Reformationsdenkmal (Stuttgart)Das württembergische Reformationsdenkmal an der Hospitalkirche in Stuttgart ist eine Denkmalanlage, die 1917 aus Anlass der Vierhundertjahrfeier von Luthers Thesenanschlag geschaffen wurde. Das Denkmal wurde nach Plänen von Theodor Fischer von dem Bildhauer Jakob Brüllmann entworfen und in einheimischem Crailsheimer Muschelkalk ausgeführt. Das Denkmal ist in den Ausmaßen nicht auf Monumentalität angelegt und in der Komposition eher schlicht. Anders als alle anderen Reformationsdenkmäler in Deutschland stellt es nicht Martin Luther, sondern Christus in den Mittelpunkt. Der wiederauferstandene Christus mit Siegesfahne thront in der Mitte zwischen Sitzfiguren des Reformators Luther und des Reformators in Württemberg Johannes Brenz. Reliefs mit Szenen aus dem bäuerlichen Leben sowie Reliefs und Inschriftentafeln aus dem Zeitalter der Reformation sind weitere Bestandteile der abgeschrankten Anlage. LageDas Denkmal steht am Hospitalplatz vor dem erhaltenen Rest der Südfassade der Hospitalkirche. Auf der anderen Seite der Südfassade befindet sich ein Innenhof zwischen dem erhaltenen Teil der Kirche und dem Hospitalhof-Gebäude. Das Langhaus der Hospitalkirche wurde im Zweiten Weltkrieg bis auf die Süd- und Westfassade zerstört. Die Westfassade und ein Teil der Südfassade mussten Ende der 1950er Jahre einem Neubau weichen, der nicht mehr existiert und heute „alter Hospitalhof“ genannt wird. So blieben nur fünf Wandfelder der Südfassade mit jeweils einem Fenster erhalten.[1] Im mittleren Feld befindet sich das ehemalige Südportal der Kirche. Das Denkmal steht ein Feld weiter rechts unter einem hohen Spitzbogenfenster. Parallel zur Südfassade steht eine Reihe von neun Kastanien am Hospitalplatz. Diese Bäume behindern die Sicht vom Hauptteil des Hospitalplatzes auf das Denkmal. Der Architekt Arno Lederer plädierte 2010 dafür, die Kastanien zu fällen und sie durch eine Baumreihe auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu ersetzen.[2] Dieser Vorschlag wurde jedoch abgelehnt.[3]
BestandteileDas Denkmal steht auf einem zweistufigen, niedrigen Podest von 4,50 × 7,25 Metern Ausdehnung.[4] Der auferstandene und siegreiche Christus thront im hellen Licht des dahinterliegenden Fensters, das den Auferstehungsgedanken unterstreicht. Links und rechts wird das Denkmal von den beiden Strebepfeilern gerahmt, die das Fenster flankieren. An die Pfeiler lehnen sich die Sitzfiguren von Johannes Brenz und Martin Luther. Die Wand zwischen der Christusfigur und den Reformatorenfiguren ist mit Inschriften und Reliefs besetzt. Die Postamente der Reformatoren sind mit einer niedrigen Brüstungsmauer verbunden, die den Denkmalbezirk bis auf einen breiten Mitteleingang abschrankt, wie dies auch bei größeren Grabdenkmälern der Zeit üblich war. ChristusDie Figur des siegreich wiederauferstandenen Christus thront auf einem etwa 3 Meter hohen Unterbau, der wie die Reformatorenfiguren mit dem Kappgesims der beiden flankierenden Strebepfeiler abschließt. Die Figur Christi ist mit etwa 2,30 Meter etwas höher als die Reformatorenfiguren mit 1,90 Metern Höhe.[5] Ein Bein der halb knienden Figur ist wie in Sitzhaltung rechtwinklig abgewinkelt, während das andere mit dem Knie den Boden berührt. Die dadurch entstehende scheinbare Schreitbewegung deutet darauf hin, dass Christus gerade erst dem Grabe entstiegen ist. Das körperlange, wehende Gewand legt sich in strenge, schwungvolle Falten, die den „Eindruck des Emporschwebens“[6] unterstützen. In der rechten Hand hält Christus die Siegesstandarte, das Zeichen seines Sieges über den Tod. Der reich gedrechselte Fahnenstock trägt ein starres Querbanner von schmaler länglicher Form, das in einem zweizipfligen Schwalbenschwanz endet. Christus hält die Fahne, die fast die Breite des dahinterliegenden Kirchenfensters einnimmt, hinter seinem Kopf, so dass sein Gesicht nicht verdeckt wird. Die Standarte zeigt das kreuztragende Lamm als Symbol des Kreuzestods Christi, den Abendmahlkelch mit schwebender Hostie sowie zwei Rosetten, zwei fünfzackige Sterne und andere, nicht gedeutete Ornamente.[Anm. 1] Unterbau der ChristusfigurDer Unterbau der zentralen Christusfigur besteht aus einer Inschriftentafel, symbolischen Figuren der vier Evangelisten und dem Sarkophag, auf dem Christus thront. Die Inschriftentafel trägt einen Ausspruch Jesu:
