouth 2012, ISBN 978-0-8108-6094-0, S.xxix.
↑J. Rechenmann, R. Remiot: Réseau général de bases magnétiques en Afrique Occidentale. Centre de Géophysique de M’bour / Office de la Recherche Scientifique et Technique Outre-Mer, Paris 1958, S.29 (horizon.documentation.ird.fr [PDF; abgerufen am 8. Oktober 2023]).
↑Maman Salifou: Historique de la décentralisation au Niger. (PDF) Direction Générale de l’Administration Territoriales et des Collectivités Locales, Ministère de l’Intérieur, de la Sécurité Publique et de la Décentralisation, République du Niger, Mai 2008, S. 11, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 12. Juli 2018; abgerufen am 9. Februar 2021 (französisch).Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.cfgct.ne
↑Recensement Général de la Population 1988: Répertoire National des Villages du Niger. Bureau Central de Recensement, Ministère du Plan, République du Niger, Niamey März 1991, S.206 (web.archive.org [PDF; abgerufen am 4. Mai 2019]).
↑Recensement général de la population 1977. Résultats définitifs. Rapport d’Analyse. Direction de la Statistique et de l’Informatique, Ministère du Plan, République du Niger, Niamey Dezember 1985, S.30 (odsef.fss.ulaval.ca [PDF; abgerufen am 28. März 2021]).
↑Yveline Poncet: Cartes ethno-démographiques du Niger au 1/1 000 000. Notice des cartes (= Etudes nigériennes. Nr.32). Centre Nigérien de Recherches en Sciences Humaines, Niamey 1973, Annex: République du Niger: Carte ethno-démographique au 1:1 000 000 (odsef.fss.ulaval.ca [PDF; abgerufen am 31. Januar 2021]).
↑Résultats élections – Communales. Commission Électorale Nationale Indépendante, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. Januar 2021; abgerufen am 2. Januar 2021 (französisch).Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ceniniger.org
↑CAIMA. In: Béret Vert. Bulletin de Liaison et d’Information des Forces Armées Nigériennes. Nr.17, Mai 2013, S.28.
↑Niger DSS. In: Systeme Nationale d’Information Sanitaire (SNIS). Ministère de la Santé Publique, République du Niger, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 8. Januar 2023; abgerufen am 10. November 2020 (französisch).Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/snisnet.net
↑CET Maradi. Ministère des Enseignements Professionnels et Techniques, République du Niger, abgerufen am 18. November 2020 (französisch).
↑Annuaire statistique. Année scolaire 2020–2021. Edition 2022. (PDF) Direction des Statistiques et de la Digitalisation, Ministère de l’Enseignement Technique et de la Formation Professionnelle, République du Niger, 18. Oktober 2022, S. 7 und 91, abgerufen am 18. Mai 2023 (französisch).