Power Electronics
Power Electronics (englisch für Leistungselektronik), gelegentlich auch als Heavy Electronics oder Whitehouse bezeichnet, ist ein Musiksubgenre, das dem Post-Industrial zugerechnet wird. GeschichteLaut Marcus Stiglegger formte Anfang der 1980er Jahre eine neue Generation von Industrial-Interpreten auf den „agitatorischen Noise-Attacken früher Industrialbands“[1] aufbauend das Subgenre Power Electronics. Als Initiator einer neuen Substilrichtung im Spektrum des Post-Industrial radikalisierte Whitehouse Stilelemente des Ur-Genres und kombinierte atonal arrangierten Lärm der auf Lautstärke und Verzerrung beruht, stark verzerrten Schreigesang mit Texten und Samplings die auf Brutalität, sexuelle Gewalt, Serienmord und Faschismus verweisen.[2]
– Simon Reynolds: Rip It Up And Start Again. S. 256[3] William Bennett von Whitehouse und Cut Hands prägte den Genrebegriff durch die Linernotes des 1982 veröffentlichten Whitehouse-Albums Psychopathia Sexualis. Weitere Verwendungen des Begriffs verstärkten die Wahrnehmung von Interpreten auch außerhalb des Kreises um Bennett und sein Unternehmen Come Org.[4] Zeitnahe Interpreten wie das deutsche Projekt Genocide Organ oder Atrax Morgue aus Italien wurden als Teil einer gemeinsamen Post-Industrial-Strömung wahrgenommen. Zum Ende der 1980er und Beginn der 1990er Jahre verschmolzen neue, bis dahin unbekannte Künstler auch Elemente dieses Genres mit Stil-Facetten, die der Gothic-Szene entstammten. Darunter rechnet Stiglegger den um das Label Cold Meat Industry entstanden Death Industrial.[1] Während Come Org 1985 den Betrieb einstellte, waren es Firmen wie das amerikanische Label Malignant Records, die durch Veröffentlichungen aus dem Death-Industrial- und Power-Electronics-Bereich populär wurden.[5] StileinordnungBei vielen dem Genre zugerechneten Interpreten sind über die musikalische Ausrichtung hinaus Gemeinsamkeiten in Inhalt und Ästhetik zu erkennen. Das Genre adaptierte Ideen der ersten Generation des Industrial und radikalisierte sie. Joseph Nechvatal beschreibt in seinem Essay Towards a Sound Ecstatic Electronica: the Rational Behind Tellus Issues “Power Electronics” and “Media Myth” das Gefühl der Desorientierung des Individuums in der Informationsgesellschaft als gemeinsame Prämisse der neuen Spielweise, die sich der „Erforschung der introspektiven Welt des Ohrs unter dem Einfluss einer hochfrequenten elektronischen“ Ambient-Musik verschrieb.[4] Die Interpreten folgten laut Nechvatal dabei instinktiv der Erforschung der Möglichkeit, den Verlust der Sicherheit durch die zunehmende Auflösung klarer Machtverhältnisse in der Gesellschaft „symbolisch in künstlerische Abstraktionen von sozialem Wert“ zu wandeln.[4] Das Resultat ist eine Musik, die mit Extremen agiert. Im Rahmen dieser expressiven und zugleich konfrontativen und provokativen Herangehensweisen waren Vertreter des Genres häufig mit ähnlichen Themen befasst. Als solche gelten besonders Serienmord, Folter, Massenmord, Faschismus, Gewalt und Sexualität.[6]
– Judith Platz: Die schwarze Musik, S. 272.[7] Der britische Journalist Philip Taylor zog eine direkte Traditionslinie aus dem Futurismus und Dadaismus über Fluxus und Wiener Aktionismus zum performativen Konzept des Power Electronics. Die radikale Körperlichkeit der Musik und die schockierende Konfrontation mit sozialen und politischen Extremen sollte Reaktionen erzwingen.[8] MusikJudith Platz beschreibt Power Electronics als Pendant zum Elektro-Industrial. Beiden sei gemein, dass sie „unter Zuhilfenahme aller vorhandenen elektronischen Produktionsmöglichkeiten kreiert“ würden und zum Zuhören zwingen.[7] Das Genre basiert musikalisch auf Lautstärke und „brachialem Lärm“ mit teils extremen Rhythmen[6], die keinem Takt kontinuierlich folgen und keine eindeutige nachvollziehbare oder vorausschaubare Struktur aufweisen.[3] Stark verzerrter Brüll- und Schreigesang sowie Samples, die oft den üblichen Inhalten entsprechend aus Filmen und Reden stammen, ergänzen das Klanggebilde.[3] InhaltWhitehouse und das Label Come Organisation definierten mit ihren frühen Veröffentlichungen den inhaltlichen und musikalischen Rahmen des Mikrogenres innerhalb des Post-Industrial. Insbesondere die 1982 veröffentlichte Kompilation Für Ilse Koch wurde als Eckpunkt der inhaltlichen Ausrichtung wahrgenommen.[3] Dabei, so Carla Mureck in ihrem Essay „Die Hölle ist da, feiern wir das wärmende Feuer“, war die Wahl von Ilse Koch als die einer „x-beliebigen, sexuell frustrierten deutschen Frau, die ihre Sadismen an hilflosen KZ-Opfern in grausamster Weise auslebte“, als Verweis auf den „Zusammenhang von sozialem System und Psyche“ zu begreifen.[9] Eine den Interpreten des Genres vorgeworfene Reduzierung auf Konfrontation und Provokation wird von Fürsprechern als verkürzende Interpretation negiert. Auch Kritik an einer möglichen Nähe und positiven Bezugnahme auf den Nationalsozialismus und Rechtsextremismus wird als Fehl-Interpretation einer Destruktion, Entkontextualisierung und Dekonstruktion betrachtet. Dennoch entstand in Nordamerika eine Szene, die die Elemente des Genres adaptierte und „vereindeutigend in rassistische und rechtsextreme Kontexte überführ[te]“. Die potentielle Nähe findet derweil in der Rezeption und damit im Publikum auch affirmative Entsprechungen.[6] KulturDer Industrial-Pionier und Begründer von Throbbing Gristle Genesis P-Orridge lehnte diese Folgeerscheinung vehement ab und sah sich, insbesondere von dem Genre-Initiator Whitehouse falsch verstanden.[10] Zugleich erarbeitete sich das verlegende Label Come Organisation, das von William Bennett 1979 gegründet wurde, ein eigenes Publikum in der Industrial Culture. Das Genre blieb dabei international ein Underground-Phänomen mit uneinheitlichen Publikum. Eine eigenständige Szene mit eigenen kulturellen Ausprägungen bildete sich nicht. Das Publikum von Konzerten besteht überwiegend aus Anhängern des Post-Industrial, des Electro und des Dark Wave, insbesondere des Neofolk, zusammen.[6] Interpreten wie Macelleria Mobile di Mezzanotte traten noch in der Mitte der 2000er-Jahre in Rom in Kellern und kleinen Lokalitäten vor Neofolk-Anhängern, „ein paar erschöpften Ravern und Metalheads“ auf.[11] Populäre Interpreten
Literatur
Einzelnachweise
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