Der Sarkophag ruht auf blockhaft stilisierten Symbolfiguren der vier Evangelisten (Fußklötze), links Mensch und Löwe für Matthäus und Markus, rechts Stier und Adler für Lukas und Johannes. Das „schwarze Loch“ zwischen den beiden Blöcken mit den Evangelistenfiguren kann als Symbol des Grabes angesehen werden, dem Christus entstiegen ist: „Die tief schattende Höhlung unter dem Sarkophag ist wesentlich dafür, die Christusfigur als »auferstehend« erscheinen zu lassen.“[7]
Luther und Brenz
Die beiden Reformatoren sitzen Christus zu Füßen – auf der rechten Seite Martin Luther, links der Reformator Württembergs Johannes Brenz. Die Figuren enden auf der Höhe des Kappgesimses der beiden flankierenden Strebepfeiler, das gleichzeitig die Fußlinie der Christusfigur bildet. Die etwa 1,90 Meter hohen Statuen sind in sitzender Haltung dargestellt. Der lehnenlose Sitz ist mit einem quaderförmigen Sockel von etwa 1,10 Meter Höhe verbunden, der den Strebepfeilern vorgelagert ist. Einschließlich Sockel erreichen die Figuren eine Höhe von etwa 3 Metern.[5] Die Figuren der beiden Reformatoren unterscheiden sich von der Christusfigur „durch die volle Rundplastik und die porträtmäßige Ausgestaltung“.[8] Beide Figuren tragen fußlange Talare und haben eine aufgeschlagene Bibel vor sich auf den Knien liegen. Der barhäuptige, bartlose Luther schaut mit fernem Blick in die Höhe, und seine rechte Hand „tut sich auf wie um eine Offenbarung zu fassen, zu halten, schriftbereit und gelöst von zusammengeballten Ringen“.[9] Der bärtige Brenz trägt ein Barett (das sogenannte „Brenzhütle“). Er blickt verinnerlicht und demütig auf die Bibel vor ihm; und während der linke Arm auf der Bibel ruht, weist er mit der rechten Hand auf sich selbst zurück.[Anm. 2] „Eine Schwierigkeit lag in der Parallelisierung von Luther und Brenz angesichts der überragenden geistigen und geschichtlichen Bedeutung Luthers. Der Künstler hat sie durch die durchdachte Kontrapoststellung der beiden Figuren, der ihr geistiger Ausdruck entspricht, formell überwunden. […] Brenz in ernstem sinnendem Nachdenken ist derjenige, der die Gedanken Luthers wie der heiligen Schrift »nach-denkt«, die Dinge an ihrem Maßstab mißt und die Kirche nach ihnen ordnet, Luther ist der ursprüngliche Feuergeist, dem in höchster Anspannung des inneren Ohrs die neue Anschauung aufgeht, die der Mund gedrungen ist, zu verkünden.“[8] BrüstungsmauerDie beiden Stirnseiten der Brüstungsmauern tragen Reliefs mit bäuerlichen Darstellungen. Das linke Relief zeigt eine Frau mit einer Getreidegarbe im Arm. Sie unterhält sich mit einer Mutter, die mit ihren zwei Kindern unterwegs ist. Daneben sieht man eine pflanzende Frau und einen Sämann. Das rechte Relief zeigt einen Mann und eine Frau beim Pflügen mit einem Ochsen. An der Seite trägt die Brüstungsmauer links die Inschrift:
und rechts:
Wandreliefs und -inschriften
In den Mauerfeldern zwischen dem Postament der Christusfigur und den Reformatorenfiguren sind Reliefs angeordnet, die Szenen aus dem Leben der beiden Reformatoren darstellen und verschiedene Inschriften zeigen. Die Reliefs wurden nach Entwürfen Jakob Brüllmanns von dem Bildhauer Eberhard Pfleiderer ausgeführt.[6] Sie sind teils verwittert, teils wurden sie im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Zwei weitere, nicht erhaltene Reliefs zeigten links von der Christusstatue eine Szene, in der Johannes Brenz erstmals mit Martin Luther bei der Heidelberger Disputation 1518 zusammentrifft, und rechts ein Bild der Wartburg.[6] GeschichteIdeeSeit 1884 fanden in der Stuttgarter Liederhalle jährlich Lutherfeiern statt, in deren Mittelpunkt eine Lutherbüste von Adolf von Donndorf stand. Bei einer solchen Feier wurde 1903[13] die Errichtung einer Lutherstatue in Stuttgart angeregt, die zur Vierhundertjahrfeier der Reformation im Jahr 1917 fertiggestellt werden sollte. Grundsätze„Für das Stuttgarter Reformationsdenkmal ist es nun Theodor Fischer gelungen, gleichsam eine ganz neue Melodie zu greifen – neu im Verhältnis zu allen vorhandenen Lutherdenkmälern.“[14] Der Münchener Architekt Theodor Fischer, von 1901 bis 1908 Lehrer an der Technischen Hochschule in Stuttgart, schlug 1903 den Hospitalplatz als Aufstellungsort des Denkmals vor, weil von dort die protestantische Reformation in Stuttgart ausgegangen war.[15] Fischer folgte damit Adolf von Hildebrand, einem der führenden Bildhauer der damaligen Zeit, der in seiner Theorieschrift Das Problem der Form in der bildenden Kunst postulierte, Denkmäler nicht wie Fremdkörper an einen vorgegebenen Platz zu setzen, sondern eine passende Umgebung für sie auszuwählen und sie an die Umgebung anzupassen.[16] „Und in der Tat: Der räumliche Umfang des nicht zu großen Platzes an der Hospitalkirche, der intime Charakter, den ihm das alte Gemäuer der Kirche mit den grünenden Bäumen davor gibt, läßt ihn wie geschaffen erscheinen für ein Werk, das nachdrücklich die geschlossene organische Verbindung mit der Umwelt sucht, in die es hineingestellt werden soll.“[17] Das Denkmal sollte nach den Ideen Fischers, dem jedes Schablonendenken zuwider war, kein reines Lutherdenkmal werden. „Auch der Gedanke, den er für das Denkmal zur Wahl gestellt hat, [beruht] auf einer völlig neuartigen Konzeption. Er beschränkt sich nicht auf das oft wiederholte Motiv einer einzelnen Freifigur, er denkt sich als machtvollen Mittelpunkt des Ganzen das Kreuz des Erlösers.“ Ähnlich wie bei den traditionellen Kreuzigungsgruppen sollten Christus zwei Personen zur Seite gestellt werden, jedoch nicht die Mutter Jesu und sein Jünger Johannes, sondern die beiden Reformatoren Luther und Brenz. Dadurch wurde das Denkmal zum Reformationsdenkmal, und durch das Hinzutreten von Johannes Brenz, den Reformator Württembergs, zum württembergischen Reformationsdenkmal. Anders als die zur damaligen Zeit üblichen Denkmalanlagen, wie etwa die Kaiser-Wilhelm- und Bismarck-Denkmäler, vor allem aber das epochemachenden Lutherdenkmal in Worms von 1868, sollte die geplante Anlage nicht durch monumentale Ausmaße beeindrucken, sondern bescheidenem schwäbischem Maß entsprechen. WettbewerbSchon 1906 legte der mit Fischer bekannte Münchener Bildhauer Hermann Lang einen Entwurf für das geplante Denkmal vor. Es dauerte sieben Jahre, bis die ursprüngliche Idee spruchreif und im Januar 1911 ein Wettbewerb ausgeschrieben wurde. In der Ausschreibung hieß es: „Dargestellt soll werden Martin Luther, der deutsche Reformator und Johannes Brenz, der Reformator Württembergs, deren Figuren in einem künstlerischen Zusammenhang mit dem Kreuz Christi gebracht werden könnten.“[18] Der Vorschlag sollte jedoch nicht bindend sein. Von den 71 Beiträgen[19] kamen vier in die engere Wahl (siehe Abbildungen). Zu ihnen gehörte der Entwurf des Schweizer Bildhauers Jakob Brüllmann, der seit 1900 in Stuttgart lebte und mit seinem Entwurf nach den Plänen von Theodor Fischer aus dem Wettbewerb als Sieger hervorging. Er hatte in seinem Entwurf den gekreuzigten durch den auferstandenen Christus mit der Siegesfahne ersetzt.
Einweihung, Beschädigung, ErneuerungMitten im Krieg wurde das Denkmal am 24. Juni 1917, dem Geburtstag von Johannes Brenz, eingeweiht und der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Stuttgart als Eigentum übertragen.[20][21] Im Zweiten Weltkrieg wurde das Reformationsdenkmal ebenso wie die Hospitalkirche schwer beschädigt. Zwei Wandreliefs wurden ganz, andere teilweise zerstört. Die verlorenen Teile der Wandreliefs wurden nicht wieder wiederhergestellt. Die stark beschädigte Christusfigur wurde von dem Bildhauer Emil Brüllmann (1902–1988), dem Sohn des Künstlers, erneuert und 1962 der Kirchengemeinde übergeben. 1967 wurde das 50-jährige Bestehen des Denkmals gefeiert.[22] Zum 500. Geburtstag von Brenz wurde das Denkmal 1999 gereinigt und restauriert.[11] RezeptionJohannes von Merz, dem späteren Kirchenpräsidenten der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, verdanken wir eine treffende Charakterisierung der Grundgedanken, die Jakob Brüllmann bei der Komposition des Denkmals geleitet haben. Der Aufsatz von Merz, dem die folgenden Auszüge entnommen wurden, entstand 1917, im Jahr der Errichtung des Denkmals:
In seinem Kompendium der „Reformationsdenkmäler des 19. und 20. Jahrhunderts“ stellt Otto Kammer die Neuartigkeit von Jakob Brüllmanns Hauptwerk heraus:
Literatur
Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus Die Artikel im Christlichen Kunstblatt (chronologisch geordnet) zeichnen die Geschichte des Reformationsdenkmals chronologisch nach.
WeblinksCommons: Reformationsdenkmal (Stuttgart) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Anmerkungen
Einzelnachweise
Koordinaten: 48° 46′ 38,8″ N, 9° 10′ 21,9″ O |